HAHÜLUB LfctLIBHAM»
BBIGHAM YOUNG UNIVER&lT>
PROVO. UTAH
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in 2012 with funding from
Brigham Young University
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Die Lehre
von der vokalen Ornamentik
Erster Band:
Das 17. und 18. Jahrhundert
bis in die Zeit Glucks
von
Hugo Goldschmidt.
Charlottenburg
Verlag von Paul Lehsten
1907.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten
THE LIBRARY
BEIGF A M YO UNIVERSITB
PROVO, UTAH
Seiner Königlichen Hoheit
dem Grossherzog von Hessen und bei Rhein
ERNST LUDWIG
dem hohen Protektor der Kaiserin Friedrich- Stiftung zu Mainz
in tiefster Erfurcht zugeeignet.
Inhaltsangabe.
Seite
Vorwort 1
Einführung 5
Erster Teil: Die geschichtliche Entwicklung des Verzierungswesens
bis zum Erscheinen von Tosis „Opinioni de cantori antichi e
moderni, <> sieno osseroazioni sopra ü canto figurato", 1723.
Kapitel I: Die melodische Verzierungskunst der Italiener . 9
Kapitel II: Die französische Theorie und Praxis 59
Kapitel III: Die deutsche Theorie und Praxis 79
Zweiter Teil: Die Ornamentik des 18. Jahrhunderts seit dem Er-
scheinen von Tosis opinioni von 1723.
Kapitel I: Die deutsche Theorie 95
Kapitel II: G. F. Händel, Die Oratorien Samson und Josua 153
Kapitel III: J., S. Bach, Die Passionsmusiken .180
Kapitel IV: Oh. W. Gluck, Orfeo, Ipbigenie en Aulide . . 206
Nachtrag: Würdigung der in der Lennard-Sammlung des Fitzwilliam-
Museums zu Cambridge enthaltenen Aussetzungen Händel-
scher Einzelgesänge 223
Anhang.
Vorwort.
Die Kunst der musikalischen Reproduktion verfolgte nicht immer die
gleichen Ziele. Das 18. Jahrhundert ging davon aus, daß es ihre
Aufgabe sei, das Objekt in ein möglichst günstiges Licht zu setzen,
und es der Psyche des ästhetisch empfindenden Subjekts in höchster Wirk-
samkeit zuzuführen. Dabei kam ihr das Verhalten des Produzierenden ent-
gegen, der auf ihre Mittätigkeit geradezu rechnete, nicht allein hinsichtlich
des Vortrages, sondern auch in der Aussetzung und Ergänzung des vokalen
und instrumentalen Partes, nicht etwa nur im Sinne einer bravourösen
Behandlung der Einzelstimme und des konzertierenden Instrumentes,
sondern vorzüglich um die angesprochenen Affekte zu höherer Eindring-
lichkeit zu steigern. Als im beginnenden 19. Jahrhundert das musikalische
Schaffen mit dem Fortschritte der technischen Mittel und dem Ausbau
der Formen die Grenzen ihrer Betätigung weiter steckte, als sie dazu
überging, immer feinere, kompliziertere Empfindungskomplexe auszulösen,
mußte sich das Verhältnis zwischen schaffender und ausübender Kunst
verändern. Der Komponist beanspruchte nun eine seinen Intentionen ge-
näherte Wiedergabe, die auch den intimeren Empfindungsgehalt seiner
Arbeit klar legte, und gewährte dem Nachschaffenden nur eben so viel
Freiheit, als die Unzulänglichkeit unserer Noten- und musikalischen Zeichen-
schrift bedingte. Nun verblieb ihm allerdings auch innerhalb dieser Grenzen,
also hinsichtlich des Vortrags, noch die Möglichkeit subjektiven Erfassens,
um sein Erleben des Kunstwerks zur Geltung zu bringen. Aber die
objektive Betrachtung überwog nun in so hohem Grade, daß es bis in
die neuste Zeit als ästhetisches Grundprinzip, als Norm jeder produktiven
Kunst galt, sie habe sich damit zu bescheiden, ausschließlich das, was
und wie es der Komponist erdacht hatte, in Töne umzusetzen. Daß sich
starke Individualitäten auch unter der Herrschaft dieser ästhetischen An-
schauungen durchzusetzen wußten, beruhte auf der Intensität des sub-
jektiven Anschauens, nicht auf ihrer bewußten Geltendmachung. Wo
sich das subjektive künstlerische Empfinden mit dem Geiste des Kunst-
werks, richtiger mit den seelischen Vorgängen in seinem Schöpfer deckte,
oder doch nahe berührte, da entstanden reproduktive Leistungen, die als
klassische bezeichnet werden, und wie sie etwa in J. Stockhausen als
Goldschmidt, Geschichte der ital. Oper. 1
2 Vorwort.
Schubert- und Brahms- Interpret, in J. Joachim als Ausführer Mozart-,
Beethoven- und Brahmsscher Werke in Erscheinung traten. Die neuere
Entwicklung nun ist wiederum geneigt, dem Reproduzierenden eine un-
gehindertere Entfaltung seines Erfassens des Kunstwerks zuzugestehen.
Er soll seine „Einfühlung" in das Objekt frei betätigen dürfen, und nur
dort Halt machen, wo es eine mehrfache Deutung ausschließt.
Die veränderte Stellung der reproduzierenden Kunst, die Statuierung
des Rechtes, aus der Stimmung heraus nachzuschaffen, und die Verwerfung
des älteren Prinzips strikter Objektivität ist keine Einzelerscheinung
im Geistesleben unserer Zeit. Sie geht nicht nur mit der Richtung Hand
in Hand, die die bildenden Künste verfolgen, sondern entspricht auch
derjenigen, die unsere moderne Ästhetik eingeschlagen hat. Während die
ältere objektivistische Methode das ästhetisch Wirksame in den Qualitäten
des Objekts suchte, mögen sie in Raum oder Zeit, neben- oder nach-
einander in Erscheinung treten, hatte schon Fechner1) von den rein sinn-
lichen Elementen, die bei der direkten, unmittelbaren Wahrnehmung ge-
wisser (mathematischer) Verhältnisse innerhalb der sensorischen Daten
auftreten, „assoziative" Elemente abgesondert, die sich durch die Ver-
knüpfung reproduktiver, gedanklicher und affektiver Inhalte mit dem Ein-
druck jener bilden. Aber erst Theodor Lipps2) beantwortet das Problem
des Verhältnisses zwischen ästhetisch wirkendem Objekt und ästhetisch
empfindendem Subjekt durchaus subjektivistisch, und lehrt die Introjektion
des Subjektes in gegebene Raumformen als Grund des ästhetischen
Genusses. •
Unser Verhalten gegenüber der älteren Musik des 18. Jahrhunderts
wäre durch solche Erwägungen allein schon gegeben. Es kann uns nur
der Gedanke leiten, sie in derjenigen Form zur Ausführung zu bringen,
die ihr ein völliges Erfassen in der Psyche des modernen
Hörers sichert. Nun aber kommt hinzu, daß sich das ästhetische Ver-
halten der ausübenden Künstler jener Zeit zum Objekt mit der modernen
Hauptrichtung der psychologischen Ästhetik, und dem Subjektivismus
der reproduzierenden Gegenwart ungemein nahe berührt. Wie eingangs
bemerkt wurde, und noch des näheren auszuführen sejn wird, gewährte
die Produktion die Freiheit der Geltendmachung subjektiver Qualitäten
in dem Sinne einer Hervorkehrung des affektiven Gehaltes. Dabei ist
freilich zu bedenken, daß das ästhetische Genießen jener Zeit auf dem
Gebiete der Musik in zwei, in der Praxis nicht überall getrennte, an sich
aber immer unterschiedliche Gattungen auseinander ging, einmal in die
») Vorschule der Ästhetik, 2 Bde. 1876. II. Auflage 1897.
2) Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst I. Grundlegung der Ästhetik, 1903.
Vorwort. 3
Freude am schönen Ton und einer rein virtuosen Technik, dann aber in
jene ästhetischen Eindrücke höherer Ordnung, die wir als Affekte an-
sprechen. Soweit sich nun jener Subjektivismus auf die Vertiefung des
affektiven Gehaltes des Objektes bezieht, wird ihn auch modernes ästheti-
sches Empfinden willkommen heißen, dort dagegen zurückweisen, wo er
jenem niederen Genuß bravouröser Tonspielerei dient.
Mein Standpunkt in der Frage: sollen wir die Ornamentik der
alten Musik zu neuem Leben erwecken und sie insbesondere der
Händel- und Bachschen Kunst wieder zuführen, ist mit diesen Ausführungen
präzisiert. Nur insoweit sie sich auch dem musikalischen Empfinden des
modernen Hörers eignet, die Grundlinien so zu verändern, daß die Plastik des
Melos gesteigert und somit eine Verstärkung und Vertiefung des Ausdrucks
bewirkt wird, nur insoweit sie zum mindesten eine Abrundung des melodi-
schen Gedankens bedeutet, hat sie auch heut noch Existenzberechtigung.
Das Bestreben in historischer Treue zu verfahren, darf sich nur
unter diesen ästhetischen Voraussetzungen betätigen. Wo sich
eine fühlbare Divergenz zwischen ihnen und dem Verfahren der Alten
ergibt, werden wir immer für eine unserm Musikempfinden gemäße Aus-
führung eintreten. Und wo sie uns — nicht einig in ihren Ansichten
— mehr als eine Art der Behandlung überliefern, wird einer unserm
Empfinden genäherten Form selbst dann der Vorzug gebühren, wenn sie
nicht der gemeinen Praxis der Zeit entsprach, sondern nur einer Minorität
der ausübenden Künstler geläufig war.
m Diese Arbeit glaubte sich nicht auf eine Darstellung der Lehre von
der Ornamentik in dem Sinne beschränken zu dürfen, daß lediglich die-
jenigen Tonformeln berücksichtigt wurden, die das Requisit der vervoll-
kommnenden und schmückenden Elemente bildeten. Sie hat auch die-
jenigen melismatischen Substrate in den Kreis ihrer Darstellung gezogen,
welche die produktive Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts als melodische,
tonmalende oder charakterisierende anwandte, um zu zeigen, wie auch
jene Zeit bereits bemüht war, aus dem Zuge eines allgemeinen, das
Ganze beherrschenden Affektes heraus intimere und kompliziertere
psychische Vorgänge hervorzuheben.
Ich spreche an dieser Stelle Herrn Professor Fritz Volbach in
Mainz für die reiche Anregung und Belehrung, den Herren Bibliothekaren
Dr. Kopfermann-Berlin, Mantuani-Wien und Pagliara-Neapel für
ihre gütige Unterstützung besten Dank aus.
Wiesbaden, August 1907.
1*
Einführung.
Die Grenzlinie zwischen schaffender und ausübender Kunst hielt nicht
von jeher die heut bestimmte Richtung. Erst im jüngst vergangenen
Jahrhundert vollzog sich eine völlig reine Scheidung dahin, daß
dem Ausfuhrenden, an die Niederschrift des Komponisten gebunden, nur
noch in dynamischer und zeitlicher Hinsicht, also rücksichtlich des Vortrags
eine gewisse Freiheit verblieb. Die ältere Zeit, und noch das 18. Jahrhundert,
überließ nicht nur dem reproduzierenden Künstler ein weites Feld erfinderi-
scher Betätigung, ja sie verlangte geradezu seine selbsttätige Teilnahme
an der Gestaltung des Kunstwerks, im Sologesang und im konzertierenden
Instrumentenspiel, insbesondere in dem Zusatz ausschmückender Tonformeln,
in der Zerlegung größerer in eine Anzahl kleinerer Notenwerte, in der
Einschiebung einzelner Durchgangs- und Hilfsnoten. Der dritte Teil der
Arie galt regelmäßig als das Feld seines individuellen Geschmacksbeweises.
Der reproduzierende Künstler mußte also bis zu einem gewissen Grade
auch gestaltende Phantasie und Kenntnis des musikalischen Satzes und der
Satzform besitzen. Seine Stellung zur Gesamtkunst war eine höhere,
einflußreichere als heute. Ob ihr stets zum Heil, ist zu bezweifeln. Die
Berichte der älteren Theoretiker, wie des Deutschen Fuhrmann, des Italieners
Tosi lassen erkennen, daß schließlich der Wunsch, die subjektive Kunst-
fertigkeit zn zeigen, über die eigentliche Aufgabe, das gegebene Vortrags-
objekt in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu setzen, den Sieg davontrug.
Auch aus dieser Tatsache, nicht nur aus inneren, musikalisch-technischen
Gründen erklärt es sich, wenn J. S. Bach, abweichend vom Zeitgebrauch,
seine melodischen Tonformeln soweit ausschreibt, daß Scheibe aussprechen
kann, er drücke alle Manieren und alle kleinen Auszierungen mit eigent-
lichen Noten aus — was freilich nicht auf jeden Fall anzuwenden ist J)
Den dritten Teil der Arie entzog er jedenfalls durch die eigene Umgestaltung
auch dort völlig der willkürlichen Behandlung der Sänger, wo nicht schon
der polyphone Satz selbst eine nennenswerte Umdeutung ausschloß.2)
Nur in der Notierung der Vorschläge, in der Entscheidung ihrer zeitlichen
Beziehung zur Hauptnote, in der Deutung der Zeichen, und in der
Ausführung des Trillers verläßt er sich auf den Ausführenden. Aber Bach
nimmt auch hier eine Sonderstellung ein. Seine Zeitgenossen, vorzüglich
!) Spitta, J. S. Bach. II. S. 148 ff.
2) Spitta, a. O. S. 151.
Q Einführung.
Händel, die Modekomponisten der italienischen Oper und Kammer, wahren
das Recht des Sängers und Spielers auf ornamentale Belebung des Grund-
gedankens. Glucks dramatischer Stil — seit dem „Telemacco" von 1750
und dem „Orfeo" von 1762 — verbietet zum ersten Male prinzipiell
die Anpassung des Stückes an die Individualität des Sängers. Und doch
erscheinen regelmäßig auch in jeder seiner Opern Arien, die, im Geiste
der Zeit gesetzt, auch eine ihm entsprechende Behandlung verlangen. Es
sind zumeist lyrische Gesänge großer Anmut und in der vollen Zierlichkeit
des Rokoko gearbeitet. Mozart gehört gleichfalls einer Übergangsperiode
an, seine Jugendwerke noch ganz der herrschenden Richtung der neuen
neapolitanischen Schule. Aber auch in den Sologesängen der reiferen
Zeit, sei es der Oper, sei es der Konzertarien, hat er nicht überall den
Sänger lediglich als Interpreten betrachtet; auch hier bezog er sich noch
vielfach auf die alte, noch immer lebendige Tradition des freien Vortrags,
im da Capo, in der Kadenz, in den die Unterteile verbindenden kleinen
Gängen, und anderen melismatischen Zusätzen. Erst das 19. Jahrhundert
— Schubert, Beethoven, Weber und Rossini1) — erweitert die Machtfülle
des kompositorischen Schaffens so sehr, daß die Ausführenden nunmehr
im wesentlichen an die Niederschrift gebunden wurden.
Die hochverantwortliche und schwierige Kunst des Ausschmückens
und Yariierens ist niemals eine völlig willkürliche gewesen. Sie unterstand
vielmehr gewissen, in der Theorie der Musik gelehrten Gesetzen, ebenso
wie etwa die Komposition des reinen Satzes, der Kontrapunkt selbst.
Dessen Zeuge sind die umfangreichen, einschlägigen Abschnitte der
Lehrbücher über Gesang und Instrumentenspiel von Bacilly bis Petri und
Türk, und die Vorreden zu zahlreichen praktischen Musikwerken, wie
diejenigen Muffats zu seinem „Florilegium secundum" und Kuhnaus „Neue
Klavierübung". Doch erstarkte die Systematik natürlich niemals bis zu
einem jeden Fall erfassenden Detail. Geschmack und Phantasie blieb
allezeit ein weiter Spielraum. Aber die Vertrautheit mit der Eigenart
jener Praxis verbürgte doch die Verwirklichung der Intentionen des
Komponisten.
Unserer Zeit nun sind nicht nur jene von den Theoretikern über-
lieferten Normen nicht mehr geläufig, auch die Fähigkeit, aus dem Geiste
des Musikwerkes heraus eine ihm adaequate Ornamentik zu gestalten, darf
als verloren gelten. Und so ist die Fähigkeit dahingesunken, von der die
Ausführung der Meisterwerke jener großen Periode der Musik, sowie sie
ihre Schöpfer sich gedacht, nicht zum wenigsten abhängig erscheint,
Fr. Chrysander ist leider dahingegangen, ohne seine reichen Erfahrungen
]) Rossini erst von dem Jahre 1 8 1 6 an. Vgl. Mara Köpfe Bd. II. S. 161.
Einführung. 7
für das Händelscbe Oratorium insbesondere, literarisch festzulegen. Das
vorliegende Material ist jedenfalls nicht für eine nachschaffende und er-
gänzende Gestaltung ausreichend, und ich fürchte, wir müssen mit dem
Bedauern scheiden, jenen alten Glanz des wahrhaft künstlerischen Sänger-
tums nicht wieder aufleben zu sehen. Umsomehr ist es die Pflicht der
reproduzierenden Musiker, der leitenden Kapellmeister insbesondere,
demjenigen Teil der ornamentalen Melodik, für dessen Verständnis und Be-
lebung uns in den theoretischen Schriften der Zeit und in der praktischen
Musik selbst genügender Aufschluß zuteil wurde, zu ihrem vollen Rechte zu
verhelfen. Das ist bisher verabsäumt worden, nicht zum mindesten
deswegen, weil statt auf theoretisch gesichertem Grunde einer völlig
entwickelten und nur vergessenen Lehre aufzubauen, aus rein ästhetischen
und nicht immer geläuterten Anschauungen heraus bestimmt und aus-
geführt wurde. Daß unter einer solchen unsicheren Methode eine Ver-
gewaltigung des Melos nicht ausbleiben konnte, ist klar, und doch ist
die Grundlage der Ornamentik der Klassiker unserer musikalischen Kultur-
nationen durch die Theorie und ergänzende Praxis soweit gesichert, daß
grobe Verstöße gegen ihre Anschauungen ausgeschlossen erscheinen.
Die Aufgabe, die ich mir mit dieser Arbeit gestellt habe, ist hiermit
angedeutet. Sie will die ornamentale Melodik aus dem Kreise einer meist
dilettantischen, im besten Falle ästhetisch richtig empfundenen, aber
unsicheren Praxis herausführen, und auf dem Boden einer durch über-
lieferte Gesetze gesicherten Theorie wieder aufbauen, zweifelhafte Fälle
im Geiste der alten Kunstausübung zur Entscheidung bringen. Erst
dann wird es möglich sein, einmal die niedergeschriebenen Verzierungen
und Zeichen mit Sicherheit zu interpretieren, dann aber diejenigen Er-
gänzungen des Melodieverlaufes vorzunehmen, welche die alten Meister
der italienischen Schule, auch Händel, den Ausführenden in der Zuversicht
überließen, daß sie, in Kenntnis der theoretischen Normen und erzogen
in der hergebrachten Praxis des Variierens und Kadenzierens das Not-
wendige und Richtige zu treffen, das Vortragsobjekt in günstige Beleuchtung
zu setzen vermöchten. Erst wenn die Lehre von der Kunst des Veränderns
einen Gegenstand des musikalischen Unterrichts überhaupt bilden,
wenn Gesetz und Überlieferung des 18. Jahrhunderts dem modernen
Musiker wieder geläufig geworden sein wird, werden die Meisterwerke
dieser Zeit, vorzüglich die Werke Bachs, Händeis und Glucks, in der-
jenigen Form auferstehen, die sie zur höchsten Wirksamkeit und Ein-
dringlichkeit hinaufführen. Denn die Kunst des freien Verzierens — das
versichern die Autoren des 18. Jahrhunderts immer wieder — hat zu
ihrem Hauptzweck die Verstärkung des Ausdrucks. Nur ihm dienen
die Manieren, freien Passaggien und die Kadenz,
3 Einführung.
Es wäre nun vergebliches Bemühen, sofort und ohne weiteres zur
Betrachtung und Erörterung der einschläglichen Materien überzugehen.
Ihr Erfassen setzt eine, wenn auch auf die Höhepunkte beschränkte
Übersicht der Entwicklung des geschichtlichen Verlaufes der Kunst der
melodischen Ausschmückung voraus.1) Ich kann und muß allerdings
darauf verzichten, ihm bis in die Zeit des gregorianischen Gesanges, des
improvisierten Discantus, des geregelten Kontrapunktes und der großen
Periode der niederländischen Musik zu folgen, schon weil die Vorarbeiten
auf diesem Gebiete nicht abgeschlossen sind. 2) Ich beschränke mich
darauf anzudeuten, daß es niemals einen rein syllabischen Sprachgesang,
einen völlig reinen Zugesang (adcantus) gegeben hat; denn schon die
alten indischen Opfergesänge enthalten Verzierungen. Zweifellos erscheint
es mir nach Fleischers3) Beweisführung, daß der älteste gregorianische
Gesang in seinen Grundzügen allerdings syllabisch-adcan tisch war, also
abhängig von der Sprache und ihrem Rhythmus, von der Interpunktion
insbesondere, und daß frühestens im 4. Jahrhundert die melodischen
Gesänge der Hymnen, im 9. Jahrhundert die der Sequenzen, Antiphonen,
Tropen usw., vorzüglich aber die altorientalischen, vokalischen Gesänge
des Alleluja zu jenem mehr konzentrischen und reichlich melismatischen
Kirchengesange führten, wie er uns noch heute im gregorianischen Gesänge
entgegentritt. Zweifellos ist mir ferner, daß diese hier rezipierten Melismen
durch die geläufigen Kehlen der römischen Kirchensänger in den Diskantus
und geregelten Kontrapunkt als Improvisationen überführt wurden. Aber
wie gesagt, noch fehlt es an eingehenden Arbeiten, um jenen Vorgang im
einzelnen nachzuweisen. Sicheren Boden betreten wir erst mit dem
16. Jahrhundert.
1) H. Kretzschmar: »Einige Bemerkungen über den Vortrag alter Musik.« Jahrbuch
der Musikbibl. Peters S. 66 ff. meint, der praktische Musiker, der selbst an einem Händei-
schen Oratorium oder einem verwandten Werke das Richtige vornehmen wolle, könne nicht
darauf warten, bis die gelehrte Arbeit erledigt sei. Zum Glück sei das auch garnicht nötig;
denn was er zunächst brauche, fände er mehr als ausreichend im Quantz, neben ihm komme
noch Tosi in Betracht. Dem kann ich nicht zustimmen. Aus der Lektüre von Quantz und
Tosi allein ist keine gesicherte Grundlage zu gewinnen. Es müssten mindestens Agricola,
Ph. E. Bach und L. Mozart hinzugezogen werden. Das Verständnis für die Lehre dieser
Theoretiker erschliesst sich aber erst demjenigen, der den gesamten Verlaut der Entwicklung
im 16. und 17. Jmhrhundert übersieht.
2) Einiges Material hat zusammengetragen: Franz Kuhlo Ȇber melodische Verzierungen
in der Tonkunst«. Inaug. Dissert., Berlin I896. Niemann, Walter. Publ. d. Int. Mus.- Ges.,
Beihefte VI »Über die abweichende Bedeutung der Ligaturen«, Leipzig 1902.
3) Neumen- Studien, Teil I, »Über Ursprung und Entzifferung der Neumen«,
Leipzig 1895. A, M. : P. Wagner »Einführimg in die gregorianischen Melodien», Teil I
»Ursprung und Entwicklung der liturgischen Gesangsformen«, Freiburg (Schweiz) 1901,
S. 31 und 58/59.
ERSTER TEIL.
Die geschichtliche Entwicklung des Verzierungs-
wesens bis zum Erscheinen von Tosis „Opinioni
de cantori antichi e moderni, o sieno osservazioni
sopra il canto figurata" 1723.
Kap. 1.
Die melodische Verzierungskunst der Italiener.
Die Diminutionen des 16. Jahrhunderts.
Die Ausschmückung und melismatische Belebung einer in den
Grundzügen gegebenen Melodie des mehrstimmigen, weltlichen und geist-
lichen Gesanges wird in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein
wichtiger Zweig der musikalischen Wissenschaft, eine schließlich allgemein
geübte Kunst der italienischen Praxis, die man als die des Diminuierens,
auch als Gorgia bezeichnete.1)
Geschichtlich betrachtet beruht die Bedeutung der Diminution darauf,
daß sich in ihr das subjektive Gestalten, die Kunst des Vortrags
äußert. Ich betrachte sie als einen Vorläufer jener etwa mit 1590 ein-
setzenden Bewegung in der Musik, die sie der Betimmung, die Affekte
zu ergreifen und wiederzugeben, zuführte, und zunächst im Sologesang
und in der Oper in äußere Erscheinung trat. Sie läuft ähnlichen
Bestrebungen in der Instrumentalmusik parallel. Die Ausführung mehr-
stimmiger Madrigale durch eine Gesangsstimme und die Überlassung der
anderen an ein Instrument oder einen Körper von Instrumenten beruht
auf gleichem Wunsche. Dort äußert er sich in der Veränderung der
!) Ausführliches über diesen hier nur zur Einführung in den Grundzügen behandelten
Gegenstand bei Fr. Chrysander, „Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges", Viertelj.
Sehr, für Musik w. 1891 und 1893, ferner C. Krebs „Girolamo Diruta Transilvano",
ebenda 1892; O. Fleischer ,, Denis Gaultier", ebenda 1886. Dannreuther „Musical
ornamentation", der aber die Gesangsmusik durchaus lückenhaft behandelt. Des Ver-
fassers „Italienische Gesangsmethode des 17.Jab.rh.", Breslau 1890, und „Verzierungen, Ver-
änderungen und Passaggien im 16. und I7.jahrh.", Monatshefte für Musikgeschichte 1891, ferner
Max Kuhn „Die Verzierungskunst in der Gesangsmusik des 16. und 17. Jahrh. 1535 — 1650",
Publ. d. Int. Mus. -Ges. Leipzig 1902, zuverlässig und die bisherigen Quellen trefflich ergänzend
für die Zeit bis 1600, ganz unvollständig für das 17. Jahrh., endlich des Verfassers „Studien
zur Geschichte der italienischen Oper" Bd. I. S. 124 ff.
10 Erster Teil.
Zeichnung, hier in der Koloristik.1) Ich stehe hier in einem bewußten
Gegensatz zu Chrysanders Meinung in der Vorrede zu seinem Aufsatz:2)
„Koloratur und Ausschmückung des Gesanges." Chrysander nimmt an,
daß jene Praxis des Kolorierens gewissermaßen aus dem Geiste des alten
Kunstwerkes herausgewachsen, und auch für die Reproduktion unserer
Tage maßgebend sei. „Unsere Praxis dieser alten Musik" — heißt es
dort — „wird dabei freilich arg ins Wanken geraten, zum Teil sogar
dahinstürzen. Aber was schadet das? Tritt doch etwas Besseres an
ihre Stelle." Ich kann dem verehrten Altmeister so weit nicht folgen.
Ich kann nicht zugeben, daß das Hervortreten einer Stimme, zumeist
des Diskantus, wie ihn die uns erhaltenen Nutzanwendungen der Lehre
des Kolorierens aufweisen, dem Wesen des mehrstimmigen Gesanges ent-
sprechen, daß es nicht heiße, die Gleichberechtigung der Stimmen auf-
heben, wenn sich eine durch besonders reichen Schmuck vor den anderen
hervortut, so hervortut, daß die anderen zu begleitenden Stimmen herab-
gedrückt werden. Das ist in den uns überlieferten praktischen Beispielen
tatsächlich der Fall. Noch Fincks Anweisungen und Beispiele3) lassen
erkennen, daß er die Gleichberechtigung der Stimmen nicht getrübt
wünscht, und daß die Kolorierung nur soweit ihr Recht hat, als „dabei
die Komposition intakt und ungestört bleibe", und diese Anschauungen
lassen sich mit Zacconis Bericht, die Alten um 1500 hätten gesungen,
wie es die Komponisten niedergeschrieben, wohl vereinigen. Die
italienische Kunstausübung aber, in der Zacconi steht, ist weit über
diese, den Alten noch bewußte Eigenart der Mehrstimmigkeit hinaus-
gegangen und stand zu seiner Zeit im Begriff, aus ihr den Einzelgesang
eben dadurch zu entwickeln, daß einer Stimme durch die Einfügung
der Melismen, und die Beugung der melodischen Linie, ein Übergewicht
zuerkannt wurde. Zwar gebe ich zu, daß Zacconis Beispiele maßvoller,
rhythmisch einfacher gestaltet sind, als die seiner Zeitgenossen, etwa die
des Bovicelli; das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die aus-
übende Kunst am Ende des 16. Jahrhunderts — vielleicht unter dem
Einflüsse des immer mehr harmonisch gestalteten Madrigals — die
Klammern der Polyphonie durch das Herausheben einzelner Stimmen
und ihrer gegensätzlichen Beweglichkeit bedenklich gelockert hatte. Ich
kann deshalb diese Bewegung des 16. Jahrhunderts nur als eine
mißverständliche Auslegung der alten Kunst, als ein Drängen nach
neuen Zielen, mit dem Wesen jener unvereinbar, betrachten.
*) Des Verf. „Studien zur Gesch. der ital. Oper", Bd. I, S. 125 ff.
2) Viertelj. Sehr, für Musik w. 1891, S. 337 ff.
3) Monatshefte f. Musikgesch. 1879.
Erster Teil. U
Lesen wir die uns erhaltenen Beispiele praktischer Musik, in denen
die Ausführungen der Theoretiker Giov. da Udine, Zacconi, Giov. Bassano,
Riccardo Rognone, Bovicelli u. a. zur Anwendung kommen, so über-
zeugen wir uns, daß hier über den Drang einer individuellen Vortrags-
kunst hinaus auch schon der Wunsch, die Kehlfertigkeit des Sängers in
Erscheinung zu setzen, mitbestimmend war, dann aber, daß gerade der
gesangstechnischen Seite nicht überall Gerechtigkeit wird. Denn diese
Passaggien sind im Grunde genommen unsanglich, der menschlichen
Stimme unbequem. Caccini1) und Ottavio Durante2) berichten denn auch
übereinstimmend, die älteren ihnen überkommenen Passaggien seien
instrumentaler Natur, den Instrumenten geeigneter als der Menschen-
stimme. Tatsächlich scheinen auch die Diminutionen von der Instrumental-
musik stark beeinflußt zu sein. Die Mehrzahl der theoretischen An-
weisungen für das Diminuieren sind für Instrumente bestimmt, ja die erste
und älteste Lehre gehört der Flötenschule des Silvestro Ganassi del
Fontego und seiner Fontegara von 1535 an. Eine der wichtigsten Auf-
gaben der Vertreter der neuen Bewegung war es denn auch, die Melis-
matik sanglich, der Kehle des Sängers bequemer zu gestalten, womit
Zacconi in seiner Pratica dl musica den Anfang gemacht hatte. Erst
dann konnte sie ihre Aufgabe, dem Ausdruck zu dienen, wirklich erfüllen.
Für unsere Betrachtung jener älteren Zeit ist vor allem von Wert
festzustellen, welche Keime der späteren Entwicklung sich in ihr bereits
nachweisen lassen. Zunächst ist die Passaggie selbst zu betrachten und
zu zeigen, daß in ihr bereits alle erst später typisch gewordenen Manieren,
wie der lange und kurze Vorschlag, der Nach- und Doppelschlag, groppo
und Triller enthalten sind.
Zacconi3) stellt die Regel auf, Passaggien für die menschliche
Stimme seien in stufenweise auf einander folgenden Tönen zu machen
und nicht gebrochen oder sprungweise (sequenti e non spezzati). Füge
er indessen in seinen Beispielen einige in sprungweisen Folgen bei, so
habe er sich damit nicht selbst widersprochen, denn es gäbe Sänger, die
sie auszuführen vermöchten. Verfolgt man die Beispiele, so bemerkt
man, daß die stufenweis diatonische Folge nur hin und wieder durch
Terzenschritte, seltener durch andere Intervalle unterbrochen wird.
Durchaus ähnlich sind die Diminutionen Bovicellis und Rognones. Sie
stellen also im wesentlichen vor:
1. Ausschnitte aus der diatonischen Skala im Auf- und Absteigen,
zuweilen von anderen Intervallschritten unterbrochen. (Anhang AI.)
x) In den Nuove musiche 1601.
2) In der Vorrede zu den Arie devote. 1608.
3) VergJ. Viertelj. Sehr. f. Musikw. 1891 S. 395.
12 Erster Teil.
2. Sie bewegen sich um einen Ton in der Form unseres Doppel-
schlags. (A 2.)
3. Es folgen sich mehrere Sekundenbewegungen nach oben oder
unten, in der Form unseres Sekundentrillers. (A 3.)
4. Es verbinden sich insbesondere in den Kadenzen beide Formen
sub 2 und 3, so daß einer mehr oder weniger oft wiederholten Sekunden-
bewegung ein Doppelschlag folgt. Es entsteht die Figur, die Caccini,
Cavaliere u. a. groppo nennen. (A 4.)
5. Es schiebt sich eine Note geringeren Wertes zwischen zwei
Hauptnoten so ein, daß sie am Schlüsse der ersten erklingt und einen
Übergang zur zweiten darstellt. Es erscheint damit unser Nachschlag.
Zacconi, dessen Tonzerlegungen gegenüber denjenigen anderer gleich-
zeitigen Autoren einfacher, archaistischer gestaltet sind, kennt diese Figur
und diejenige sub 4 noch nicht. Auch zwei stufenweise folgende Noten
treten in dieser Funktion, also als doppelter Nachschlag, auf. (A. 5.)
6. Zuweilen tritt eine kurze Note auf dem schweren Taktteil ein,
der eine längere unbetont folgt. In rhythmischer Beziehung haben wir
also einen trochäischen Vorschlag vor uns, eine kurze, vor die Haupt-
note eingeschobene Note, welche die Betonung verlangt. Ihr Gegensatz,
der jambische Vorschlag, der zeitlich vor der Hauptnote eintritt, so
daß dieser die Betonung verbleibt, ist hier nur im Finalschluß nach-
weisbar, wenn die ihm entfallende letzte Silbe bereits auf der vorher-
gehenden Note ausgesprochen wird. Harmonisch verhält sich die kurze
betonte Note bald dissonierend zum Basse, so daß die Hauptnote die
Auflösung bringt, bald konsonierend, wo dann die Hauptnote dissonierend
wirkt. (A 6.)
7. Der Triller, bereits im Sinne der klassischen Lehre mit der
oberen Hilfsnote einsetzend, ist in Notenwerten nur als erster Teil des
groppo ausgeschrieben. (A 7.) Das Zeichen t oder tr bedeutet keine
Sekundenbewegung, sondern eine Folge auf gleicher Tonhöhe wieder-
holter, gehauchter Noten, die Nota raddopiata Caccinis. Kleine Prall-
triller sind ausgeschrieben. (A 7.) Der doppelte Pralltriller kommt nur
im groppo vor.
8. Auch der Schleifer findet sich zuweilen als Folge zweier ascen-
dendo zur Hauptnote aufsteigenden Nebennoten. (A. 8.)
Natürlich vermischen sich alle diese Bewegungen zu einem Ganzen,
und jedes unserer Beispiele dient für mehr als eine Gattung.
Für unseren Zweck kann das bisher Angeführte genügen. Es war
festzustellen, daß das 16. Jahrhundert in seiner Diminuierungskunst den
Grund gelegt hat für alle jene „tesori del canto", die nunmehr der
italienische Sologesang, der neue Musikstil entwickeln sollte, ja, daß sich
Erster Teil'. 13
in ihr bereits eine bewußte Emanzipation einer Stimme von den andern,
ursprünglich gleichberechtigten, und ihre Einsetzung zur Trägerin des
Melos schlechthin verkörpert.
Der florentinische Einzelgesang und die florentinische Oper.
Mit Rücksicht auf das bereits in zahlreichen Werken bearbeitete
Material der Geschichte des florentinischen Einzelgesanges und der Oper
kann ich mich auch in der Darstellung dieser Periode kurz fassen.1)
Bei den ersten Praktikern des auf den Bassus generalis gestellten Einzel-
gesanges gehen gesangstechnische Lehren mit weitläufigen Erörterungen der
Manieren und der ornamentalen Zutaten zu der auch jetzt noch unvoll-
ständigen Niederschrift Hand in Hand. Ueberdies vervollständigen sie wohl
auch hin und wieder ein Musikstück durch Aussetzung des Gesangspartes,
wie Caccini in den Nuove musiche und Monteverdi im Orfeo. Die vor-
züglichste Frage, die wir zu beantworten haben, ist die nach der
Ästhetik der Ornamente. Zu welcher Bestimmung überführen sie sie
in die neue Kunst? Wie halten sie sie vereinbar mit dem Grundgedanken,
Musik sei in erster Linie Sprache und Rhythmus? Caccini dringt denn
auch zu einer verständigen Anschauung vor2), wenn er ausführt, weil
Mißbrauch mit diesen langen Läufen getrieben werde, sei es an der
Zeit, daran zu erinnern, daß sie nicht erfunden worden seien, weil sie
eine unerläßliche Bedingung eines edlen Gesanges bilden, sondern als
Ohrenkitzel für diejenigen, die nicht verstehen, was es heiße, mit Aus-
druck (con affetto) vorzutragen. Sähe man dies ein, so wären die
Passaggien verworfen, weil nichts zu ihnen in größerem Widerspruch
stünde. Deshalb mache er von ihnen nur dort Gebrauch, wo die Musik
weniger leidenschaftlich zu gestalten sei. Unter demselben Gesichtspunkt
verbietet sich Cavaliere in der Einleitung zur „Rappresentatione di anima
et di corpo" die Passagien gänzlich, und läßt nur kleinere Verzierungen
zu, von denen noch die Rede sein wird. Betrachten wir aber die
praktische Musik dieser Pfadfinder des Einzelgesanges, so überzeugen
wir uns von einer starken Inkongruenz zwischen Praxis und Theorie.
Es überwiegt in jener das brillante, auf tonsinnliche Wirkung gerichtete
Melisma. Rein gesanglich betrachtet erheben sie sich aber, und darin
liegt ihr geschichtlicher Wert, über ähnliche Gebilde des 16. Jahr-
hunderts. Fanden damals die Sängerkünste ihre Schranken in der
*) Ich darf hier aui meine eigene Arbeit „Die italienische Gesangsmethode des
17. Jahrhunderts", Breslau, 1890 verweisen, die, wenn auch mittlerweile durch neuere
Forschungen überholt, doch noch einen einigermassen zuverlässigen Führer abgeben dürfte.
2) Nuove Musiche. Vergl. d. Verf. Ital. Ges. Meth. S. 20 fF.
14 Erster Teil.
Gebundenheit an die anderen Stimmen, so fiel nun diese Fessel. Die
Begleitung, sei es auf der Theorba oder dem Clavicembalo, vermochte
und sollte, so verlangt Caccini ausdrücklich, sich dem Sänger an-
schmiegen, sodaß ein durchaus freies Rubato an die Stelle der strengen
Zeiteinhaltung trat.
Auf die Ausfeilung und Verbesserung der alten Ornamentik ist
nun zunächst das Streben gerichtet. Kaum erscheint ein Werk, das
nicht ankündet, man finde hier die wirklich moderne Art der Passaggien
und Verzierungen. Worin bestand nun diese Verbesserung? In der
Vereinfachung und Anpassung an die menschliche Kehle, in größerer
Sanglichkeit. Jene unendlichen Läufe in ihrer monotonen Gleichmäßigkeit,
in denen die ältere Sangesweise sich hauptsächlich erging,1) verschwinden
und machen kürzeren, aber rhythmisch lebhafteren Fiorituren Platz.
Caccini stellt diesen Bruch mit der Vergangenheit als sein vorzüglichstes
Verdienst hin,2) indessen haben auch seine gleichgesinnten Zeitgenossen
ihren Anteil. Es heben sich jetzt gewisse kürzere Tonphrasen, die regel-
mäßig wiederkehren, aus den Passaggien ab, und wir begegnen zum
ersten Male den Manieren in unserem Sinne, als begrifflich feststehenden
Tonformeln, im Gegensatz zur freien Passaggie. Caccini spricht in
diesem Sinne von Tremolo, Trillo und groppo, den Esclamazionen, also dem
An- und Abschwellen, der messa di voce, dem vollen Schwellton, und
den Accenti, in denen alle kleineren Notenzerlegungen, also auch Vor-
und Nachschlag einbegriffen sind. Neben diesen Figuren spielt die
Passaggie als Ausschnitt aus der Skala mit anderen Intervallen unter-
mischt, noch immer eine hervorragende Rolle.
Accenti. Unter accento verstand man das Zerlegen einer Note in
mehrere Noten kleineren Wertes schlechthin. Die Begriffe des französischen
accent als Vor- bezw. Nachschlag ist erst viel später ausgelöst worden.
Bovicelli spricht noch von accentuare o füre pasmggi. Die Italiener des
16. Jahrhunderts kannten diese Terminologie noch nicht. Sie muß sich
erst im Anfang des 17. Jahrhunderts eingebürgert haben. Andreas
Herbst3) und Johann Crüger4) gebrauchen das Wort accent als technischen
Begriff, mit Berufung auf Francesco Rognone, dessen Werk5) sie zwar
nicht mit Namen anführen, aber zweifellos benutzt haben. Hier heißt
es bereits im Titel: Nella prima di quall si dlmostra ü modo di cantare
polito e von f/ratia e la maniera di portare la voce accentuata. Das Wesen
1) Vergl. d. Verf. Studien z. Gesch. d. Ital. Oper. Kap. 3 und Anhang O, I.
2) Vergl. d. Verf. Ital. Gesangsmethode, S. 14/15.
3) Musica pratica 1642.
4) Der rechte Weg zur Singekunst. 1660.
5) Selva di varii passagi secundo l'uso moderno per cantare e suonare, Milano 1620.
Erster Teil. 15
der Accente stimmt mit der Bestimmung unserer Vor- bezw. Nachschläge
insoweit überein, als sie bestimmt sind, eine gewisse Leere zwischen
zwei Ilauptnoten durch eine, oder eine kleine Gruppe von einigen,
höchstens sieben Noten auszufüllen. Je nach der Größe der Intervalle
steigt die Anzahl der Füllnoten, um bei der Quint die Höchstzahl von
sieben zu erreichen. (B 1.) Die Entfernung weiterer Intervalle fiel nicht
mehr unter dem Begriff Accent. Die Volloktave durch die Töne der
Skala verbunden heißt bei Caccini in der Abwärtsbewegung: cascata (B l,p),
bei Herbst ansteigend: tirata. (B l,o.) In dem Sammelbegriff accento
wird noch eine Reibe von Tonformeln zusammengefaßt, aus denen erst
die spätere Theorie einzelne als Stereotypen heraushob. Die Spezialisierung
und Konstitution der Begriffe geht allmählich vor sich. Wir dürfen zu
diesen hier vertretenen, aber begrifflich noch nicht ausgesonderten
Formeln vor allem den Yor- und Nachschlag rechnen. Der Vorschlag
in trochäischem Rhythmus, also betont, wird jetzt wiederholt aus-
geschrieben (B 2), zuweilen dem Baß gegenüber harmoniefremd, so daß
die Hauptnote die Stammharmonie ergibt, häufiger leitereigen, sodaß die
Hauptnote die Dissonanz darstellt. Der Vorschlag im jambischen
Rhythmus, also der zeitlich der vorhergehenden Hauptnote entnommene
J ^ J t= J. #^ J (B 3) erscheint auffallenderweise nur in den Schlüssen,
durch das textliche Vorwegnehmen der letzten Silbe. Ich muß hier vor-
ausschicken, daß die Betrachtung des Vorschlags eine rhythmische und
harmonische sein kann. Wir werden hier allemal beide Beziehungen
berücksichtigen. Die älteren Theoretiker, insbesondere die Ausbauer der
Lehre, die Franzosen, auch die Deutschen bis 1723 halten sich im
wesentlichen an die Rhythmik. Sie betrachten also jede kürzere, zwischen
zwei Noten längeren Wertes eingeschobene Note als Vorschlag, gleich
wie sie sich harmonisch zum Basse verhält.
Der Nachschlag ist die häufigste Verzierung, der wir begegnen.
Sie tritt als einfacher oder als doppelter Nachschlag auf. (B 4.) Die
Ribattuta di gola Caccinis und Rognones, der Zimbelo Cavalieres lassen
sich auf diese Figuren zurückführen. (B 5.) Zuweilen erscheinen sie
als Vorbereitung des Sekundentrillers, wie sie unsere Sänger gebrauchen,
um die präzise, rasche Hebung und Senkung des Kehlkopfes einzuleiten.
(B öd.)1)
Als selbständige, von den Accenti und Passaggien gesonderte, mit
eigenen Namen versehene Figuren kennt die älteste italienische und die
ihrem Einfluß unterstehende deutsche Schule nur drei: den trillo, den
tremolo und den groppo. Diese Begriffe finden sich bei allen Autoren
l) Bei Praetorius „Syntagma" auch als Vorbereitung des gehauchten Trillers.
16 Erster Teil.
der Zeit, aber die Nomenclatur schwankt. Unter trillo verstehen die
Florentiner eine Folge gehauchter Noten gleicher Tonhöhe, die Römer
aber, und zwar schon Cavaliere, nennen diese Figur: tremolo, unter dem
jene wiederum die unserm Triller entsprechende einfache oder wieder-
holte Sekundenbewegung subsumieren.1) Der Begriff des groppo, auch
groppolo genannt, ist gemeinsam der einer wiederholten Sekunden-
bewegung nach abwärts, wie unser Gesangstriller mit der oberen Hilfs-
note einsetzend, meist als Halbtonschritt und stets mit abschließendem
Doppelschlag. Auch diese Figuren werden in der praktischen Musik
vollständig ausgeschrieben, oder garnicht angedeutet und so dem Belieben
des Sängers überlassen. Nur ein Zeichen findet sich in allen Partituren,
das Zeichen t oder tr im Sinne des Trillers. In der Regel bezeichnet
es im florentinischen Sinne eine Folge gehauchter Noten derselben Ton-
höhe, die spätere Bebung, nur in den Werken der römischen Schule den
Sekundentriller. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts scheint
diese Terminologie allgemein, auch in Deutschland, durchgedrungen zu
sein, sodaß nun unter Triller stets die wiederholte Sekundenbewegung
verstanden wird. Aber noch Fuhrmann2) klagt, daß auch nicht zwei
Musiker hierin einer Meinung seien.
Der gehauchte Triller erscheint in doppelter Form: als Folge gleich
hoher Noten, und als einfache Wiederholung desselben Tones. Diese
Figuren stehen also in demselben Verhältnis zu einander, wie der Voll-
und Pralltriller. Anhang B 6 und 7 gebe ich die Aufzeichnungen der
vorzüglichsten Theoretiker und ein Beispiel aus Monte verdis Orfeo von 1606.
Der Tremolo, also die wiederholte Sekundenbewegung im
florentinischen Sinne, spielt in der Instrumentalmusik eine größere Rolle
als bei den Yokalisten, so bei den Gabrielis und bei Girolamo Diruta.3)
Gesanglich erscheint er regelmäßig bei Teil- oder Ganzschlüssen als
erster Teil des groppo, also stets durch einen Doppelschlag abgeschlossen.
Zwar notieren Caccini und Cavaliere — bei dem er trillo heißt — die
Figur auch als solche ohne abschließenden Doppelschlag, und Herbst
definiert auch, offenbar im Anschluß an Bovicelli „tremolo vel tremulo
ist nichts anderes als ein Zittern der Stimme auf zweien clavibus. Die
Organisten nennen es Mordent, Beißer, weil er den nächsten clavem mit-
berührt4'. Die Bewegung muß stets in Sekunden erfolgen. Bovicelli
lehrt: il tremolo ricerca, che le note vadino sempre per grado, aber der
Beispiele sind nur wenige im Verhältnis zu dem Reichtum an Varianten
1) So auch Girolamo Diruta.
2) Musikalischer Trichter 1706.
?) Vergl. Krebs „Girolamo Diruta Transilvano". Viertelj. Sehr. f. Musikw. 1892 u.
Dannreuther a. a. O. S 6, 13, 14.
Erster Teil 17
des groppo. (B 8.) Der dem tremolo entsprechende Triller der späteren
Zeit, in langer wie in kurzer Form, wird gesanglich und instrumental
von oben nach unten, mit der Ililfsnote beginnend, geschlagen. Nur in
der Instrumentalmusik findet er sich zuweilen auch in aufsteigender Be-
wegung. Bei der in dieser Periode noch nicht völlig vollzogenen Trennung
vokaler und instrumentaler Figuren darf es nicht verwundern, wenn wir den
Triller häufig ascendendo notiert finden. Erst in späterer Zeit wurde es in
Italien und in Frankreich allgemeiner Brauch, den Triller als Sekunden-
bewegung von oben zu notieren, die mit der oberen Ililfsnote beginnt,
sodaß die Franzosen der aufsteigenden Figur einen besonderen Namen
beilegen: pincö, als langer Triller nach oben: pince continu.1)
Im einfachen kurzen tremolo, auch tremoletto, von Cavaliere
monachina genannt, erkennen wir unseren einfachen Pralltriller nach oben,
richtiger: den Schneller, da die klassische Lehre unter Pralltriller stets
eine Bewegung nach unten von der oberen Hilfsnote aus, versteht, wenn
er wiederholt wird, den doppelten Pralltriller oder Schneller. Auch in
der Form des Nachschlages erscheint er zuw?eilen. (B 9, 10.)
Die Keine schließt mit dem groppo, also einer durch den Doppel-
schlag abgeschlossenen Sekundenbewegung von oben. Die Einteilung
Bovicellis in den groppo uguale und raffrenato, d. h. den in Noten
gleichen und ungleichen Wertes zerlegten, erhält sich bis in die Praxis
der klassischen Zeit. In der Form stimmen die Theoretiker überein.
Die Deutschen des 17., und ihnen folgend noch diejenigen
des 18. Jahrhunderts unterscheiden zwei Formen des Doppelschlages-,
einmal den mit dem Vorschlag beginnenden — den circolo Fuhrmanns
— bei dem also die zweite und vierte Note die gleiche Tonhöhe haben
a) :S~fzfq«z^~iE und den „geschnellten" Doppelschlag — den groppo
Fuhrmanns — der mit der Ilauptnote beginnt, sodaß die erste und dritte Note
-r^, — i — I — \\
derselben Stufe entfallen: b) : fe — |S^^— j k Jene Form bildet die Regel,
diese die Ausnahme und wird im 18. Jahrhundert durch eine vorgesetzte
kleine Yorschlagsnote angedeutet. (K 8f.) Dieses Verhältnis hat sich in
der ganzen Entwicklung kaum geändert. Der Doppelschlag erscheint
regelmäßig in der Praxis des 17. Jahrhunderts in der Form, daß der
Ilauptnote die Yorschlagsnote vorausgeht, also in der zuerst aufgeführten
sub a. Caccini, Crüger und Herbst kennen sie allein. (B 11.) Nur
Cavaliere (B IIa) notiert einen Doppelschlag, der mit der Hauptnote
') Vgl. Dannreuther a. o. O. S. Jll.
18 Erster Teil.
beginnt, in Form einer Quintole. Zur Verbindung zweier Hauptnoten,
einer der wichtigsten Funktionen dieser Figur, wurde er in dieser Periode
offenbar noch nicht verwendet. Er hat jetzt seinen vorzüglichsten Sitz
in der Schlußformel, weshalb ihn auch Herbst „Cadentia" nennt.
Die römische Oper und Monteverdi.
Für die fernere Entwicklung des Verzierungswesens bleiben zu-
nächst noch die italienische Oper und Kantate in erster Linie maßgebend.
Nachdem die Anschauungen der Hellenisten, die von der „nobile sprezzatura"
des Gesanges zugunsten der Sprachdiktion ausgingen, überwunden
waren, nachdem das junge Musikdrama sich den Errungenschaften der
alten Kunst erschlossen und so das musikalische Element nicht nur in
der musikalischeren Deklamation des Rezitativs, sondern auch in Auf-
stellung und Fortbildung der Arien-, Lied- und Variationenformen zur
führenden Stelle berufen hatte, erscheint naturgemäß auch das Melisma
als melodisches Element, als Ergänzung und Abrundung der Melodie-
führung überhaupt. Die Kleingeister der römischen und florentinischen
Schule, wie Francesca Caccini, gebrauchen die vokalischen Elemente in
diesem Sinne. Erst die größeren Geister, Landi und Monteverdi dringen
zu einer höheren Auffassung durch. Sie zeigen sich auch auf diesem
Gebiete als Dramatiker. In ihren Opern ist das Strelen unverkennbar,
die vokalischen Tonformeln auf die Bestimmung zurückzuführen, die
Stimmung zu vertiefen, die Affekte zu verstärken und charakterisierend
oder tonmalend zu wirken. Aus Landis „Santo Alessio" sind ausgreifende
Koloraturen fast gänzlich verbannt, nur in einem Falle, auf den ich noch
zu sprechen komme, geht das Rezitativ in ein jubelndes Melisma aus.
Nicht anders erfaßt der reifere Monteverdi die Aufgabe der Diminution.
Hatte er sich noch im Orfeo, in instrumentaler Hinsicht nicht anders als
in der Gestaltung des Gesangspartes, an die ältere madrigaleske und
florentinische Schreibweise angelehnt, so hat er sie in den letzten
dramatischen Werken, dem „Ritorno oVUlisseu und der „Incoronazione di
Poppen" überwunden, und sucht nun sein vorzüglichstes Ausdrucksmittel
im Sprachgesang, und gewählter Harmonik. Melismatische Dehnungen
dienen ihm in erster Linie zur Charakterisierung der Stimmung, dort wo
Inhalt und Empfindung über das Deklamatorische hinauswachsen. Wenn
Poppea am Ziele ihrer Wünsche, zur Kaiserin erhoben, dem Nero dankt
und ihr die Worte versagen, ihr Glück auszusprechen, so schildert das
Monteverdi in kleinen, von Pausen unterbrochenen, lebhaften Figuren,
die fühlen lassen, wie stark bewegt sie ist.1) Wenn Nero den erwünschten
l) Vergl. des Verf. Studien zur Gesch. der ital. Oper, Bd. II, S. 193.
Erster Teil. 19
Tod des Seneca erfährt, offenbart sich seine nnd seiner Freunde teuflische
Freude in einem an charakteristischen Gängen überaus reichen Duette,1)
und wo Drusilla glaubt, Ottones und ihrer Rache an Poppea sicher zu
sein, da entlädt sich ihre triumphierende Genugtuung in einer weitaus-
ladenden Passagie im dritten Teile der Arie.2) Daneben führen, das darf
nicht verschwiegen werden, aber auch Monteverdis Opern noch so manche
Koloraturen mit sich, die mehr äußerlich bewegt, als ausdruckvermögend
geraten. Glaubten nun so ausgesprochen dramatische Talente solchen
Nebenwerks nicht ganz entbehren zu können, so wird es nicht wunder-
nehmen, wenn wir dort, wo dramatische Rücksichten zurücktreten, die
Melismatik überhaupt als Charakterisierungsmittel erst in zweiter Linie
treffen, generell aber als melodische Yerbrämung. Mit dem Zurücktreten
des dramatischen Elementes in der Oper, insbesondere in der letzten
Periode der römischen Operngeschichte, also in den vierziger Jahren des
Jahrhunderts, mit dem Ueberwiegen lied- und arienmäßiger Gebilde über
das Rezitativ,3) gewinnt die weltliche Kantate, wie sie Carissimi und
Luigi Rossi pflegten, einen so erheblichen Einfluß auf die Oper, daß man
bis zum Einsetzen der Yenetianer kaum noch von einem wesentlichen
Unterschied der Gattungen sprechen kann. Rossis Opern, auch die der
florentiner Brüder Melani, stehen unter dem Einfluß der Kantate. Und
so auch die Behandlung des Melismas. Auf seine Behandlung in dieser
Kunstform komme ich unten im Zusammenhang zu sprechen.
Betrachten wir nun die Passaggie dieser Zeit selbst, so dürfen wir
feststellen, daß sie erheblich an Rundung und Sanglichkeit gewonnen hat.
Sie paßt sich den Bässen geschickter an, vermeidet ermüdende Aus-
dehnung, sucht rhythmische Abwechslung durch Benutzung trochäischer
und jambischer Rhythmen neben gleichwertigen Noten. Auch in der
Zusammenstellung verschiedener Notenwerte, in der Kombination beispiels-
weise von Sechzehntel und Zweiunddreißigstel sucht sie zu wirken, ferner
durch wiederholte, gehauchte Noten, Bewegungen um eine Prinzipalnote
in Form von Doppelschlägen, Pralltriller und Schleifer. Erwähnen muß
ich noch die Folge von Duolen in der Melodiebildung, die in dieser
Periode ihren Ausgang nimmt und manch reizenden, meist liedförmigen
Satz fundiert.4) Ferner ist derjenigen Tonfiguren zu gedenken, die musik-
technischen Motiven ihre Berechtigung entnehmen. Es kommt nämlich
jetzt schon vor, daß die Stimme mit einem Instrument in Beziehung tritt.
1) Vergl. d. Verf. Studien zur Gesch. d. ital. Oper, S. 140 fr.
2) Ebenda S. 156 fr.
8) Vergl. d. Verf. Gesch. d. ital. Oper, Bd. I, S. 86.
4) Vergl. d. Verf. Stud. z. ital. Oper, Bd. I, S. 72, Anh. S. 165, S. 34 u. Anhang
S. 279.
2*
20 Erster Teil.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird das Konzertieren mit
Streich- und Blasinstrumenten häufiger, aber schon jetzt finden sich An-
sätze einer konzertierenden Schreibweise, so in Monteverdis Incoronazione
dl Poppca.1) Das konzertierende Instrument, wohl ein Violoncello, stellt
ein bewegtes Thema auf, die Singstimme antwortet in Engführung:
Splen-dor
Endlich habe ich noch der Koloratur in tonmalerischer Funktion zu ge-
denken. Die Tonmalerei der Frottola, des Madrigals und der Motette
bezog sich einmal auf die Schilderung äußerer, dann aber auf diejenige
innerer, seelischer Vorgänge.2) Unter den zahlreichen Mitteln spielt das
Melisma die wichtigste Rolle. Nun ist hier, worauf m. E. noch nicht
scharf genug hingewiesen wurde, zu unterscheiden zwischen einer aus
der Anlage des Ganzen geschöpften Malerei, und der unterstreichenden
Illustration eines Wortes, wie lieta, vioo oder vento, pioggia, fiamma etc., die
dann zur Tonspielerei ausartet, wenn der Zusammenhang des Gedichtes und
die entsprechende kompositorische Anlage mit ihr disharmoniert. Diese
Art, Textworte herausgreifend musikalisch zu schildern, gehört in solchem
Grade zum Rüstzeug musikalischer Gestaltung, daß sie auch in der
Lyrik germanischer von Italien beeinflußter Meister eine große Be-
deutung erlangt. Hans Leo Haßler ist hierin ganz Italiener. Bei ihm
wie bei seinen Vorbildern überwiegt die äußerliche, an das Textwort
geklammerte Tonmalerei. Auch der Sologesang des 17. Jahrhunderts,
selbst in germanischen Ländern 3y\ erblickt in der Koloratur tonmalende
Qualitäten dieser Art, doch mehren sich die Fälle, in denen sich melis-
matische Tonreihen mehr als Interpretation eines aus dem Zusammenhang
nur besonders hervorgehobenen Begriffes, also als wirkliche Situations-
oder Stimmungsmalerei erweisen, sei es, daß sie nunmehr frei aus dem
Gehalt des Gedichtes und der kompositorischen Anlage selbst resultieren,
sei es, daß sie noch an ein Wort, eine Textwendung anlehnen. Wenn
!) Vergl. d. Verf. Gesch. d. ital. Oper. Bd. II, S. 89.
2) Peter Wagner: „Das Madrigal u. Palestrina", Viertelj. Sehr. f. Musikw. 1892,
S. 434 ff., und R. Schwartz „Hans Leo Hassler unter dem Linfluss der italienischen Madriga-
listen", ebd. 1893, S. 11, ff.
8) Vgl. Huggens Partodia Musique et Musiciens au XVII Siecle, Correspondance et
oeuvres musicals de Constant Huggen par Jonckboet et Land S. CCLXXIX, auch Denk-
mäler deutscher Tonkunst, Bd. 22, insbesondere S. 9, II, 12.
Erster Teil. 21
im dritten Akte von Landis „Santo Alessio" nach dem Heimgang des
Helden die Religione auffordert, der Freude über Alessios Eingang in
den Himmel Ausdruck zu geben, so knüpft zwar die weitausladende
freudige Passnggie an das Wort „eanto" an, deckt sich aber gehaltlich
mit dem stofflieben Inhalt und der musikalischen Gestaltung (C 1 a),
überhaupt bewahrt Landi auch in dieser Hinsicht ein sonst nicht überall
gefundenes Feingefühl. Wo er von der Koloratur Gebrauch macht, ge-
schieht es stets aus dem Bestreben heraus, die Gesamtstimmung zu heben,
nie aber um ein untergeordnetes Detail, oder gar ein Wort zu illustrieren.
Ein vortreffliches Beispiel bietet der Schluß des Trinkliedes des Charon
in seinem „Orfeo", das das Behagen des als gutmütigen Polterers
charakterisierten Fährmannes und die Wirkung des Lethetrankes ungemein
scharf schildert. Die melismatische Tonreihe des Schlusses (C 1 b) kenn-
zeichnet sie in einem Grade, daß man meint, den Alten hin- und her-
schwanken zu sehen, worauf der Rhythmus deutlich hinweist.1) Auch
Monteverdi versteht es meisterlich, die Situation melismatisch zu gestalten.2)
Einen hübschen komischen Effekt erzielt er im „Ritorno cV Ulisse" , wo
der Freier Iro, ein Schwelger und Feinschmecker, sich durch den Tod
seiner Kumpane um seine kulinarischen Genüsse gebracht sieht. Sein
Wehklagen ist ganz ernsthaft gemeint, aber natürlich mußte die Situation
komisch gestaltet werden. Ungemein realistisch, die äußersten Grenzen
des musikalisch Zulässigen streifend, führen wiederholte Doppelschläge
über einen langen, florentiner Triller auf einer Note, hier natürlich nicht
kunstgerecht gehaucht, sondern als marcato auszuführen, in ein wirkliches
Lachen über, das mit den Worten „cacle in riso naturale" anbefohlen
wird. Daß diese Tonbewegungen auf das Wort „riäa" fallen, bedeutet
hier natürlich keine bloße Wortunterstreichung, da sie dem Verlaufe des
Gesanges und dem textlichen Inhalt konform sind. (C 1 c.) Dagegen
ist auch bei den hervorragendsten Geistern jene äußerliche Art der
melismatischen Tonmalerei noch immer gebräuchlich. Im besten Falle
setzt sie sich mit dem dichterischen Inhalt und seiner musikalischen Wieder-
gabe nicht in Widerspruch, hebt also in dem einen Wort nur einen
Hauptgedanken hervor. So wenn Monteverdi in der Incoronazione di
Poppea dort, wo Ottavia an Jupiter die Frage richtet, wo seine Blitze
J) Vgl. d. Verf. Gestb d. ital. Oper. Bd. I, S. 46 u. Anhang, S. 201.
2) Instrumentale Tonmalerei ist bei ihm höchst selten. Im „Combattimento di
Tancredi e Clorenda" wird das Stampfen des Pferdes — moto del cavallo — geschildert
mit dem zehnmal wiederholten Rhythmus z> [SSJ ^ j— j auf dem D-dur-Akkord des Continuo
und der Geigen. Dagegen finden sich in der instrumentalen Musik vielfach tonmalende
Wendungen, welche auf Uebertragung von Vokalsätzen auf die Laute oder andere Instrumente
beruhen, und zwar bereits im 16. Jahrhundert.
22 Erster Teil.
seien, den ungetreuen Nero zu strafen, (C 1 d) auf nfulminiu dreimal
wiederholte absteigende Gänge legt, den herabfahrenden Blitz zu illustrieren.
Auch die Schilderung von Vorgängen aus der Natur (C 1 e: die Euretti
fordern die Vögel auf, Orfeos Geburtstag durch ihren Gesang zu feiern,
C 1 f : der Flug der Furien) läßt sich ästhetisch rechtfertigen. Dagegen
sind jene madrigalesken Wendungen störend, die entweder zum Verlaufe
des Stückes keinen Zusammenhang suchen, oder gar zu ihm in Wider-
spruch geraten. Selbst Monteverdi ist diesem alten Brauch noch unter-
worfen. Wo im „Ritorno d' Ulisse" bei der ersten Begegnung des Helden
mit Telemach der Sohn seine Zweifel an der Identität des Fremdlings
mit dem Vater äußert und ausruft „tanto Ulisse non vale, o scherzano gli
Del; oppwr mago tu sei" wird dem Wort „scherzano" eine leicht hüpfende
Fioritur untergelegt, die hier, an dem Wendepunkt des Dramas, ganz
unbegreiflich erscheint, wenn man nicht weiß, wie tief die alte Tonmalerei
des Madrigals Wurzel gefaßt hatte. (C 1 g.)
Jenen stereotypen Formeln, die sich bereits seit Zacconi aus der
ununterschiedenen Menge der Diminutionen herausgehoben hatten, be-
gegnen wir nun immer wieder. Zunächst werden sie regelmäßig aus-
geschrieben. Der Vorschlag erscheint einmal trochäisch betont, mit dem
Baß zusammenfallend, häufiger zu ihm konsonierend als in der Dissonanz.
In dem Beispiel C 2 a ist die kurze Note konsonantisch, so daß man
sie, harmonisch angesehen, garnicht als Hilfs-, sondern als Hauptnote be-
trachten wird. Rhythmisch freilich bleibt sie ein Vorschlag. In C 2 b
ist das Sechzehnteil es harmonisch ein dissonierender Vorschlag zu dem
d als Quint des g-moll Dreiklangs. In C 2 c und d bedeuten die Noten
f und c gleichfalls dissonierende Vorschläge. Dort ist der Vorschlag
nicht mensuriert notiert, eine Schreibweise, die um diese Zeit ganz ver-
einzelt dasteht. Der jambische Vorschlag, also der zeitlich voraus-
genommene, bedeutet jetzt nicht mehr lediglich eine Antizipation der Silbe,
sondern eine zwischen den Hauptnoten eingeschobene Hilfsnote, die ent-
weder die erste Hauptnote wiederholt (C 2 e) oder auch ein anderes
Intervall benutzt, immer aber, wie auch die Mehrzahl der Vorschläge
der klassischen Periode schreitet sie zur Hauptnote im Sekundenintervall
(C 2 f). Aber auch ganz frei eintretende Vorschläge finden sich. Die
Theorie des 18. Jahrhunderts verbietet sie, wie wir sehen werden, völlig,
da sie den Vorschlag als Verbindung betrachtet, doch hat sich die Praxis
niemals an diese Vorschrift gebunden. Auch Monteverdi benutzt ihn
vielfach sehr wirksam. (C 2 g.)
Der Gebrauch der Nachschläge ist der alte geblieben. Sie dienen
auch jetzt als durchgehende Noten, gewissermaßen wie zierliche Ornamente
zwischen die Pfeiler der Melodie eingefügt. (C 3 a — d.) Sie finden sich
Erster Teil. 23
als einfache, wie als doppelte, im Rezitativ wie in der Arie. Besonders
instruktiv ist unser Beispiel C 3 c. Zwischen den Hauptnoten fis, d, b
des vorletzten Taktes stehen die ornamentalen Noten es als Nachschlag
nach fis, c als Vorschlag zu b.
Eine erhöhte Bedeutung gewinnt jetzt der Schleifer. Noch in der
florentinischen und in der römischen Oper bis 1640 ist er selten. Aber
Luigi Rossi und Monteverdi in seinen letzten Werken, machen häufig
von ihm Gebrauch. Der Rhythmus zweier, schnell zum Haupttone auf-
steigender oder von oben zu ihm absteigender Noten heißt in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts allgemein lombardische Manier. Er ge-
winnt später, schon bei Stradella, auch in der Instrumentalmusik eine so
große Verbreitung, daß unzählige Arienthemen auf ihm beruhen. Moderner
Musiksinn könnte ihn auf den Ausdruck besonderer Energie oder Ent-
schlossenheit beziehen, aber die alte Rhythmik versteht ihn in einem
anderen Sinne. Er ist ihr lediglich melodieschmückend und spricht einen
besonderen Affekt garnicht an. Das gilt für unsere Periode sowrohl, wie
für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, bis in die Zeit Bachs, Händeis
hinein. Im Anhang C 4 a — c einige Beispiele aus der römischen Oper.
Der drei- und viernotige Schleifer verschwindet später aus der Vokal-
musik, behauptet sich aber in der instrumentalen und ist in Glucks Opern
besonders häufig.
Die anderen Tonformeln, trillo, tremolo und groppo bleiben in An-
wendung. Allmählich verliert sich die Bezeichnung trillo für den schnell
wiederholten Ton und gewinnt die moderne Bedeutung. Das Zeichen t
oder tr in den Partituren des 17. Jahrhunderts nach dem Erlöschen der
alten florentiner Schule bedeutet überall den Sekundentriller.1) Ver-
schwindet auch der gehauchte Triller, so bleibt doch eine kürzere Folge
gehauchter Noten gleicher Tonhöhe bis tief in das 18. Jahrhundert hinein
in Hebung, besonders in der Passaggie. Der groppo wird stets aus-
geschrieben. Der Doppelschlag erscheint nunmehr als selbständige, vom
groppo losgelöste Figur, in ausgeschriebenen Noten. Auch der einfache
und doppelte Pralltriller wird gerne verwendet. (Beispiele C 5, 6, 7.)
Die italienische Kantate.
Neben das einstimmige von einem oder mehreren Instrumenten be-
gleitete Madrigal war frühzeitig die Kantate getreten. Ihren textlichen
Inhalt entnimmt sie fast ausschließlich der Erotik. Liebesglück und
J) Missverstanden hat mich Hess, Heinz, die Opern Alessandro Stradellas. Publ. d.
1. M.-G., 2. Folge Heft 3, S. 38.
04 Erster Teil.
Liebesleid wird in ungezählten Varianten besungen. Die musikalischen
Formen der Vokalmusik wurden auf diesem Gebiet der Kammermusik
gleichzeitig mit denen der Oper ausgebaut. Auf ihm sich zu betätigen
verschmähte kein Dramatiker. Für einen kleinen Kreis gebildeter Musik-
freunde und Dilettanten bestimmt, rechnete die Kantate, anders als die
Oper, auf intime Wirkungen. Hier durfte so manches ausgesprochen
werden, was auf dem theatralischen Schauplatz unverstanden oder miß-
gedeutet werden mußte. Die Kantate lediglich als die kompositorische
Vorfrucht der Oper anzusehen, geht nicht an. Sie wurde ein selbständiges,
aber dem musikalischen Gourme vorbehaltenes Kunstgenre. Ihr Einfluß
auf die Oper ist überall nachweisbar, und zwar nicht durchaus in einem
ihr günstigen Sinne. Man vermochte nämlich nicht immer die Gattungen
und ihre stilistischen Eigenarten zu scheiden, und führte der Oper
kantatengemäße Bildungen zu, die einer ernsthaften musikdramatischen
Prüfung nicht Stand zu halten vermochten. Diesem Verfahren kam die
in der späteren römischen und der venezianischen Oper nach Cavalli zur
Herrschaft gelangte Anschauung über die Beziehung von Wort und Ton,
Handlung und Musik entgegen. Dem Eindringen kantatengemäßer Formen
setzte sie kaum noch Widerstand entgegen. Und so sehen wir, um uns
auf unser Gebiet zurückzubegeben, das Eindringen melismatischer Ton-
formeln, in absoluter Bestimmung, also losgelöst von einer dichterischen
Anregung zur Charakteristik oder Tonmalerei, von der Kantate aus in die
Oper und das Oratorium sich vollziehen.
In der Kantate nämlich hat die vokalisierende Formel von vornherein
eioe weitere Funktion erfüllt, als in der Oper. War sie hier, noch bei
Monteverdi, ein ungemein wertvolles Mittel der Charakteristik, das bei
dem niedrigen Stande der orchestralen Technik garnicht zu entbehren
war, so konnte sie dort, wo es sich nicht um Zeichnung von Charakteren
oder Schilderung von Vorgängen, sondern lediglich um die Entfaltung
allgemeiner Affekte, wie der Liebe, der Trauer, des Zornes, handelte,
von vornherein durch die Linienführung und die ihr innewohnende
melodische Kraft wirken; sie brauchte keine besondere Beziehung zum
Text zu suchen und durfte als Ausdrucksmittel rein musikalischer Art,
als Melodiebestandteil selbst eintreten.
Verfolgen wir diesen Vorgang durch die Literatur der italienischen
Kantate. Man ist gewohnt, sich unter ihr ein aus einer Reihe von Strophen
gebildetes Poem vorzustellen, das sich musikalisch in Arien und Rezitative
gliedert. Dem ist aber nicht so. Zwar weist die Kantate am Ausgange
des 17. Jahrhunderts diese Form nicht selten auf. In ihrer Entstehungs-
und Glanzzeit, vorzüglich der des Carissimi und Luigi Rossi, aber sind
die formalen Bildungen ungemein mannigfache, und Arien — im späteren
Erster Teil. 25
die Rezitative unterbrechen, kommen niemals vor. Aber auch später,
im Ausgange des Jahrhunderts, erscheinen neben der Arie auch überall
andere Gebilde, wie denn A. Scarlatti vielfach das Strophenlied benutzt.
Die älteste unter den Namen cantate oder cantade ed arie veröffentlichten
Sammlungen vor Carissimi überschreiben jeden Gesang mit einer der
Bezeichnungen: cantade, arte, sonetto oder madrigale. Zwischen cantade,
arie und sonetto lassen sich unterscheidende Merkmale musikalischer Art
nicht feststellen. Es sind durchweg Strophengesänge. Die Weise wird
entweder wiederholt oder unter Beibehaltung des Basses variiert, wie das
in der Oper seit Agazzaris „Eumelio" der Brauch. Eine Vereinigung
der Strophen zu einer höheren Einheit wird nicht versucht. Dagegen
sind die Madrigale so durchkomponiert, daß jeder Strophe eine andere
Melodie entfällt, wie in den älteren Solomadrigalen des Peri, Caccini etc.
So geartet sind die Cantate ed arie a voce sola des Ales. Grandi1) von
1620 und die „Musiche varie" des Ferrari von 1637 1). Einen Fort-
schritt weisen die Kantaten des Mannelli von 16361) insofern auf, als sie
in durchaus geschiedene Teile zerfallen, und jede Strophe eine dem text-
lichen Gehalt entsprechende Behandlung erfährt. Sie vereinigen reizvoll
Rezitative und melodisch ariose Elemente in der Form der späteren
venezianischen Operngesänge. Einen weiteren Schritt zu einer feineren
Differenzierung tut Cazzati, Maurizio, in seiner „Arie ed Cantate"
von 16491). Neben der alten Yariationenform, die als „aria" bezeichnet ist,
weist diese Sammlung bereits Gesänge auf, die völlig durchkomponiert, sogar
nach Takt und Tempo (adagio, allegrö) gegliedert und von Seccorezitativen
durchsetzt sind. Auch die Yariationenform erfährt eine Yerbesserung
dadurch, daß die neue Strophe nun nicht mehr lediglich in Yarianten
erscheint, denen ein rein musikalisches Abwechslungs- und Steigerungs-
prinzip zugrunde liegt, sondern sich zu einer Yeränderung der Grund-
formel in dem Sinne ausbaut, daß ihr der poetische Yorwurf maßgebend
ist, so daß, wo er mit der ersten Strophe übereinstimmt oder ähnliche
Affekte aufweist, auch die erste Melodie beibehalten wird. Regelmäßig
ist aber die Yariationenform überhaupt nicht konsequent durchgeführt,
vielmehr die letzte Strophe auf eine neue Weise gelegt, indem etwa
drei Strophen, auf dieselbe Weise in Yariationen behandelt, eine vierte
auf eine neue, als Abgesang folgt.
Schloß die Melismatik der ältesten Kantate noch an die des Madrigals
an, so beschreitet Cazzati auch hier eigene Wege. Dort war sie üppig,
dem Wunsche die Stimme in bravouröse Wendungen zu überführen be-
') btadtbibliothek Breslau. Vgl. Bohn, Bibliographie der Musikwerke etc. unter Gxandi,
Ferrari, Mannelli und Cazzati.
26 Erster Teil.
stimmt, so daß die kleinen Formen unter ihrer Last schier zu unterliegen
drohten; hier ist sie mit weiser Sparsamkeit auf ein schönes Maßhalten
zurückgeführt. Ihre Funktion ist durchweg eine melodische, in
zweiter Linie erst eine charakterisierende oder tonmalende. Es herrscht
also das umgekehrte Verhältnis, als in der älteren römischen Oper und
bei Monteverdi.
Carissimi und Luigi Rossi, die Hauptvertreter der älteren Kantate,
bereichern diese Formen. Auch bei ihnen ist jene Aneinanderreihung
von Rezitativen und Arien, der späteren Zeit, nicht zu finden. Die ge-
schlossenen Formen bewegen sich ausschließlich in Liedform. Daneben
pflegen sie noch die Mischung rezitativer und arioser Elemente. Es
lassen sich etwa folgende Typen feststellen: 1. Jede Strophe erhält einen
eigenen, liedförmigen Satz, der tonisch ausgeht. Die Struktur innerhalb
der Strophe ist bald ein zwei-, bald ein dreiteiliger Liedsatz, oder be-
schränkt sich auf eine acht- oder sechzehntaktige Periode, selbst
auf eine nur fünf bei acht Takte umfassende Phrase. Zuweilen schließt
die letzte Strophe dominantisch und leitet zur Wiederholung der ersten
Strophe auf die gleiche Melodie über: a b c a. 2. Die Strophen erhalten
nur zwei Melodien, so daß die dritte Strophe wieder auf der ersten, die
vierte auf der zweiten erklingt: a b, a b, a b. 3. Bei einer größeien
Anzahl Strophen werden nur drei auf je eine neue Weise gesungen, nun
die erste Strophe auf die erste Melodie wiederholt, dann die vierte und
fünfte auf die Melodien der zweiten und dritten Strophe, melodisch meist
leicht verändert gelegt, und endlich mit einer Repetition der ersten Strophe
auf die alte Weise geschlossen: ab c ab c a. 4. Diese Form erscheint
auch so, daß die vierte und fünfte Strophe neuen musikalischen Inhalt
bekommen, also: a b c a d e a. 5. Geschlossene Sätze wechseln mit Rezi-
tativen ab. Oft herrschen diese so sehr vor, daß es nur einmal zu einer
geschlossenen Liedform kommt. Zusammengehalten werden diese Ge-
bilde durch ein dem Rezitativ eingefügtes Thema, das die Wesenheit des
Empfindungsgehaltes musikalisch festlegt, und an das dann regelmäßig
auch der Liedsatz thematisch anknüpft. Um ein Beispiel zu geben: In
der Kantate des Carissimi: „Piangete, aure, ho perduto ü mio benul) er-
scheint ein solches Hauptthema:
£EE£feEE
-1 j 0 fl_# 1 1 , 1 .
pian - ge - te, au - re, pian - ge - - - te
wiederholt, auf anderen Tonstufen, und im Liedsatz selbst in der Er
Weiterung:
*) Gevaerts Kantatensammlung, Bibl. du Conservat. royal de Bruxelles.
Erster Teil. 27
ma - te,
An anderer Stelle wechseln liedförmige Sätze mit Rezitativen ab, die
dort aus dem Secco ins Ariose übergehen, wo sich ein gehobener Aus-
druck einstellt. Auch in dieser Form wird dem Streben nach einer Zu-
sammenfassung und Konzentrierung durch Wiederholung des Satzes, der
den dichterisch und musikalisch wichtigsten Gedanken enthält, Rechnung
getragen. Wie im modernen Liede verläuft also die Bewegung in einem
Kreise. Nicht bei Carissimi, wohl aber bei Rossi, erscheint die da capo-
Arie der älteren Form, die in allen Teilen tonisch ausgeht.
Yokalisierende Wendungen treten in allen diesen Formen in
erster Linie melodieschmückend, und melodievarierend auf, aber auch,
allerdings erst in zweiter Linie charakterisierend oder tonmalend, endlich
auch als Schlußbildungen. Carissimi ist überall sichtlich bemuht, sie der
Form nach Substanz und Ausdehnung anzupassen und aus der poetischen
Grundlage gewissermaßen herauszuholen. Seine Liedsätze überlastet er
nirgends, ja nicht wenige entbehren jeden Schmuckgesanges und wirken
in ihrer syllabischen Einfachheit wie ein Lied der neueren Kunst. Wo
sich die Formen weitern und dem Ariensatz nähern, da lagern wohl
auch vokalische Tonformeln einmal breiter aus. In richtiger Unter-
scheidung ernster, pathetischer, und heiterer, freudiger Stimmungen be-
schränkt er sie dort auf das Nötigste und gönnt ihnen hier einen weiteren
Spielraum. Luigi Rossi, dem es in der Oper nur darum zu tun, den
Ohren durch reizvolle Melodien zu schmeicheln, sind solche ästhetischen
Erwägungen fern. Seine Koloraturen der Kantate sind wahllos, über-
reich, ohne kritische Einsicht verwendet und überwuchern vielfach Ge-
danken und Formen. Aber sie haben den Yorzug wirklicher Gesanglich-
keit, sie sind geschmeidiger als die des Carissimi, bei dem wir nicht
selten über die holprigen Gänge des alten Caccini-Stils stolpern.
Die tonmalenden und charakterisierenden Melismen, die hier im
Rezitativ wie in den geschlossenen Formen auftreten, beruhen auf Wort-
malerei. Yon ihnen wurde bereits bei der Oper gehandelt, ihren Ausbau
zur Situationsschilderung werden wir dort weiter verfolgen. Dagegen muß
ich jetzt noch der Kadenzbildungen gedenken, die gerade in der Kantate
ihre erste Ausbildung erfahren zu haben scheinen. Die Oper pflegt sie
erst in der venezianischen Periode, und die Annahme, sie sei von der
Kantate aus in sie übergegangen, liegt nahe. Bei Carassimi und Luigi
Rossi tritt das Bestreben hervor, die Schlüsse durch melismatische
Wendungen zu befestigen, und zwar regelmäßig nach erfolgtem tonalen
Ganz- oder Halbschluß. Die letzten Textworte werden wiederholt und
28 Erster Teil.
zwischen ihnen und dem vorangegangenen Schluß eine mehr oder weniger
lange Koloratur eingeschaltet, oder auch dem letzten Textwort selbst
untergelegt. Diese Bildungen sind von Interesse, weil sie später in
Kantate und Oper zu einer selten fehlenden Erweiterung des Ariensatzes
führen. Sie werden allmählich länger und wachsen schließlich zu einer
Coda aus. Noch in der Händeischen Zeit, auch in seinen Oratorien und
Opern finden wir sie wieder. Zu ihnen treten dann noch die freien, vom Takt
emanzipierten Kadenzen auf dem Quartsextakkord der Finalklausel. Im
Anhang gebe ich einige Kadenzen aus Kantaten des Carissimi, C 8 a — c.
— Erweiterungen durch Koloraturen innerhalb der Liedform kommen
einmal vor, um bei der Wiederholung der Melodie auf einer anderen
Strophe zu variieren, was Rossi besonders liebt, dann aber dort, wo ein
Wort oder eine Wendung der Dichtung zur tonmalerischen Behandlung
reizt. So ist die Erweiterung in dem C 8 d mitgeteilten dreiteiligen
Liedsatz offenbar auf die Beziehung zu dem Worte „corri" zurück-
zuführen, während diejenige in der Kantate „Quanto crechdo" des Luigi
Rossi (C 8 e) nur aus dem Wunsche zu verändern und der Stimme
Gelegenheit zu einer melodischen Koloratur zu geben resultiert.
Die Bedeutung der älteren Kantate für unseren Gegenstand dürfte
hiermit erschöpft sein. Im weiteren Verlaufe unserer Betrachtungen
werden wir noch auf ihre Fortbildung durch A. Stradella, A. Scarlatti,
Legrenzi u. A. zu sprechen kommen.
Die Oper nach 1645.
Schon in der letzten Periode der römischen Oper bei Yittori und
Luigi Rossi war der Schwerpunkt des musikalischen Dramas immer mehr
nach der musikalischen Seite hin verschoben worden. Monteverdi und
sein Schüler Cavalli hatten dieser Bewegung noch einmal einen Damm ent-
gegenzuwerfen vermocht, ohne sie aber auf die Dauer aufhalten zu können.
Mit Marc. Antonio Cesti ergibt sich auch die venezianische Oper; die
Florentiner Atto und JacoboMelani segeln bereits mit vollen Segeln in dem
behaglichen Strome der Arienoper. Die neapolitanische Oper mit Francesco
Provenzale wird in diesem Geiste inauguriert. Wenn Kretzschmar sagt:1)
„Dem feinen Geschmack und geschärften Urteil des venezianischen
Publikums entging keine Eigentümlichkeit im Ausdruck, keine neue
Wendung, im Sinne oder in der Form, auch kein Versehen, keine Unge-
schicklichkeit", so gilt dies über die Venezianer hinaus für das ganze
Opernwesen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Interesse war
in solchem Grade auf den Sologesang konzentriert, daß der Chor immer
!) Viertelj. Sehr. f. Musikw. 1892.
Erst« Teil. 29
mehr zurücktritt, und der mehrstimmige Einzelgesang, das Ensemble,
unausgebildet bleibt. Und rechnete noch Cavalli mit der Wucht des
dramatischen Ausdrucks, vorzüglich im Rezitativ, so liegt schon bei Cesti,
den Spätvenezianern Provenzale und Alessandro Scarlatti, je mehr die
geschlossene Form vor dem Sprachgesang prävaliert, die Entscheidung
in der gesanglich schön gestalteten Arie, aber auch in der Grazie der
technischen Ausführung, und der geschickten Einfügung der ornamentalen
Zutaten. Die Oper, einmal auf diese Bahnen gedrängt, wird nun der
Sammelplatz eines glänzenden Sängerkreises, dem zu dienen selbst den
hervorragendsten Musikern die wichtigste Aufgabe erscheint. Diese
Periode, etwa die Jahre 1650 — 17*20 umfassend, also auch die Jugend-
und besten Mannesjahre Bachs und Händeis, hat die vokale Melismatik
bis zur höchsten Steigerung hinangeführt.
Mehr als je war Italien der Brennpunkt des musikalischen Lebens,
und da die Sänger für Oper und Konzert fast ausschließlich aus diesem
Lande verschrieben wurden, mußten selbst die größten Meister des Aus-
landes, wie Händel in England, sich ihren Gewohnheiten fügen. Nur
die Franzosen und unser J. S. Bach blieben in gewissem Sinne unabhängig.
Die Venezianer.
Die musikalische Aufgabe der Melismatik erfassen die Venezianer
in weiterem Sinne als Monteverdi. Diente sie ihm in erster Linie zur
Charakteristik, so wird sie ihnen nunmehr auch ein wesentliches Element
der Melodiebildung und Thematik selbst. Sie fungiert dann musikalisch
selbständig, ohne Beziehung zur Situation, zu den Affekten anzustreben
und zwar in den geschlossenen Formen ebenso, wie im Rezitativ, dort
wo es in melodische Wendungen übergeht. Diese hier stark hervor-
tretende Bestimmung des vokalisierenden Elementes der Melodiebildung
dürfte mitbestimmt worden sein von dem nunmehr reicheren Gebrauche
der Instrumente, insbesondere der Violinen, die vielfach das Thema vor-
anschicken oder es dem Gesang folgen lassen. Die Komponisten denken
nun nicht mehr rein vokal, gestalten vielmehr so, daß Stimme und
Instrumentenspiel zu ihrem Rechte kommen. Betrachten wir das Bei-
spiel aus Cavallis „Egisto" (D 1), so wird die gleichzeitig gesangliche
und instrumentale Bestimmung des Themas sofort klar. Aber auch im
Verlaufe des Gesanges an Nebenstellen, also abseits der Hauptthemen,
treten nun überall lediglich melodisch gemeinte Koloraturen hervor, nicht
nur in lebhaften Allegri, sondern selbst in getragenen breiten Sätzen.
Ich verweise als Beispiel auf den Gesang „Delizie contente" im „Giasone"
des Cavalli.1) Wo im Rezitativ die Sprachdiktion in Melodie übergeht,
l) Publ. d. Ges. f. Musikfoischung. Bd. 12, S. 19 ff.
30 Erster Teil.
stellen sich überall gerne Melismen ein. In dem gewaltigen, an Größe
und Kraft des Aasdrucks kaum wieder erreichten Aufruf der Creusa1)
„Enea, Eneau in der nDidoneu schließt der erste Abschnitt mit einer
absteigenden Vckalise auf „piatige". (D 2.) Bei Cavalli herrscht immer-
hin noch eine weise Ökonomie in der Anwendung melodischer Ton-
formeln, dagegen zeigt uns Cesti ein weiteres Anwachsen und Zunehmen
üppiger Tonphrasen, die in ihren barocken Formen die schlichte Gliederung
zu überdecken gerade so bestimmt erscheinen, wie die überreichen figür-
lichen Dekorationen der Fassaden profaner und kirchlicher Bauten jener
Zeit den Grundriß.
In der Anwendung der Koloratur im Dienste der Charakteristik
und Tonmalerei schließen die venezianischen Dramatiker an Monteverdi
an. Auch sie gehen von der madrigalesken Anlehnung an das Wort
aus, dringen aber doch schon nicht selten zu einer Gestaltung vor, die
auf den Affekt selbst, ja auf die Gesamtsituation ein helles Licht wirft.
Im Rezitativ wie in der Arie verfehlen sie selten die Gelegenheit, einzelne
Worte melismatisch zu illustrieren, sei es für äußere, sei es für seelische
Vorgänge.2) Im „Giasone" beklagt Delfa die Vergänglichkeit des
Schönen in einem getragenen Gesang in E-moll.3) Die Worte „rotino"
und yjugace" veranlassen die Einführung zweier Tonformeln, die sich nur
auf die Beziehungen zu ihnen deuten lassen. In der zweiten Strophe
kehren sie wieder, hier auf Worte, denen sie nicht entsprechen. (D 3.)
Es drängt sich hier eine Parallele zwischen der gleichnisreichen Sprache
der Literatur und der Musik jener Zeit auf. Wie dort bilderreiches
Nebenwerk den Gedanken überwuchert, so liebt es die Tonkunst, das
Wesentliche mit einer Fülle von Einzelheiten, nebensächlichen Zutaten
zu umhüllen. Wenn Cesti im „Prencipe generoso" den Triface versichern
läßt: „Wenn in dem Meere eines widerspenstigen Schicksals sich der
Sturm erhebt, darf man die Hoffnung nicht verlieren", lehnt die musikalische
Behandlung an das sprachliche Gleichnis an, illustrieit die Worte „torbido"
und nprocellaa in weiten Gängen, die über neun Takte von den sieben-
undzwanzig Takten des Gesanges einnehmen, und gibt dem Vordersatze
mit dem Gleichnis vierzehn Takte, bis der sprachliche Hauptsatz, der
den eigentlichen Gedanken bringt, einsetzt. (D 4.) Ja, man kann sagen,
das Bedürfnis, tonmalerisch zu wirken, bestimmt geradezu die Form und
führt zu Erweiterungen, die die Verhältnisse der natürlichen Gliederung
verschieben. Wir haben hier die Anfänge einer für die spätere Zeit
*) Mitgeteilt vom Verf. Monatsh. f. Musikgesch. 1893, S. 64fr.
2) Beispiele in der Neuausgabe v. Cestis „la Dori". Publ. d. Ges. f. Musikforschung,
Bd. 12, und Neuausgabe v. Cestis „Porno d'oro", Denkmäler d. Tonkunst in Oesterr., Bd. 2 — 5.
3) Publ. d. Ges. für Musikforschung, Bd. 12, S. 54.
Erster Teil. 31
bedeutungsvollen Formgebung, auf die ich später bei A. Scarlatti wieder
zurückkomme.
Zur wirklichen Charakteristik durch tonmalende Melismen er-
heben sich die Venezianer in vielfach recht gelungener Weise. Kretzschmar
verweist auf die Arie des Borea in der „Eritrea" des Cavalli. Ich möchte
noch in erster Linie die bukolischen Szenen hervorheben. Im „Eyisto"
desselben Meisters schließt an den Prologo eine stimmungsvolle Morgen-
szene an, in der Livio und Clori den Yögeln, Blumen und Lüften zu-
singen, liier breiten sich überall die reizendsten Tongänge, wie duftige
helle Schleier über den Untergrund einer zarten köstlichen Melodie aus.1)
Sie sind es, die dieser Idylle einen frischen Naturhauch zuführen. Ferner
ist es der Affekt einer gehobenen Stimmung, der Freude, des Triumphes,
der sich allerwegs in langen Passaggien entlädt, oft das Rezitativ durch-
setzend, wie in der vierten Szene des ersten Aktes von Cavallis „Ciro",
als der Elmira Ciro angemeldet wird. (D 5.) Zuweilen konzertieren
die Instrumente mit der Singstimme. Ein prachtvolles Stück weist die
sonst schwächere „Erismena" des Cavalli auf in dem „ Vittoria, Vittoria"
des Agrippa (Akt 1, Szene 5), dessen Thema fast notengetreu mit dem
gleichnamigen, weltberühmten Gesang des Carissimi übereinstimmt. Hier
folgt die erste Violine den Gängen der Baßstimme in Duodezimen, also
eine schon der venezianischen Oper geläufige Kombination, welche die
neapolitanische Schule von ihr übernahm. (D 6.)2)
Konstruktiv erbaut sich die Passaggie auch jetzt auf der Tonleiter
und ihren Ausschnitten, nimmt natürlich auch andere Intervalle, wie
Terzen- und Quartenschritte auf, mischt ihr auch Terzengänge ein, und
benutzt die wiederholte gehauchte Note gleicher Tonhöhe, die Nachschlags-
und Doppelschlags-Bewegungen. In Arpeggien geht sie dort über, wo
kriegerische Rufe erklingen, iudem dann die Stimme die tromba nachahmt.3)
Die Manieren bilden ein wesentliches Rüstzeug des melismatischen
Figurenwerkes der Venezianer. Der Vorschlag, also eine kurze, vor der
Hauptnote eingeschobene Note erscheint nunmehr fast ausnahmslos
in jambischer Form, also vorweggenommen und unbetont, vorzüglich
bei den Schlüssen, und zwar so, daß er harmonisch die Auflösung der vor-
angegangenen Hauptnote bildet, so daß nur die sprachliche Verbindung mit
der zweiten Hauptnote ihn rhythmisch als Vorschlag charakterisiert.
(D 7 a, b.) Doch finden sich bereits zahlreiche kurze Noten, die wirklich als
1) Mitget. v. Verf. i. d. Monatsheften f. Mus.-Gesch. 1893, S. 95.
2) Eine ähnlich gestaltete Arie in Ceslis „Pomo d'oro". Denkmäler der Tonk. i.
Oesterr., Bd. 2, S. 50 ff.
3) Ein Beispiel: Publ. d. Ges. f. Musikforschung, Bd. 12, S. 104.
32 Erster Teil.
Nebennoteo, lediglich ausschmückend eintreten, also wirklichjambische kurze
Vorschläge, natürlich stets mensuriert notiert, und zwar stets absteigend,
wie ja auch diese Figur der klassischen Zeit in der Regel sich abwärts
bewegt, häufig als obere Sekunde (D 7 c und d), also bereits ganz den
von den Theoretikern des 18. Jahrhunderts aufgestellten Regeln konform,
sehr häufig auch in der der klassischen Zeit geläufigen Funktion, Terzen-
schritte zu überbrücken. (D 7 e.) Wie Monteverdi gebrauchen die
Yenezianer frei eintretende Vorschläge im Rezitativ bei Ausrufen des
Schmerzes, der Klage. Sie sind dann immer leitereigen zum Basse und
die Hauptnote Dissonanz, mildern also ihre Härte und betonen den
schmerzlich klagenden Affekt. (D 7 f.) Das gelingt Cavalli besonders
gut in dem erwähnten Monologe der Creusa, wo sie ausruft: „Wenn du,
Enea, gehst, wer bleibt, den süßen Ascanio, unseren Sohn, zu behüten."1)
Trochäische, kurze Noten, vor der Hauptnote eingeschaltet, sind
ungemein selten. In Cestis „Porno d'orou kann ich nur ganz wenige nach-
weisen. In der Arie der Alceste ne questa ad ogn'ora" könnte man sie
als Auflösung der vorhergehenden Dissonanz betrachten, wenn nicht eben
die rhythmische Stellung als These diese Wirkung aufhöbe. (D 7 g.)
Einen wirklich dissonierenden trochäischen Vorschlag finde ich in dem
Gesänge der Alceste „o teneri sensi"2) am Schluß, wo das Achtel g der
Altstimme mit dem Quartsextakkord auf a dissoniert (D 7 h). Jeden-
falls bildet der trochäische Vorschlag bereits in dieser Periode
eine seltene Ausnahme gegenüber dem jambischen, der uns fast
auf jeder Seite begegnet. Dies festzustellen ist von Wichtigkeit, weil das
18. Jahrhundert mit Agricola uud Ph. Em. Bach einen energischen Kampf
gegen diese Art der Vorschläge eröffnet.
Der Nachschlag erscheint als einfacher und als doppelter. (D 8 a — e.)
Der Doppelschlag tritt auch hier in zwei Formen auf, einmal mit der
Vorschlagsnote beginnend, sodaß die Hauptnote den zweiten und vierten
Ton bildet (D 9 a), und mit der Hauptnote einsetzend, hauptsächlich als
Kadenzformel (D 9 b, c). Auch in den Passaggien spielt er eine große
Rolle. (D 9 d.) Der Schleifer in zwei Noten ist auch hier bereits
nachweisbar. Wir hatten ihn bei Monteverdi, vorzüglich bei Luigi Rossi
als beliebtes Ornament nachgewiesen. Auch hier tritt er in dieser Funktion
wiederholt auf, noch nicht aber, wie später, schon bei Stradella, als
Bestandteil der Themenbildung. (D 10.) Der durch das Zeichen t an-
gedeutete Triller, der hier natürlich stets die Sekundenbewegung bedeutet,
vervollkommnet das reiche Arsenal der melismatischen Tonreihen der
*) Vergl. Monatsh. f. Musikgesch. 1893, S. 66.
2) Denkmäler d. Tonk. i. Oesterr. Bd. 3, S. 41 und 47.
Erster teil. $£
Venezianer. In der Kadenz hat er seinen vorzüglichsten Sitz. Ganz-
und Halbschlüsse figurativ zu beleben, war auch der römischen Oper und
Monteverdi nicht fremd; sie begnügen sich mit kurzen melismatischen
Formeln. Cavalli und Cesti beginnen nun nach dem Yorbilde der
Kantaten des Carissimi und Luigi Rossi die Schlüsse ausgiebiger zu
gestalten. Einmal bereiten sie ihn gerne durch ausgedehnte melodische
Formeln vor, ja sie hängen dem tonalen Abschluß eine melismatisch ge-
staltete Coda an. Dann aber schmücken sie überdies noch die Final-
formel selbst mit zierenden Bewegungen, überall natürlich unter strikter
Einhaltung der Taktbewegung. Wir stehen hier also bereits vor den
beiden Haupttypen der Kadenz der neapolitanischen Schule und der alt-
klassischen Kunst Bach-Handels. Als Zierrat der Kadenz selbst dienen
Doppelschlag, Schleifer und Triller. (D 10.) Auch Halbschlüsse werden
zuweilen mit melodisch zerlegter Oberstimme gebildet (D 10c aeolischer
Halbschluß). Zuweilen finden sich auch vollständig ausgeschriebene
Kadenzen auf der liegenden Dominante, wie im Prologo von Cavallis
„Egisto". (D 11.) Der Wunsch, die Schlüsse zu befestigen, tritt hier
überall in Erscheinung und führt einmal dazu, nach eingetretenem Ganz-
schluß eine Coda einzulegen, und dann die letzten Worte nochmals auf
eine mehrtaktische Phrase anzuführen,1) dann aber dem eigentlichen Schlüsse
eine mehr oder weniger ausgedehnte melismatische Schlußformel voraus-
zuschicken.2) Beide Arten der Kadenz, sowohl die vorbereitende, als
auch die der Finalklausel eingeschaltete, übernehmen die Neapolitaner so-
wohl, wie auch Händel.
Alessandro Stradella.
Den Venezianern nahe stehen Alessandro Stradellas Opern.
Ich kann mich hier darauf beschränken, auf die Ausführungen Heinz
Heß's hinzuweisen. Eigentümlich ist seiner Melodiebildung die reiche
Verwendung des Schleifers, auf dem „die sinnliche Weichheit von
Stradellas Melodik vorzüglich beruht". Mit seiner Passaggie verfolgt er
wenigstens regelmäßig einen künstlerischen Zweck, wenn auch nur den
äußerlicher Charakterisierung zur Hervorhebung einzelner Begriffe. Je-
doch dringt er bereits dazu vor, ein Stück ganz auf tonmalerischer Basis
zu errichten. Die Passaggie tritt dann nicht unvermittelt auf, sondern
*) Beispiele: Publ. d. Ges. f. Musikforschung, Bd. 12, S. 162 und Denkmäler der
Tonkunst i. Oesterr., Bd. 3, S. 141 am Ende.
2) Vergl. Denkmäler a. o. O. S. 24 am Ende u. S. 27, System 4.
8) »Die Opern Alessandro Stradellas«. Publ. d. I. M -G., Beihefte 2. Folge III.
Leipzig 1906, S. 32 ff.
3
34 Erster Teil.
thematisch.1) Originell ist seine Verwendung der Passaggien und Ver-
zierungen im Dienste parodistischer Komik.
Die Neapolitaner.
Francesco Provenzale.
Auf Francesco Provenzale und seine dramatischen Werke hat
zuerst Rolland2) hingewiesen. Eine genauere Prüfung3) hat mir die Ueber-
zeugung verschafft, daß wir in ihm nicht nur den ersten bedeutenden Meister
Neapels, sondern geradezu das Haupt seiner Schule zu begrüßen haben.
In der Ausgestaltung der Arienform insbesondere bereitet er vor, was
Scarlatti vollendete. Seine Melodik der seriösen Teile zeigt eine außer-
ordentliche Kraft der Gestaltung, eine gewisse Schwermut, eine tief ernste,
oft rührende Weichheit der melodischen Substanz. Ganz eigenartig ist er
im komischen Stil. Die Ansätze der venezianischen Oper hat er in genialer
Weise ausgebildet, und die Arien dieses Stils sind unübertreffliche Vor-
bilder nicht nur für Scarlatti, sondern für die komische Oper der
Italiener überhaupt geworden. Kaum hat ihn Scarlatti hier selbst in
seinen glücklichsten Stunden erreicht. In ihrer sprudelnden Laune und
Frische, in ihrer glücklichen formalen Abrundung gemahnen sie selbst
an Mozart. Seine Stellung zur Melismatik entspricht der Größe des
Mannes. Nie und nirgends erniedrigt er sie zu handwerklicher Virtuosität,
ein Vorwurf, von dem Scarlatti durchaus nicht überall freizusprechen
ist. Sie artet nie zur leeren Formel aus, bleibt stets ausdrucksvoll, dem
Geiste des Musikstücks angemessen, mag es nun ernst getragen, oder
heiter und ausgelassen sein, und erhebt sich zuweilen zu eindringlichster
Vertiefung der Stimmung. Stellidaura — in der Stellidaura vendicata, 1678
— liebt Armidoro. Orismondo, der Fürst, stellt ihr nach, sodaß jener
seine Liebe geheimhalten maß. In einem Duette kündet Stellidaura ihre
Besorgnis, Armidoro sucht sie zu trösten. Ahnungsvolle Bangigkeit liegt
über dem Ganzen. Wie prächtig hat der Komponist diese Stimmung in
dem Melisma wiedergegeben. (D 12 a.) Man beachte die unge-
wöhnlichen Schritte der verminderten Terzen und übermäßigen Quarten.
In ähnlicher Weise äußert Armidoro seine Liebesqual (D 12 b), später
seine Eifersucht (D 12 c), als er einen Brief der Geliebten zu Gesicht
bekommt, den er an den Nebenbuhler gerichtet glaubt. Auch Energie
und Entschlossenheit charakterisiert Provenzale in ausgezeichneter Weise
*) Vergl. Hess a. o. O. S. 38.
2) Histoire de l'Opera avant Lully et Scarlatti, Paris 1895.
3J Vergl. d. Verf. Aufsatz »Provenzale als Dramatiker«. Sammelbd. d. I. M.-G. VII,
60G.
Erster Teil. 35
in melodischen Tonformeln. Stellidaura stürzt in des Fürsten Zimmer,
ihre Rache an dem Frevler, der ihren Geliebten zu töten versucht hat,
zu nehmen. Ohne Rezitativ setzt sie sofort mit einer Arie ein, deren
energische Rhythmik an Händel gemahnt. (D 12 d.) Freilich konserviert
Provenzale neben dieser höheren Gattung auch die alte, an das Wort
gebundene Tonmalerei, aber in durchaus maßvoller Weise. Die kleinen
Verzierungen übernimmt er, ohne hier wesentlich Neues hinzuzufügen.
Deshalb werden einige Beispiele im Anhange genügen, ihn auf diesem
Felde kennen zu lernen. (D 12 e — o.) Unter D 12 m teile ich einen
Echoeffekt mit, der sich bereits in dieser Periode häufig findet.
Alessandro Scarlatti.
Alessandro Scarlatti,1) dem hier mit Rücksicht auf sein An-
sehen, die große Zahl seiner Werke und auf seinen Einfluß in der ge-
samten Musikwelt ein größerer Raum bewilligt werden muß, gehört zu
denjenigen Erscheinungen in der Geschichte der Musik, die in dem Aus-
bau vorgefundener Formen, in der Entfaltung fruchtbarer Keime der
Vergangenheit ihre Bedeutung haben. Neue Gesichtspunkte hat er dem
musikalischen Schaffen, und dem musikalischen Drama insbesondere, nicht
eröffnet. Er lenkt ohne Besinnen in jene von seinen Vorgängern be-
tretenen Pfade ein und verfolgt sie bis an das Ende seiner Schaffens-
zeit. Scarlattis Entwicklung zeigt keine Abkehr, wie diejenige der
großen deutschen Meister Händel und Gluck. Er bleibt der Opern-
lieferant der großen italienischen Städte, bemüht, dem Geschmacke des
Publikums zu entsprechen. Scarlatti war eine durchaus lyrische Natur.
Er schließt deshalb an die Bewegung an, die sich in Venedig durch
Cesti, in Neapel durch Provenzale, seinen Lehrer, und in Rom durch
Luigi Rossi vorbereitet hatte. Dramatisch zu gestalten, wie Cavalli,
war ihm versagt. Für den Ausbau der Oper als Drama hat er nicht
nur nichts geleistet, ihr vielmehr den Weg nach dieser Richtung auf
Jahrzehnte hin verlegt. Aber die musikalische Technik verdankt ihm
viel. Das Harmoniesystem der Klassiker hat er geradezu geschaffen, die
musikalischen Formen in Symphonie und Arie in ungeahnter Weise be-
reichert und bis ins feinste Detail hinein ausgearbeitet. Seine orchestrale
Instrumentation ist weit reicher als die seiner Vorgänger, die Stimm-
führung weit sorgfältiger und fesselnder, dazu kommt sein schier uner-
l) Ich bemerke, dass ich eine grosse Anzahl Partituren Scarlattischer Opern der
Bibliotheken von Neapel, Rom (Cecilia), Florenz und Modena durchgesehen habe. Den
Bestand der französischen und belgischen Bibliotheken kenne ich leider nicht. Erst nach
Niederschrift dieses Abschnittes kam mir Dents Buch »A. Scarlatti« zu Händen. Sein Inhalt
konnte mich nicht zu Aenderungen meiner Ansicht bestimmen.
3*
3fi Erster Teil.
schöpflicher Reichtum an melodischen Gedanken und die Fähigkeit,
Stimmung und Situation durch prägnante, charakteristische Themen zu
erfassen und mit einem Ruck ins hellste Licht zu setzen. Seine Ent-
wicklung in dieser Hinsicht hat sich allmählich vollzogen. Vergleicht
man seine Frühopern, etwa den „Prigioniero fortunato" oder „Dal male
il bene": mit seinen letzten Arbeiten, dem „Cambise" und „Tigrane", so
erkennt man wohl noch dieselbe melodische Grundlinie, aber formal, in
der Ausgestaltung der Arie, in der Instrumentation, vor allem aber in
der Erschöpfung der poetischen Grundlage läßt dieser Vergleich er-
kennen, wie weit er sich in den vierzig Jahren seines Schaffens vorwärts
geschoben hat. Das Aufgebot an Mitteln wird stetig größer, die In-
strumentation wohlklingender und komplizierter; die Vorliebe für die Be-
teiligung konzertierender Instrumente nimmt zu, die Arie gewinnt an
Ausdehnung, insbesondere durch Ausdehnung des ersten Teiles, die
harmonischen Beziehungen der einzelnen Teile zu einander werden mannig-
facher, die Harmonik kühner, die melodische Phrase selbst gewandter
und ausdrucksvermögender.
Diente in der römischen Oper, bis zu Luigi Rossi, bei Monte-
verdi und auch bei seinem Lehrer Provenzale die melismatische Ton-
formel in erster Linie als Ausdrucksmittel, in tonmalendem Sinne, oder
als Ausfluß eines gesteigerten seelischen Gefühles, so schlägt sich Scar-
latti hierin ganz auf die Seite Cestis und der Kantatenkomponisten.
Der Übergang aus dem syllabischen in den melismatischen Gesang will
nicht mehr, wie bei jenen, etwas Besonderes sagen, eine poetische Idee
verkörpern, ein Wort hervorheben, oder einer Stimmung Ausdruck geben,
die der syllabische Gesang nicht erschöpfen konnte. Wohlverstanden,
das Melisma dient auch bei ihm noch den Zwecken der Charakteristik, aber
es wird ihm, wie seinen Schülern und Nachfolgern ein wesentlicher
Bestandteil der Melodie selbst. Nicht nur werden die Arienthemen
selbst schon ohne jeden, aus der Poesie resultierenden Anlaß melismatisch,
ja ziergesanglich gestaltet (E 1), es dient auch als thematisches Hilfs-
mittel zur Verarbeitung und zur Vollziehung modulatorischer Uebergänge.
Die Arie „Amanti, piangete" in der „Griselda" (E 2) beginnt in g-moll,
wendet das Thema nach d-dur, geht dann nach d-moll, mit dem Sext-
akkord auf/, und sucht seinen ersten Halbschluß in a-dur. Zur Modu-
lation von d-moll nach a-dur wird ein langes — übrigens sehr schönes
— Melisma benutzt, das eben nur diese musikalische Funktion erfüllt,
in der Poesie und Wortunterlage („consolateoi") keine Rechtfertigung findet.
Die Passaggie ist um ihrer selbst willen da, sie bedarf keiner
der Poesie entnommenen Begründung. Daß mit der Ablösung der
vokalisierenden Phrase von der poetischen Unterlage in dramatischer
Erster Teil. 37
Hinsicht eine abschüssige Bahn betreten wurde, zeigt sich bei Scarlatti
in erschreckender Deutlichkeit. Nicht als ob es Scarlatti an musik-
dramatischem Sinn gänzlich gefehlt habe, ist er doch noch bestrebt nach
dem Muster Monteverdis wenigstens den einzelnen Szenen einen inneren
Zusammenhang zu wahren, wenn er Motive, ja ganze Arien wiederholen
läßt, wie in der sechsten Szene des ersten Aktes in „Honesta negli amori"
und mehrfach in der „ Teodora Aiujusta". Aber die Umrissung der
Charaktere, die Einbeziehung der Handlung in die musikalische Ge-
staltung wird vernachlässigt, und nur das Rezitativ, vielfach bis zum
Secco abgeschwächt, hält den Faden des Verlaufes in der Hand, die Arie
dagegen, auf deren Ausbau der musikalische Nachdruck liegt, entspricht
wohl der jeweiligen Situation und den die Handlung beherrschenden
Affekten, versäumt aber nicht selten den Anschluß an das Ganze und
bedeutet dann mehr einen unliebsamen Stillstand, als eine Klarlegung der
Handlung oder Vertiefung der Charakteristik. Innerhalb dieser Grenzen
freilich erhebt sich Scarlatti nicht selten, wo die poetische Anregung
ihn fortreißt, zu mächtiger und zwingender Größe des Ausdrucks.
Im „Cambise" und „Tigrane", Opern seiner letzten Schaffensperiode, ins-
besondere, ragen einige Gesänge zu wahrhaft großer Tragik empor und
gehören melodisch und harmonisch zum Erhabensten, was uns die
italienische Kunst geschenkt hat. Aber überall erscheinen doch auch
Bildungen, die erkennen lassen, daß selbst nur eine musikalische Er-
schöpfung des Arientextes — ganz abzusehen von der dramatischen Be-
ziehung zum Ganzen — garnicht mehr Endzweck dieser Musik ist, daß es
vielmehr auf Füllung der Form mit musikalisch schön gestalteten Ge-
danken, unabhängig von der poetischen Unterlage, in erster Linie an-
kommt. Ist noch, vorzüglich in den langsamen Sätzen, in der Strophen-
arie, also dort, wo kein Da capo vorliegt, für die die Frühoper „Onestä
negli amori" besonders gelungene Muster aufweist, ein schönes Gleich-
gewicht zwischen Poesie und Musik gewahrt, so tritt dort, wo die Form
zu Dehnungen und Textwiederholungen zwingt, dort besonders, wo ein
ganz kurzer Text von etwa vier Versen zu einer weitausgebauten drei-
teiligen Arie aufgebauscht ist, ein rein sinnliches Musizieren hervor, das
keine geistige Anlehnung an die Worte mehr sucht. Dann sinkt das
Wort herab zum Träger des physischen Stimmtones, eine geistige Be-
deutung fehlt ihm ganz oder doch fast völlig. Als Beispiel solcher, bis
zur Tonspielerei herabsinkender Wendungen wähle ich eine Arie aus dem
„Prigionero fortunato", also einem Frühwerke, (E 3)1) und die Arie
1) Schon in einer seiner ersten Opern, der »Teodora Augusta«, kommen solche ab-
normen Bildungen vor.
38 Erster Teil.
„quando tiranno Amore tra lacci prende un core, Valletta e lo lusinga7 ma
scempio pol non fa" aus „Griselda". (Wenn die allmächtige Liebe ein Herz
in Fesseln schlägt, so drückt sie es nieder, oder schmeichelt ihm, aber sie
vermag nicht es zu verwüsten), wo die fade Koloratur auf dem liegenden
Basse sich besonders unangenehm zur Sentenz in Widerspruch setzt. (E 4.)
Der Aufschwung des konzertierenden Instrumentenspiels, der
in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts in Italien einsetzte, konnte auf
die Oper nicht ohne Einfluß bleiben. Wie die römische Oper in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sich mit der bewährten Kunst der
Polyphonie befruchtet hatte, so erleben wir jetzt wiederum, daß der Oper
von außerhalb neue Anregungen zugeführt werden. Scarlattis Stellung
zum Drama war von vornherein so geartet, daß er ein musikalisches
Element einzuführen bereit sein mußte, das ihm eine erwünschte Ab-
wechslung und eine Steigerung musikalisch-schöner Ausdrucksformen ge-
stattete. So benutzt er denn unbedenklich konzertierende Soloinstrumente,
insbesondere die Violine, die Yioletta d'amore, das Violoncello und die
Tromba, und es entstehen unter seiner geschickten Hand wundervolle
Kombinationen mit der Singstimme, so lange die Eigenart des instrumentalen
und gesanglichen Partes gewahrt wird. Aber die Rivalität führt auch zu
einer erhöhten Anspannung der Leistungen der Singstimme. Den Ton-
reihen der Soloinstrumente zu entsprechen, diente der melismatische Ge-
sang. Hier wird nun vielfach die Grenze des gesanglich Zulässigen und
Schönen überschritten und die Singstimme in der Nachahmung in-
strumentaler Gänge zu Wendungen gezwungen, die, selbst von der
bravourösesten Technik unterstützt, als Ausartungen empfunden werden
müssen. Dies tritt besonders in Erscheinung, wo die Tromba konzertiert.
Dieses Instrument dient auch bei Scarlatti vorzugsweise Stimmungen
kriegerischer Entschlossenheit, wirkt aber auch dort, wo ein seelischer
Kampf auszufechten ist. Einen solchen schildert die Arie „ondeggiateu im
„Prigionero fortmiato" (E 5) bei den Worten gran battaglia m'accende nel
cor. Die Stelle ist auch tonmalerisch charakteristisch, worauf ich noch
später zu sprechen komme. Hier diene sie nur als Beispiel, wie weit
dieser große Meister des Kunstgesanges vom rechten Wege abweicht, wenn
er die Stimme zu einem Wettkampfe mit einem Instrumente zwingt, bei
dem es schließlich nur auf die stärkste Lungenkraft, also eine rein
physische Leistung, ankommt. Glücklicherweise sind solche Ausschreitungen
nicht allzu häufig.1)
1) Im »Tigrane« ist der Triumphzug der Tomiris mit einem Aufgebot reicher Mittel
ausgestattet, durch Sopransolo, vierstimmigen Chor, konzertierende Oboe und D-Trompete.
Hier bewahrt Scarlatti eine weise Zurückhaltung; der Stimme ist nichts Unschönes oder auch
nur instrumental Gedachtes zugemutet.
Erster Teil. 39
Ich erwähnte bereits, daß Scarlattis Behandlung des Orchesters
eine weit reichere und sorgfältigere ist, als die seiner Vorgänger. Er
vertraut ihm nicht selten schon die musikalische Charakteristik an, und
zwar schon in der ersten Zeit seiner Wirksamkeit. Wenn in der „Amazone
guerriera" von 1689 Alvida sich verraten glaubt und ausruft: »all' armi,
o cor tradito, voglio veudicarti", so hätte jeder andere Meister früherer
Zeit sie ihren Zorn in raschen energischen Passaggien sich entladen lassen.
Hier aber verharrt sie in syllabischer Deklamation, DreiklaDgsschritte
bevorzugend, und die Instrumente, jedenfalls das Streichquartett schildert
in bewegten unruhigen Gängen, welcher Sturm in ihrem Herzen tobt.
Und solche Bildungen treffen wir fast in jeder seiner Opern. Daß mit
ihnen ein wesentlicher Fortschritt angebahnt war, ist nicht zu verkennen.
Indessen übte die regere Beteiligung des instrumentalen Körpers, ins-
besondere die erweiterte und sorgfältigere Aussetzung der Ritornelle, auch
gewisse nachteilige Rückwirkungen auf den Gesang aus, eine Erscheinung,
die wir bereits bei den Venezianern beobachtet haben. Scarlatti denkt
seine Themen nicht immer mehr rein vokal, stellt vielmehr zuweilen ein
instrumentales Thema im Ritornell auf, mit dem sich dann die später mit
ihm einsetzende Singstimme abfinden muß. Dann kommt es wohl vor,
daß ihr Tonwendungen entfallen, die nicht gesanglich, sondern instrumental
klingen; die Grenze des gesanglich Zulässigen wird dann vielfach ebenso
überschritten, wie in der Konkurrenz mit konzertierenden Instrumenten.
Als Beispiel wähle ich eine Arie aus der »Teodora Augusta". (E 6.) Die
spätere neapolitanische Schule ist von diesem Verfahren gleichfalls nicht
frei. So sehr Händel von ihr beeinflußt erscheint, die Unterscheidung
vokalen und instrumentalen Stils hat er überall festgehalten.
Daß gegenüber einer solchen erweiterten Bedeutung der melis-
matischen Passaggie ihre der älteren Oper eigene Bestimmung, tonmalend
oder charakterisierend zu wirken, zurücktreten mußte, ist klar; denn ist
sie das musikalische Ohr in diesem — also melodischem — Sinne zu
hören gelehrt, so wird seine Empfänglichkeit für ihre Beziehung zur
poetischen und dramatischen Substanz abgeschwächt. In der Tat tritt
denn auch bei Scarlatti die eigentliche Wortmalerei, also das Streben,
ein einzelnes Wort musikalisch zu illustrieren, zurück und, wo sie statt-
hat, regelmäßig nicht bloß als Äußerlichkeit, sondern im Einklang mit
dem musikalischen Erfassen des Ganzen. Dann erscheinen wohl auch im
Rezitativ ausdruck vermögende Passaggien auf Worte wie folgore, ondeygiare,
b-ospirare, tempeate und andere. Im „Tigraneu beginnt ein von den
Streichern, ohne Cembalo begleitetes Rezitativ mit einer rollenden Figur
auf folgore. (E 7.) Sehr häufig werden bereits die Streichbässe des
Continuo oder ein konzertierendes Instrument herangezogen, kräftigere
40 Erster Teil.
Farben aufzutragen. In einer Arie der Oper „Clearco in Negroponte"
fällt der Baß der Streichinstrumente, wo die Gesangsstimme das Wort
yjempeste" ausspricht, in eine rollende, Donner und Sturm andeutende
Sechzehntelbewegung, auch hier durchaus im Geiste der Anlage des
ganzen Stückes, während die Singstimme im Orgelpunkt einen Ton fest-
hält, bis dann nach erfolgtem Schluß die Singstimme dieselbe Passaggie
wiederholt und der Baß lediglich begleitet. (E 8.) Die weitere Begriffs-
bestimmung des Melismas bei Scarlatti ist es, wie angedeutet, die ihn
zwingt, dort, wo er auf ton- oder stimmungmalende Effekte ausgeht, zu
kräftigeren Mitteln zu greifen, wo die ältere Oper mit weit einfacheren
auskommen konnte. Er baut denn auch öfter, wie bereits vor ihm in ver-
einzelten Fällen Stradella, ein Tonstück vollständig auf ton-
malerischer Grundlage auf, wobei Instrumente und Gesang zusammen-
wirken. Ich wies bei den Venezianern bereits darauf hin, daß die
Vorliebe für die Tonmalerei dahin führte, schildernde Worte der Text-
unterlage, wie ondeggiate, susurrate zum Ausgangspunkt der Anlage des
Stückes zu machen, auch wenn der poetische Inhalt garnicht auf eine
Schilderung äußerer Vorgänge, sondern auf einen seelischen Effekt hinaus-
läuft. Während aber dort, bei den Venezianern, diese tonmalerischen Elemente
noch nicht restlos im Ganzen aufgehen, gelingt es Scarlatti nicht selten,
den tonmalerischen Inhalt mit dem seelischen Affekt zu einem einheitlichen
Ganzen zu verschmelzen. Freilich nicht überall. Vielfach kontrastieren
auch bei ihm die auf Tonmalerei angelegten Floskeln zu dem eigentlichen
textlichen und musikalischen Inhalt, oder suchen wenigstens keinen intimeren
Zusammenschluß.1) Dagegen ist er dort besonders erfolgreich, wo er
den Schmerz oder die Sehnsucht eines liebenden Herzens in einem
bukolischen Bilde veranschaulicht, wozu ihm eine textliche Wendung, oft
nur ein Wort die Handhabe bietet. Dann tragen die musikalischen Natur-
schilderungen, wie das Murmeln der Lüfte, das Plätschern der Quelle,
die Entfaltung der seelischen Vorgänge, also den wesentlichen Inhalt.
Sie sind dann nicht mehr eine künstliche Drapierung, sondern ein gut
gewähltes Milieu. Reinhard Keiser wird hier, wie wir sehen werden,
von Scarlatti glücklich beeinflußt. Ich teile (E 9 u. 10) zwei Stellen
aus analog behandelten Szenen im „Prigionero fortanato und „Tigrane"
mit. Dort ist der Wunsch zweier zum Duette vereinigten Liebender:
Quelle und Weste mögen die Blumen vor der Glut ihrer Liebestreue
schützen, hier die Vorstellung: Das Lüftchen trage die Worte zu: es ist
süß für die Liebe zu sterben, in tonmalerisch ausgebildeten Stücken an-
*) Was bei Händel immer der Fall. Man betrachte beispielsweise nur, wie in der Arie
Josuas »Weil Kidrons Bach« der tonmalende erste Teil zu dem Mittelsatz, dem Träger des
eigentlichen Gedankens harmoniert.
Erster feil. 41
sprechender Grazie und bestechenden Liebreizes verkörpert. Besonders
dieses (E 9) glänzt durch harmonische Feinheiten und veranschaulicht
höchst realistisch durch seine Sechzehnteilbewegungen, an denen die
Streicher und die Stimmen partizipieren, das leise Geräusch der die
Blätter des Haines bewegenden Lüfte. Fein empfunden ist es, wenn dort,
wo das Wort „morire" zum ersten Male ausgesprochen ist, die malerischen
Bewegungen plötzlich aufhören und die Charakteristik in sospiri, Atem-
pausen, durch hörbares Atmen ausgefüllt, gelegt wird. In dem Duett
aus „Priyionero fortunato" (E 10) ist das Echo zu reizenden Effekten ver-
wandt, indem eine zweite Stimme die Tonphrase der ersten im fianissimo
wiederholt. Immerhin ist diese Art der musikalischen Naturschilderung
verschieden von der germanischen, bei Bach bereits nachweisbaren, aber
erst durch Weber, Schubert und Mendelssohn gepflegten. Diese
projiziert in das Naturbild das seelische Empfinden. Ein berühmtes
Beispiel ist das ariose Rezitativ in Bachs Matthäus-Passion: „am Abend
da es kühle ward". »Was aus diesen Tonreihen uns anhaucht, ist nicht
zunächst die religiöse Empfindung des Friedens und der Erlösung, mit
welcher der Text sich beschäftigt. Es ist Abendstimmung; jene EmpfinduDg
kommt erst durch Vermittlung derselben musikalisch zur Geltung. In
das Naturbild wird hineingefühlt, was an dieser Stelle die christlichen
Herzen bewegt.«1) Händel fußt hier auf italienischer Kunst. Er ent-
nimmt zwar den Vorgängen in der Natur musikalische Motive; sie aber
zu einem Spiegelbilde seelischer Affekte auszugestalten, liegt ihm fern.
Mystisches Versenken, wie es der Naturromantik der deutschen Lyrik
eigen, lag außerhalb seines Ideenkreises.
Wie die Venezianer, so verlegt auch Scarlatti nicht selten die
Deutung seelischer Vorgänge in melismatische Gänge der Singstimme,
wobei er regelmäßig an eine textliche Wendung, wie dolor, gioia, dolce,
anknüpft. Doch befleißigt er sich, wie bei den tonmalenden Passaggien,
im Zuge der Gesamtanlage zu verbleiben, sodaß die Unterstreichung nicht
als Fremdkörper störend empfunden wird. Auch standen ihm bereits
eine entwickeltere Harmonie und reichere orchestrale Mittel in solchem
Grade zur Verfügung, daß er diese alten Auskunftsmittel vielfach dort
entbehren konnte, wo sie früher geboten waren. So mischt er wohl auch
gelegentlich die Farben harmonischer und melismatischer Mittel zur
Schärfung des Ausdrucks. Wo im „Clearco in Negroponte" in der Arie
„Dooe mi trasse" von „crudo dolor" die Rede ist, vereinigt er Singstimme
und Instrumente zu einer Modulation, die durch ihre chromatischen Fort-
schreitungen wie ein schmerzlicher Aufschrei wirkt. (E 11.) Auch längere
') Ph. Spitta, „J. S. Bach", Bd. 2, S. 390.
42 Erster Teil.
Tonreihen schildern gerade solche Affekte des Schmerzes vielfach un-
gemein plastisch. (E 12.) Für diese Art der Charakterisierung, die
noch in der Bach-Händelschen Kunst eine Rolle spielt, war ihm sicherlich
Provenzale vorbildlich.
Bedeutungsvoller noch als solche Verwendungen des Melismas sind
für die Entwicklung der Musik gerade auf dem Gebiete der Tonmalerei
diejenigen Gesänge, die auf melismatischen Formeln so beruhen, daß sie
die Gesamtcharakteristik des Stückes bestimmen. Um ein jedermann
bekanntes Beispiel herauszugreifen, erinnere ich an die Arie des Harapha
in Händeis „Samson": „Nein, solch ein Kampf!". Sie erbaut sich auf
martellierten Passaggien der Baßstimme, die keine schildernden Zutaten,
sondern Ingredienzien des Stückes ausmachen, das in ihnen seinen Mittel-
punkt sucht. Scarlatti gelangt zu dieser höchsten, und ästhetisch be-
rechtigsten Form der Koloratur sehr selten. Ich kann aus dem mir zu-
gänglichen Material nur eine Arie aus der »Teodora Augusta" anführen:
„frangerö questi ritorti", (E 13), wo die Entschlossenheit des gefangenen
Orismondo, seine Fesseln zu brechen, durch Passaggien veranschaulicht
ist, um die sich die anderen Teile, als um ihren Mittelpunkt, gruppieren.
Daß die vokalisierenden Tonformeln auf die Form selbst Einfluß
gewinnen, erklärt sich aus ihrer soeben dargelegten Bedeutung. Sie führt
naturgemäß zur Erweiterung der Glieder, sodaß der Vorder- im Ver-
hältnis zum Nachsatz, oder umgekehrt, oder daß ganze Teile zu anderen
in ihrer Ausdehnung vielfach eine Verschiebung der Proportionen auf-
weisen. Scarlatti geht sogar im Streben nach Charakteristik so weit,
die Arienform zu alterieren. Der Arie „AI girär cVun suo bei guardou
im „Tigrane" ist, das girare zu veranschaulichen, eine weit ausholende
Koloratur vorgelagert, deren Schlußteil noch von zwei Violetten und
Cellosolo wiederholt wird, bevor das Thema der Arie einsetzt, in der
auf jene nicht mehr zurückgegriffen wird. (E 14.)
Das Bestreben der venezianischen Schule, die Schlüsse zu be-
festigen, tritt bei Scarlatti noch kräftiger hervor. Vorzugsweise hängt er
dem Ganzschluß in der Tonica eine Coda an, indem er entweder die schluß-
bildende Phrase wiederholt, verbotenus, erweitert, oder, etwa durch Höher-
legung der Singstimme, verändert, oder indem er, häufiger, noch zwischen
diese beiden Schlüsse eine kolorierte Wendung einschiebt. Zuweilen
geht die erste Schlußphrase in einen Trugschluß aus. Diejenigen Kadenzen,
in denen er melismatische Formeln anführt, zerfallen in zwei Gruppen.
In der ersten, der vorherrschenden, erfolgt zunächst Ganzschluß, an den
sich eine mehr oder weniger ausgedehnte Tonformel anschließt, die wohl
auch fremde Tonarten aufsucht und entweder tonisch abschließt (E 15)
oder in die Dominante ausgeht, von der aus, mittels Wiederholung der
Erster Teil. 43
Phrase, die den ersten Ganzschluß herbeiführte, nun die Tonica finalis
erreicht wird. (E 16.) Mehr den Charakter einer Coda nimmt diese
Formel dort an, wo nach dem Ganzschluß noch einmal eine melodische,
der Thematik des Stückes fremde Phrase, mit Unterlegung der letzten
Textworte erscheint. (E 17.) Die zweite Gruppe besteht aus denjenigen
Kadenzen, die sich auf der Dominante mit einer vokalischen Fioritur fest-
setzen, und dann, mit Wiederholung der letzten Textworte, zur Tonica
übergehen. (E 18 und 19.) Dann tritt der kadenzierende Charakter der
Phrase noch besonders durch das Schweigen des Continuo hervor. Hier
haben wir diejenige Kadenz der Altklassiker vor uns, die sie vorbereitend
nennen und die Händel und Bach meist nur andeuten und in der Aus-
führung den Sängern überlassen. Wir können also feststellen, daß diese
Arten der Kadenz der Bach-Händelschen Musik bei Scarlatti und, wie
wir sehen werden, bei der älteren neapolitanischen Schule überhaupt,
vielfach ausgeschrieben worden sind. Sie alle sind an den Takt gebunden.
Agricola berichtet, man habe vor 1710 überhaupt keine andere gekannt.
Bis zu diesem Termine begnügten sich die Sänger, die Endschlüsse selbst
durch Manieren unter Einhaltung des Taktes zu verzieren. Yom Takte
emanzipierte, in der Mehrheit thematisch, also dem Inhalt des Stückes
angelehnte Kadenzen einzulegen, ist erst nach diesem Termine üblich ge-
worden. Daß aber bereits Scarlatti bisweilen auf eine dem Sänger
freigestellte Kadenz gerechnet hat, beweisen solche Stellen, in denen er
sie nur durch wenige Noten andeutet und durch ein hinzugefügtes „ad
arbitrio" der Vervollständigung des Ausführenden überweist. (E 20.)
Im Einklang mit dem bewundernswerten Reichtum seiner motivischen
Gedanken, der ihm gestattet, ungezählte Arien mit immer neuen, sich
selten wiederholenden Themen zu erfinden, steht die rhythmische und
melodische Mannigfaltigkeit der Melismen Scarlatti s im Allegro, wie
im Largo, in der Siziliana wie im 3/2- und 4/4-Takt. Freilich ist, wie
auch die Formen sich in einem kleinen Kreise bewegen, und die Dacapo-
Arie nur in der Ausdehnung der Teile und in ihrer harmonischen Be-
ziehung der Unterteile zu einander Varianten aufweist, ein gewisses Gleich-
maß der Grundstimmung überall zu verfolgen. Kriegerische Stimmungen
z. B. werden allemal durch Tromben in Fanfarentönen und konzinne Be-
handlung der Melismatik angedeutet. Auch auf anderen Stimmungs-
gebieten läßt sich das nachweisen. Mit Vorliebe verwendet Scarlatti
Triolen im geraden Takt. In dem Beispiel (E 21) ist die Bewegung eine
charakterisierende (g audio). Wir hatten in Beispiel E 9 Punkte über den
Noten gefunden; daß sie staccato bedeuten, erhellt aus einer anderen
Stelle derselben Oper, wo über den Punktzeichen ausdrücklich staccato
vorgeschrieben ist. (E 22.) Es steht somit fest, daß diese Art der
44 Erster Teil.
Yokalisation bereits der älteren neapolitanischen Schule geläufig war. Aus
den theoretischen Schriften ist sie nämlich erst für spätere Dezennien nach-
weisbar.1) Unsere Stelle erinnert daran, wie sehr noch Mozart auf dem
Gebiete des koloristischen Gesanges von der neapolitanischen Schule ab-
hängig ist. Auch er gebraucht, wie jene, das Staccato an Stellen, die ein
heroischer Affekt trägt, wie er in unserem Beispiel vorliegt.
Arpeggierte Passaggien mit Zerlegung der Grundharmonie, denen
wir bei Cesti vereinzelt begegnen, werden in dieser Periode häufiger an-
gewendet. In unserem Beispiel E 23 ist auf die Yiola als ergänzende
Stimme gerechnet, die nur durch ein System in Blanco angedeutet ist.
Eine Verquickung von Arpeggien und Terzensprüngen finden wir in E 24.
Scarlatti verwendet kleine, also nicht mensurierte Noten noch
nicht zur Bezeichnung der Vorschläge,1) ebensowenig die in seiner
Zeit bereits üblichen Zeichen für Pralltriller und Doppelschlag, schreibt
diese Manieren vielmehr entweder in Noten aus oder verläßt sich für ihre
Ergänzung auf die Ausführenden. Der Vorschlag erscheint auch jetzt
wiederum weitaus häufiger in jambischer Form, weit seltener trochäisch
betont, und häufiger in der Konsonanz als in der Dissonanz. Wenn
dissonierende Vorschläge selten anzutreffen sind, so erklärt sich das aus
einer Eigentümlichkeit des Systems der älteren Generalbaßniederschrift,
die es vermied, schroffe Dissonanzen auszuschreiben, als ob sie das Auge
verletzen könnten. In der Anbringung dissonierender Vorschläge hat
also Scarlatti vorzüglich auf die ergänzende Tätigkeit des Sängers ge-
rechnet, doch haben wir immerhin einige Beispiele ausgeschriebener
dissonierenden Vorschläge. Unsere Beispiele E 25 — 27 zeigen die kleinere
kürzere Note auf der Arsis, die längere auf der Thesis, jene als Dissonanz,
diese als Auflösung in der harmonischen Funktion, welche die Theoretiker
des 18. Jahrhunderts beschreiben, in E 26 und 27 in der beliebten Form
der Terzenverbindung. E 28 zeigt die seltene Spezies des betonten Vor-
*) Die italienischen Theoretiker des 17. Jahrhunderts erwähnen das Staccato über-
haupt nicht. Muffat „Florilegium secundum" spricht von Staccamento, Disjunctio, Detachement.
2) In Frankreich war der Gebrauch der kleinen Noten für den Vorschlag bereits
längere Zeit eingebürgert. Loulie spricht bereits von ihr im Jahre 1698, und Janowska im
,,Clavis ad Thesaurum", Prag 1701 berichtet: „Quod Galli tunc aut similes modos (sc.
accentus) per notulas minori, quam aliae substantiales sint positae, typo locatos denotent
ita tarnen, ut eae ad computum tactus non veniant quod in operis eorum videre est." In
Italien kann ich sie vor 17 14 nicht nachweisen. Aus diesem Jahre stammt eine Partitur
d. K. K. Holbibl. in Wien: „L'Atenaide, poesia del Apostolo Zeno, musica atto I del
Maria Antonio Ziani, II atto del Antonio Negri, III atto del Antonio Caldara, gl'intermezzi
e la licenza del Franc. Conti." Ziani, noch der alten Schule angehörend, verschmäht die
Hilfsnote und ihre Zeicher, Caldara und Neri als die Jüngeren gebrauchen sie. Es ist die
älteste italienische Partitur, in der ich nicht mensurierte Noten als Vorschlagszeichen fand.
Erster Teil. 45
schlags, E 29 einen veränderlichen langen Vorschlag, einen Vorhalt.
Nachschläge kommen überall als doppelte und einfache vor. (E 30.)
Vor- und Nachschlag werden durch Bogen und Textunterlage genau
unterschieden. Der Doppelschlag erscheint, wie bei den Venezianern,
entweder mit der Vorschlagsnote beginnend, oder mit der Hauptnote ein-
setzend, in der ersteren Form auch bereits zur Verbindung zweier Haupt-
noten. (E 31, 32.) Den Schleifer, den wir bei Luigi Kossi und
Stradella in Uebung finden, benutzt Scarlatti auffallend selten. Von
der gehauchten wiederholten Note macht er vielfach Gebrauch, freilich
nicht mehr als Triller, sondern als Teil der Passaggie. (E 33.) Die
Triller sind überall durch das Zeichen t oder tr angedeutet.
Giovanni Legrenzi.
Unter den späteren Venezianern möchte ich hier noch des als Kirchen-
komponisten berühmt gewordenen Giovanni Legrenzi gedenken, als
eines feinsinnigen Vertreters des Einzelgesanges in Oper und Kantate.
Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich seine Kantaten, die er unter
dem Titel „Echt di rwerenza" 1678 im Druck herausgab,1) als die höchste
Leistung auf diesem Kunstgebiet überhaupt bezeichne. Hier vereinigen
sich alle Vorzüge italienischer Grazie, edelster gesanglicher Schönheit,
Wärme und Liebreiz der Melodie mit der gediegenen Arbeit des ge-
wiegten Kontrapunktisten. Und der Genuß an diesen kleinen Meister-
werken wird uns nicht vergällt durch jene schablonenhafte, die poetische
Form und den Gedanken erdrückende musikalische Formenbestimmung,
wie sie sich bereits zu seiner Zeit festgesetzt hatte. Denn er paßt die
Formen noch der Textunterlage sinngemäß an — nicht gestört durch den
Ueberschwang schönrednerischer vokalischen Floskeln, an falscher Stelle
angebrachter Koloraturen, und kindischer, dem Wort, nicht dem Zusammen-
hange entlehnter Tonmalereien. Auch seinen Opern, in höherem Grade
dem „Totila" von 1677 als dem „Giustiuo" von 1683, 2) kann ich gleiche
Vorzüge nachrühmen, obwohl ihnen, bei aller Schönheit im einzelnen,
doch die überzeugende dramatische Kraft im Erfassen der übrigens durch-
aus interessanten Texte fehlt.
Agostino Steffani.
Nächst Alessandro Scarlatti ist es Agostino Steffani, der für
unseren Gegenstand schon dadurch von vorzüglicher Bedeutung wird, weil
er auf Händel auch durch persönlichen Verkehr Einfluß ausgeübt hat.
') Echi di riverenza Di Cantate e Canzoni Agli applausi festeggianti negli Himenei
delle Altezze Sereniss. Di Marianna, Archiduchessa d'Austria e Giov. Guglielmo, Bologna 1678.
2) Partituren und Libretti in der Marciana, Venedig.
46 Erster Teil.
Wir haben es hier in erster Linie mit dem Opernkomponisten zu tun.
Das Kammerduett, auf dem sein Ruhm vorzüglich beruht, scheidet für
unsere Betrachtungen aus, weil, wie Mattheson betont, hier zwar auch
eine Arie, aber ganz anderen Schlages vorliegt: „denn sie siehet, nebst
einer angenehmen Melodie auf ein fugiertes, oder konzertierendes und
sonderbar-harmoniöses Wesen".
Das Urteil Neißers1) „Steffani stünde hoch über seinen Zeit-
genossen durch die stark ausgeprägte Individualität seiner Persönlichkeit",
dürfte nur auf dem Gebiete des Kammerduetts zutreffend sein. Als
Opernkomponist steht er hinter dem älteren Scarlatti und Keiser
zurück. Es ist hier nicht der Ort, diese meine Ansicht des ausführlicheren
zu begründen. Daß Steffani im Dramatischen von diesen Meistern
übertroffen wird, behauptet schon mit Recht Chrysander.2) Steffani
betrachtet noch in weit höherem Maße die Oper als eine Reihe
von Gesangsstücken. Entscheidend für seine Beurteilung bleibt so-
mit die Frage nach der musikalischen Qualität der Arie und des
Rezitativs. Eine besondere Originalität nun habe ich hier nicht finden
können. Der Melodiebildung ist nicht jene, dem Scarlatti eigene, den
Gesamtinhalt treffende Prägnanz gegeben, sie kann auch, mit einigen Aus-
nahmen, an Schönheit der Linienführung nicht mit dem Neapolitaner ver-
glichen werden. Was aber Steffani auszeichnet, und deswegen widme ich
ihm hier eine längere Betrachtung, ist die meisterhafte Behandlung
der Singstimme. Gesanglich zu denken war den Italienern jener Zeit in
Fleisch und Blut übergegangen, aber doch sahen wir, wie Scarlatti
die Grenzen des menschlichen Organes nicht überall einhält, wo ihn der
Wunsch, zu charakterisieren hinreißt, oder ihm die Konkurrenz mit den
Instrumenten gefährlich wird. Dem Steffani aber führt der Sänger die
Feder. Er vertritt, wie kaum ein anderer, die vornehmste Gesangs-
praxis seiner Zeit. Da ist alles der Mechanik der Stimme genehm,
Koloratur und Manieren wie von der geübtesten Menschenstimme gewisser-
maßen improvisiert. Sein Einfluß auf Händel ist hier ganz offensichtlich.
Zwar hätte diesen sein gesunder, stets auf den Ausdruck gerichteter
Musiksinn vor Ausschreitungen Scarlattischer Art bewahrt, aber die
Feinheit gut italienischer Gesangskunst verdankt er nicht zum mindesten
dem Vorbilde des Steffani.
Allerdings hat die Betonung des Gesanglichen in Steffanis Kunst
auch ihre bedenklichen Seiten. Das zeigt sich vornehmlich im Rezitativ.
Scarlatti hatte, sicher zum Vorteil der dramatischen Wirkung, auf
koloristische Phrasen hier in der Regel verzichtet. Steffani bevorzugt
J) Servio Tullio, eine Oper aus dem Jahre 1685, von Ag. Steffani. Leipzig 1902. S. 13.
2) G. F. Händel, Bd. 1, S. 311 ff.
Erster Teil. 47
sie gerade hier wiederum, wie er denn auch weit häufiger wie der
Neapolitaner in Oestis Manier den Sprachgesang durch ariose Stellen
ablöst. Die Passaggien im Rezitativ verwendet er einmal lediglich
melodisch, regelmäßig am Abschluß, dann aber tonmalend in alter Manier
an ein Wort angeschlossen, oder eine seelische Stimmung charakterisierend.
Jene hat nur den Zweck, den Sprachgesang zu unterbrechen und die
Bravour des Sängers zu zeigen, diese kennzeichnet den Affekt zuweilen
in recht anschaulicher Art.1) E 34 gebe ich den Anfang eines Rezitativs2),
in dem beide Formen auftreten. Prächtig ist der Schmerz der Klagenden
in dem Melisma auf nal pianto mio" geschildert. Zuweilen eröffnet er
sogar das Rezitativ mit einer tonmalenden Wendung, wenn ein Textwort
dazu einladet (E 35), regelmäßig aber schließt er es mit einer Formel,
die entweder nur, wie das die Regel, den Schluß befestigen soll, oder
aber ausnahmsweise den Gedankengang des Ganzen gewissermaßen zu-
sammenfaßt. (E 36.) Bedenkt man nun, daß auch die Arie selbst noch
im wesentlichen auf jene gesanglichen Mittel der Charakteristik ange-
wiesen war, so wird man inne, daß ihre Überführung in das Rezitativ
jene um einen guten Teil ihrer Wirksamkeit bringen mußte. So hat denn
auch die von Steffani beliebte Behandlung der rezitativen Teile nicht
Schule gemacht, und Händel hat sich ihm hier nicht angeschlossen.
Die vokalisierenden Wendungen in der Arie selbst beruhen auf
ähnlicher ästhetischer Grundlage wie diejenigen der Zeitgenossen. Sie
sind entweder melodischer Natur, wollen also nur eine wohlgestaltete
Tonphrase aufstellen, oder nehmen auf den Text Bezug, indem sie Stimmung
und Affekte betonen und ausmalen. Hier zeigt Steffani eine selbst in
jener Zeit des schönen Gesanges seltene Meisterschaft in der Flüssig-
keit der Gänge und in der Fähigkeit, die Stimme ins beste Licht zu
setzen, und zwar nie auf Kosten des Satzbaues und der Symmetrie der
Glieder, oder unter Beugung ihrer natürlichen Leistungsfähigkeit im Wett-
kampfe mit konzertierenden Instrumenten.3) Wohl ist, wie ich Neißer
1) Ich bemerke, dass auch die Ästhetik des 18. Jahrhunderts sehr wohl zwischen
Wortmalerei und Affektschilderung unterschied, So führt Marpurg „Kritische Briefe" 1763,
98. Brief, § 23, S. 267 aus: „Wenn man in der Singstimme einzelne Worte an dergleichen
Malereyen teilnehmen lässt, wie solches manchmal in Arien und Ariosos geschieht, so muss
fürs erste das zu malende Wort eine Ursache oder Wirkung von dem zu Grunde liegenden
Affekte charakterisieren, und also dem Affekte wesentlich seyn. Z. E. das Wort weinen,
wenn von der Reue etc. die Rede ist. Fürs andere muss die Nachahmung zu keinen selt-
samen, lächerlichen, ungeschickten uüd der menschlichen Stimme unwürdigen Wendungen in
der Melodie Gelegenheit geben."
2) Manuscript 21204 d. K. Bibl., Berlin Nr. 10. Vergl. auch Neisser a. o. O., S. 85.
3) Vergl. Neisser a. o. O, S. 108, wo eine Anzahl von Beispielen die Schreibweise
Steffanis veranschaulicht.
48 Erster teil.
zugebe, seine Koloratur in seinen späteren Werken üppiger wie in den
früheren, zu wirklichen Ausschreitungen läßt er sich aber auch dort nicht
hinreißen. Eine Eigentümlichkeit seiner Kolorierung bilden schnell auf-
steigende Tonleitern, die zwei Hauptnoten verbinden. Man begegnet
ihnen überall, auch in ernst getragenen Stücken. In unserem Beispiel
E 37 ist die Trostlosigkeit eines jeder Hoffnung beraubten Herzens im
breiten dreiteiligen Takte geschildert. Selbst hier verbinden die lang ge-
haltenen Töne rasch aufsteigende diatonische Gänge. Ich halte das Bei-
spiel für typisch und glaube, daß Steffani hier nur niedergeschrieben
hat, was sonst die Sänger zuzusetzen pflegten.1)
Die Kadenzen Steffanis gleichen denen Scarlattis. Auch sie setzen
entweder tonisch (E 38) oder dominantisch (E 39) ein und schließen mit einer
kurzen syllabischen Phrase unter Wiederholung der letzten Textworte. Nicht
selten verlegt er die Kadenz in die abschließende Phrase selbst, so daß
das Ganze mit einem Melisma endet. Diese Form nähert sich der großen
Kadenz nach 1710 dann besonders, wenn sie dominantisch auftritt.
Giov. Batt Bononcini und Marc. Antonio Bononcini.
Zu den gefeiertsten Künstlern der älteren neapolitanischen Schule
gehört Giov. Battista Bononcini, dem es eine Zeitlang glückte,
sich in London neben Händel zu behaupten. Seine Qualitäten hat
Chrysander2) zutreffend gekennzeichnet. Die Gesänge seiner für London
geschriebenen Hauptwerke »Astarte" und „Griselda", auch die Kantaten,
die er 1721 dem König Georg widmete,3) weichen von der üblichen
italienischen Schreibweise in solchem Grade ab, daß ich geneigt bin,
nicht wie Chrysander, eine Eigentümlichkeit, besser eine Schwäche seiner
Kunst aus ihnen zu folgern, sondern vielmehr eine bewußte Anpassung
an den Geschmack der Londoner Hörer. Formal sind diese Ge-
sänge zwar in der üblichen drei- und zweiteiligen Form gehalten; be-
trachtet man aber die Melodiebildung und den Verlauf innerhalb der
Sätze, so erkennen wir, daß hier Lieder vorliegen, denen die altgewohnte
Form schlecht und recht angepaßt ist. Und wo einmal ein Thema in
Scarlattis Manier aufgestellt wird, fällt die Fortführung bald wieder
in den Liedton zurück. Wenn Bononcini, der doch bewiesen hatte,
daß er fähig sei, die großen Formen wie andere, minderbegabte, zu
handhaben, diesen kleineren Gebilden sich zuwandte, so gibt es hierfür
nur die Erklärung, daß ersieh einmal Händel in der Handhabung jener
*) Chrysander schreibt einen solchen Gang vor im Messias: „Wie lieblich ist der Boten
Schritt", Takt 8. Klavierauszug Seiffert, S. 99.
2) G. F. Händel II, S. 58 ff u. 65 ff.
3) Cantate e Duetti, London 1721, K. Bibl. Berlin.
Erster Teil. 49
nicht gewachsen fühlte, dann aber, daß das englische Publikum an diesen
Gefallen fand. Und mit dieser Geschmacksrichtung stand er nicht allein.
Bevorzugte doch die deutsche, richtiger die italienische Oper in Deutsch-
land, selbst Namen von gutem Klang, wie ßontempi und Per an da, das
Lied im hohen Grade, und hatte doch sein Bruder Marc Antonio
Bononcini im Jahre 1696 in Neapel mit einer Oper dieser Gattung:
nil trionfo dl Camilla* einen solchen Erfolg errungen, daß sie bald die
beliebteste Oper wurde, 1698 in Venedig, 1706 in Wien, ja noch 1726
in London Wiederholungen erlebte,1) und ihre Arien 1706 von Walsh
unter dem Titel: Songs in tlie New Opera call d'Camüla gedruckt wurden.
Daß sich ein italienischer Komponist der Mode, oder den nationalen
Gepflogenheiten klug anzupassen verstand, war nichts Neues. Hatte
doch selbst der große Cavalli, auf der Höhe seines Ruhmes, sich die
Einlage von Tänzen in seinen für Paris bestimmten „Ercole" gefallen lassen,
ja in der Thematik und Behandlung der Einzelgesänge dem französischen
Liedstil — sehr zum Nachteil des Ganzen — Konzessionen gemacht.2)
Aber früher hatte man Lied- und Arienstil zu trennen gewußt, und jedem
eine individuelle Behandlung zuerkannt. Das Lied der älteren italienischen
Oper ist melodisch schlicht gestaltet, auch die Kantate Scarlattis
differenziert es durchaus von arioser Behandlung. Hier aber in den Gesängen
des Bononcini verknüpfen sich unnatürlich liedmäßige Thematik mit
arioser Form und Aufputz. Die Formen der Arie sind für diese kleinen,
meist anmutigen, aber nirgends in die Tiefe gehenden Themensubstrate
viel zu weit; wir sehen sie gewissermaßen wie unter einem Vergrößerungs-
glase, können das Ganze nicht mehr überblicken, und haften am Einzelnen,
dessen Mängel desto schärfer hervortreten. Die Uebertragung des
kolorierten Stils auf diese liedmäßigen Gebilde erhöht noch die In-
kongruenz zwischen Form und Gehalt. Das mußten auch die Bononcinis
empfinden. Aber sie durften nicht wagen, die gute Laune der Sänger
zu mißachten. Hingen sie doch von ihnen in noch höherem Grade ab,
als Händel. Und so behängen sie denn ihre kleinen Gebilde mit
melismatischem Schmuck, der selbst das einfachste, an das Volkslied
angelehnte Thema erdrückt. E 40 steht ein solcher Liedanfang, der die
Melodie in Triolen zersetzt. Regelmäßig folgt dem Abschluß des Themas
eine Koloratur, die fast ebenso lang ist, wie das Thema selbst. (E 41.)
Auch die Kadenzbildung ist weit ausgiebiger, als es die Substanz er-
tragen kann. (E 42, 43.) Diese Beispiele geben ein typisches Bild
') In der Partit. des Brüsseler Konservatoriums ist übrigens Giovanni Bononcini als
Musiker genannt.
2) Kretzschmar: »Die venet. Oper« etc.. V. Jahrsch. f. Musikvv., p. 1892, S. 54 R.
4
50 Erster Teil.
dieser Kompositionstechnik, besser als der von Chrysander1) mitgeteilte
Gesang „Per la Gloria", der ausnahmsweise die liebliche Melodie für sich
selbst sprechen läßt, ohne entstellende Koloraturen einzufügen. Dort wo
Giov. Bononcini sich auch inhaltlich an die italienische Kunst an-
schließt, hält er in der Melismatik eine mittlere Linie ein. Er behandelt
dann Singstimme und Instrumente in durchaus geschmackvoller Weise,
und weiß auch konzertierende Instrumente zu reizenden Kombinationen
heranzuziehen. E 44 gebe ich ein Beispiel aus „Griselda6\ wo die Oboe
die Singstimme in anmutigen Tongängen umrankt.
Eine auch bei andern Meistern beliebte Art der Charakteristik finde
ich zuweilen bei Bononcini, nämlich die Andeutung der trennenden
Entfernung durch weite Tonsprünge. In der Kantate „Morte peggior
c lontananza"2) wird dieser Begriff durch melismatische Sprünge, bis zur
Dezime, durchaus nicht äußerlich, sondern im Zuge der Anlage des
Stückes geschildert. Aehnlich benutzt Legrenzi3) für diesen Zweck ver-
minderte Quintenschritte.
Ant. Lotti und Ant. Caldara.
Noch habe ich zweier Meister zu gedenken, die in Deutschland an
den Hochburgen italienischer Kunst, in Dresden und Wien ihre größten
Erfolge errangen und in ihrer Heimat zu den ersten Yertretern der Oper,
der Kantate und der geistlichen Musik gehörten: des Lotti und Caldara.
Jener ist ein durchaus ernster, maßvoller und erfindungsreicher Komponist,
der auf dem Gebiete der kirchlichen Musik insbesondere, unstreitig einen
ersten Platz unter seinen Kompatrioten einnimmt, dieser zwar auch ein
gediegener Meister kirchlicher und instrumentaler Musik, aber als Dra-
matiker oberflächlich und dem seichtesten Geschmack der Mode Untertan.
Ihre Stellung in der Behandlung der Melismatik korrespondiert durchaus
mit dieser Allgemeincharakteristik. Lotti bewahrt auch hier eine gewisse
edle Einfachheit. Auch er betrachtet die vokalischen Tonformeln als
Substrat der Melodik, als Mittel der Charakteristik und Tonmalerei, be-
nutzt sie zur Verbindung der Teile und zur Kadenzbildung. Aber das
geschieht überall im Sinne der guten musikalischen Technik der Zeit, mit
großem Geschick in der Behandlung der Stimme, der er weder Kon-
zessionen in bravouröser Hinsicht macht, oder zugunsten konzertierender
Instrumente Unnatürliches, oder auch nur instrumental Gedachtes zumutet.
In die alte Art der Tonmalerei verfällt er selten und geht an Gleich-
nissen oder Wortbildungen, die zu einer tonmalenden Gestaltung auf-
*) A. o. O. II, S. 79.
2) Kantatensainmlung, Ms. der K. ibBl. Berlin, Landsberg 35.
•') Ecfai di tiverenza.
Erster Teil; 51
fordern, in Verfolgung des dichterischen Hauptgedankens, nicht selten
vorüber, und wo er zur Tonmalerei schreitet, vertraut er die malenden
Bewegungen entweder ganz dem Instrumentalkörper (E 45, lästiger Sturm
stört nicht das Schiff eines weisen Steuermannes), oder er läßt ihn in
hervorragender Weise an ihnen partizipieren. Sein Verfahren gleicht also
dem Händeis. In der Kantate „Ru&signolo, che nel duoLo^V) (E 46)
einem Klagelied unglücklicher Liebe, gibt der Ruf der Nachtigall die
tonmalerische Hülle, im Mittelsatz der der Taube. Überall im Ritornell
und in der Begleitung sind es die Instrumente, Oboen und Fagotte im
ersten, Violinen und Violen im zweiten Teil, die mit den Melismen der
Stimme die zartesten Farben zu einem reizenden, feinschattierten bukolischen
Bilde mischen, vergleichbar jenen berühmten Kombinationen lieblicher
Landschaft und Staffage, wie sie aus Watte aus Tafeln bekannt sind.
Wo es gilt, den Affekten der Entschlossenheit, der Rache, des Zornes
zu Hilfe zu kommen, legt auch er, wie es der Brauch der Zeit, der
Stimme feurige rollende Passaggien bei. E 47 ein Beispiel aus Alessandro
Severo, wo der Begriff „beleidigte Treue" wirksam, wenn auch zu lang-
atmig charakterisiert ist. In der Kantate zeigt sich bei ihm zuweilen,
selbst in den liedförmigen Sätzen eine, auch bei anderen Italienern nach-
weisbare Erweiterung der Form durch die Koloratur. Wenn der Satz
„sentir quel Jicoco, in cui godendo io morott zu einem zehntaktigen ersten
Teile benutzt wird, so wird das durch eine Koloratur von fünf Takten
auf „godendo" erreicht.
Lottis Kadenzbildung beruht auf denselben Gesetzen wie die seiner
Zeitgenossen. Auch er befestigt die Schlüsse durchweg durch aus-
geschriebene Kadenzen, entweder durch Wiederholung der letzten Phrase,
oder häufiger durch Passaggien nach vorangegangenem tonischen Ganz-,
Halb- oder Trugschluß, oder dominantischen Einschnitt. Die Kadenz
hält sich dann im Kreise der Tonica oder Dominante. Meist hat sie
keine thematische Beziehung zur Substanz der Arie, entspricht aber viel-
fach rhythmisch den vorangegangenen melismatischen Gängen des Stückes.
Chromatische Tonschritte, wie wir sie in den elegischen Gesängen
des 17. Jahrhunderts bei Cavalli, Melani, Stradella und anderen im
Baß, vielfach obstinat, finden, scheint man anfangs der Singstimme nicht
zugetraut zu haben. Im Anfang des 18. Jahrhunderts, mit dem Fort-
schreiten der gesangstechnischen Virtuosität schreitet man dazu, diatonische
Gänge durch chromatische Fortschreitungen zu unterbrechen. Legrenzi,
Lottis Lehrer, zerlegt einmal2) zur Illustration des Wortes „piango" auf-
x) Als. d. K. Bibl. Berlin, 13210.
2) Echi di riverenza 1678.
4*
52 Erster Teil.
steigende Sextakkorde so, daß Baß und Sopran chromatisch aufwärts
steigen. (E 48.) In Lottis obengenannten Kantaten finde ich gleich-
falls tonmalend einen abwärts geführten, chromatischen Gang. (E 49.)
Das alles sind zunächst nur Ansätze; erst eine weit spätere Zeit führte
diese schwierigste aller Passaggien nicht nur als reinen Schmuckgesang
ein, wie regelmäßig Rossini, sondern auch im Dienste des Ausdrucks,
wie Mozart in den Konzertarien Nr. 1 und 6, Beethoven in der Konzert-
arie „ah perjido" und später Bellini in der „Normet" und in den „Puritemi".
Caldara verdankt seinen Ruhm in erster Linie kirchlichen Kom-
positionen. Sein Cruzifixus zu sechzehn Stimmen und seine Psalmen x)
sichern ihm die Unsterblichkeit. Als Opernkomponist kann ich ihm eine
entsprechende Stellung nicht einräumen. Als Vizekapellmeister des kaiser-
lichen Hofes zu Wien war er genötigt, sich seinen Neigungen dienstbar
zu erweisen. Wien legte mehr als jede andere Pflegestätte italienischer
Kunst, schon seit Cestis Zeiten, auf äußeren Glanz, auf prachtvolle
Inszenierung und virtuose gesangliche Ausführung das größte Gewicht.
Händel holte sich hier seine vorzüglichsten Gesangskräfte. Mit diesen
Verhältnissen werden war zu rechnen haben, wenn wir Caldaras Opern
richtig beurteilen wollen. Zugute kam ihm einerseits der reichere
instrumentale Apparat, unheilvoll ward ihm der Zwang, auf die Bravour
und Kehlfertigkeit der Sänger Rücksicht nehmen zu müssen. Daß ein so
reich begabter, ernster Musiker einem so ausschweifenden und sinnlosen
Koloraturstil die Hand bot, läßt sich kaum anders als durch den Hinweis
auf jene Verhältnisse erklären. Für seine Behandlung der Arienform möge
ein drastisches Beispiel genügen. In der Oper „I dne Dittatori" von 1726
lautet der Text einer Arie: „fiero labbro e ciylio austero non si aecorda col
pensiero ne col cor della beltä", stolze Lippen und ernste Brauen stimmen
nicht zum Gedanken und Herzen der Schönheit (E 50). Hier entartet
die Koloratur auf beltä mit ihren hüpfenden Rhythmen zur Solfeggie, eine
Beziehung zum Textinhalte ist gar nicht mehr zu entdecken.2) Um den
Melismen solche Ausdehnung zu geben, greift er zur Sequenzbildung, die
ja auch andere Meister, aber maßvoller anwenden. Ein knapper Gedanke
wird hingeworfen und fünf-, ja sechsmal auf anderen Stufen wiederholt
(E 51). Daß selbst Benedetto Marcello, der größte Kontrapunktist
Italiens, der geistreiche Kritiker des damaligen Opern wesens,3) dieselbe
Technik pflegt, überdies zuweilen, wie unser Beispiel E 52 erwTeist, in
1) Vgl. Krctzschmar „Führer", II. Abt, erster Teil, S. 320.
2) Auch der unter seinem Einfluss schreibende J. G. Reuter produziert mehr oder weniger
tolle Bravourarien. Vgl. L. Stollbrock: „Leben und Wirken des K. K. Hofkapellmeisters
J. G. Reuter", Viertelj.-Schr. f. Musikw. 1892 S. 295 ff.
3) leatro alla moda 1722.
Erster Teil. 53
recht unsanglicher Art, zeugt wiederum, daß Theorie und Praxis sich nicht
immer decken. Im konzertierenden Stile geht Caldara bis zur völligen
Unsanglichkeit. Wenn Lotti oder Händel einmal der Singstimme, was
übrigens selten geschieht, instrumentale Melodien geben, so geschieht es
sicher eines kontrapunktischen Zweckes wegen, also mit einer gewissen
Berechtigung. Caldara aber zwingt die Stimme zu instrumentalen
Wendungen in kindischer Spielerei, so, wenn er ihr aufgibt, mit dem
Fagotte zu wetteifern (E 53). Als eine der gröbsten Ausschreitungen
dieser Art dürfte der Versuch gelten, die Stimme mit dem Wirbel der
Trommel unisono zu halten, wie es Leonardo Yinci wagt (E 54), ein
Komponist, der überhaupt die Bestimmung des kolorierten Gesanges ganz
verkennt, wrenn er ihn in die banalsten Solfeggien und Tonwendungen über-
führt, die mit Ausdruck und Charakteristik nicht das geringste gemein haben.
Leonardo Leo.
Leonardo Leo gehört mit seinen reiferen Leistungen bereits in die
Periode der zweiten neapolitanischen Schule, schon der Form der Arien
nach, die nunmehr eine Zweiteilung des Hauptteiles erfährt, indem der
erste Schluß in der Dominante oder weiteren Verwandten der Haupttonart
sucht, und der zweite, nach Wiederholung des Hauptthemas, neuen
thematischen Inhalt einführt und den Schluß entweder tonisch oder in
der Dominante macht. Gegenüber diesen Gebilden erscheinen die Arien
Scarlattis klein und kurz gefaßt. Was Leo mit der alten Zeit verbindet
und ihn zum Vorläufer derjenigen Neapolitaner macht, die wiederum eine
mehr dramatische Behandlung betonen, ist sein Streben nach Schilderung
bedeutender seelischen Zustände, mit der er es ernst meint. Ihr paßt er
die koloristische Behandlung der Formen an. Doch auch er verfällt den
Schwächen des italienischen Opernwesens. Da finden sich vielfach störende
Floskeln, die weder dem Gedicht, noch der musikalischen Gesamtanlage
anstehen. Wenn er, um ein Beispiel zu wählen, in der „Ülimpiade" seinem
Helden, der versichert, er werde stolz seinen Weg gehen, „portando in
fronte quel caro nome impresso, come mi sta nel core" auf sta eine spielerische
Passaggie zuteilt, die alle Sängerkünste, wie Triller, Echi, kurze Vorschläge,
und zwar ungebräuchlicherweise von unten, aufweist, so wird sie, wie die
zahlreichen Schwestergebilde, als störende bravouröse Einlage empfunden
(E 55). Immerhin muß man anerkennen, daß er der großen Oper solche
Bravourpassaggien sparsamer einfügt, als dort, wo es ihm darauf ankommt,
alle Künste der Gesangstechnik springen zu lassen.1) Überall bildet er
*) Wie in der Festa teatrale „le Nozze di Psiche con Amore", die gelegentlich der
Hochzeitsfeierlichkeiten des Königs von Neapel, 1734, m San Carlo zur Aufführung kam.
Ms. d. K. Bibl. zu Berlin.
54 Erster Teil.
weitausgreifende Kadenzen in der oben geschilderten Form. Wie schon
Scarlatti eröffnet er zuweilen die Arie mit einer dem Sänger freigestellten
Kadenz, worauf ein ad arbitrio über den wenigen ausgeschriebenen Noten
hindeutet (E 56).
Emanuele Astorga.
Schließlich muß ich noch eines Meisters gedenken, dessen Ruhm auf
nur einem Werke steht, seinem Stabat mater, des Emanuele Astorga.
Seine Kantaten — Opern seiner Arbeit sind bisher nicht bekannt geworden —
wiegen leicht.1) Sie bieten angenehme, wohlklingende Musik, gehen aber
kaum irgendwo in die Tiefe. Schon die Textwahl zeigt, daß es ihm um
intime Unterhaltungsmusik zu tun war, denn sie wendet sich an erotische
Empfindungen, hütet sich aber, pathetisch zu werden. Bemerkenswert ist
die feinsinnige, vom Zeitgebrauch emanzipierte Behandlung des Melismas,
das überall äußerst sparsam, in kurzen Wendungen, in melodischer Funktion,
selten tonmalend verwendet ist.
Das italienische Oratorium.
Es erübrigt noch einen Blick auf den Einzelgesang des Oratoriums
der Italiener zu werfen.2) Glaubt Bontempi3) die stilistische Eigenart
des Oratoriums gegenüber der Oper dahin präzisieren zu können, daß
einmal hier der Chor fehle, dann aber dort den Sologesängen eine kunst-
vollere Setzart entspreche, so steht diese Unterscheidung bereits für die
Zeit, um welche sie vorgenommen wurde, also um 1662, nicht im Ein-
klänge mit den tatsächlichen Verhältnissen und entbehrt für die Folge-
zeit jeder Berechtigung. Denn einmal fehlte es in den großen Opern
durchaus nicht immer an Chören, wie sie denn in Scarlattis Spät-
werken vielfach eintreten, das Oratorium selbst beschränkte ihre Tätigkeit so
sehr, daß sie hier fast nicht mehr bedeuteten, als an der Oper. Dann
aber kann man von einem kunstvollen Stil im Oratorium wohl in Bezug
auf den mehrstimmigen Einzelgesang sprechen; aber auch er bildet kein
unterscheidendes Merkmal; denn auch zahlreiche Opern, wie die des
Legrenzi und Steffani, führen Ensemblesätze, vorzüglich Duette von
durchaus kunstvoller Arbeit mit sich. Für den Einzelgesang aber kann
ich einen wesentlichen Unterschied der Behandlung nicht feststellen.
Weder das begleitete Rezitativ „das edelste Stück italienischer Kunst"
(Kretzschmar), noch die Arie selbst zeigt gegenüber der Oper Wesens-
l) Ich urteile nach den Sammlungen seiner Kantaten auf den Bibliotheken von Berlin
und München.
5) Das zutreffendste Urteil über dieses Kunstgebiet bei Kretzschmar: »Führer durch
den Konzertsaal«, IT, 2.
3) Einleitung zum »Paride« 1662.
Erster Teil. 55
Verschiedenheit. Nur in der sorgfältigeren Behandlung der Begleitungs-
stimmen und den längeren Yor- und Nachspielen, wie sie besonders
Caldara einführt, hat das Oratorium vor der Oper einen Vorsprung.
Carissimi und Lnigi Rossi.
Die Melismatik des italienischen Oratoriums korrespondiert denn
auch im wesentlichen mit ihrer Behandlung in der zeitlich parallel gehenden
dramatischen Musik. Und das schon bei Carissimi. Im Gegensatz zur
Kantate steht er hier noch auf dem Standpunkt der älteren römischen
Oper. Seine Kolorierungen wollen regelmäßig der Dichtung nachfühlen
und ihre Stimmungen in Musik umsetzen, während sie selten rein melodisch
gemeint sind. Das erstreckt sich auch auf die Partien des Historicus,
die, wie Bachs Rezitative, musikdramatische Deklamationen vorstellen
und bestimmt sind durch die Gefühle und Leidenschaften, die darin an-
gedeutet werden sollen x) Deshalb wird auch bei ihm das Rezitativ des
Historicus streckenweis rein musikalisch, wo er es unternimmt, Seelen-
zustände zu veranschaulichen, wie in nJepIitau, wo die Freude der Tochter
über die siegreich aus dem Feldzug zurückkehrenden Ihrigen ausgedrückt
ist.2) Überall, wo es gilt, Affekte der Freude zu illustrieren, erscheinen
größere, frisch bewegte Passaggien, wenn im nludicium Salomonisa die
echte Mutter ihre Genugtuung über Salomonis Urteil ausspricht, oder
wenn die Genossen Baltazars ihren Übermut austoben.3) Eigen ist ihm
die aus Terzensprüngen gebildete Passaggie, die im nIudicium Salomonis*
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auf das Durchschneiden des Schwertes, dann später, wo Salomo Gott
um Erleuchtung bittet, daß er ein gerechtes Urteil fälle, bei dem Wort
„discernere*, auf ein scharfes Erkennen der Wahrheit hindeutet, endlich im
„Jonas" das Brausen des Sturmes wiedergeben will. Daß diese Bewegungen
gesanglich unbequem, wußte der Meister sicherlich; denn in der Kantate
habe ich solche Wendungen nirgends getroffen. Aber im Oratorium
steht ihm die Plastik des Ausdrucks höher als Glätte und leichte Aus-
führbarkeit.
Mit dem Zurücktreten des dramatischen Elements in der Oper, mit
dem Erstarken der hier und in der Kantate entwickelten Formen, vor-
züglich des strophischen Liedes und der Arie, rezipiert auch das Oratorium
') Vgl. Heuss, Bacb-Jahrb. 1904, »Bachs Rezitativbehandlung«, S. 85 ff.
2) Chrysanders Ausgabe der Kant. Carissimis, Bd. 2 der Denkmäler der Tonkunst.
3) Vgl. insbes. a. o. O., S. 54 fr.
56 Erster Teil.
diese Bildungen und unterliegt bald dem Einfluß jener Kunstgattungen
um so eher, als die Dichter ihre Handlungen immer öfter dem dramatischen
Zuge ihrer Zeit anpaßten, und die betrachtenden Oratorien, die an Ca valier e's
Rappresentazione anlehnten, immer mehr zur Ausnahme wurden.
Giulio Allessandri.
So gerät bereits Giulio Alessandris »Santa Francesca Romana" in
die Bewegung, die Cesti in der Oper inauguriert hatte. Wortmalerei und
melodische Koloraturen, Arien mit konzertierender Trompete (E 57), auch
die Grundformen der Gesänge sind die der venezianischen Oper. Nur
die Person der heiligen Francesca erscheint ihm zu verehrungswürdig,
auch ihren Part mit schönrednerischen Wendungen zu beladen. Er ist
vielmehr syllabisch behandelt, und wo sich einmal ein Melisma einstellt,
hat es eine erkennbare Beziehung zum Text, während die andern Handelnden,
auch ihr Sohn Battista sich in üppigen Tonformeln, wie wir sie aus Cestis
Porno d'oro kennen, nicht genug tun können, und das selbst an Stellen,
wo die religiös-moralisierende Sentenz sie auch für diesen Standpunkt
auszuschließen scheint, wie in der Arie des Battista: e tormente ogni
<jioir, che per metä il Ciel non ka, e martir, se hm par felicita. (E 58.)
Caldara.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, diesen Assimilationsprozeß hier
im einzelnen zu verfolgen. Stradella, A. Scarlatti und Caldara
haben ihn vollzogen. Wer die Unabhängigkeit, die Größe Hand eis als
Oratorienkomponisten verstehen will, der studiere die zahlreichen Partituren
Caldaras der K. Hofbibliothek hrWien. Erst der wird den erhabenen
Geist dieses Heros zu würdigen lernen, der sieht, auf welche Abwege selbst
ein Komponist geraten konnte, dem wir die würdigste Kirchenmusik jener
Zeit verdanken.1) Ich will nicht in Abrede stellen, daß diese Oratorien
auch Gesänge würdiger Haltung, ja wirklich frommer Stimmung auf-
weisen; so die Arie der Maddalena »pompi inutili" in dem betrachtenden
Oratorium »Maddalena a piedl di Christo" (1713), oder die erste Szene in
nla morte d'Abel" (1732). Was aber wollen sie besagen gegenüber der
überwältigenden Mehrzahl jener im geschmacklosesten Barock gehaltenen
und in der Flachheit einer jedem religiösen Empfinden ab- und der
seichtesten Tonspielerei zugewandten Handwerksmusik verlaufenden
Bildungen. Wie in der Oper so mußte Caldara auch hier einmal auf
die musikalische Halbbildung seiner Hörer, dann aber auf die Eitelkeit
der Gesangsvirtuosen Rücksicht nehmen. Daß sie ihn zu so traurigen
Ausschreitungen verführten, bezeugt, welch geringe Vorstellung von der
J) Denkmäler der Tonkunst in Oesterr., Bd. 13, 1. Teil.
Erster Teil. 57
Würde der Kunst damals in Wien, gerade in den Kreisen der Gesellschaft
herrschte. Naturgemäß empfinden wir sie hier noch peinlicher, als in der
Oper, vorzüglich wenn koloristische Nichtigkeiten Heiligen oder gar Christus
selbst in den Mund gelegt werden. Selbst in einem seiner gelungeneren
Werke, der „Afaddalena a piedi di Christo", das nicht selten hoheitsvolle,
ja ergreifende Töne findet, und zur Koloratur nur greift, wo die „irdische
Liebe" den Flitterglanz des Lebens schildert, maß Christus am Schlüsse
der Phrase „ride il viel, gVastri brillano, e piu lucidi sdntülano sovra un
anima che piange" (Es lacht der Himmel, die Gestirne glänzen und strahlen
glänzender noch herab auf eine Seele, die klagt) ein langes Melisma aus-
führen, das nicht einmal diesem Gedanken, geschweige denn der erhabenen
Person Christi ansteht (E 59). Daß es ihm, hier wie an anderen Stellen
ähnlicher Art, nur um die Zurschaustellung der technischen Fertigkeit
seiner Sänger zu tun war, wollen wir zu seinen Gunsten annehmen, und
dürfen es daraus schließen, daß er doch nicht selten feinfühlig und treffend
durch vokalische Tongänge zu charakterisieren weiß, die weder durch ihre
Ausdehnung noch melodisch ins Bravouröse verfallen, sondern wirklich im
Dienste des Ausdrucks stehen, wofür ich E 60 ein Beispiel aus demselben
Oratorium anführe, das eine prächtige Schilderung des Wortes „pene"
enthält. Solch gelungenen, im Rahmen des Ganzen gehaltenen Malereien
gegenüber stehen aber zahlreiche nur an das Wort angelehnte — bei
Caldara wie bei anderen Italienern — , die nicht bloß zur Würde des
Gegenstandes, sondern geradezu zum Sinne des Satzes, der zur Yertonung
steht, disharmonieren. Die Arie des Pharisäers Levi im „Gesü presentato
nel Tempio" (azione sacra, 1735) spricht den Gedanken aus: Der Eifer
deines Hauses und deines Ruhmes, o höchster Gott, zittert (freme) in
meinem Herzen. Ganz ohne inneren Zusammenhang mit ihm entfallen
dem Worte freute tremolierende Noten in den Geigen und kleine in der
Sequenz wiederholte melismatische Phrasen in der Singstimme, ein Beispiel
übrigens für viele, daß nunmehr auch der orchestrale Apparat tonmalend
herangezogen wird (E 6*1). Caldaras Melismen haben überhaupt in dieser
Funktion der eigentlichen Wortmalerei selten die Fähigkeit wirklicher
Gestaltungskraft. Sie vermögen kaum irgendwo eine Vorstellung des zu
Schildernden zu erwecken und entgleisen aus dem Charakteristischen ins
Galant-Spielerische. Wo er im „Morte oVAbel" versucht, das Wort „torbido"
in dem Ausspruch der Eva, die Kain vor Eifersucht warnt: „Was soll
aus dem Fluß in seinem langen Laufe werden, wenn er schon an der
Quelle so unruhig (torbido) schäumt" zu illustrieren — übrigens der Sentenz
ganz bedeutungslos — so kommt es trotz des Aufgebotes konzertierender
Violinen, der Viola und des Cellos doch nur zu einem anmutigen Tonspiel,
ohne daß der beabsichtigte Effekt erreicht wird (E 62).
58 Erster Teil.
Mein Urteil über das italienische Oratorium und seine Stellung zur vokalen
Ornamentik kann ich mit diesem Hinweis abschließen. Es hat hier seine
Stelle in erster Linie gefunden, um die Großtaten eines Bach und Händel
ins rechte Licht zu setzen. Mit dem Maßstab der zeitgenössischen italienischen
Produktion gemessen erscheinen sie noch höherragend, noch erhabener.
Die Manieren der älteren neapolitanischen Schule.
Während ältere Komponisten, deren Lernjahre noch ins 17. Jahr-
hundert fallen, wie AI. Scarlatti, und selbst noch Händel, überwiegend
an der alten Notierungsmethode festhalten, beginnt die jüngere Generation
nunmehr die kleinen Ornamente durch kleingeschtiebene, nicht in den Takt
eingeteilte Noten, oder durch Zeichen über dem System anzudeuten. Damit
gelangte ein in Frankreich bereits im 17. Jahrhundert geübter Brauch auch
in Deutschland und Italien zur Annahme. Einige Autoren schwanken in
der Methode, bald die Verzierungen auslassend, wo wir sie erwarten, bald
sie in Mensuralwertcn ausschreibend, bald die kleine Note und Zeichen
wählend. Auch in der nächsten Epoche, also noch Tosis Lehrwerk,
gehen die Systeme noch nebeneinander her, wie denn Händel meist in
der alten Manier notiert, zuweilen aber doch auch einen Vorschlag mit
der kleinen Note andeutet, während Bach überall ausgiebig von ihr und
den Zeichen Gebrauch macht.
Es ist hier, wo es sich noch nicht darum handelt, die Bewertung der
kleinen Note festzustellen, nur von Interesse zu erwähnen, daß den Italienern
um und nach Scarlatti der unbetonte, jambische Vorschlag weit
geläufiger ist, als der betonte trochäische, gegenüber der Behauptung
Pli. Em. Bachs und Agricolas, er sei stets in dieser Weise auszuführen.
Beispiele erübrigen sich, da jede Seite der Partituren dieser Epoche für
unsere Behauptung zeugt. Wohl finden sich auch zahlreiche kurze betonte
Noten, in ausgeschriebenen Werten, aber nicht in der Funktion der Vor-
schläge, sondern als Hauptnoten, Leitereigen zum Baß, während die längere
Note den Durchgang vorstellt. Der zweinotige, rasche und betonte
Schleifer, von dem Scarlatti selbst seltener Gebrauch macht, rückt in
dieser Periode zu einer der beliebtesten Figuren auf, so daß er nicht nur
im Melisma eine große Rolle spielt, sondern das Thema selbst bestimmt.
Ungezählte Arien beruhen in ihrer Thematik geradezu auf ihm. Bach
benutzt ihn häufiger noch als Händel, so daß man sagen kann, daü er
eine Eigenart seiner Rhythmik vorstellt. Der Doppelschlag behält seine
Bedeutung. ] Läufig erscheint nunmehr der Kettentriller, also eine Folge von
Trillern auf ansteigenden Noten, die natürlich mit der oberen Hilfsnote ein-
setzen und meist einen doppelten Nachschlag hinter sich haben. Händel ver-
steht, diese Figur auch dem Zwecke der Charakteristik dienstbar zu machen.
Erster Teil. fr>(,)
Kapitel IL
Die französische Theorie nnd Praxis.
Bedeutung der Lehre für die französische Kunst
und ihr Einfluß im Auslande.
Sahen wir uns für die italienische Ornamentik darauf beschränkt,
aus den Werken der praktischen Musik die Begriffe zu abstrahieren, so
bieten uns hier zahlreiche theoretische Werke französischer Autoren einen
Einblick in das Verzierungswesen ihrer Kunst. Für die dem Gegenstand
beigemessene Bedeutung spricht nicht allein die Zahl der einschlägigen
theoretischen Werke, sondern auch der Umfang und die Ausführlichkeit
der Erörterungen. Bacilly setzt in den „remarques curieuses" von 1669
an die Spitze des 12. Kapitels »des ornements du chant" den Satz, daß,
gleichwie im allgemeinen zwischen la beaute und Vagrement unterschieden
werde, so auch im Gesänge ein Stück schön sein und doch nicht gefallen
könne, wenn es nicht mit den nötigen „orTiements? ausgeführt werde.
Es bedarf einer Rechtfertigung, daß ich die französische Lehre vor
der deutschen abhandle. In Wahrheit hat sich Deutschland in diesem
Jahrhundert bis tief ins 18. Jahrhundert hinein wesentlich rezipierend
verhalten und untersteht italienischem und noch mehr französischem
Einflüsse in solchem Grade, daß von einer Selbständigkeit noch nicht
gesprochen werden kann. Gingen doch die besten deutschen Meister ins
Ausland, sich die fremde Art an Ort und Stelle anzueignen. Froberger
zog in den fünfziger Jahren nach Paris in der ausgesprochenen Absicht,
die Manieren und den Geschmack, welchen Galot und Gaultier für die
Laute aufgebracht hatten, dem Klavier anzupassen.1) Georg Muffat
weilte gleichfalls sechs Jahre in Paris, um Lullys Schreibweise und
Verzierungswesen kennen zu lernen, wurde später Schüler Pasquinis in
Korn und schaffte, wie er sich ausdrückt, so den gemischten Geschmack,
und selbst noch Quantz meint, den Franzosen hätten wir die Manieren
zu verdanken.
Ursprung der französischen Ornamentik.
Das Volkslied.
Die französische Ornamentik darf als uralte Wesenheit des Volks-
liedes betrachtet werden. Keine Frage, daß von ihm aus, unabhängig
vom italienischen stilo rappresentatioo, der Kunstgesang, die Airs, beeinflußt
ward, wenngleich mit der fortschreitenden Beliebtheit der italienischen
Musik, etwa von 1645, dem Aufführungsjahr von Luigi Rossis Orfeo,
l) Fleischer. „Denis Gaultier." Viertel-jahischr. für Musikwiss. 1886.
fiO Erster Teil.
an, auch italienischer Einfluß sich geltend machte. Berichtet doch Bacilly,1)
daß Bailly, der bereits am Anfange des 17. Jahrhunderts, also zu einer
Zeit, wo die italienische, neue Kunst noch keine Verbreitung gefunden
hatte, lebte, als Erfinder der Ornamentik zu betrachten sei. Das ist nun
nur in dem Sinne zu verstehen, daß er es war, der sie in den Kunstgesang
eingeführt habe. Ohne Vorbild kann er nicht gewesen sein, und daß das
in erster Linie nur das Volkslied gewesen sein kann, ergibt sich einmal
aus seiner großen Verbreitung und Beliebtheit im 16. Jahrhundert, dann
aber aus dem Fehlen jedes anderen Kunstgebildes, an das er sich, wie
die Italiener an das kolorierte, mehrstimmig gedachte und solistisch aus-
geführte Madrigal, hätte anlehnen können; denn an eine direkte Übertragung,
etwa aus dem gregorianischen Gesang oder dem kontrapunktischen Gesang
älterer Zeit, wird man nicht zu denken haben.
Auf den Reichtum der ornamentalen Melodik des französischen und
bretonischen Volksliedes, und auf die bewußte Anlehnung der jungen
Kunstgesangschule des 17. Jahrhunderts an sie, hat bereits Weck erlin2)
hingewiesen. Tiersot3) schließt sich auf Grund einer ausgezeichneten und
tiefreichenden Kenntnis der chansons seiner Heimat dieser Anschauung an.
Unter Zurückweisung der von Fetis vertretenen Ansicht, orientalische
Einflüsse hätten sich hier geltend gemacht, vindiziert er der Melismatik
des Volksliedes seine autochthone Eigenart. So weit möchte ich nun freilich
nicht gehen. Bei den weit reichenden Beziehungen des alt-gregorianischen
Gesanges zum Volkslied, bei der vielfach nachweisbaren Rezeption
gregorianischer Elemente durch das Volkslied4) erscheint auch für die
Entwicklung auf französischem Boden ein ähnlicher Prozeß mindestens
wahrscheinlich. Seine weitere Verfolgung gehört nicht hierher; denn
jedenfalls war er bereits, als das Volkslied seinen Einfluß auf den künst-
lerischen Sologesang zu äußern begann, längst abgeschlossen. Auf die
Ornamente des Volksgesanges näher einzugehen, liegt gleichfalls außerhalb
der Aufgabe dieser Arbeit. Es genügt unter Verweisung auf Tiersots
angeführtes Werk festzustellen, daß alle jene Verzierungen, denen wir in
der Folge begegnen werden, hier vorbereitet, ja zum Teil vollständig
entwickelt sind.
Einfluss der Instrumentalmusik.
Aber der Volksgesang allein war es nicht, der den französischen
Kunstgesang beeinflußte. Die Instrumentalmusik hat auch hier, genau
1) a. o. O.
2) Neue Ausgabe von Cambeits „Pomone".
3) Ilistoire de la chanson populaire en France, Paris 1889
4) Fleischer, Sammeln, d. Int. Mus.-G. 1899.
Jirster Teil. 61
so wie in Italien, der älteren Schwester vorgearbeitet. So wie wir für
die italienische Musik im 16. Jahrhundert in Italien festzustellen hatten,
daß die jung erblühte instrumentale und konzertierende Musik für die
Ausgestaltung des Diminutionswesens von hervorragender Bedeutung ge-
worden, so ist auch auf französischem Boden zur selben Zeit instrumentale
Kunst, insbesondere das Lautenspiel, für das Verzierungswesen im Ge-
sänge mitbestimmend geworden, wobei hier unerörtert bleiben kann, in-
wiefern sie wiederum von der älteren, kontrapunktischen Musik beeinflußt war.
Port de voix. Mersenne und Bacilly.
Wir wenden uns nun der Darstellung des Yerzierungswesens zu,
wie es uns die Theoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts überliefern,
und beginnen mit derjenigen Verbindung, die sie als port de voll- be-
zeichnen. Sprachlich bedeutet sie, wie das italienische Portamento: Tragen
der Stimme, also jene Verbindung zweier Töne, die in allmählichem An-
beziehungsweise Abspannen der Stimmbänder erreicht wird, im Gegen-
satze zum Legato als ihrer plötzlichen Umstellung. Es ist zu prüfen,
ob auch damals dieser sprachliche Begriff sich mit dem musikalischen
deckte. Die italienischen Quellen kennen das Portamento in diesem Sinne
nicht, aber in Frankreich entspricht tatsächlich zunächst der sprachliche
Begriff dem musikalischen. Mersennes1) Definition des port de ooiu
bestätigt das. Unter Verweisung auf sein Beispiel führt er aus: enfin la
roi.r .sc coule et passe de re ä mi} comme si eile tlrait le re apres -soij, et
qii'elle coniinuast ä rempllr tout V Intervalle ou degre de re ä ml par une suite
non Interrompue et (///'eile rendist ses deux sons Continus, und an anderer Stelle
heißt es: en montant doueement et com nie par an mowoement continu jusque
ä Vaecord re (nämlich von ut) Die hier geschilderte Verbindung kann
nur im Sinne unseres Pm'tamento gemeint sein. Gleichzeitig entnehmen
wir aber dem Beispiel (Anhang F I, 1), daß eine Diminution der ge-
schriebenen Noten erfolgte, indem das letzte Viertel der ersten ganzen
Note zu einer Wiederholung des Tones und gleichzeitig als Ansatz zum
Hinauftragen der Stimme benutzt ward. Mersenne erläutert dies: afin
de signifier que la wuc doit passer de ut ä re (s. Beispiel) en frappant
legerement le re (die Silbe) sur le .sott Put, et en montant doueement etc.
(wie oben). Es ist mithin zweifellos, daß sich im port de ooix zwei Be-
griffe vereinigen, das Hinauftragen der Stimme zu einem höheren Intervall
— hier im Ganz- oder Hulbton — und die Zerlegung der ersten Note
in zwei, so daß ihr ein Viertel abgezogen wird und einer Hilfsnote dient,
die auf dem Text der nächsten, also zweiten Hauptnote auszusprechen ist.
) Harmonie universelle, Paris 1636.
62 Erster Teil.
Es entsteht somit ein jambischer Vorschlag. Nimmt man noch von den
von ihm mitgeteilten Diminutionen der Airs de Boesset Einsicht, welche zahl-
reiche ports de ooix enthalten (Anhang G 1), so stellt sich heraus, daß die
eigentlich sekundäre Teilung der ersten Hauptnote hier zur Hauptsache
wird. Freilich mag auch hier noch die Verbindung eine portamentale
gewesen sein, aber der Verlauf der Darstellung wird uns belehren, daß
das begriffliche Moment des port de ooiv, des Tragens der Stimme, schließlich
hinter dem Nebenbegriff, der Diminution, des Vorschlags, zurücktritt.
Schon bei Bacilly beginnt diese Verschiebung. Zwar geht auch er noch
von der portamentalen Verbindung, als der begrifflich richtigen, aus, (et
assurement le mot mesme porte la signification% est le transport qui *e fait
pur un coup de gosier oVune note inferieure ä une mperieure), und an anderer
Stelle erläutert er die Verbindung durch den port de voix von mi zu fa
Diesis dahin, daß das dazwischen liegende fa naturale gestreift werde,
was nur durch ein schweres Portament zu erreichen ist, und endlich heißt
es an dritter Stelle: il ne faüt pas simplement glisser nonchallemiment le coup
de gosier, et qui nomme rudesse, ce qui doit appeler fermete, aber die nun
folgende Klassifikation erweist die Zulassung von Verbindungen neben
der eben geschilderten portamentalen, die auf einen Vorschlagsrhythmus
ohne Tragen der Stimme hinauslaufen. Er unterscheidet nämlich 1. port
de ooix plein, das schwerste Portamento, stets von einem tieferen Ton zu
einem höheren, aber in allen Intervallen. Die tiefere, erste Hauptnote
ist auszuhalten, aber im letzten Teil bereits für die nächste Silbe und
den coup de gosier, das Hinauftragen der Stimme, zu verwenden. Nach-
dem die höhere Note erreicht ist, wird sie angegeben, wiederholt und
ausgehalten. Das Beispiel ist im Anhang rekonstruiert.1) (F I, 2 a.) 2. Im
demy pnrt de ooix ist die Verbindung eine leichtere, wahrscheinlich unserm
legato entsprechend: le coup de gosier se fait aoe.c moins de jermete et
beaueoup plus delicatement. Die obere Note wird nur ganz leicht nach
der Verdoppelung angegeben und ausgehalten. 3. Le Port de ooi.r glisse
oder Coule, gleich dem port de oolr perdu sub 4. als Unterart des de/////
port de ooi.r behandelt, teilt gleichfalls die erste Hauptnote in zwei Noten
kleineren Wertes und beläßt der oberen, zweiten Hauptnote den vollen Wert.
Auch scheint hier ihre Verdoppelung nicht einzutreten. (F I, 2 b.) 4. Der
port de ooi.r perdu gibt der Hilfsnote einen Teil des Wertes der ersten
und den größten Teil des Wertes der zweiten Note, während diese selbst
erst ganz am Schlüsse eintritt, ähnelt also unserm Vorhalt, dem ver-
änderlichen Vorschlag des 18. Jahrhunderts. (Anhang F I, 2 c.) Diese
J) Die Sammlungen der Airs, auf die Bacillys Buch überall hinweist, sind nicht auf-
findbar.
Erster Teil. 63
Zerlegungen und Verbindungen statuiert Bacilly zwischen allen Inter-
vallen, nur ascendendo, sodaß die der ersten Hauptnote abgezogene Hilfs-
note den Vorschlag bildet. Nur bei Terzen soll die dazwischen liegende
Sekunde als Hilfsnote dienen. (Anhang F I, 2 d.)
Für unsere Untersuchung ist vor allem die Tatsache von Interesse,
dalj hier die Vorschlagsnote überall jambisch erscheint, ja geradezu
als zeitliche Antizipation behandelt ist; selbst der Vorhalt als port de voiv
perdu erweitert sich auch auf Kosten der ersten Hauptnote.
Für die weiteren subtilen Unterscheidungen Bacillys haben wir
heute kein Verständnis mehr, aber geschichtlich wertvoll ist uns die
Parallele zur italienischen Kunst des Sologesangs. Noch in weit höherem
Grade als dort führt die Reizlosigkeit der mageren Melodik der älteren
kunstgesanglichen Produktion zu einer raffinierten Vortragskunst, zu einer
alle geraden Linien in eine Unsumme von Kurven auflösenden Melismatik.
Lehrreich sind in dieser Hinsicht die von Mersenne mitgeteilten Ver-
änderungen einer Arie von Boesset durch Billy und Moulinie, sowie
die Verzierungen Bacillys in seinen Melanges d'atrs von 1671 und seinen
Receuils de hait livres de chansons pour boire von 1699 (wohl eine spätere
Auflage), aus denen ich einige Stellen im Anhang mitteile. (G 1 — 3.)
Sie zeigen, daß sich auch hier, ebensowenig wie bei den Italienern, Theorie
und Praxis ganz decken. Der port de voix kommt überall auch abwärts
vor, aber nur zwischen Sekunden und Terzen. Die Praxis scheint bei
weiteren Intervallen längere und ausfallendere Passaggien vorgezogen zu
haben. Den port de ooix gestattet Bacilly, wie auch andere Verzierungen,
nur auf langen Silben, in unserm Sinne betonte Silben, wobei er davon
ausgeht (troisieme partie chapitre premier), daß das Französische gleich
dem Lateinischen kurze und lange Silben unterscheide. Diese Be-
schränkung auf betonte Silben, und somit auf betonte Taktteile, wird von
der Theorie und Praxis eingehalten. Deklamatorisch ist ihr damit über
die deutsche Musik ein erheblicher Vorsprung gesichert.
Jean Roussean.
Bei Jean Rousseau, Methode claire, certaine et /adle pour
apprendre ä chanter, Amsterdam 1678, ist die ursprüngliche Bedeutung
des Tragens der Stimme aus dem port de eoi.e gänzlich ausgeschaltet.
Die Ausfälle Bacillys gegen seine Gegner, welche sich bereits zu dieser
Begriffsbestimmung bekannten, lassen daraufschließen, daß die Umgestaltung
des ursprünglichen Begriffs sich seit Mersennes Zeiten allmählich voll-
zog. Die Gegner Bacillys und Rousseau selbst betrachten diese Ver-
zierungen nur noch rhythmisch, als Verbindung selbst ist das schlichte
Legato vorausgesetzt. Harmonische Beziehungen lassen sie gänzlich
f)4 Erster Teil.
außer acht. Unterbegriffe kennt Rousseau nicht, er spricht schlechthin
vom poH de üoir, in dem Sinne einer Zerlegung einer Note in zwei
kleineren Weites, von denen die zweite, die Hilfsnote, mit der folgenden
Note auf der ihr entfallenden Silbe verbunden wird. Ferner kann die
erste Note ihren Wert behalten, im Werte der nächsten noch einmal an-
gegeben und mit der folgenden auf der ihr entfallenden Silbe verbunden
werden. Dort liegt ein jambischer, hier ein trochäischer Vorschlag vor.
(Anhang F I, 3.) Dabei geht er aber als Regel von jenem aus, dieser
soll nur statthaben nach einer kurzen Note und vor einer zweimal längeren,
also nach einem Achtel und vor einer Minima, nach einem Sechzehntel
und vor einem punktierten Viertel. Daß hier eurhythmische Gründe
maßgebend sind, ist nicht zu verkennen. Die zeitliche Antizipation des
Vorschlags und die so entstehende Häufung kurzer Noten dünkt ihn als
zu schroffer Gegensatz zum anschließenden langen Ton. Man sieht, wie
ungemein sorgfältig auch ästhetisch abgewogen wurde. Der jambische
Vorschlag, den er im strengen Zeitmaß und Rhythmus und nur vor der
Thesis auf betonten Silben wünscht, deckt sich mit demjenigen Bacillys.
Auch er ist nur zwischen aufsteigenden Noten zulässig; nur wenn der
Baß gesungen wird, dürfen sie sur les cadences auf- und abwärts zwischen
Quarten und Quinten angebracht werden. (Anhang F I, 3.)
Etieune Loüli6.
Einen weiteren Ausbau, der der vorausgreifenden Praxis gerecht wird,
erfährt unsere Lehre in Loulies Elements ou Pr'mcipes de musique
von 16üG. Seit J. Rousseaus Zeit, erfahren wir, war es üblich ge-
worden, Verzierungen in kleinen, in den Takt eingeteilten Typen zu
notieren. Les petits sons se marquent pur des notes (Dun plus petit
charactere. Von dem Begriff des pctit son geht er aus, er ist ihm uu
son plus foible, c'est ä dire moins fort ou cVune moindre dwree que les
untres sons .... toujours lie avec une note ordinuire, avec luqueile est
lie . . . eile (lu note') u Je son d'uue degree (tu posee, also eine vor der Haupt-
note eingeschobene Hilfsnote geringerer Dauer und schwächer als
jene anzugeben und mit ihr leguto zu verbinden, als Sekunde sowohl,
als in anderen Intervallen zulässig. Ihren Wert entnimmt sie zuweilen
der vorhergehenden Note, zuweilen der Hauptnote. Die Beispiele,
auf die er verweist (Anhang FI, 4 a, b und c) zeigen, 1. den jambischen,
2. den trochäischen Vorschlag, 3. den Nachschlag, alle von oben.
Unter diese so entwickelten Begriffe, die sich mit den Vorschlägen und
Nachschlägen der klassischen Periode decken, fallen vier Unterbegriffe,
port de voixy Coule, Chute und Accent; wohl verstanden: sie erschöpfen
durchaus nicht sämtliche Arten der petits sons, sondern figurieren hier
Erster Teil. 65
nur als die besonders üblichen Typen. Der port de voiv (Anhang F I,
4 d — g) deckt sich etwa mit dem port de voLc glisse ou Coule des
Bacilly, genauer mit demjenigen des J. Rousseau. Auch hier ist er,
wenigstens zwischen Sekunden, ausnahmsweise trochäisch betont zuge-
lassen. Die Hilfsnote ist auch hier stets die untere Sekunde, also die
Wiederholung der ersten Hauptnote zwischen Sekunden und des dazwischen
liegenden Tones bei Terzen. — Descendendo heißt die Figur Coule (;)). (Anhang
FI, 4 h — p.) Bacillys Lehre, daß der port de voix nur aufwärts möglich sei,
und Rousseaus Beschränkung, welche die Praxis längst überwunden hatte,
ist nun auch in der Theorie aufgegeben. Der Coule erscheint aber nicht
nur als die obere Sekunde der Hauptnote zwischen allen Intervallen,
sondern auch als Wiederholung der ersten Hauptnote (o — p), sodaß
beispielsweise die Hilfsnote zwischen Terzen z. B g und e ebensogut /'
als y lauten kann. Der Coule ist nur jambisch notiert. La Chute (An-
hang F I, 4 q — s) ist eine Antizipation der zweiten Note, die bereits auf
dem letzten Viertel der ersten angegeben wird (^>). Der Accent ist unser
Nachschlag. (Anhang F I, 4 t — w.) Von beiden Formen wird gleich unten
die Rede sein. Louliös Lehre bedeutet also eine Erweiterung. Nach
ihm können Vorschlagsnoten (petits sons) überall eintreten, von oben und
unten, zwischen allen Intervallen, jambisch und trochäisch, entweder als
Sekunden von unten und oben, oder springend als Wiederholung der
ersten Hauptnote. Es erübrigt noch, aus den bisher erwähnten Quellen
den Begriff des „accent" festzustellen. Er stellt überall einen Nach-
schlag vor, bei Mersenne sowohl, der ihn accent plaiutif nennt und nur
als höheren Halbton einführt, wie bei Bacilly, der von „aspiration* in
gleicher Bedeutung spricht und ihn zuläßt zwischen Noten gleicher Tonhöhe,
oder als Verbindung zu einer tieferen Note, auch in Kombination mit
dem doublement du gosier, der gehauchten, wiederholten Note. Die Aus-
führung ist überall als sehr rasch, vite, bei Bacilly als beaucoup plus eourt,
und als leichte Verbindung der Hauptnoten bestimmt (communicabion
de Vune ä Vautre). Das Zeichen ist ein senkrechter Strich zwischen den
Hauptnoten. Bei Loulie fällt die Beschränkung des Gebrauchs und
er erscheint zwischen allen Intervallen, aufwärts und abwärts, aber stets
als die höhere Sekunde der ersten Hauptnote. (Anhang F I, 4 t — w.)
Der Accent, den Monteclair (Principe* de musique 1736) erwähnt, ist
nicht nur ein Erheben der Stimme um einen Ganz- bezw. Halbton, sondern
ein Ausdrucksmittel besonderer Art. Uaccent est une aspiration ou
eleoation douloureuse de la voix, gui se pratique plus souoent dans les airs
plaintifs, que dans les airs tendres; il ne se fait jamais dans les airs gays,
ni dans ceux, oui expriment la colere. II se forme dans la poitrine par une
espece de sanglot ä l'extremite d'une note de longue <luree, ou forte, en faisant
5
66 Erster Teil.
un peu sentir le degre immediatement au clessus de la note accentuee. (J) Es
stellt dieser Accent nicht so sehr eine Verzierung vor als einen gesang-
lichen Effekt, ein schluchzerähnliches Heben und Abbrechen und Zurück-
fallen auf denselben Ton — denn nur zwischen Tönen gleicher Tonhöhe
ist er statthaft. Übereinstimmend definierten den Begriff noch Berard1)
und Jean Jacques Rousseau.2) Dagegen anerkennt Monoclair eine
andere Form des Nachschlags als La Chute. Unter diesem Namen be-
griff Loulie* eine jambische Vorschlagsform, indem die zweite Hauptnote
antizipiert und die Silbe der zweiten Note bereits auf ihr ausgesprochen
wird. (Anhang F I, 4 q.) Hier bei Monteclair liegt gleichfalls eine
Antizipation der zweiten Note vor, die jedoch auf der Silbe der ersten
Hauptnote ausgesprochen wird, sodaß ein Nachschlag entsteht. (Anhang
FI, 5 a und b.)
I/Affillard.
Eine Quelle, die nicht unerwähnt bleiben darf, ist l'Affillard's
Prlnclpes tres faciles pour bien apprendre la musique. Paris 1697. ^ Seine
Verzierungen sind in solchem Grade komplizierter als die der bisher er-
wähnten Lehrer, daß man an eine instrumentale Bestimmung glaubte,
spräche nicht der Titel des Buches für die gesangliche. Sein port de voix
(FI, 5c) schiebt zwischen die jambische Vorschlagsnote und die Hauptnote
einen auf die Thesis fallenden, kurzen Pralltriller ein, wie ihn d'Anglebert
als Pitiee, Chambonnieres und Le Begue4) als Pincement ver-
zeichnen, und wie er sich auch in Couperin's Pleces de clavecin von 1713
wiederfindet. Eine ähnliche Kombination des alten port de voix mit den
Pince steht bei Rameau, Pleces de clavecin von 1731, 5) aber richtiger als
port de voix et pince bezeichnet. Affillards port de voix double (FI, 5 d)
entspricht dem demy port de voix des Bacilly zwischen Terzen. Sein
Accent, in kleinen Noten mit Bogen an die Hauptnote angeschlossen,
deckt sich mit dem Begriff Louli^s. Nur die Zeichen variieren, hier ein
senkrechter Strich, dort ein Häkchen.
Monoclair,
Daß die von Loulie entwickelten Begriffe in der französischen
Vokalmusik zu dauernder Geltung gelangten, beweist die Erläuterung
1) L'art du chant 1755: L'accent est une petite inflexion de voix, qu'on fait du gosier.
L'accent demande, qu'apres avoir soutenu ou enfle le son, qu'on fasse monter le Larynx d'un
degre ou d'une demi degre, et qu'on fasse sortir l'air interieur par les levres de la glotte
avec une douceur extreme, afin de caresser le son de la derniere notte.
2) Dictionnaire de musique 1782 unter Acent.
8) Das Werk ist in meinem Besitz. Dannreuter Bd. I, S. 83/84 benutzt die Aus-
gabe von 1705.
4) S. Dannreuter a. o. O. S. 95, 102, 106.
5) Ebenda, S. 106.
Erster Teil. 67
dieser Materie in den 1736 — also 38 Jahre später veröffentlichten —
„Principes de musique de Michel Pignolet Monteclair". Seine Definition
des Coule, Port de voiv, Chute und Accent deckt sich mit derjenigen
Louli^s beinahe völlig. Conti ist ihm der jambische Vorschlag von oben,
der seinen Sitz vorzüglich zwischen Terzen habe, aber auch zwischen
anderen Intervallen vorkomme, und zwar entweder als die obere Sekunde
der Hauptnote, oder als Wiederholung der vorhergehenden Hauptnote,
ganz wie bei Loulie\ Stets ist die Hauptnote die betonte (peilte notte,
qui se lie avec la notte forte sur laqueUe il faut couler). (Anhang F I, 5 e.)
Wem es etwa einfiele, absteigende Terzen jedesmal durch den Couli zu
verbinden, den warnt sein Verbot, ihn dort anzuwenden, wo sich der
Affekt des Zornes oder auch nur eine beschleunigte Bewegung findet.
Das Zeichen für den (Joule ist eine kleine Note oder ein Bindebogen.
Der fort de voix entspricht dem Coule zwischen aufsteigenden Noten, ins-
besondere in Halbtonschritten, das Zeichen sei die kleine Note oder: ♦/ Auch
diese Verzierung erscheint hier nur jambisch, die Hauptnote ist immer
betont (iiotte forte). Der trochäische port de voix, den noch Loulie
anerkennt, ist also ganz eliminiert und hat dem jambischen Vorschlag
Platz gemacht. (F I, 5 f.)
Wir können also, ohne noch in weitere Details einzugehen, fest-
stellen: Der Port de voix und seine Unterarten bedeuten ursprünglich,
der sprachlichen Bezeichnung konform, das Tragen der Stimme, und die
zur leichteren und genaueren Ausführung bestimmte Zerlegung der ersten
Note in zwei Noten, deren zweite, die Nebennote, auf die der zweiten
Hauptnote entfallende Silbe antizipiert wird. Im Verlauf der Entwicklung
tritt dann die ursprünglich wesentliche Eigenschaft des Hinautschleifens
zurück hinter der sekundären, der syllabischen Antizipation, und wir er-
halten so den jambischen Vorschlag, wie er in allen Werken der prak-
tischen Gesangsmusik als port de voix zu finden ist. Nur nebenher er-
wähnen einige Gesangsschriftsteller auch der trochäischen Form, also des
Vorschlags auf der Thesis. Später verschwindet diese Form völlig.
Wir haben also davon auszugehen, daß der port de coix und Coule
der Franzosen einen kurzen, jambischen Vorschlag vorstellt, der
auf die Arsis fällt, während die Hauptnote der Thesis verbleibt.
Instrumentalmusik,
Anders in der Instrumentalmusik. Schon aus den Beispielen, die
Dannreuter1) aus Chambonniere, d'Anglebert und Couperin aus-
zieht,, ergibt sich, daß die Verzierungen im allgemeinen vorzugsweise ihren
Wert der Hauptnote entnehmen, auch der port de voiv und seine Unterarten.
!) a. o. O.
5*
68 Erster Teil.
Der Letztgenannte schreibt in der J'art de toucher le clavecin" von 1717
ausdrücklich vor: il faut, que la petite note perdue oVun port de roi.v
ou d'une coule frappe avec la harmonie, c'est ä dire dans le tems,
qvCon devroit toucher la note de valeur, qui la mit. Ja bei Rameau
verdichtet sich diese Verzierung zum Vorhalt.1) Entscheidend aber
ist eine von Dannreuter gar nicht beachtete Quelle, Georg Muffats
Suaoioris harmoniae 'Instrumentalis Hyporchematicae Florilegmm secun-
dum von 1698,2) das Werk zwar eines deutschen Komponisten,
das aber die „Lullianische Geigenmanier" in ausführlicher Vorrede aus-
einandersetzt, also in diesem Sinne als französischen Ursprungs gelten darf.
Vorschläge und Nachschläge subsumiert er dem Begriff Accentuation,
italienisch: Accentuatione, französisch: V accentuation, und unterscheidet:
1. vorgesetzte Accenti, unsere Vorschläge, entnehmen, wie die Beispiele
ergeben, ihre Zeit allemal der Hauptnote, sind also trochäisch, gleichviel
ob sie als Praeaccentus fpre-accento, suraccent), welche „den nächsten
oberen", oder als Subsumptio (soüo-accento, sousaccent), welche „den
nächsten unteren", oder als Insultura (saltorello, sursautj, welche „umb
einen Sprung entlegenen clavern versetzt", auftreten. 2. Nachgesetzte
Nachschläge, als Superficies „gemeiniglich accentus (accento, superfice) so den
nächsten Schlüssel hinauf, remisslo (calamento, relächement) so den nächsten
hinab und Disjectio (dispers ione, dispersion) so den springenden nochmals
zufüget". Das Zeichen des Doppelstrichs deutet, je nach der Stellung
links oder rechts des Bogens, auf den Vor- bezw. Nachschlag und durch
die Stellung im Notensystem auf die einzuschiebende Note. Es wird
also in der Instrumentalmusik darauf ankommen, ob ein Accent schlecht-
hin, also ein Nachschlag, oder ein vorgesetzter Accent, Vorschlag vor-
liegt. Dieser ist in der Regel trochäisch. Der port de voivy Adminiculatio
italienisch: Vappoggiatura — wir begegnen hier zum ersten Mal dieser
später allgemein gebräuchlichen Bezeichnung des Vorschlags — ist
Muffat nur ein Spezies des Genus: Accent. Die erste Note wird vor der
zweiten auf der Thesis kurz wiederholt, übereinstimmend mit der Manier
Louli^'s und J. Rousseau's. Ich erwähnte bereits oben, daß die in der
Instrumentalmusik durchaus vorherrschende trochäische Ausführung des ^>°rt
de voix und seiner Unterarten dahin führte, der Hilfsnote den gleichen, selbst
einen längeren Wert zuzuerkennen, als der Hauptnote, sodaß in unserm
Sinne ein Vorhalt entsteht. So gibt schon d'Anglebert3) in der Verzierung:
Chute ou port de eoi.e <>n montant ou descendant der Hilfsnote den gleichen
2) Siehe Dannreuter a. a. O. Seite 106.
2) Neuausgabe in den Denkmälern dei Tonkunst für Osterreich.
3) Pieces de clavecin von 1689. Dannreuter a. o. O., I S. 96.
Erster Teil. 69
Wert wie der Hauptnote. Ebenso Dieupart1) und Rameau2) deutet an,
daß die gleich lange Hilfsnote sogar noch liegen bleiben und klingen müsse,
wenn die Hauptnote angeschlagen sei. Nun haben wir zwar kein aus-
drückliches Zeugnis, daß auch in der Gesangsmusik der Begriff des
port de voi.v in dieser Weise erweitert worden wäre, aber die praktische
Musik, insbesondere die Opern Rameaus, lassen keinen Zweifel, daß
man bereits in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts im französischen
Kunstbereiche dem port de voix zwei Begriffe subsumierte, einmal den
älteren der kurzen, jambischen Yorschlagsnote, dann aber einen neuen,
offenbar aus der instrumentalen Musiklehre entlehnten, des langen, ver-
änderlichen Vorschlags oder Vorhalts. Es hat sich also in Frankreich
längst vor dem Eintreten der pädagogischen Bewegung in Deutschland
jene unglückliche Verquickung zweier durchaus heterogenen Begriffe,
nämlich des melodieschmückenden, harmonisch indifferenten Vorschlags,
und des harmonieverändernden, des veränderlichen Vorschlags, vorbereitet,
die auf die deutsche Lehre so verwirrend einwirken sollte.
Der Triller, Cadence.
Unsere Betrachtungen des Trillers, TrewbUment oder Cadence —
schlechthin so genannt nach dem üblichen Gebrauch des Trillers in der
Kadenz — lassen sich kürzer fassen. Übereinstimmend bezeichnen die
Quellen diese Verzierung als eine wiederholte Sekundenbewegung von
oben, die mit der oberen Hilfsnote beginnt (F II, 1 a, b), im Gegensatz
zum Triller der Italiener, der damals noch in florentinischer Art als Folge
gleichhoher, gehauchter Noten galt, wie Mersenne ausdrücklich berichtet.
Der lange Triller erscheint vorbereitet oder sofort eintretend, avec ou mm
appui (F II, 1, c-k). Diese Vorbereitung (preparation, appui) besteht aus
der oberen Hilfsnote, die zuweilen auch antizipiert eintritt (F II, 1 c, d).
Der Triller soll, bis er die gewünschte Schnelligkeit erreicht, zunächst
durch einen oder mehrere langsame Schläge des Kehlkopfes vorbereitet
wrerden, eine gesangstechnisch wohl zu erklärende Einführung. Die wieder-
holte, langsame Trillerbewegung, namentlich in punktierter Form, wie sie
Brossard3) unter dem italienischen Namen ribattuta di gola und Loulie
notieren, ist eins der wirksamsten Mittel, die für den Triller unerläßliche,
oscillierende Bewegung des Kehlkopfes zu finden.4) Daneben erscheint
auch der Triller unvorbereitet. Während die Mehrzahl der Autoren die
') Suites de clavecin, Dannreuter, S. 138.
2) Pieces de clavecin, 1 73 1, Dar.nreuler, S. 106.
3) Dictionnaire de musique.
4) StockhauseDs Methode, S. 92.
70 Erster Teil.
Wahl zwischen beiden Formen dem Geschmack des Ausführenden über-
lassen, unterscheidet Rousseau in feiner Weise, sodaß man auf den ge-
meinen Gebrauch überhaupt schließen kann. Die Vorbereitung entfalle in
Arien heiteren Stils, wie im Menuett, auch in allen dreiteiligen Taktarten;
jedenfalls darf der appui hier nur ganz leicht sein, dann zwischen steigenden
und Noten gleicher Tonhöhe. Die Cadence avec appui mit Antizipation
haben ihren Sitz, wo man von einer kürzeren, höheren zu einer tieferen
Note herabsteige, die mehr als das doppelte jener gelte. Die ästhetische
Unterscheidung interessiert vorzüglich. Sie ist auch heute durchaus
berechtigt; denn die langsame Entrollung des Trillers läuft sicherlich
einer heiteren Grundstimmung zuwider, die vielmehr durch den energischen,
gleich gestalteten Triller gewinnt. Die Anzahl der Trillerschläge bestimmt
sich nach der Länge der Noten (Loulie: ä proportion de la duree de la
note tremblee) und der Fertigkeit des Ausführenden. Mersenne setzt sie
in Zahlen, 4 — 16, über die Hauptnote. Der Abschluß des Trillers scheint
regelmäßig durch einen Nachschlag erfolgt zu sein, wenigstens geht
Bacilly hiervon als der Regel aus, wenn er den Triller in drei Bestandteile
zerlegt, die Vorbereitung, den eigentlichen battement du gosier und la fi/i,
qui est une liaison, qui se faxt du tremblement avec la note, sur laquelle on
veut tomber, par le moyen d'une autre note, touchee fort legerement. Trillere
man auf mi (fa mi) und gehe zum re oder ut als Schlußnote, so sei re die
Nachschlagsnote (F II, 1 b), doch kann unter Umständen der Nachschlag
ausbleiben, wofür einige Fälle angeführt sind. Loulie' faßt den Triller
als eine Wiederholung des Coule auf und notiert ihn entsprechend in
punktierten Werten (F II, 1 h-k). Trotzdem ist die Bewegung gleichmäßig
zu denken. Er sondert den Triller ohne appui, auf den wir sogleich bei
Besprechung der kurzen Trillerform zurückkommen, und mit Vorbereitung.
Hier fällt die Wiederholung der Hilfsnote nach der Präparation auf, offenbar
eine sehr verbreitete Manier, da Bacilly weitläufig gegen sie polemisiert
und sie ausschließlich der Instrumentalmusik überlassen wissen will. Eine
recht anschauliche Lehre gibt Montöclair.1) Seine langen Trillerformen
nennt er tremblement appuye, subit und double. Die Untereinteilungen beziehen
sich auf die Eröffnung und den Abschluß. Die Bewegung selbst ist überall
die gleiche, nämlich eine rasche Sekundenbewegung von oben, die mit der
oberen Hilfsnote einsetzt. Auch er anerkennt nur den Triller von oben,
denjenigen von unten also, den mit der Hauptnote auf der Thesis ein-
setzenden, und die Terzen- und Quai tentriller verwirft er ganz (F II, 11).
Der tremblement appuye verlangt, daß man ihn gut stütze (appuyer)9 schlage
(battre) und endige (terminer). Unter stützen oder vorbereiten fpreparer)
*) Methode pour apprendre la musique, 1700 und Nouvelle methode 1709 (1736).
Erster Teil. 71
versteht er das Verweilen auf der oberen Hilfsnote, deren Dauer abhängt
von dem Werte der Hauptnote und dem Zeitmaß; zuweilen deute man die
Hilfsnote an (F II, 1 m). Der Abschluß der Figur erfolge bald durch die
chute, bald durch den tour du gosier3 Doppelschlag (F II, 1 m-o), eine
Form, welche derjenigen der klassischen italienischen und deutschen Schule
sich nähert. Der tremblement subit formt sich ohne appui und hat mehr
im Rezitativ, denn in der Arie seinen Sitz.1) (Zeichen im Anhang F II, 1 p)
Der tremblement double (t) ähnelt dem Triller raddoppiato der Italiener und
dem deutschen Doppeltriller des Tosi und Agricola (F II, 1 q-r), nur
daß die französische Form auch hier den appuy vorausschickt; dann aber
läßt sie, wie dort, einen frei eintretenden Doppelschlag folgen und schließt
die Hauptnote und den Triller an.
Die kürzeren Triller, also der einfache und doppelte Pralltriller, wie
ihn die Italiener übten, sind auch der französischen Schule geläufig.
Mersenne spricht von einem Triller in zwei Schlägen und Bacilly,
nicht ganz klar, von einem tremblement fort conti et fort presse, qui se fait
du fond de la gorge. Sicherer läßt sich seine double cadence bestimmen,
einmal als unser Doppelpralltriller fen montant sur une note au dessous),
dann auch als wiederholte, gehauchte Note (en rebattant sur la mesme).
Sein tremblement etouffe ist wohl ein Pralltriller mit Antizipation der Hilfs-
note. Während J. Rousseau des kurzen Trillers gar nicht gedenkt, gibt
ihm Loulie zwei Formen, als tremblement simple, ein Doppelpralltriller
(Anhang F II, 2 a), und martellement, im Sinne der klassischen Schule
Ph. Em. Bachs und Agricolas ein Mordent, also eine Sekundenbewegung,
die mit der betonten Hauptnote beginnt, die untere Hilfsnote anfügt und
mit der Hauptnote endigt, und zwar als martellement simple, ein Schlag,
double, zwei Schläge, triple, drei Schläge (F II, 2 b). Die Zeichen ersieht
man aus den Beispielen im Anhang. Monteclair kennt zwei kurze Triller-
formen. Der tremblement feint beginnt gleichfalls mit der ausgehaltenen,
oberen Hilfsnote als appuy und schließt ihn statt mit dem langen Triller
(au Heu de battre longtemps) mit einem petit coup de gosier, dont le battement
est presque imperceptelle. Das Beispiel (F II, 2 c) zeigt nicht die Ausführung,
sondern nur das Zeichen: ~t~ Wahrscheinlich handelt es sich um den
Pralltriller, wie ich ihn im Anhang ausgeschrieben habe. Als Unterart
geschieht noch Erwähnung der Einschiebung einer Note über dem
Appui und dem Abschluß mit dem tour du gosier. Die Ausführung ist
nicht notiert, dürfte aber derjenigen im Anhang entsprechen (F II, 2 d).
*) Sehr bedauerlich, dass Monteclair grade diese Form nicht genauer definiert. Denn
das Zeichen für diesen Triller findet sich auf jeder Seite der französischen Opernpartituren des
17. und 18. Jahrhunderts!
72 Erster Teil.
Der Pince entspricht dem Martellement LoulieV. Auch hier der Mordent
der Klassiker, der mit der Hauptnote beginnt. Die Verbindung dieser
Figur mit dem Port de voix (II, 2 e) war in Frankreich ebenso üblich,
wie in der deutschen und italienischen Gesangsmusik die Verbindung des
Vorschlages mit dem Pralltriller. Monoclair meint sogar, le port de voix
ed toujours accompagne du pince, was wohl kaum wörtlich zu nehmen ist.
Jedenfalls war es sehr gebräuchlich, dem Vorschlag noch den Mordent
anzufügen.
Auch jetzt müssen wir den Verzierungen der instrumentalen Musik
ein Wort gönnen. Der Triller der Instrumentalisten beginnt gleichfalls
stets mit der oberen Hilfsnote, ist also auch hier eine Bewegung nach
unten. Nur Couperin1) notiert ihn als ein tremblement appuije, der mit
der oberen Hilfsnote beginnt, dann aber mit der Hauptnote auf der Thesis
einsetzt und die obere Hilfsnote auf der Arsis folgen läßt. 2) Der Pince,
der gleichbenannten Figur des Monteclair und dem Martellement des
Loulie entsprechend, setzt mit der Hauptnote ein und gesellt sich der
unteren Hilfsnote bei, ist also gleichfalls eine absteigende Figur. Der
Triller kommt als langer wie als kurzer Triller vor, aber nicht mit weniger
als 3 — 4 Schlägen, als Pince simple mit einem Schlage, als Pince continu
als fortgesetzte Bewegung. Letztere ist in der Gesangsmusik — bis auf eine
von Agricola und Hiller erwähnte Kombination des Trillo raddoppiato —
nicht rezipiert, auch die klassische Zeit kennt ihn nicht. G. Muffat,3)
der hier wiederum für die Lullysche Geigenmanier die wichtigste Quelle
bedeutet, verwirrt die klaren Begriffe, die wir oben gegeben. Die Unter-
scheidung zwischen dem echten mit der oberen Hilfsnote einsetzenden
Triller und dem von der Hauptnote ausgehenden Pince fehlt bei ihm.
Sein Semitremulus (il Pizzico o mezzo trillo, le pincement ou tremblement
coupe (F II, 2f) beginnt mit der Hauptnote, schließt die untere Hilfsnote
an und wiederholt den Schlag, der einfache Mordent besteht aus einem
Schlage. Schon die Benennung und die Gleichstellung der Begriffe,
Pincement und Tremblement, zeigen, daß er hier nicht gründlich vorgegangen
ist. Sein Volltriller (Anhang F II, 2 g) il trillo, tremblement ou fredon
„fangt von der nächsten oberen an und hört in seiner gezeichneten Clavis
auf". Die Beispiele zeigen den Triller Couperins, den ich oben erwähnte.
Er beginnt mit dem appui and läßt dann die Hauptnote betont eintreten
und die Hilfsnote sich unbetont anfügen. Die weit häufigere Form, welche
die Hilfsnote betont, kennt er nur in Verbindung mit einem abschließenden
Doppelschlag.
*) L'art de toucher le clavecin von 17 17.
2) Dannreuter a. o. O. Seite 104.
8) a. o. O.
Erster teil. 7H
Der gehauchte Triller, halancement.
Der florentinische Triller, also die gehauchte WiederholuDg derselben
Note, bleibt nach wie vor ein beliebter Effekt des Kunstgesanges in
Italien wie in Frankreich, nur der Name wechselt. In Italien vertauschte
man die Begriffe tremulo und trillo. Die wiederholte Note, der eigentliche
//■/I/o, wird später tremulo genannt. Daß die Franzosen diese Manier von
den Italienern entlehnt haben, darauf deutet Mersenne's Besprechung
der Manieren Caccinis. Aber nicht unwahrscheinlich ist, daß auch hier
der üerre casse, ein Yibrato der Laute, das Mersenne beschreibt, von
Einfluß gewesen ist.1) Den Violinspielern ist er geläufig. Der Engländer
Christof Simpson2) erwähnt seiner als dose shake, und Bacilly meint,
der Violinbogen vermöge den doublement du gosier -s/n- la mesme note sehr
gut wiederzugeben. Auch diese Figur will er, dem stets die Verschmelzung
von Wort und Ton voransteht, langen Silben vorbehalten. Sie bestehe in
einer kaum merklichen Wiederholung der Hauptnote, si prompte ment, qu'ä
peine on apercoit, si la notte est double. Dieses „animer" trage viel zur
Belebung des Gesanges bei. An die Verdoppelung kann sich ein Accent,
Nachschlag oder Triller anschließen. Louliö, Affilard und Monteclair
kennen denselben Begriff unter dem Namen halancement. Ihre Definition
ist gesangstechnisch von Bedeutung, weil sie beweist, daß diese wieder-
holten Noten nicht etwa, wie Manuel Garcia irrtümlich annimmt, als
Martettato, sondern, wie Stockhausen lehrt, gehaucht ausgeführt wurden:
Lex balancepients sont deux oa plusieurs petites aspiratlons douces et lentes,
qui se fönt sur une notte saus en changer le son (Loulie) und: il fant,
que la voix fasse plusieurs petittes aspirations (Monteclair).
Die Notierung ist auch hier nicht mensuriert. Brossard3) gibt die
Form des Caccini -Trillers und bemerkt, in Frankreich heiße er für die
Instrumente tremulo, es sei aber der echte Triller der Italiener. Er wünscht
ihn mit zunehmender Geschwindigkeit ausgeführt. In der Klaviermusik
scheint die Bebung durch den Triller und Pince ersetzt. (F III, a-c.)
Das Beispiel des Monteclair deutet auf die tonmalerische Funktion der
Bebung — motu est terra! — wie wir sie bei Carissimi fanden.
Der Doppelschlag, tour de gosier.
Der italienischen Praxis, die aus der Zerlegung des Groppo in seine
Teile, Triller und Doppelschlag, den letzteren als selbständige Verzierung
gewann, folgt die französische nach. Doch erst Loulie kennt die Figur
*) Vergl. Fleischer, Viertelj. -Schrift für Musikw. 1886, S. 69.
2) Dannreuter, a. o. O. T, S. 67.
3) a. o. O.
74 Erster Teil.
als tour de gosier, als deplacemerd du premier son du dernier coule du tremblement,
que Von met tone tierce plus bas. Das Zeichen sei: »o. (F IY, a und b.) Der
Doppelschlag der Franzosen ist im Sinne der klassischen Lehre ein ver-
bindender, nämlich ein zwischen zwei Hauptnoten eingeschobener. Affillard
subsumiert denselben Begriff unter double cadende coupee. (F IV, c.)
Hier jedoch alteriert die Verzierung den Wert der folgenden Note, deren
erste drei Vierteile sie für ihre Endnote okkupiert, im Gegensatz zur
sonstigen, auch klavieristischen Praxis, in der, soweit ich übersehe, der
Doppelschlag streng im Zeitmaß der verzierten Hauptnote verbleibt. Als
Lullysche Geigenmanier verzeichnet Muffat die Involution oder Ein-
wickelung, mit dem Zeichen <*o als eine Art „Confluenz", d. h. Verbindung
mehrerer Noten unter einem Bogen, „welche drei Claves gleichsamb in
einem Creyss zuweilen einfach (F IV, d), zuweilen mit einem Triller
umwickelt" (F IV, e). Beide Formen geben verbindende Doppelschläge
in ungleichen Notenwerten, wie sie die Klavieristen seltener gebrauchen.
Auch Monoclair kennt nur den verbindenden Doppelschlag ohne Alteration
des Wertes der Hauptnote, also im Sinne der gemeinen Praxis, somit fehlt
auch bei ihm die Hauptgattung des italienischen und deutschen Doppel-
schlages, nämlich die Zerlegung einer Hauptnote in vier oder fünf Noten,
wie sie Agricola und Bach als vorzüglichste Typen erwähnen. (F IV, f.)
B^rard.
Den Abschluß der theoretischen Werke dieser Epoche bildet Berards
Part du chant von 1750, das unsere Lehre ausführlich behandelt, indessen
durch den Mangel an Notenbeispielen ebenso sehr an Wert einbüßt, als
ßlanchets1) Vart sur les principes philosophiques du chant. Der port de voiv
erscheint auch hier als Vorschlag zwischen aufsteigenden Sekunden, der
port de coi.r feint dagegen läßt sich als eine Figur bestimmen, welche die
Hilfsnote aushält, anschwellt und die Hauptnote erst ganz am Ende angibt,
also dem veränderlichen Vorschlage der Klassiker, dem Vorhalt, entspricht.
Wiederum ein Beweis, daß auch auf französischem Kunstgebiet die Ver-
quickung der Begriffe Vorschlag, port de voix, und Vorhalt, veränderlicher
Vorschlag, stattgefunden hat. (F V, a.) Der Coule stimmt mit der gleichen
Verzierung der andern Autoren überein, der Accent ist ein Nachschlag
mit der oberen Hilfsnote. he fl<(tte ou balance ist nicht wie bei Monoclair
eine Folge wiederholter Noten, sondern ein pince, also ein Mordent, wie
denn auch Jean Jacques Rousseau2) diese Figur unter dem Namen
flatle notieit. (F V, b.) Die Triller teilt er in solche mit und ohne appui,
J) Er nennt in der Vorrede Berard einen Betrüger und bezeichnet sich als den eigent-
lichen Verlasser jenes Werkes.
2) dictionnaire de musique.
Erster Teil. 75
jene wieder in cadences appuieett und prempiUes, sodaß dort die Hilfsnote in
gradem Takt die Hälfte, in ungradem Takt ein Drittel der Zeit der Haupt-
note entnimmt, hier die Hilfsnote sofort zur Hauptnote übergeht, diese
dann kurz ausgehalten und getrillert wird. Die cadence motte gleicht der
cadence subite des Monteclair, sie setzt sofort mit der Trillerbewegung
ein; die double cadence dieser Autoren hat mit dem tremblement double des
Monteclair nichts gemein, sie verweilt auf dem ersten martellement, dann
folgt eine punktierte, allmählich rascher werdende Bewegung, die schließlich
in die möglichst rasche Folge von Trillerschlägen übergeht. La demie cadence
011 le coup de gorge ähnelt dem tremblemeni fin des Monteclair. Man ver-
weilt schwellend und abschwellend auf der oberen Hilfsnote und fügt alsdann
des der/iier.s martettements an, qui continuent Vessence de cet agrement.
Jean Jacques Rousseau.
Ich erwähnte bereits Jean Jacques Rousseaus dictionnaire de
musique. Seine Definitionen sind mehr als knapp, und der Beispiele nur
wenige. Der Accent (F V, c) stellt wie bei Louliö eine Erhebung der
Stimme um einen Ton vor, wobei unentschieden bleibt, ob als Nachschlag
zur ersten, oder Vorschlag zur zweiten Hauptnote. Der (Joule ist, wie
üblich, ein jambischer Vorschlag von oben. (F V, d.) Seine cadence (Anhang
F V, e) trillert von der Hauptnote aus nach oben, weicht also nicht bloß
von der üblichen Gesangsmanier, sondern auch von dem Triller der
instrumentalen Musik ab. Sein port de eoix ist ein trochäischer Vorschlag
von unten, dem ein flaue angeschlossen wird. (Anhang F V, f.) Der port
de üoix Jette (F V, g) stellt einen Vorhalt vor, der zwischen sich und die
kurz abgefertigte Hauptnote einen flotte einschiebt. Die Figur ähnelt dem
port de ooid' simple des Couperin1) und der Kombination von port de mix
und pince, die Rameau2) aufschreibt. Von Bedeutung ist auch hier die
Umwandlung der kurzen jambischen Note in einen in den Wert der zweiten
Hauptnote verlegten Vorhalt.
Passaggien.
Über Passaggien und ihre Anwendung äußert sich nur Monoclair.
Sie seien „arbüraires" und ihre Anbringung unterliege dem Geschmack und
der Fertigkeit des Ausführenden. In der Vokalmusik seien sie weniger
gebräuchlich denn in der instrumentalen, wo heute das italienische Vorbild
zur Entstellung der schlichten Melodie und zu oft lächerlichen Variationen
geführt habe. Der unvergleichliche Lully ziehe die Melodie, die schöne
1) Pieces de clavecin von 17 13. Dannreuter I, S. 100.
2) Pieces de clavecin von 1736. Dannreuter a. o. O., S. 106.
7(> ■ Erster Teil.
Modulation, die Wahrheit des Ausdrucks, die natürliche und edle Ein-
fachheit, der Lächerlichkeit der Passaggien und jener wunderlichen Musik
vor, deren vermeintliches Yerdienst nur in Verrenkungen (ecarts), in ent-
stellten Modulationen, Härten der Akkorde, in Lärmen (fraccut) und in der
Verwirrung (conjusion) bestehe. Man kann Monteclair in diesem Urteil
nur beistimmen, liest man die uns erhaltenen Veiänderungen, die ich im
Anhang (G 1 — 3) mitteile. Abgeschmackteres ist wohl kaum je ersonnen
worden, als die Varianten, die dort Moulinie mit den Arien Boessets
vorgenommen hat, in denen die einfache Linie des Gesanges von einem
Knäuel verwirrter, holpriger, kaum übersehbarer Fäden umsponnen erscheint.
Kein Zweifel, daß uns hier wirklich die Art überliefert ist, in der die Gesangs-
künstler der Zeit mit den Originalen verfuhren, aber unmöglich konnte selbst
im Zeitalter des Barock solche Unnatur auf die Dauer bestehen.
Lullys Ornamentik.
Und doch ist selbst die dramatische Musik Lullys und seiner
Schüler von dem Einfluß der französischen Hausmusik nicht unberührt
geblieben, der neben dem italienischen Vorbilde deutlich zu Tage tritt.
Wohl war Lully bestrebt, dem lebhaften dramatischen Empfinden der
Franzosen entgegenzukommen, sicherlich geht er, wie man immer wieder
hervorheben muß, den Textworten mit ängstlicher Treue nach, und doch
ist die Form seiner Gesänge von denen der älteren Venezianer nicht
wesentlich unterschieden, denn auch sie besteht in jener eigenartigen
Mischung sprachdeklamatorischer und arioser Wendungen und Koloraturen.
Er hält sich nur mehr an Cavallis Manier,1) freilich ohne seine Plastik
des Ausdrucks zu erreichen, und vermeidet den Wreg, den Cesti ein-
schlug, der bereits auf das Arienwesen der Neapolitaner hinführte. Der
Einfluß Cavallis ist in ihm überall lebendig, das zeigt sich vornehmlich
in der Behandlung der Koloratur. Er macht von ihr in rein melodischem
Sinne selten Gebrauch, und dann nur in ganz kurzen Wendungen (G 4), ver-
wendet sie auch, aber selten, als Themensubstrat oder als Themenfortführung
(G 5, 6). An ihrer tonmalerischen Verwendung hält er indessen fest, und zwar
vorherrschend in der älteren Form der Wortunterstreichung. Worten wie voler,
tormere, courom, victoire gibt er überall die aus der italienischen Praxis be-
kannte Zeichnung (G 7, 8). Darüber hinaus legt er bereits, also längst vor
!) Kretzschmar's Ansicht „Die Corrspondance litteraire als musikgeschichtliche Quelle",
Jahrb. d. Mus.-Bibl. Peters 1903, S. 84: die Behauptung Fetis, dass Lully sich an Cavalli
gebildet habe, sei nicht zu verstehen, ist mit seinen eigenen Ausführungen in der Viertelj.-
Schr. f. Musikw. 1902, S. 34 nicht recht zu vereinigen, wo er richtig bemerkt, dass Cavallis
Rezitative „reich mit kleinen nriosen Einigen, ab und zu auch mit Koloraturen versehen seien".
Erster Teil. 77
Scarlatti, ein Tonstück geradezu tonmalerisch an, wenn er z. B. im
nRolandu eine Arie auf weit ausladenden Passaggien aufbaut, die der
Freude des Finders eines der Königin verlorengegangenen kostbaren
Armbandes zum Relief dienen (G 9). Das sind durchaus italienische Ein-
flüsse, aber auch der Praxis der französischen Airs hat er sich durchaus
nicht entzogen. Zwar vermeidet er ihre Diminutionen, und daß sie der
Sänger nicht zusetzte, dafür sorgten, wenigstens zu seinen Lebzeiten, die
zahlreichen Proben, die jeder Aufführung vorangingen. Aber im Rezitativ
treffen wir überall auf Zeichen, die Verzierungen andeuten, und zwar in
den älteren Drucken auf den Buchstaben f, in den gestochenen Partituren
und Handschriften auf ein Kreuz. Daß jenem Zeichen t die Bedeutung
des Trillers bezw. Pralltrillers oder Mordents eigen, ist ohne weiteres
klar. Was bedeutet aber jenes andere Zeichen? Lajarte1) meint, dies
Zeichen sei die Verzweiflung aller Musikphilologen. Die Unkenntnis
seines Wertes sei um so bedauerlicher, als es von dem Meister geradezu
verschwenderisch gebraucht sei. Wir haben aber mehr als ein Zeugnis
für seine Deutung. Einmal dasjenige des Monteclair, dessen oben
Erwähnung geschehen, demzufolge es ein tremblement -subit, also jeden-
falls eine ganz kurze, rasche Trillerform anzeigt; dann aber eine Be-
merkung im III. Uwe der Sammlung: XXII livres de chansons pour
danser et pour boire. B D B (Bacillys Zeichen), Paris 1663,2) wo es
heißt: ,Je vom dornte setdement ((eis, que fy ay adjouste de petits croix pour
marquer (es tremblements. Endlich versteht auch Börard3) unter diesem
Zeichen die cadence precipitee, nach seiner Definition gleichfalls eine kurze
Pralltrillerform. Indessen wird doch aus der Lektüre Lully scher
Rezitative klar, daß das Zeichen des Kreuzes doch nicht stets dieselbe
Auflösung als kurzer Triller vorstellt. Zunächst kann als unzweifelhaft
angenommen werden, daß es in den Ganzschlüssen überall einen Volltriller
mit appui bedeutet, gilt doch auch das Zeichen t für beide Formen.
Dann aber scheint doch an zahlreichen Stellen selbst die kürzere Triller-
form so sehr gegen den Sinn zu sprechen, daß ich mich dafür entscheiden
möchte, das Zeichen umfasse auch den Vorschlag, den (Joule Monteclairs.
Diese Annahme hat eine Stütze darin, daß der französische Triller mit
der oberen Hilfsnote einsetzt, und es somit nahelag, das Zeichen des
Trillers auch für seinen ersten Teil allein zu verwenden. Notiert doch
Loulie (F 2 h) den treniblenieut double ohne appui geradezu als Wieder-
holung dieser Rhythmen.
*) Vorwort zur Oper „Thesee" in den Chef d'ocuvres classiques de l'Opcra
iraneais, S. 3.
2) Bibl. du Conservatoire de Musique de Bruxelles.
3) L'art du cbant, Paris 1755, S. 115 und 145.
78 Erster Teil.
Nach unserer Darlegung der Yerzierungsformen der Airs, nach der
oben festgestellten Stellung Lullys zu dem italienischen Koloraturwesen,
erscheint es nicht mehr als unwahrscheinlich, daß auch er dem Rezitativ
eine solche, unserem Gefühl unerträgliche, der Sprachdiktion und seinen
eigenen Anschauungen, die das Rezitativ an die Hebung und Senkung
des gesprochenen Wortes anlehnen, konträre Form gegeben hat. Zweifellos
hat er wenigstens von den kleinen Trillerformen und von dem Vorschlag
im Rezitativ ausgiebigsten Gebrauch gemacht.
Die Koloratur nach Lully,
Die spätere Zeit ging in der koloristischen Behandlung des Rezitativs
und der Arie aber weit über Lully hinaus. Lesen wir die Bearbeitungen
Berards,1) so finden wir die Yerzierungsformen der Airs in das theatralische
Rezitativ und die Arie übernommen, und durch eigens erfundene Zeichen
angedeutet. Ich wähle als Beispiel ein Rezitativ aus Lullys „Atys" und
ersetze die Zeichen durch die Begriffe, die sie angeben, ein Air des
Campra aus „Tanerede", 1702, und den Anfang einer Arie aus Mondon-
ville's „Titon et l' Aurare". Die Originalstimme ist bei jenen nach
Lajartes Ausgabe, hier nach dem alten Druck selbst, hinzugefügt (G 10
bis 12). Diese Beispiele sind ungemein lehrreich für den Einfluß der
alten französischen Hausmusik auf die Oper. Wir sehen, daß in völligem
Widerspruch zu der immer wieder verlangten Einfachheit des dramatischen
Gesanges, ihm die alten Tonformeln in üppigster, ja geradezu verun-
staltender Form eingefügt wurden. Es vollzieht sich also in Frankreich
ein ähnlicher Prozeß wie in Italien. Das ausgehende 17. und der erste
Teil des 18. Jahrhunderts fördert selbst in dem Lande, in dem durch
Lullys Vorgehen bis in die Zeiten Glucks die Vereinigung von Musik,
Handlung und Wort als gleichberechtigte Teile der Oper angestrebt
wurde, ein Manierenwesen, das mit diesen Bestrebungen in unvereinbarem
Widerspruch steht. Wie in Italien das Ueberwuchern der Passaggien
vielfach zu einer Abkehr der musikalischen Gestaltung von den Postulaten
des Dramas führt, so zersetzen in Frankreich die Tonformeln und Manieren
der Airs die schlichte Gliederung der Gesänge, die immer noch einen
musikdramatischen Ausgang zu nehmen bemüht sind. Wie Italien die
Heimat der Passaggien und Kadenzen, so Frankreich der Boden,
auf dem die Manieren, jene stereotypen kleinen Tonformeln, er-
wuchsen, die auch in der Musik der großen Periode der deutschen Musik
von Händel-Bach bis Haydn-Mozart-Beetho ven eine so bedeutungs-
volle Rolle spielen.
1) A. o. O. Anhang.
Erster Teil. 79
Kapitel III.
Die deutsche Theorie und Praxis.
Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und das 18. Jahrhundert
bis zur vollen Entfaltung des Bachschen und Händeischen Geistes ist
eine Zeit der Vorbereitung, der Sammlung, und der Verarbeitung des
vom Auslande eingeführten Stoffes in deutsches Geist- und Empfindungs-
leben. Die hervorragendsten Geister dieser Zeit, wie Keiser auf dem
Gebiete der Oper, Froh berger und Buxtehude auf demjenigen des
Orgelspiels, eröffnen die Vorhallen, durch welche jene größten Meister
deutscher Musik hindurchschreiten mußten. Für unseren Gegenstand ist
die Abhängigkeit von italienischen, und in noch höherem Grade von
französischen Einflüssen eine bedeutende. Wo auch nur von ihm die
Rede ist, finden sich Verweise auf fremde Vorbilder. Zwei Richtungen
gehen nebeneinander her. Während die einen vorherrschend über
italienische Manieren berichten, wie Printz, unterstehen andere mehr
französischer Art. Bei keinem aber ist ausschließlich die eine oder die
andere Richtung maßgebend. Es findet auf deutschem Boden eine Ver-
quickung beider Stile statt. Selbst die Terminologie weist bald auf
französischen, bald auf italienischen Ursprung hin. Die Lehren selbst
schöpfen die Deutschen zumeist aus Nachrichten, die praktische Musiker
aus der Fremde mitgebracht hatten, nicht aus den Quellen selbst. Denn
anders läßt es sich kaum erklären, daß auf sie nirgends hingewiesen, die
Namen bekannter ausländischer Theoretiker verschwiegen werden. So
wird auch die unklare, unbestimmte Fassung der Definitionen, und die
Incongruenz der Begriffe, die unter demselben Namen erscheinen, ver-
ständlich. Jeder glaubt allgemein Gültiges zu lehren und bringt doch nur
die Lehre eines Meisters oder eines kleinen Kreises. Dazu kommt der
Mangel an klarem Erfassen dieses so schwierigen Stoffes, der lediglich
musikalisch, philologisch wenig gebildeten Männern auch garnicht zu-
getraut werden kann, sowie die Unklarheit und Unbeholfenheit des sprach-
lichen Ausdrucks, die die Interpretation ungemein erschwert. Spätere
Quellen hier heranzuziehen, also etwa Walters Musiklexikon von 1732
für das Verständnis von Kuhn aus Verzierungslehre, wie das der Heraus-
geber seiner Klavierwerke in den Denkmälern der Tonkunst tut, ist doch
sehr bedenklich, da schon wenige Jahrzehnte genügen, um andere An-
schauungen und Lehren festzulegen, die auf eine zurückliegende Zeit
nicht mehr passen wollen.
Von der bisher wesentlich rhythmischen Betrachtung der Manieren
zu einer auch die harmonischen Verhältnisse berücksichtigenden ist
bei den Deutschen jetzt noch keine Rede, und kann auch bei dem da-
80 Erster Teil.
maligen Stande der Theorie noch nicht erwartet werden. Bleibt doch
selbst noch Tosi in jener älteren Anschauung befangen. Erst das
Rameausche System vermochte die Verzierungslehre auf die höhere Stufe
einer Rhythmik und Harmonik gleichmäßig umfassenden Anschauung zu
erheben.
Aus all diesen Gründen darf man den Wert der aus den Werken
deutscher Schriftsteller dieser Periode abgeleiteten Lehren und Begriffs-
bestimmungen nicht hoch anschlagen. Völlige Aufklärung über das Ver-
zierungswesen werden sie uns nicht bringen. Deshalb werde ich auf sie
im folgenden nur insoweit eingehen, als es zum Verständnis der Theorie
des 18. Jahrhunderts nach Tosi notwendig erscheint.
Wolfgang Caspar Printz.
Wolfgang Caspar Printz1) fußt auf italienischen, in dem Lande
ihrer Herkunft selbst vielfach überwundenen Begriffen. In der ihm eigenen
Umständlichkeit, die von Gründlichkeit weit entfernt ist, definiert er im
Kapitel V „Von den Figuren": „Eine Figur ist in Musicis ein gewisser
Modulus, so entstehet aus einer, oder auch etlicher Noten Diminution und
Zerteilung", und teilt sie in klingende oder schweigende (?), jene wieder
in einfache und zusammengesetzte. Einfache seien entweder gehende, als
accentus, tremolo, groppo, circolo mezzo, tirata mezza, bleibende, als die
bombi oder Schwärmer, oder springende, als xalto sempllce und saltl composti,
als ftgura corta, messanza und figura susplrans, oder schwebende als trillo.
und trilletto, zusammengesetzte, muß man ergänzen, sind Vereinigungen
solcher einfacher Figuren zu Gruppen.
Sein Accento-Begriff ist immer noch der Crügers und Herbsts,
also noch nicht zum Nachschlag der Franzosen abgeklärt (H 1 a), nur
die Beschränkung auf die Noten der nächsten Linie, bezw. des nächsten
Spatium deutet auf eine Annäherung an die französische Bestimmung.
Der Tremolo ist ihm, wie den Florentinern, Herbst und C rüger
eine Sekundenbewegung, und zwar mit der Hauptnote beginnend nach
oben oder unten. (H 1 b.) Seine Definition: „ist ein scharfes Zittern der
Stimme über einer größeren Note, so die nächste Clavem mitberühret"
deckt sich fast wörtlich mit derjenigen des Herbst. Unter Trillo verstellt
er folgerichtig: „ein Zittern der Stimme in einer Clave", also die wieder-
holte, aspirierte Note des Caccini, der Trilletto die ihm entsprechende
Verkürzung. Dagegen löst er den Groppo in seine Bestandteile auf und
versteht unter ihm seinen abschließenden Teil, eine „lauffende Figur, so
x) Compendium musicae signatoriae et modulaloiiae, das ist kurzer Begriff etc.
Dresden 1689. Die Ausführungen in den anderen Werken Printz's decken sich mit denen
im CompemUum.
Erster teil. 81
sich überwaltzet, wie eine Kugel, daher sie auch den Namen hat (Waltze),
formiret im Schreiben einen Halbkreis und bestehet in vier geschwinden
Noten, deren erste und dritte einerlei, die andere und vierte unterschiedene
Stellen haben." (H 1 c.) Den mit der oberen Hilfsnote einsetzenden, frei
eintretenden Doppelschlag, die double cadence der Franzosen, nennt er
circolo mezzo, er „formieret im Schreiben einen Halbkreis und bestehet
in vier geschwinden, ordentlich gehenden Noten, deren andere und vierte
einerlei, die erste und dritte unterschiedene Stellen haben." Er kommt in
steigender (Intendens) und fallender Bewegung (Remittens) vor (H 1 d).
Dieser Art, dem Rercittens, liegt der Doppelschhig der Theoretiker des
18. Jahrhunderts und seine Varietäten zugrunde; wir sind ihm bereits in
der italienischen Praxis begegnet. Die anderen Doppelschlagbewegungen
scheiden später als Stereotypen aus. Während sich in der ganzen Ent-
wicklung unserer Lehre das Streben zeigt, zu vereinfachen, die Zahl der
Manieren zu verringern und generelle Begriffe durch Varietäten eines
Begriffes zu ersetzen, differenziert Printz noch in der alten italienischen
Weise, indem er eine Anzahl Figuren, die sonst schlechtweg als Passaggien
gelten, unter eigenen Begriffen aussondert und benennt, wie die tirata mezza,
eine Folge von vier auf- oder absteigenden Noten (H 1 d), den salto semplice,
„eine Silbendehnung durch ein springendes Intervall" (H 1 f), salti composti,
ein Arpeggio in „vier geschwinden Noten und dreyen Sprüngen" (11 1 g).
Für die Passaggie bleibt demnach nur übrig, Avas nicht unter diese
Begriffe fällt (H 1, h-m). Hier ebenso wie bei den anderen deutschen
Theoretikern vermissen wir jede ästhetische Erüiterung. Es fehlt die
Beziehung der Manieren zur Sprache, wie sie Bacilly im 17. und Berard
im 18. Jahrhundert umständlich erläutern. Die deutsche Musik dieser Zeit
läßt uns denn auch erkennen, daß von einer Übertragung französischer
Grundsätze in dieser Hinsicht keine Rede ist. Das sprachliche Gefühl,
insbesondere das Verständnis für Stärke und Schwäche der Silben ist
wenig entwickelt, und so werden denn auch die Manieren lediglich unter
musikalischen Gesichtspunkten angebracht.
Thomas Balthasar Janowska.
Wichtiger und instruktiver erscheint des Böhmen Thomas Balthasar
Janowska „Clavis <id tltesawmm magnae artis musicae" von 1701. Obwohl
er als Gewährsmann Kuhnaus „Neue Klavierübung", sowie Johann
Caspar Fischer (wohl „Musikalisches Blumenbüschlein") nennt, steht er
doch auf der Grundlage der französischen Ornamentik. Zur Interpretation
von Kuhn aus mehrdeutigen Erklärungen der Accentzeichen ist aber dieses
Werk vorzüglich brauchbar. Sein Zeichen für „Einfall, laüne: lapms, cd
casus, (int rectius hie ad rem, accentus" ist: -^ und *^ sowie die Doppel-
6
&2 Erster Teil.
striche //, also diejenigen Kuhn aus. Bei ihm aber beziehen sie sich in
erster Linie auf den Gesang. Der Accent, durch den einfachen Strich
angedeutet, bedeutet einen betonten Vorschlag, der Doppelstrich einen
Nachschlag. Jener ist stets die obere oder untere Sekunde zur Hauptnote,
dieser die Vorwegnahme und Verdoppelung der zweiten Hauptnote selbst.
Heißen also die notierten Noten c und h, so wird hier das h bereits vor
der Hauptnote angeschlagen bezw. gesungen, seinem Werte nach aber dem r,
also der ersten Note abgezogen. Die Figur entspricht also der Chute
des Loulie. Der VorschlagsbegrifF ist hier sehr eng gezogen, er beschränkt
sich auf Sekundenintervalle von oben oder unten; als Wiederholung der
ersten Hauptnote in anderen Intervallen, wie die Franzosen ihn anerkannten,
ist er ausgeschaltet. Wichtig aber ist seine zeitliche Bestimmung.
Er entnimmt seinen Wert stets der folgenden Hauptnote, an die er
angebunden wird. War aber diese Form bisher auf einen wirklich kurzen
Vorschlag beschränkt und bildete somit einen Trochäus, so wird er hier
auch als langer Vorschlag, Vorhalt statuiert, denn es heißt: observari hie
etiam potest, quod Uli priores, Descendentes aut Aseendentes, tarn Majores, quam
Minores Acc&rdus aut ad Notam Accessus sequenti notae feri medietatem valoris
quoad tempus rapiant. Wir begegnen also dem veränderlichen, langen
Vorschlag der Theorie des 18. Jahrhundeits, also einer nicht mehr lediglich
ornamentalen, sondern harmoniealterierenden Note. Freilich ist jetzt noch
von seiner harmonischen Beziehung nicht die Rede. (Beispiele H 2 a,
leider ohne Auflösung.)
Als Verzierungsform nennt Janowska ferner den Circuitus, einen
der Hauptnote angehängten Schleifer (H 2 b), den (Joule, vorzuglich als
klavieristische Verzierung, übereinstimmend in Zeichen und Ausführung
mit Chambonnieres, La Begues, d'Angleberts Coule sur un tierce,
Coup^rin und Dieupart (H 2 c).1) Triller und Tremolo decken sich
mit den Begriffen der Franzosen. Der Triller beginnt auch ihm mit der
oberen Hilfsnote (H 2 d). Den Tremolo definiert er als: „vocis alieujus in
unisono crebra repetitio", also die wiederholte Note Caccinis. Schwieriger
scheint sein Mordent zu bestimmen, für den er keine Resolution gibt.
Er führt nur an, er sei mit dem Triller identisch, „excepto, quod morden*
ad sui (actione m inferiorem vocem adhibeat, cum contra trilla (sie!) super iorem
requirat". Hieraus ließe sich folgern, der Mordent habe, wie der Triller
mit der oberen, mit der unteren Hilfsnote begonnen. Betrachtet man
aber das Beispiel (H 2 e), so sieht man, daß er einen Mordent im Sinne
Agricola-Bachs meint, nämlich eine einfache oder doppelte Sekunden-
bewegung, die mit der Hauptnote beginnt und die untere Sekunde als
') \'er«.'J. Dannreuter a. o. O.
Erster Teil. 83
Hilfsnote einfügt. Denn das Thema des Beispiels kann nur mit der
Tonica d, nicht mit dem unteren Hilfston eis einsetzen. Hier tritt das
Zeichen ~ zum ersten Male als eigentliches Mordentzeichen auf, während
die Franzosen, und noch Rameau, mit ihm den wirklichen, mit der
oberen Hilfsnote beginnenden Triller meinen.
Johann Caspar Fischer.
Auch Johann Caspar Fischer verwendet es in diesem Sinne; wo
er es mit einem senkrechten Strich durchkreuzt, meint er den Mordent.
Die deutschen Theoretiker des 18. Jahrhunderts gebrauchen die Zeichen
in ähnlichem Sinne für den Pralltriller (~) und Mordent (*>) (H g 3).
Fährmann.
Ein ergötzliches Kapitel der Verzierungslehre liefert Fuhrmann
mit seinem anonym veröffentlichten „Musikalischen Trichter" von 1706,
in seiner kernigen Sprache und seinen treffenden Anmerkungen zu den
musikalischen Unsitten seiner Zeit. Am Ende der Abhandlung „von
allerhand uitiis, so ein künstlicher Sänger meiden muß" klagt er, es
grassiere die Seuche unter den Musikern „immer noch einmal soviel Noten
und Manieren zu machen, als auff dem Papier stehen. Wenn ein solch
flüchtiger Mercurius nach seiner Caprice alles hinten und vorn, unten und
oben durch die Diminution verschwäntzet und zergliedert, so wird nicht
nur der Text offt unvernehmlich, und der Kontrapunkt in der Komposition
verhuntzet, sondern müssen daraus notwendig (sonderlich in einem voll-
stimmigen Stücke) vltia compositionis erfolgen". Das sei besonders uner-
träglich, wenn eine Stimme mehrfach besetzt sei, wie denn „der unver-
gleichliche Herr Buxtenhuden zu Lübeck nicht zwei- oder drei-, sondern
gerne zwanzig- und dreißigfach, und wohl noch mit mehr Personen
besetzte. Allein all diese Instrumentisten müssen ihm auch keine Note
oder Punkt verrücken, oder änderst streichen, als er ihnen vorgeschrieben.
Ja, so sollte es sein und klinget dann alles sogleich als wäre es eines".
Die Zustände musikalischer Anarchie in Italien, von der Tosi für den
Sologesang berichtet, herrschten also in Deutschland gleichfalls über den
Sologesang hinaus auch im Orchesterspiel. Die den Italienern geläufige
virtuose Improvisation, ein Erbteil des 16. Jahrhunderts, war also mit
der neuen Kunst zugleich zu uns gedrungen. Man hält es heute kaum
für denkbar, daß sogar eine Mehrheit von Spielern einen Part auszuzieren
sich vermaß. Welch ein unerträgliches Durcheinander muß da zutage
gefördert worden sein, wie tief muß der Brauch gewurzelt haben, wenn
es einer auszeichnenden Hervorhebung bedarf, daß Buxtehude ihn ver-
boten, und offenbar doch auch nur mit Rücksicht auf seine besonders
starke Besetzung.
84 Erster Teil.
Fahrmanns Terminologie and begriffliche Bestimmung der Manieren
weicht wiederum nicht unerheblich von derjenigen seiner Landsleute ab.
Italienische und französische Praxis bestimmen sie und ergeben ein wenig
einheitliches Bild. Die Vorschlagrhythmen kennt er einmal unter dem
Namen accenti in trochäischer Form. Das Beispiel H 4 a dient ihm
gleichzeitig dazu, den Nachschlag zu beschreiben, indem er meint, der Accent
könne am Anfang und Ende einer Note gebraucht werden; auch können
alle Gesänge mit einem Accent im Semitonio unter dem ersten Clave
angefangen werden, was sich die späteren Theoretiker, besonders Agricola
ausdrücklich verbitten. Doch bleibt diese Form bei ihm beschränkt auf
den Fall „wenn die Stimme sanfft und schnell hinauf oder herab in der
Sekunde oder Terz steiget". Er statuiert also den trochäischen Vorschlag
überhaupt nur als Sekundenvorschlag von oben oder unten, wenn die
Hauptnoten nicht weiter als eine Sekunde oder Terz von einander ent-
fernt sind. Von einer allgemeinen Zulassung dieser Manier ist auch bei
ihm keine Rede, ebensowenig wie bei Louliö, der den Port de üoLc in
trochäischer Form sogar nur zwischen aufsteigenden Sekunden bei Halb-
tönen zuläßt. Dagegen tritt der jambische Vorschlag als antlcipatione
ddla sillaba ohne Einschränkung auf, obwohl er, fügt er hinzu, „bey der
Terzia im Steigen und Fallen am besten angehet". Unser Beispiel (H 4 b)
zeigt die Uebereinstimmung mit Louliös Port de voix aufwärts, dem
Coule abwärts und Muffats ..Superficies; gemeiniglich accentus". Wie wenig
klar Fuhrmann denkt, zeigt Definition und Beispiel seiner Anticipatione
della nota: „ist, wenn man von einer Note unter einer Silbe der folgenden
Note auch etwas zuleget, so bey der Sekunde im Steigen und Fallen am
füglichsten kommet". Aus diesen Worten ist eine Anschauung kaum zu
gewinnen. Das Beispiel (H 4 c) zeigt zwei gänzlich verschiedene Ver-
zierungsformen, auf den Silben „wert" und „(Him)mel" Nachschläge, die
folgende Note antizipierend, auf den Silben „den" und (er)„ben" mit der
Hauptnote gleichlange Vorschläge.
Konnten wir feststellen, daß die Begriffe Triller und Tremolo in
Italien im Sinne der römischen Schule angenommen worden waren, so
wirft Fuhrmann wieder alles durcheinander. Zu seiner Entschuldigung
führt er an, er habe vergeblich eine von allen Musikern gebilligte Unter-
scheidung zwischen trillo und trilletto, zwischen tremolo und tremoletto
gesucht. „Die Musikanten sind in vielen Dingen so einig, als Simsons
Brand-Füchse, so mit den Schwäntzen zwar zusammengekuppelt, aber doch
mit den Köpfen getheilet." Sein Triller (H, 4 d) ähnelt dem tremblement
appuye des Couperin und dem tremblet?ient ou fredon des Muffat. Er
beginnt mit der Hauptnote und nimmt die obere Hilfsnote auf der Arsis
hinzu, der trilletto (11, 4 e) ist dieselbe Figur im Halbton-Intervall mit
Erster Teil. 85
einem abschließenden Doppelschlage. Für jenen gibt er als Zeichen fr,
für diesen t. Der tremolo (II, 4 f) ist ihm eine Halbtonbevvegung nach
unten, die mit der oberen Hilfsnote beginnt, der tremoUtto die Bebung
(H, 4 g). Die Gestaltung seiner Triller bezeugt eine vollständige Ver-
kennung aller in der Praxis und Theorie geübten Gesetze. Der Sänger
wird stets den Triller nach unten schlagen, so daß die höhere Note auch
die betonte ist, und so fanden wir denn auch bisher in den wirklich
vokalischen Anweisungen den Triller stets mit der oberen Hilfsnote ein-
setzend geformt. Fuhrmann verwechselt also hier die instrumentale
Verzierung des Tremolo, tremblement ou fredon des Muffat, mit dem
echten Gesangstriller, den er überhaupt nur als tremolo im Halbton zuläßt.
Sein Groppo (H, 4 h) und Circolo (H, 4 i) decken sich mit den gleich-
benannten Begriffen des Printz. Arpeggierte Figuren erwähnt er unter
dem Begriff Messanza und Salto, seine Tirata und Passagio sind die üblichen
Läufe, wie sie unsere Darstellung wiederholt nachgewiesen.
Wolfgang Michael Mylins,
Eine gewisse Übereinstimmung mit Fuhrmanns Lehren erweisen
Wolfgang Michael Mylius's „Rudimenta musices"1), 1686. Accent ist
auch ihm der Vorschlag, gleichmäßig in trochäischer und jambischer Form,
aber nur von der Linea zum Spatio und umgekehrt, also als Sekunde.
Das erste Beispiel (H, 5 a) zeigt trochäische, das zweite (H, 5 b) jambische
Rhythmik. Unter dem Begriff Anticipatione della sillaba subsumiert er
den kurzen jambischen Vorschlag ohne Einschränkung, aber mit der
Bemerkung, daß er bei der Sekunde häufiger sei, als bei andern Inter-
vallen, im Steigen und Fallen (H, 5 c). Die Anticipatione della nota
umfaßt, wie bei Fuhrmann, die Begriffe Nachschlag und Vorschlag
(H, 5 d). Endlich erscheint hier eine auch an anderen Orten erwähnte
Verzierungsform: das Cercar della nota, identisch mit dem Accent, als
obere und untere Sekunde überall jambisch (H 5 e). Die gleichen Begriffs-
bestimmungen gibt Beyer, Johann Sam.2)
Fehlte es schon in den ausländischen Stätten des Musiklebens an
einer Konzentration des Stoffes, vermochte nicht einmal der Theoretiker
dort Allgemeingültiges von der Praxis einzelner zu scheiden, so kann man
dem auf das- Ausland angewiesenen deutschen Lehrer keine Vorwürfe
machen, wenn er es unterließ, das Material zu sichten und Allgemein-
gültiges von Sondermeinungen zu scheiden. Aber unbegreiflich bleibt es
doch, daß jeder wirklich glaubte, im Besitz einer allgemein gültigen Lehre
zu sein, und als Gesetz hinstellt, was doch nur partikulare Geltung
!) Fünftes Stück. „Von der lieblichen, artigen und zierlichen Singart."
2) Anweisungen zur Singekunst, 1703.
86 Erster Teil.
beanspruchen kann. Nur Fuhrmann läßt die Wahrheit durchblicken,
wo er über die Vielköpfigkeit der Musiker klagt, freilich ohne die nötigen
Konsequenzen zu ziehen.
Die deutsche Praxis,
Kirchliche Kantate.
Es hat einige Jahrzehnte gewährt, ehe die deutsche Kunst aus ihrer
Anlehnung an den neuen italienischen Stil zur Selbständigkeit erstarkte.
Das deutsche Musikschaffen kam in erster Linie der kirchlichen Kantate,
der Passion und dem Liede zustatten. War bei den Italienern des
ausgehenden 17. Jahrhunderts die Entfaltung der Menschenstimme, das
Gestalten aus ihrer Naturanlage heraus bestimmend, so ist sie dem
Deutschen in erster Linie das Mittel poetisch-musikalischer Darstellung.
Die deutschen Meister gehen von der Orgel aus, und so ist ihr Gesangsstil
wesentlich instrumental, durch die Orgel beeinflußt. Dem Ausdruck
religiöser Lyrik gerecht zu werden, mußte die Stimme in der geistlichen
Kantate ihren persönlichen Charakter aufgeben und zum Instrument werden,
das wie die Orgel vorzüglich geeignet ist, allgemeine Empfindungen dieser
Art auszulösen. In der Passion dagegen durfte die persönliche, dramatische
Eigenart der Stimme, wie sie die Italiener behandelten, erhalten werden.
Die Melismatik der geistlichen Kantate der Deutschen arbeitet mit dem-
selben Material wie die Italiener in Oper und Kantate, aber sie untersteht
doch überall dem Zwange der oben erörterten Bedingungen. Ihre
melodische Funktion in der Verbindung der Hauptnoten durch Manieren,
Duolen, kleine Gänge ist keine andere als dort, sieht man von einer gewissen
Eckigkeit und Steifheit ab, die jener instrumentalen Denkweise gedankt
wird. Können doch noch Bachs Einzelgesänge auch dort, wo die Form
die ältere deutsche verläßt und italienisch wird, ihre instrumentale Herkunft
nicht verleugnen. Auch die tonmalerischen Wendungen der italienischen
Vorbilder, sei es als Wortunterstreichung, sei es als Stimmungsschilderung,
finden sich wieder. Auf das rein Gesanglich-Schöne, auf das Ausleben
der Stimme in melodischen Tonreihen mußte diese Kompositionsgattung
verzichten. Die ältere norddeutsche Schule der Tun der, Ahle und
Weckmann vermeidet denn auch bravouröse Technik fast völlig. Aus
der erhöhten Teilnahme der Instrumente ergibt sich oft eine kontrapunktische
Behandlung der Singstimme, die dann eben nur eine Stimme des mehr-
stimmigen Satzes vorstellt.1) Ganz in italienischer Art fungiert zuweilen
das Melisma in der Themenbildung2) als Verkörperung seelischer Zustände,
i) Vgl. zum Beisp. Denkmäler deutscher Tonkunst, Bd. 16, S. 6.
2) Zum Beisp. bei Tunder a. o. O., Bd. 3, S. 8.
Erster Teil. 87
wie der Freude, des Jubels, auf Worten wie: Allelujah, canitur, Preis etc.,
seltener äußerer Vorgänge, also eigentlich tonmalend. Die jüngere Schule,
vorzüglich Buxtehude in seiner Abendmusik, unterscheidet sich von dieser
Behandlung nicht wesentlich. Auch sie vermeidet es, sich an Bilder und
Vergleiche substanzieller Art anzulehnen, ja geht der Versuchung vielfach
aus dem Wege, wo jeder Italiener ihr unterlegen wäre.1) Auch ihm ist
die immerhin reichlich verwendete Koloratur im wesentlichen Verstärkung
des musikalischen Gefühlslebens. Auch hier ist der Ausgang von der
Orgeltechnik zu suchen. Der Gesang ist auch hier durch das Ausdrucks-
vermögen dieses Instrumentes hindurchgegangen. Anders liegen die Ver-
hältnisse in den Kantaten des süddeutschen Meisters J.C.Kerl, bei dem
italienischer Einfluß überwiegt, und dem hervorragend geschulte Gesangs-
kräfte zur Verfügung standen. Seine koloristische Behandlung der Stimme
ist reichlich und üppig und entspricht dem glänzenden, prunkhaften Kultus
der Jesuitenkirchen Süddeutschlands.2)
Das Lied,
Im einstimmigen Liede geht sein wichtigster Vertreter Heinrich
Albert bald über die Monodien der Italiener weit hinaus. Albert lehnt
einmal an den protestantischen Choral an, „aber ohne seine schwer-
fällige Kadenzierung und gedankenlosen Respekt vor dem Reim". Seine
Harmonie verfügt über die Mannigfaltigkeit der alten Kirchentöne, seine
Rhythmik über die Beweglichkeit und die Wechseleffekte der Mensural-
periode.3) Dann aber pflegt er neben den mehr liedmäßigen Gebilden
auch die Form der Solokantate „und benutzt das Prinzip der Kantate,
den genauen Anschluß des Tones ans einzelne Wort, auch für strophische
Lieder und führt in sie das Rezitativ und die Koloratur ein". In der
stilistisch der Kantate genäherten „Arie" spielt denn auch die Koloratur
eine gewichtige Rolle sowohl in der Bestimmung die Noten zu verbinden,4)
als auch als Melodieträger5) in der Themenbildung6), in tonmalender
Funktion7) und in der Kadenz.8) Natürlich treffen vielfach in einer Ton-
bewegung mehr als eine dieser Funktionen zusammen. Beurteilt man
sie unter dem Gesichtspunkt einer Zeit, die noch dem Diminutionswesen
*) Vergl. zum Beisp. a. o. O., Bd. 14, S. 32.
2) Das Nähere bei Sandberger: Denkmäler der Tonkunst in Bayern, Bd. IL
8) Denkmäler deutscher Tonkunst, Bd. XII, Einl. S. 18 (Kretzschmar).
4) a. a. O., S. 11. „Vatertreu", eine vei bindende Doppelschlagsbewegung, S. 62
„seufzen", .Nachschläge etc.
5ß Zum Beisp. a. a. O., S. 12 „Herzen", S. 17 „fliehet" und „liebet".
G) Ebenda S. 11 ,,Auf mein Geist", S. 83 „O wie mögen", S. 95 „O der Göttin".
7) ebenda S. 9 „Lauf", S. 51 „Sing' in meiner Saiten Werk", S. 83 „Freuden" etc.
8; Ebenda S. 9 „hören", S. 12 „ergehen", S. 20 „unbewusst", S. 96 „Göttin".
88 Erster Teil.
eines Zacconi und Bovicelli nahestand, vergleicht man sie mit den
Kompositionen eines Otavio Durante, Caccini und Fr. Severi so
kann man die weise Ökonomie Alberts nur bewundern. In noch höherem
Grade gilt das von Kriegers Arien.1)
Es läge außerhalb der Aufgabe dieser Arbeit, diesem Gegenstand
auch bei den Deutschen ins einzelne nachzugehen. Auf besonders
charakteristische Bildungen und Eigentümlichkeiten hat Kretzschmar2) be-
reits überall hingewiesen. Vorzüglich für die in die Rezitative der Passionen
des Schütz und Sebastiani eingelegten melismatischen Formeln, die auf
eine Vertiefung seelischer Affekte oder Tonmalerei abzielen, und als Vor-
läufer ähnlicher Gestaltungen in Bachs Passionen gelten dürfen, kann ich
mich mit diesem Hinweis begnügen. Über den Einzelgesang in den
Oratorien aus Händeis Jugend, sowie in denjenigen Keisers, Matthesons
und Telemanns hat sich Bitter3) geäußert. Hier stehe nur noch eine
kurze Würdigung desjenigen Meisters, in dessen Opern der deutsche
Einzelgesang vor Händel seinen sichtlichen Höhepunkt erreichte, schon
um seines Einflusses wegen, den er auf diesen auszuüben vermochte: des
Reinhard Keiser.
R. Keisers Opern.
AI. Scarlattis und R. Keisers künstlerischer Werdegang zeigen
auffallende Ähnlichkeit. Beide besaßen eine reiche Phantasie und eine
unerschöpfliche Kraft melodischer Erfindung, und doch sind beide hinter
den Erwartungen zurückgeblieben, zu denen sie berechtigten. Trotz ihrer
eminenten Begabung waren ihre Pläne stets nur auf das Nächstliegende
gerichtet und begnügten sich mit dem allmählichen Ausbau überkommener
Formen; die Oper und ihre Arie blieben ihr Hauptfeld, wenngleich beide
auch als Kirchenkomponisten über den Durchschnitt hinausragten. Nicht
der bewußte Wille einer musikalisch-dramatischen Umgestaltung, der den
minder begabten Lully zum Haupte einer neuen Schule werden ließ,
leitete sie, ihre Bedeutung erschöpfte sich — das oben von Scarlatti
Angeführte gilt auch für Keiser — in der Förderung des harmonischen
und melodischen Elements und der reicheren Gestaltung des Orchester-
spiels.4) Scarlatti ist dem Keiser sichtlich überlegen, einmal in der
Mannigfaltigkeit der Formen — seine Arien zeigen eine Abwechslung
in der Gruppierung der Themen und der harmonischen Beziehung der
J) Denkmäler deutscher Tonkunst, Bd. XIX (Alfred Heuss).
2) Führer durch den Konzertsaal II, i.
8) Beiträge zur Geschichte des Oratoriums insbesondere S. 94, 99, 152 und 156.
4) Vgl. Kleefeld „Das Orchester der Hamburger Oper", Sammelbd. der Internat.
Musikgesellschaft, Jahrg. I.
Erstei Teil. 89
Teile, an die Keiser nicht heranreicht — , dann aber in der Geschmeidigkeit
und Prägnanz der Themenbildung, einer weit gesangsmäßigeren Behandlung
der Stimme, und vor allem in der sinn- und sprachgemäßeren Deklamation,
die wir bei Keiser schmerzlich vermissen. Indes überragt der deutsche
den italienischen Meister zweifellos in der großen Anlage des Tonstückes,
in der Fähigkeit durch orchestrale, sowie durch gesangliche Mittel
Stimmungen zu wecken, und psychische Affekte zu erschöpfen. Seine
lyrischen Szenen erfüllt der Geist Mozartscher Grazie, aber größer noch
erscheint er, wo er pathetische und tragische Aufgaben zu lösen hat.1)
Keiser geht in seiner Behandlung der Fiorituren durch die Italiener
hindurch, aber vielfach über sie hinaus. Auch er liebt die Wortmalerei,
und zwar nicht nur in der Arie, sondern auch im Rezitativ, worin er
sich mit Stefani berührt. Oft genügt ihm ein Textwort, die ganze
Arie, oder einen Teil virtuos koloristisch zu gestalten. Ja, er geht darin
so weit, die formalen Grundlagen zu verändern und einen Bruch mit der
Gesamtanlage zu vollziehen. Wo Ormoena in der Octavia2) von Neros
Untreue hört, wird dem Mittelsatz bei den Worten „also wanken meine
zweifelnden Gedanken" eine siebentaktige Koloratur auf „wanken" vor-
ausgeschickt, die an sich recht geschmacklos gebaut, die Proportionen
ganz verschiebt. Im Adonis von 1698 beklagt Ennone den Tod des
Adonis in einem prächtigen Klagegesang:
Klagt ihr Wälder, klagt mit Schmertzen
Klagt Adonis eure Ruh,
Der in euch gewohnt zu schertzen . . . etc.
Er kann sich nicht versagen, das Wort „schertzen" in einer von
den Violinen in Terzen begleiteten, der ernsten Stimmung durchaus nicht
adäquaten Koloratur zu illustrieren, und später, als ob er den Faden
ganz verlöre, in eine hüpfende, mit Pralltrillern und gehauchten Noten
gleicher Tonhöhe kokett überladene Fioritur zu übersetzen (J 1 a). Einer
ähnlichen ästhetischen Ungeheuerlichkeit macht er sich im „Croesusu
schuldig. Elmira singt:
Liebe sag, was fängst du an?
Soll mein Hertz an diesem Knaben,
Dem ich Atys sehen kann,
Schmertzen oder Freude haben?
Diese Yerse baut er zur dacapo-Arie aus, indem er den dominantischen
Mittelsatz auf dem vierten Yers mit ausgedehnten Koloraturen auf „Freude"
J) Vgl. die ausgezeichnete Charakteristik R. Keisers durch Kretzschmar : „Das erste
Jahrhundert der deutschen Oper", Sammelb. der Intern. Musikgesellsch., Jahrg. III, S. 286.
2) Supplemente, enthaltend Quellen zu Händeis Werken, Ausgabe von Keisers
„Octavia" (Seiffert), S. 84.
90 Erster Teil.
füllt (J 1 b). Der Charakter des Ganzen ist damit gänzlich verschoben,
der Mittelsatz entartet zu einer Vokalise, die in ihren tändelnden, leicht
springenden Figuren nur das Wort „Freude" bezeichnet, also dem Sinn
der Strophe: der Ungewißheit, ob ihr Schmerzen oder Freuden bevor-
stehen, widerspricht. Anderswo ist er glücklicher; wenn er in einer
komischen Arie des Gelon im „Adonis":
Und wenn ein Weib vom Himmel fiel,
So hat sie ihre Mücke,
Die Schmeichelei, der süße Mund,
Ist ohne Grund betrügen,
Ihr bestes Spiel ist Lachen voller Tücke.
durchaus im Liedton bleibt und nur am Schluß das „Lachen" mit einem
kurzen Lauf unterstreicht (J 1 c), im „Masaniello" den „hohen Geist
der strahlend durch die Lüfte streicht" mit der Rakete vergleicht (J 1 d),
oder wenn er in einem Liebesduett zwischen Octavia und Nero1) „kann
dich mein Arm" die leichten Liebeständeleien in ein entzückendes Ton-
spiel der Stimme und der Oboe umsetzt, wobei freilich die Sekunden-
bewegung mehr der Technik der in Terzen gehaltenen Oboe als der mensch-
lichen Stimme entspricht.
Indessen erhebt K eiser die Passaggie über die Beschränkung auf
eigentliche Wortmalerei hinaus zu wahrer Situationscharakteristik, und
zwar einmal noch an das Wort angelehnt, aber doch die Gesamtstimmung
zusammenfassend, dann aber, wo er Vorgänge des Naturlebens mit der
Entfaltung psychischer Zustände verbindet. Für jene hat er vortreffliche
Vorbilder in den Venezianern und Stefani. Sie hat denn auch, wie dort,
vorzugsweise ihren Platz im Rezitativ pathetischen Stils, seltener in der
Arie (J 1 e, f). Hier arbeitet Keiser mehr im Sinne der Italiener mit
laufenden, rhythmisch lebhaften Gängen, die im Fluß des Secco-Rezitativs
durch den Gegensatz wirken sollen, als durch außergewöhnliche Intervallen-
schritte, obwohl auch bei ihm zuweilen weite und alterierte Intervalle
vorkommen. Auch in der Arie trifft man zuweilen solche über bloße
Wortmalerei hinausreichende Tongänge, die den Verlauf des Vorgangs
oder den Affekt des Handelnden treffen. Ganz besonders reizvoll aber
sind seine Schilderungen von Vorgängen in der Natur, sei es, daß er den
Gesang der Nachtigall oder das Murmeln der Wellen, oder das Säuseln
sanfter Winde musikalisch zu fassen sucht. Ahnlichen Bestrebungen waren
wir auch in der italienischen Literatur des 17. Jahrhunderts be-
gegnet und im 18. Jahrhundert reifen diese Ansätze zu den anmutigsten
') a. o. O., S. 17.
Erster Teil. 91
Gebilden.1) Aber Keiser übertrifft hier seine Vorbilder sowohl durch die ge-
wählte Harmonik und die sorgfältigere Ausfeilung des instrumentalen Partes,
durch die treffende Wahl und die Abwechselung der konzertierenden
Instrumente, als durch die dem Zweck völlig unterworfene Behandlung der
Singstimme, die nicht davor zurückscheut, auch einmal an das instrumental
erfundene Thema anzulehnen. Diese glänzende Seite von K eisers
Begabung kann nur durch eine eingehende Würdigung seines gesamten
Schaffens erschöpfend erörtert werden.2) Hier genüge der Verweis auf
einige besonders gelungene Stellen in seinen Opern3). (J 1, g-h.) Ich
brauche nur an Händel und seine berühmte Nachtigallen arie im „AUegro
e Pensieroso" zu erinnern, um auch für dieses Gebiet K eisers Einfluß auf
seine Schreibweise zu betonen.
Zwei Eigentümlichkeiten seiner Passaggien mögen hier noch
hervorgehoben sein. Der Einfluß der konzertierenden Instrumente
auf die Gestaltung der Gesangspassaggien ist bereits oben bei den
Italienern besprochen worden; er ist auch bei Keiser nachzu-
weisen. Wie ihnen die Oboe und Flöte maßgebend wurde, erwähnte
ich bereits. Die Trompete mit ihren langatmigen Bravourstellen
und ihrer Nachahmung durch die Singstimme, wie sie Scarlatti
und andere pflegen, scheinen K eisers Beifall nicht gehabt zu haben.
Dafür bestimmt bei ihm die Technik anderer Instrumente nicht
selten den Gesang. So läßt er in der Octavia das Hörn ein Thema
anstimmen, das dann die Stimme übernehmen muß.4) Zwar geht er selten
so weit wie hier, geradezu unsanglich zu werden, obwohl auch das
vorkommt, wie denn die Figur in dem Beispiel aus „Ulisseu (J 1, i)
violinistisch gedacht ist und der Singstimme nicht liegt. Aber das Erfinden
aus der Eigenart und Natur der Stimme heraus ist ihm nicht Bedürfnis,
er dachte und komponierte offenbar nicht selten in der Weise, daß das
Thema instrumental hingestellt wurde, und die Gesangsstimme sich dem so
festgestellten Plane einfügen mußte, ein Verfahren, dem selbst Scarlatti
nicht immer aus dem Wege ging. Auch der Mangel an Bekanntschaft
mit hervorragenden Gesangsvirtuosen — die Hamburger Oper war bekannt-
1) Eine .entzückende Nachtigallenarie mit zwei Flöten, zwei Violinen und Bass fand ich
in Giovanni Bonocinis Trattenimento per Musica, 1704. K. K. Hofbibl. Wien. Eine ähnliche
Arie in Lottis Kantate. Ms. 132 10 K. Bibl. Berlin.
2) Ein umfangreiches Material hat Dr. Hugo Leichtentritt zusammengetragen, das leider
bisher nur zum geringsten Teil in seiner Dissertation : Reinhard Keiser in seinen Opern ver-
öffentlicht ist.
3) Vgl. auch die Neuausgabe der Octavia, Händel Supplementband : „Wallet nicht zu laut".
4) Ebenda „La Roma trionfante".
92 Erster Teil.
lieh bierin schlecht bedacht1) — läßt K eiser nicht zu jener höchsten
Vollendung der der damaligen Oper unentbehrlichen Ausdrucksmittel der
Melismatik gelangen. Händel mußte auch hier bei den Italienern, und
Stefani vorzüglich, in die Schule gehen.
Eine andere Eigenschaft Keiserscher Fiorituren besteht in dem
Wechsel der rhythmischen und melodischen Gliederung. Er beschränkt
sich nicht, wie viele Italiener, auf sequentische Wiederholungen einer
Phrase, sondern er läßt in den größeren Melismen einmal Tonformeln
abweichender Melodik und Rhythmik sich ablösen, und belebt dann auch
dort, wo er an einer Grundformel festhält, durch kleine Verzierungen, wie
Pralltriller und Vorschläge. Wenn er dadurch einer schablonenhaften und
geistlosen Monotonie entgeht, so unterliegt er andererseits vielfach der Gefahr,
den Zusammenhang mit dem Ganzen zu verlieren und die melismatischen
Formeln in solchem Grade zur selbständigen Vokalise aufzubauschen, daß
sie nicht mehr als integrierender Bestandteil des Organismus empfunden
werden, wie das unsere Beispiele aus „Adonis" und „Croesus" erhärten.
Die Unfähigkeit der deutschen Schule des 17. Jahrhunderts, zu einem
natürlichen Verhältnis zwischen der sprachlichen und musikalischen Diktion
in den geschlossenen Formen vorzudringen, macht sich in Keisers Opern
und Kantaten vorzüglich fühlbar. Resultierte sie in der geistlichen Kantate
wie noch bei Bach, aus der instrumentalen, orgelmäßigen Denkweise, so
beruht sie hier auf dem prinzipiellen Übergewicht des rein Musikalischen.2)
So verwendet auch Keiser melismatische Zerlegungen und Manieren vielfach
ohne Rücksicht auf Iktus und Metrum, sodaß sie recht häufig schwache
Silben oder unbetonte Worte des Satzes stärker hervorheben, als es die
Wort- und Satzbetonung gestattet.3) Neben der Minderwertigkeit und
1) Erst in der letzten Zeit verfügte die Hamburger Oper auch über hervorragende Sänger,
für die Keiser Arien schrieb, wie die der Analgida in seiner „forza della virtü", die dasÄusserste
an Koloraturschwierigkeiten und an Forderungen des Ausdrucks enthalten, was es in der
Geschichte des Musikdramas überhaupt gibt. Kretzschmar, Sammelb. der Internat. Musik-
Ges. 1902, Heft 2.
2) Mattheson hat sich in seinem „vollkommenen Kapellmeister" über diese Schwäche
der Komponisten auch noch des 18. Jahrhunderts eingehend ausgelassen. Vgl. Heinrich
Schmidt, Johannes Mattheson, Leipzig 1897, S. 50 f.
3) Einige Belege zu dem oben Gesagten seien hier gegeben. Aus der Octavia wähle
ich folgende Stellen: Die gesperrten unbetonten Silben sind durch die Verlegung auf den
schweren Taktteil oder durch Manieren gegen das sprachliche Metrum betont: S. 15 ,,Ver-
gnügen", S. 16 ,, küssen", S. 38 im Rezitativ „ansah'*, ebenda „Verworfene", S. 49 Re-
zitativ das unbetonte Wort „nur" auf den schweren Takt gelegt, S. 62 la saetta e fatale,
wo durch Notenzerlegung und Schleifer die unbetonten Silben sprachwidrig hervorgehoben
sind, S. 66 tritt, wie vielfach auch an anderer Stelle, die betonte Silbe „hol (den), auf dem
zweiten Achtel des ersten Viertels ein. S. 68 entzündest, S. 86 Treue; die letzte Silbe
durch einen trochäischen Vorschlag betont.
Erster Teil. 93
Geschmacklosigkeit der Dichtungen ist die schwülstige, abscheuliche Sprache,
und die Unfähigkeit der Musiker, auch Keisers, sie zu ihren Tonreihen in
ein metrisch angemessenes Verhältnis zu bringen, ein Hauptgrund, der die
Hamburger Oper für eine Wiederbelebung in Gegenwart und Zukunft
disqualifiziert. Wir haben unter solchen Umständen zu bedauern, daß
dieser Schatz guter Musik unrettbar verloren ist.
So zahlreiche Partituren italienischen und deutschen Ursprungs ich
auch durchgesehen, es ist mir nicht gelungen auch nur eine Arie mit
verändertem, also verziertem da ca^o-Satz aufzufinden. Selbst wo er, wie
sehr häufig bei Scarlatti, ausgeschrieben wird, stimmt er regelmäßig,
abgesehen von einigen Kürzungen und entsprechend harmonischen Ver-
änderungen, mit dem ersten Teil überein. Dagegen entdeckte ich in der
Partitur von Keisers „Diana oder der sich rächende Cupido" in der
offenbar eingelegten Arie „Lontan de tuoi bei raiu zwei Kadenzen (I, 2 a
und b) und zwar die eine überleitend vom ersten Teil in A-dur zum
zweiten in A-moll, sodaß hier der Quart-Sext-Akkord auf e mit kleiner
Sext eintritt, dann die Kadenz folgt, die mit dem A-moll Dreiklang endet,
und der zweite Teil sofort sich anschließt. Es bleibt also der mit dem
Kreuz bezeichnete Takt aus, während er bei der Wiederholung aus-
geführt und dann sofort ohne Kadenz geschlossen wird, worauf das
Ritornell in A-dur erklingt, das natürlich beim ersten Mal fortbleibt.
Auch der zweite Teil zeigt einen kleinen Anhang, der tonisch in e ge-
schlossen ist. (J 2 b.) Die Hauptkadenz ist sehr einfach, thematisch an
die Arie angelehnt, indem sie einige Formeln der Arie selbst wieder-
holt. Wie wir später sehen werden, wurde in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts die Kadenz regelmäßig thematisch gestaltet. Erst
später, von etwa 1750 an, tritt ihr die reine Sängerkadenz gleichberechtigt
zur Seite, die nur die Bedeutung hat, die Arie mit einer schön gestalteten
Phrase ausklingen zu lassen, und dem Sänger Gelegenheit zu geben, eine
ihm genehme Bravour zu entfalten.
Keiser ist wohl der erste deutsche Komponist, der Verzierungen,
insbesondere den Vorschlag vielfach in kleinen Noten ausschreibt. Noch
Kusser braucht sie nicht, Keiser aber schon von 1698, dem Adonis
an, ohne aber mit dem alten Brauch sie auszulassen, oder in mensurierten
W7erten zu notieren, ganz zu brechen. Die Praxis schwankt auch später:
Händel verschmäht, mit seltenen Ausnahmen, die kleine Note ebenso wie
Scarlatti, J. S. Bach bedient sich ihrer überall. Keiser verziert so
reichlich, wohl mit Rücksicht auf sein wenig geschultes Sängerpersonal,
daß kaum wesentliche Zusätze — immer die Veränderung des ersten
Teils als da capo und, die Kadenz ausgenommen — notwendig er-
schienen sein dürften. Ausgeschriebene Vorschläge erweisen sich regel-
S4 Erster Teil.
mäßig als jambische, die kleinen Noten bedeuten ihm bereits lange, ver-
änderliche, und kurze, unveränderliche Yorschläge zugleich. Auf ihre
Interpretation können wir erst im nächsten Kapitel eingehen. Seine
Triller bezeichnet er überall mit t, ohne Unterscheidung kurzer und langer
Formen, auf die kurze Form folgt häufig ein doppelter Nachschlag (J 3 a).
Die Zusammenstellung langer Triller mit Nachschlag zum Kettentriller ist
ihm ebenso geläufig wie Händel. Die kleine Note vor dem Triller be-
deutet den Einsatz mit der oberen Elilfsnote als Vorhalt, also den Triller
mit appui der Franzosen. Den Schleifer schreibt er bald in kleinen
Typen, bald eingeteilt, ohne daß eine unterschiedliche Ausführung nach-
weisbar wäre. Häufig gebraucht er die gehauchte Yokalisation auch zu
tonmalerischen Zwecken. (J 3 b.)
ZWEITER TEIL.
Die Ornamentik des 18. Jahrhunderts seit dem
Erscheinen von Tosis „opinioni" von 1723.
Kapitel I.
Die deutsche Theorie.
Die erste Gesangsschule, alle Gegenstände des Gesanges umfassend,
rührt von dem Italiener Pierfrancesco Tosi her. Die Verzierungslehre ist
hier einer ausführlichen Würdigung unterzogen. Das Werkchen muß eine
außerordentliche Autorität besessen haben, denn noch 1757 legte es
Johann Friedrich Agricola seiner „Anleitung zur Singkunst" in der
Form zugrunde, daß er zunächst eine Übersetzung des italienischen
Originals gibt1) und dann Erläuterungen und Zusätze anfügt. Durch sie
erhält Tosis Buch erst wahren Wert; denn seine unklare, einer zweifellosen
Auslegung hinderliche Ausdrucks weise, der Mangel an Notenbeispielen2)
erschwert uns, die wir der Praxis der Zeit fernstehen, die Interpretation
des Textes in solchem Grade, daß es ohne seine deutsche Übersetzung
und Agricolas Zusätze eine erhebliche Bereicherung unseres Wissens
kaum bedeutete. In folgendem wird deshalb von Agricolas Über-
setzung auszugehen sein, und Tosis Original nur wo notwendig heran-
gezogen werden.
Die Festlegung der, wie wir sahen, so bedenklich schwankenden
Praxis war ein unabweisbares Bedürfnis geworden. Nun dürfte es aber
kaum zu ihr gekommen sein, wenn nicht der Aufschwung der Kammer-
musik gerade in Deutschland, die steigende Beliebtheit des konzertierenden
Violin-, Flöten- und Klavierspiels eine theoretische Literatur des Gegen-
standes gefordert hätte, die auf die Verzierungslehre, als einen ihrer
wichtigsten Zweige, nicht verzichten konnte. So kam es, daß deutsche
Musiker zuerst eine literarisch-wissenschaftliche Verarbeitung einer im
Grunde genommen rezipierten, Franzosen und Italienern verdankten
Lehre vornahmen. Agricolas „Singekunst" von 1757 war Quantzens
1) Neuausgabe des ital. Originals, Neapel, 1904.
2) Die englische Ausgabe von 1743 hat einige Beispiele, die aber wohl kaum dem
Verfasser selbst zu danken sind.
96 Zweiter Teil.
„Versuch einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen", 17521)
Ph. E. Bachs „Versuch über die wahre Art, das Ciavier zu spielen", 17532)
und Leopold Mozarts „Versuch einer gründlichen Violin-Schule", 1756
vorausgegangen. Das Erscheinen so umfangreicher Lehrbücher für die
ausübende Kunst in der Folge weniger Jahre beweist das Bedürfnis.
Für das Generalbaßspiel hatte ihm Heinichens „Neu erfundene und
gründliche Anweisung" von 1711 entsprochen. Alle diese Werke nun
beschäftigen sich mit den Verzierungen, ihrem Wesen, der Kunst sie
anzubringen, des Veränderns und Kadenzierens aufs ausführlichste, ja man
kann sagen, sie stellen sie geradezu in den Mittelpunkt des Systems. Nur
wer glücklich und geschickt auszuschmücken und zu kadenzieren verstand,
konnte als echter Virtuose, gleichviel ob Instrumentalist oder Sänger gelten.
Diesen Werken schließt sich später eine umfangreiche Literatur in
Deutschland an. Die mehr oder weniger ausführlichen Anweisungen in
den Lehrbüchern oder in Einleitungen zu praktischen Musikwerken ent-
nehmen, meist ohne Quellenangabe, ihren Inhalt den oben angeführten
Büchern. Hierhin gehören: Paulsen, Peter, „Ciaviermusik zu ernsthaften
und scherzhaften Liedern", 1766; Löhlein, Georg Simon, „Clavierschule",
1773; Hiller, Johann Adam, „Anweisung zum musikalisch -richtigen" und
„Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesang", 1780; Petri, „Anleitung
zu praktischer Musik", 1782; Bach, Johann Christoph, „Musikalische
Nebenstunden", 1787; Wald er, „Anleitung zur Singekunst", 1788; Türk,
Daniel Gottlieb, „Clavierschule oder Anweisung zum Ciavierspiel für
Lehrer und Lernende, 1789; Müller, Aug. Eberh., „Fortepianoschule",
ohne Datum (etwa 1815).
Wir nähern uns der Periode, die den Reichtum und das Über-
gewicht der deutschen Musik begründet hat, der Zeit J. S. Bachs und
Hand eis, und somit stehen wir vor der Frage, einmal: sind wir heute
noch in der Lage, ihre Werke so auszuführen, wie ihre Schöpfer sie ge-
hört haben? und wenn wir sie bejahen: erreichen wir mit einer solchen
Exekution den wichtigsten Zweck, sie in ihrem geistigen Gehalte dem
Empfindungsleben der Gegenwart näher zu rücken? Es ist über diese
Fragen viel geschrieben worden, ohne daß es zu einem Ausgleich zwischen
dem philologisch-puristischen Standpunkt und demjenigen der Praktiker
gekommen wäre.3) Hier habe ich mich nur über das Verzierungs-
wesen der vokalen Musik zu äußern. Ist es zum Verständnis und
Genuß des alten klassischen Kunstwerkes überhaupt nötig es auszu-
A) Neuausgabe A. Schering, Leipzig 1906.
2) Neuausgabe W. Niemann, Leipzig 1906.
8) Siegfried Ochs hat in einem Aufsatz der Allgemeinen Musik -Zeitung 1903 Nr. 24
im Sinne einer modernen Lösung der Frage Stellung genommen.
Zweiter Teil. 97
schmücken, oder genügt nicht vielmehr, das zu bringen, was die Meister
niedergeschrieben haben? Für Bach ist die Frage leichter zu lösen, als
für seine Zeitgenossen. Wie oben angedeutet, bedingte die polyphone,
harmonisch komplizierte Behandlung seiner Begleitung, sowie die Ausge-
staltung seiner Arienform eine fast lückenlose Niederschrift der ornamentalen
Zutaten. Deshalb kann bei ihm von wesentlichen Veränderungen nicht
die Rede sein. Ein weites Feld der freien Interpretation eröffnet sich
dem modernen Sänger auch hier, wo es sich um die Art der Ausführung
seiner, durch Zeichen oder kleine Noten angedeuteten Yerzierungen
handelt. Nur aus dem Geiste jener Zeit heraus, der sich uns, in erster
Linie in den Schriften der Theoretiker, offenbart, darf sie einsetzen.
Anders liegen die Verhältnisse bei Händel, der ganz auf dem Boden der
Italiener stehend, Yerzierungen, und nunmehr auch Kadenzen in der
Mehrzahl der Fälle dem Ausführenden überläßt. Nun bin ich der Meinung,
daß wir das Recht und die Pflicht haben, hier nur insoweit zuzusetzen,
als die melodische Linienführung es wirklich erheischt; der Beweg-
grund der alten Sänger, dem selbst Händel nachgab, durch Fiorituren
zu glänzen, muß heut fortfallen. Jede Verzierung muß den Gang der
Melodie verbessern und kann in unseren Augen nur als Ausdrucks-
mittel bestehen, nie aber als äußerlicher Aufputz. Diesen Standpunkt
vertreten auch die alten Theoretiker, wie denn Ph. E. Bach ausführt:
„sie (die Manieren) helfen den Inhalt der Noten erklären, sie geben einen
ansehnlichen Teil der Gelegenheit und Materie zum wahren Vortrag",
und Tosi sagt sehr husch: che (sc. iL passo) sia prodotto piü dal cuore,
che dalla voce per insinuarsi piü facilmente nell'intemo, „mehr die
Empfindung als die Stimme müsse die Passaggie vorbringen, um unser
Inneres desto leichter zu rühren". (Agricolas Übersetzung.) Die Alten
stecken aber so tief in der italienischen Sängerpraxis, ihre Ohren waren
an die Überladung durch ruhelose Bewegungen, an die Umlegung und
Zerlegung gerader Linien in ungezählte Rundungen in solchem Grade
gewöhnt, wie wir aus den Bearbeitungen Hillers eigener Arien und
solcher italienischen Meister, die allerdings dem „galanten", nicht dem
, pathetischen" Stile angehören, ersehen, daß ihnen noch als ausdrucksvolle
Verbrämung gilt, was uns heute als überflüssiges, ja schädliches Beiwerk,
als Spielerei einer virtuosen Kehle erscheint. Der Maßstab hat sich eben
verschoben, wir hören mit anderen Ohren als sie. Selbst eine voll-
ständig zuverlässige Niederschrift eines der größeren Oratorien
Händeis, wie es unter seiner Leitung gesungen wurde, könnte
heute für uns nicht mehr bilden, als ein interessantes Denkmal,
eine lehrreiche Anleitung, aber den Wert eines unverbrüchlichen
7
98 Zweiter Teil.
Kanon könnte sie nicht beanspruchen.1) Nichtsdestoweniger darf
sich die freie Auszierung und die Ausführung der Verzierungen nicht
etwa als eine lediglich auf modernem Musiksinn fußende Zutat äußerlich
und fremd hinzugesellen, sie muß den Grundregeln der alten Theoretiker,
welche die Praxis ihrer Zeit wiedergeben, gerecht werden, und nur
soweit eine mehrfache Deutung möglich ist, wird sie die einfachere, sich
unserem mehr syllabischen als melismatischen Empfinden nähernde Form
annehmen. Eine korrekte Ausführung der vorgeschriebenen Verzierungen
sowohl, als eine Ergänzung der melodischen Linie durch Hinzufügung
ausschmückender Tonformeln, setzt die Kenntnis der Verzierungslehre der
alten Theorie voraus. Nur aus ihrem Geiste heraus wird sie zu gestalten
sein, stilgerecht und modern zugleich. Die folgende Entfaltung der Lehre
hält sich in erster Linie an Tosi-Agricola und zieht die anderen Autoren
ergänzend und berücksichtigend hinzu. Wir werden sehen, daß sie nicht
selten in ihren Meinungen auseinandergehen; dann werden uns die bisher
gewonnenen Resultate gute Dienste leisten. Unser Stoff zerlegt sich in die
Betrachtung der Manieren, ihre Ausführung und Anbringung, der Passaggien,
der Veränderungen und der Ausschmückung des Rezitativs und der Arie.
A. Die Manieren.
Allgemeines.
Während die anderen Autoren sofort mit der Behandlung der Manieren
einsetzen, eröffnet Ph. E. Bach seine Lehre mit allgemeinen Betrachtungen.2)
Ihre ästhetische Bedeutung erfaßt er dahin: „sie hängen die Noten zusammen ;
sie beleben sie; sie geben ihnen, wenn es nötig ist, einen besonderen Nach-
druck und Gewicht; sie machen sie gefällig und erwecken folglich eine
besondere Aufmerksamkeit; sie helfen ihren Inhalt erklären; es mag dieser
traurig oder fröhlich, oder sonst beschaffen seyn wie er will, so tragen sie
allezeit das ihrige darzu bey; sie geben einen ansehnlichen Theil der Gelegen-
heit und Materie zum wahren Vortrage; einer mäßigen Composition kan
durch sie aufgeholfen werden, dahingegen der beste Gesang ohne sie leer und
einfältig, und der kläreste Inhalt davon allezeit undeutlich erscheinen muß."3)
Wir ersehen hieraus, wie bereits oben angedeutet, daß die alte Theorie
die Manieren ästhetisch als Vortragseffekte betrachtet; sie
kommen, und das wiederholen neben Bach auch alle anderen Bearbeiter
der Lehre, in erster Linie der Belebung des Vortrages zustatten und sollen
eben nur dann und dort eintreten, wo sie diese Funktion zu verrichten
1) Ich komme später auf diesen Gegenstand noch ausführlicher zu sprechen.
2) I. Teil, II. Hauptstück, I.Abteilung: „Von den Manieren überhaupt", Neudruck S. 24.
3) Vgl. hierzu auch die Vorrede zu Oden mit Melodien, 1761, bei Friedländer, „Das
deutsche Lied im 18. Jahrhundert", Bd. I, S. 168.
Zweiter Teil. 99
•
berufen sind. Das immer wieder zu betonen geboten die Ausschreitungen
der Praxis, von denen uns vielfach berichtet wird. Die Yirtuosen-Sänger,
denen es zunächst darauf ankam, Beifall zu erringen, betrachteten die
Einstreuung der Yerzierungen durchaus nicht unter diesem Gesichtspunkte,
sondern als die Handhabe, durch ihre Geläufigkeit und besonderes Ver-
mögen technischer Fertigkeit Aufsehen zu erregen. Eine gewisse Nach-
giebigkeit der Produzierenden, von der im ersten Teile wiederholt die Rede
war, ihr an sich berechtigtes Eingehen auf die Individualität des Vor-
tragenden bestärkte die virtuosen Ansprüche und ließ sie zu kunstverderb-
lichem Überm ute ausarten. Das wirkte naturgemäß auch auf streng gesinnte,
ernste Komponisten zurück. Um gesungen zu werden, um die Lust der
Sänger zu erwecken, von denen sie ja in der Oper in weit höherem Grade
abhängig waren als heute, beluden sie schon die Uraufzeichnungen mit
gefälligen und virtuosen Zutaten. Selbst das den Dilettanten vorbehaltene
Lied überwuchert streckenweise ein gespreizter, unnatürlicher Kram solcher
äußerlichen Zutaten, gegen den eine gesunde Anschauung zu protestieren
nicht versäumte.1) In der Oper beobachten wir einen ständigen Kampf
zwischen Praxis und Theorie. Aus zahlreichen Lehrbüchern, Berichten
und Briefen der Zeit wissen wir, daß diese die Vereinfachung und Ein-
schränkung der Ornamentik auf die Ergänzung der Melodie und auf die
Variation gleichlautender Phrasen in der Wiederholung anstrebt, jene aber
in ihr das Mittel selbstsüchtiger Zurschaustellung koloristischer Begabung
erblickt. Selbst die Freunde des virtuosen Kunstgesanges bekennen sich
theoretisch immer nur zu jenem Standpunkte. Der Kapellmeister und
Komponist Vincenzo Manfredini2) (1737 — 1799), dem eine reiche
Erfahrung zur Seite stand, ein durchaus gewiegter Praktiker und Kenner
des Opernwesens seiner Zeit, ein Verteidiger des kolorierten Stiles und
der neapolitanischen Schule überhaupt gegenüber jener neueren des Jomelli,
Perez, Traetta, Haße und anderer, die von der Heerstraße abwichen3),
geht auf unseren Gegenstand ausführlich ein. Auch er verwirft die Melis-
matik überhaupt für diejenigen Situationen, welche eine kräftige Sprach-
diktion erheischen, hält sie aber mit Berufung auf ältere Meister, wie
Scarlatti, Del Sarto, Vinci, Gasparini, Leo, Porpora, ja merk-
würdiger Weise Fux und den Sänger Bernacchi für notwendig, die
allzuhäufige Wiederholung der Textworte zu vermeiden und die Stimme
zu zeigen. Auch bei ihm strenge Zurückweisung der Koloratur als äußer-
licher Aufputz zugunsten beifallssüchtiger Sänger.
») Vgl. Friedländer, a. o. O., I. Bd., i., S. 168.
2) Regole harmoniche, o sieno precetti ragionati per apprendere i principi della musica,
Venezia 1775.
8) Vgl. Kretzschmar : „Zum Verständnis Glucks", Jahrb. der Musikbibl. Peters 1903.
7*
100 Zweiter Teil.
Für uns sind diese Anschauungen umsomehr verbindlich, als unser
Musiksinn durch die Entwicklung der Musik im 19. Jahrhundert auf
syllabischen Gesang erzogen ist. Wir dürfen also weiter gehen als die
Alten. Vieles, was den Alten noch zusagte, wird uns abstoßen. Wir
werden uns darauf zu beschränken haben, die Melodie abzurunden, wo
sie eckig erscheint. Uns Modernen steht die Pflicht, die großen Meister-
werke des 18. Jahrhunderts dem Empfinden des modernen Hörers zu
erschließen, höher als die philologisch gewissenhafte Ausführung im Sinne
der Alten. Wir werden daher aus dem Bestreben heraus zu verzieren
haben, daß die ästhetische Wirkung nicht versage, daß die melodische
Linie die musikalisch richtige, unserem Ohr angenehme Abrundung
erhalte, selbst auf die Gefahr hin, einmal anders zu verfahren, als der
Geschmack der Alten erforderte, immer die Einhaltung ihrer wesentlichen
Normen vorausgesetzt, die von den unwesentlichen, dem Zeitgeschmack
unterworfenen zu scheiden, eine Hauptaufgabe dieser Abhandlung be-
deutet.
Aber Ph. E. Bachs Ausführungen, von denen wir ausgingen, sind
auch geschichtlich interessant, und für die Auslegung der üblichen Zeichen
von Bedeutung. Er erzählt, daß die Franzosen besonders sorgfältig in
der Bezeichnung ihrer Stücke gewesen, und die Deutschen ihnen gefolgt
seien, sich aber größerer Zurückhaltung in der Anwendung der Zier-
rate befleißigt, und so auch auf jene einen mäßigenden Einfluß aus-
geübt hätten. Für die Klavieristen liege die Sache insofern günstig, als
sie gewisse Kennzeichen gegeben hätten, wodurch die Art, ihre Stücke
zu spielen, deutlich angedeutet worden sei. Den andern, Sängern also
insbesondere, werde die Lehre von den Manieren dadurch viel saurer,
als man „durch wenige Zeichen alles andeuten will" und so seien „viele
undeutliche, ja falsche Zeichen entstanden, sodaß viele Sachen nicht
gehörig ausgeführt werden". Man verwechsle so außerhalb des Klavier-
spiels den Mordent mit dem Triller, und die Wirkung sei oft eine recht
unangenehme. Bach stellt dann fest, daß man „bey dem heutigen
Geschmack, wozu die italienische gute Sangesart ein Ansehnliches mit
beygetragen hat, nicht mit den französischen Manieren allein auskommen"
könne. So habe er denn die Manieren mehr als einer Art zusammen-
tragen müssen. Die beste Manier sei diejenige, welche „auf eine geschickte
Art das Propere und Brillante des französischen Geschmackes mit dem
Schmeichelhaften der welschen Sangesart zu vereinigen weiß". Was Bach
hier berichtet, gilt auch für Agricola und die Lehrer der anderen
Instrumente. Auch in der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich eine
feste deutsche Praxis noch nicht entwickelt, sie war stets darauf ange-
wiesen, an fremden Quellen Ergänzung und Entscheidung einzuholen.
Zweiter Teil. 101
I. Der Vorschlag.
a) Begriff and Arten.
Eine bündige Definition dieses Begriffes sucht man vergeblich.
Leopold Mozart sagt: „Die Vorschläge sind kleine Nötchen, die
zwischen den gewöhnlichen Noten stehen, aber nicht zum Takte gerechnet
werden", also so gut wie nichts zum Wesen der Sache. Wir sind auf die
weitläufigen Erörterungen angewiesen, aus ihnen den Begriff auszulösen.
Gingen die bisher angezogenen Lehren von der rhythmischen
Alteration der Hauptnoten, die Franzosen insbesondere von der Zerlegung
der ersten Hauptnote beim Port de voix aus, so tritt nun eine andere
Betrachtungsweise in den Vordergrund: die harmonische. Der Vorschlag
gilt Quantz1) wie Bach2) „als Aufhaltung der Harmonie". Die Vor-
schläge, sagt Bach, „halten die Harmonie auf, welche der Grundnote
eigentlich zukommt", und Quantz meint, man muß „die Vorschläge mit
der Zunge weich anstoßen, und wenn es die Zeit erlaubt, an Stärke des
Tones wachsen lassen, die folgende Note aber etwas schwächer daran-
schleifen. Die Art der Ausführung wird der Abzug genennet und hat
von den Italienern ihren Ursprung". Während also bisher die Vorschlags-
note als harmonisch indifferente Einschiebung einer Nebennote zwischen
zwei Hauptnoten fungierte, erscheint sie hier in der Funktion einer
harmonischen Alteration. Wie oben bei der Besprechung der französischen
Instrumentalpraxis ausgeführt worden, verwandelten die französischen
Klavieristen und Violinisten den port de voix in eine, der älteren Zeit fremde
Figur, indem sie die Hilfsnote auf der Thesis eintreten ließen und ihr die Hälfte
des Wertes der Hauptnote gaben, was bereits auf eine harmonische Auffassung
hinweist. Verfolgen wir aber die weiteren Ausführungen Quantz 's, so wird
klar, daß sich diese harmoniealterierende Eigenschaften der Vorschläge nur
auf seine anschlagenden, welche von den anderen Autoren veränder-
liche, also in unserem Sinne lange, genannt werden, beziehen, die auf den
Niederschlag, also die Thesis fallen, während seine durchgehenden —
die unveränderlichen, kurzen der anderen Autoren — nach wie vor
lediglich als ausschmückende Tonformeln erscheinen, denen harmonische
Bedeutung nicht beiwohnt. Quantz bezeichnet diese — wie wir noch sehen
werden jambisch kurz angewandten Vorschläge — als der französischen
Spielart eigen, aus der sie stammen. Die Italiener, wenn wir Quantz
glauben wollen, nach unserer Darlegung die französischen Instrumentalisten,
erfaßten also als eine Verzierung in einer kleinen nicht mensurierten Note,
*) „Versuch", VIII. Hauptstück, Neudruck S. 28.
2) „Versuch", II. Teil, Kapitel 25, Neudruck S. 22, also nicht bei der eigentlichen
sedes materiae.
102
Zweiter Teil.
welche harmoniealterierend, in der Regel als Dissonanz auftrat, jene
melodische Ausschmückung des Vorhalts, der wir in unzähligen Fällen in
der Literatur des 17. Jahrhunderts in ausgeschriebenen Werten begegnen.
Leider erfahren wir nichts über die Veranlassung, welche zu einer Ver-
änderung dieser Auffassung des Vorschlages führte. Wissen wir doch
nicht einmal zuverlässig, welche Gründe überhaupt für Einführung der
kleinen Note maßgebend waren. Einen recht plausiblen Grund, den
eines praktischen Bedürfnisses, führt Leopold Mozart an. „Man könnte
freylich alle die absteigenden Vorschläge (gemeint sind, wie der Zusammen-
hang und das Beispiel ergeben, die veränderlichen, langen) in große
Noten setzen und in den Takt austeilen. Allein, wenn ein Spieler darüber
kömmt, der nicht kennet, daß es ausgeschriebene Vorschläge sind, oder
der alle Noten zu verkräuseln schon gewöhnet hat (sie) wie sieht es als-
dann sowohl um die Melodie, als Harmonie aus? Ich wette darauf, ein
solcher schenket noch einen langen Vorschlag dazu und spielet also."
Thema :
t=;
^^^ jj.
Richtige Ausführung:
=3=£
1-4-
iäSÜPgil
Missverständliche Ausführung, wenn die Niederschrift in mensurierten Werten vorläge:
Die kleine Note hatte also den Wert, dem Spieler und Sänger
anzudeuten, daß eine andere Zutat nicht gewünscht werde. Teilte man,
wie früher die Sitte, die Vorhaltsnote in den Takt ein, so lag allerdings
die Gefahr nahe, daß eine Hinzufügung die beabsichtigte Wirkung der
Aufhaltung der Harmonie vereitle. Aber die Nachteile dieser Schreib-
weise liegen auf der Hand. Bedeutete die kleine Note bisher eine
wirkliche, die Melodie verzierende, für die Harmonie indifferente Aus-
zierung, so sollte sie nunmehr zwei Herren zugleich dienen, sie sollte nun
diese Art und gleichzeitig jene andeuten, welche auf der Alteration der
Stammharmonie beruht. Es hätte nahe gelegen, beide grundverschiedenen
Figuren durch Zeichen zu differenzieren. Man beließ aber die kleine Note
für die alte Bestimmung einer melodischen Auszierung, und berief sie
gleichzeitig, die harmonische Alteration anzuzeigen, es dem Ausführenden
überlassend, in welchem Sinne er sie deuten wolle.
Zweiter Teil. 103
Läge die Sache nun so, daß nur in jedem Einzelfalle zu entscheiden
wäre, wo c|iese> wo jene Bedeutung anzunehmen, also festzustellen wäre,
wo ein veränderlicher langer, wo ein unveränderlicher kurzer Vorschlag
gemeint sei, so wäre das zwar eine nicht immer leichte, aber doch, ver-
möge der zahlreichen von den Theoretikern gegebenen Regeln, sichere
Entscheidung. Das Unheilvolle der neuen Lehre aber beruht in ihrer
Einwirkung auf den Rhythmus des kurzen Vorschlags. Wir konnten
im Laufe der Darstellung feststellen, daß alle Varietäten des kurzen Vor-
schlags der Franzosen, die hier in erster Linie maßgebend sind, wesent-
lich jambisch waren, also auf den unbetonten Taktteil fielen und zeitlich
der vorangehenden Note abgezogen wurden. Wir hatten ferner in der
italienischen Praxis gleichfalls den auf die Arsis fallenden, kurzen Vor-
schlag schon von der Mitte des 17. Jahrhunderts an in solchem Grade
überwiegend gefunden, daß die kleine Note als trochäischer Rhythmus
zur Ausnahme wird. Auch für das deutsche Kunstgebiet ließ sich er-
weisen, daß die kleine Note regelmäßig als anticipatione della sillaba auf-
tritt. Nun, in der neuen Lehre entsteht eine unheilvolle Verquickung der
so grundverschiedenen Begriffe des harmonieverändernden langen, und des
kurzen, unveränderlichen, harmonisch indifferenten Vorschlags. Agricola
lehrt nämlich: „alle Vorschläge werden zu der Zeit angegeben, wenn die
Note, vor welcher man sie anbringt, ihrer eigentlichen vorgeschriebenen
Geltung nach eintreten soll, also mit dem Basse und den anderen Be-
gleitungsstimmen dieser Hauptnote des Gesanges zugleich. Sie gehören
demnach alle in die Zeit, nicht der vorhergehenden, sondern der auf sie
folgenden Note; und diese Note verliert folglich von der Dauer, welche
sie ihrer Geltung nach haben sollte, soviel, als dem Vorschlage gegeben
wird." Ahnlich Bach, der für den kurzen Vorschlag noch hinzufügt, er
sei „so kurtz abgefertigt, daß man kaum merckt, daß die folgende Note
an ihrer Geltung etwas verliehret". Hiernach könnte man annehmen, sei
der jambische Vorschlag, der bisher die französische, italienische und
deutsche Praxis beherrschte, eliminiert und durch die kurze trochäische
Note ersetzt worden. Selbst wenn wir nicht gegenteilige Zeugnisse be-
säßen, dürfte man sich zu dieser Annahme nicht entschließen. Die kurze,
auf die Arsis gelegte Note ist als reine Melodieverzierung natürlicher,
zierlicher und lebhafter, als die schwere trochäische. Der Eigenschaft,
lediglich zu verzieren, ohne die melodische Linie zu alterieren, und die
Harmonie zu tangieren, kommt sie näher als diese, die allemal, auch wenn
sie noch so kurz abgefertigt wird, immer eine empfindliche Rückung und
Harmoniealteration bedingt. Schon aus diesem Grunde könnte man
zweifeln, ob Bach und Agricola die gemeine Praxis ihrer Zeit über-
liefern. Daß dies nicht der Fall, wird zur Gewißheit durch die
104 Zweiter Teil.
Lektüre des Quantz und Leopold Mozart. Beide begreifen zwar auch,
wie Bach und Agricola, unter Vorschlag die harmonische Aufhaltung
und die rein melodische Auszierung, unterscheiden aber doch wiederum
logisch und der geschichtlichen Entwicklung gemäß, indem sie anschlagende,
das sind lange Vorschläge, und durchgehende, das sind kurze Vorschläge
so scheiden, daß jene „in den Niederschlag" treffen (Quantz), diese aber
der Arsis entfallen und „nicht stark, sondern ganz schwach gegriffen"
werden (L. Morzart).1) Nach Quantz2) sind kurze Vorschläge also
nicht wie Bach- Agricola wollen, auszuführen:
:E=E^=E£j£Efr sondern: [fcE^j^tEj
m
wobei die Unterscheidung vom Nachschlag durch Anstoß der zweiten und
vierten Note bewirkt wird. Aber Agricola selbst hält es doch für nötig
wenigstens zu referieren: „einige berühmte Ausführer wollen die beyden
ersten (sc. kleine Noten zwischen Terzen) mit in die Zeit der vorher-
gehenden Note gerechnet wissen; doch so, daß dem Vorschlag, um ihn
von einem Nachschlag der vorigen Note zu unterscheiden, ein gelinder
Hauch gegeben, und im übrigen in allem wie ein anderer Vorschlag
behandelt werde" — folgt ein Notenbeispiel, demjenigen des Quantz
entsprechend — . „Sie wollen damit den Ausdruck dieses Vorschlages
von dem Ausdruck einer anderen, ordentlich geschriebenen (das heißt also
mensurierten) Figur von eben diesen Tönen, wo die erste Note kürtzer
ist als die zweyte, und welche dem lombardischen Geschmack vorzüglich
eigen ist, unterscheiden.
Doch geben sie zu, „daß bey dieser Figur die erste Note stärker und
schilrfer angegeben werden muß, als wenn sie ein Vorschlag wäre".
Hieraus folgt, daß Agricola und Bach in „berühmten Ausführern"
Gegner hatten, daß also eine Kontroverse rücksichtlich der Ausführung
der kurzen, unveränderlichen Vorschläge bestand. Auf welche Seite wir
uns zu stellen haben, ist klar. Die geschichtliche Entwicklung lehrt uns,
daß der kurze Vorschlag, aus dem Port de voix hervorgegangen, auch in
x) a. o. O. S. 198. Die Stelle lautet: ,,Es gibt auch im Gegensatz zu den langen
Vorschlägen, kurze Vorschläge, bei denen die Stärke nicht auf den Vorschlag, sondern auf die
Hauptnote fällt. Der kurze Vorschlag wird so geschwind gemacht als es möglich ist, und
wird nicht stark, sondern schwach gegriffen."
2) a. o. O. Tab. VI, Figur 5—7 Neudruck S. 29/30.
Zweitei Teil. 105
der italienischen und deutschen Praxis regelmäßig jambisch, unbetont war
und auf die Arsis fiel. Quantz und L. Mozart repräsentieren also hier
die an die bisherige Übung angeschlossene Praxis.
Aber wir können nicht so weit gehen, zu leugnen, daß der kurze,
unveränderliche Vorschlag ausnahmsweise auch trochäisch, betont,
angewendet worden ist. Das ist ganz außer Frage; denn es ist undenkbar,
daß Agricola und Bach sonst überhaupt auf dieser Art der Ausführung
bestanden hätten. Zweifellos haben sie nur die Ausnahme zur Regel gemacht,
nicht aber eine gänzlich unbekannte Manier neu eingeführt. Einmal kommt
dieser so rhythmisierte Vorschlag, ausgeschrieben, als lombardische Note
häufig genug vor, daß von einem gänzlichen Verschwinden dieses so
energisch wirkenden Rhythmus nicht die Rede sein kann, dann aber sehen
wir ihn ja auch von den Theoretikern der französischen Schule, allerdings
mehr instrumental als vokal, und immer erst in zweiter Linie, neben der
jambischen Figur erwähnt. Endlich finden sich zahlreiche Stellen der
praktischen Literatur, in denen auf die Ausführung als Trochäus mit
Sicherheit aus den konzertierenden Instrumenten dann geschlossen werden
kann, wenn diese unison oder in Konsonanz begleitend, die Figur in aus-
geschriebenen Noten aufweisen, wo sie die Singstimme in kleinen Noten
notieren. Eine Unterscheidung aber etwa zwischen der kurzen lombardischen
Note und dem trochäischen Vorschlag zu konstruieren, wie Agricola
andeutet, ist unmöglich. Fällt die kleine Note auf die Thesis, so ist sie
eben von jener nicht mehr zu unterscheiden. Einen Sinn hat die Unter-
scheidung nur für diejenigen, die, wie wir, den Vorschlag regelmäßig als
jambisch betrachten.
Die späteren deutschen Theoretiker des 18. Jahrhunderts stehen in
überwiegender Majorität auf dem Standpunkte Agricola-Bachs. Auf-
fallenderweise erwähnt nur Türk die Gegenmeinung des Quantz und
L. Mozarts und bemerkt: „der Vorschlag muß allzeit stärker als die
Hauptnote vorgetragen und letztere an ersteren etwas leise angeschleiffet
werden, übrigens muß der Vorschlag, und nicht die Hauptnote, mit der
darunter befindlichen Grundstimme zu gleicher Zeit angeschlagen werden."
Löhlein erwähnt überhaupt nur die langen, veränderlichen Vorschläge.
Hiller schreibt die Ausführung der unveränderlichen Vorschläge vor:
Und : ^=^r-^^|t=^p^j[=^=ii=^=f=iE
106 Zweiter Teil.
und verlangt insbesondere für den Vorschlag vor der Triole, er müsse
„völlig in die Zeit der ersten Note eingeschlossen werden, ohne daß die
zweyte und dritte etwas daran verliehren". Petri1) lehrt gleichfalls: „da
die guten Taktteile und Noten stärker vorgetragen werden, als die schlechten,
so müssen auch alle Vorschläge stärker klingen, als die Noten, vor denen
sie stehen. Denn sie fallen auf den ersten, und folglich guten Taktteil
der Note, vor welcher sie sind; und werden nur etwas kürzer vorgetragen,
als die wirklich ausgeschriebenen Wechselnoten in den Setzmanieren oder
Passagen." Dem widerspricht aber, wenn er an anderer Stelle bemerkt:
der Vorschlag sei anzuwenden, wie eine schnelle Wechselnote und diese
seien solche „welche nicht zur Harmonie gehören und bloß der Melodie
wegen, und zur Auszierung des Gesanges vor der zur Harmonie ge-
hörigen Hauptnote vorhergehen". Petri ist also zwar noch in der Irrlehre
Bach- A gricolas befangen und kann sich noch nicht entschließen, mit
ihr zu brechen, deutet aber die richtige Unterscheidung zwischen der rein
ausschmückenden, kurzen Apoggiatur, und dem betonten trochäischen
Vorschlag wenigstens an. Daß aber der Streit über die rhythmische
Natur des kurzen Vorschlags im Verlaufe des Jahrhunderts fortdauerte,
beweist eine Bemerkung Türks2) „andere Tonlehrer als Bach und
Agricola verlangen, man solle diese Vorschläge nach Art der Franzosen
in der Zeit der vorigen Note angeben"; aber auch er entscheidet sich
für die trochäische Ausführung mit der Begründung, man setze nicht vor-
aus „daß der Componist dabey auf die französische Spielart oder den
sogenannten lombardischen Geschmack B) Rücksicht genommen habe".
Es kann also kein Zweifel bestehen, daß die Mehrzahl der Theoretiker
des 18. Jahrhunderts in Deutschland sich im Anschluß an die Irrlehre
Agricola-Bachs für die trochäische Ausführung des kurzen Vorschlags
entschieden hat, im Bruch mit der Vorgeschichte dieser Verzierung und
ihrer Anwendung im Lande ihres Ursprungs, sowie der älteren italienischen
und deutschen Praxis. Welchen Standpunkt haben wir nun einzunehmen?
Ich sehe davon ab, daß unsere moderne Musik nach Beethoven über-
haupt nur noch den jambischen Vorschlag kennt, daß jene Ausführung
also unserem Musikempfinden völlig fremd geworden ist, aber aus inneren,
musikalisch-rhythmischen Gründen trete ich für die jambische Behandlung
ein. Der kurze trochäische Vorschlag muß allemal den harmonischen
Verlauf verändern. Dort also, wo die Vorschläge nur den Zweck
haben, auszuschmücken, die Melodielinie zu verschönern, wird man ihn
*) a. o. O. S. 150 und 163/164.
2) a. o. O. S. 223 ff.
3) Dieser Begriff ist also hier in umgekehrtem Sinne verstanden, als anderswo.
Zweiter Teil. 107
Dur erreichen, wenn man sie ganz leicht und unbetont vor der Haupt-
note und ihrem Basse einschiebt, anderenfalls erzeugt sie anstatt der
beabsichtigten Glätte geradezu das Gegenteil, eine rückende, scharfkantige
Bewegung. Das hat denn auch die Minorität der Lehrer jener Zeit, die
pars minor sed sanior, die mit ihrer Meinung nicht durchdrang, empfunden,
wie das aus den oben angezogenen Ausfuhrungen berühmter Gegner des
Agricola hervorgeht. Ihr mich anzuschließen trage ich schon aus diesem
Grunde keine Bedenken. Insbesondere werden wir unbedingt diese Form
des Vorschlages wählen, wo er vor Notengruppen erscheint, vor
Duolen, Triolen und Quartolen. Wir werden uns niemals dazu ver-
stehen, ihre rhythmische Struktur zu zerstören, wie das Hiller tut, der
hier zeigt, zu welch unleidlichen Konsequenzen die Agricola-Bachsche
Lehre führt; denn seine Ausführung der durch den kurzen Vorschlag er-
öffneten Triole bewirkt eine vollständige Sprengung ihres rhythmischen
Baues. Auch vor einzelnen Noten wird das natürliche Empfinden in der
Hegel für den unbetonten Vorschlag entscheiden, besonders bei raschem
Tempo, vor schlechten Taktteilen und zwischen Terzen. Zugunsten unserer
Meinung endlich entscheidet auch die Praxis, und die italienische in
erster Linie. Sie differenziert nämlich überall Trochäus und Jambus durch
die ausgeschriebenen, sogenannten lombardischen Noten für jenen, die
kleine Note für diesen. Welchen Sinn hätte es, so gewissenhaft zu scheiden,
wenn die Ausführung beider Formen die gleiche wäre? Traetta notiert
in seiner „Armida", Wien 1760:
e tu vi - vi in lie - ta sor - te
E F E
Dalo der Vorschlag vor c kurz gemeint ist, ergibt sich aus der Instrumental-
stimme, nach einer später noch anzuführenden Regel. Es ist also evident,
daß hier in demselben Takte trochäische und jambische Rhythmen in
Gegensatz gestellt sind. Die kleine Note kann nur schmeichelnd, kurz
vorgetragen werden. Dann aber, und das halte ich für ausschlaggebend,
erscheint in unzähligen Fällen die kleine Note der kurzen
lombardischen vorgesetzt, so daß eine andere Ausführung als die
jambische überhaupt unmöglich ist. Zwei Beispiele greife ich heraus. Ein
Arienthema in Vincis „Älessandro nelle Indie", 1729, lautet:
m
-j—f- 0 — V-L4 4- .(■»_ j.
*=
Chi vi - vea - man - te
O g g g G
108
Zweiter Teil.
Traetta schreibt in der obengenannten ^Dper:
Violinen
h r
V. . ' ■ i Nil
/\ #-— T 1 1 • — ^ — ^-*-*--h-*m. T
EEE
Die kleinen Noten des dritten und vierten Taktteiles stehen vor kurzen
trochäischen Tönen, die mit dem Basse zusammenfallen. Folglich bleibt
für die kleine Note nur die jambische Vorwegnähme. In Glucks „Iphigenie
en Aulide" kommt eine solche Figur in der zweiten Oboe, Takt 17 der
iVrie der Klytemnestra vor.1) Sehr bezeichnend dafür, daß die jambische
Form durchaus geläufig war, ist auch Takt 10 der Arie ,.Men tiranne" in
Glucks „Orfeo":2)
4
Se pro
3:±E* ~ — *— * — \f.
vas - te
Die Violine imitiert die Singstimme. Jene zeigt den jambischen Rhythmus,
der folglich auch dem Vorschlag der Singstimme gebührt.
Nach all dem kann ein Zweifel nicht mehr bestehen, daß die von
Agricola und Bach vertretene Ansicht, der kurze Vorschlag sei stets
betont trochäisch auszuführen, irrig ist. Man wird vielmehr auf Grund
der Geschichte dieser Verzierung sowohl, als gestützt auf die Autorität
des Quantz, der sich überdies gerade auf sie beruft, und Leopold
Mozarts, daran festhalten müssen, daß der kurze Vorschlag nach wie
vor eine vorweggenommene Note darstellt. Aber man wird nicht so weit
gehen können, den trochäischen Vorschlag ganz auszuscheiden, ausnahms-
weise dürfte er auch in diesem Sinne niedergeschrieben und beabsichtigt
worden sein. Man wird sich zuweilen, besonders aus Gründen rhythmischer
*) S. 68 der Pelletan-Ausgabe.
2) Partitur von 1764, S. 65. Peters Klavierauszug S. 35.
Zweiter Teil. \Q\)
Art für ihn entscheiden, vorzuglich vor guten Taktteilen erscheint seine
Anwendung in diesem Sinne verbürgt. Quantz1) wünscht ihn „bey
zwo oder mehr langen Noten, sie mögen Yiertheile oder halbe Takte
seyn, wenn sie auf einerlei Ton vorkommen". Auch der Fall, wo aus-
nahmsweise der Vorschlag vor betonten Taktteilen und langen Noten
kurz ausgeführt wird, gehört hierher. Auf ihn komme ich unten noch zurück.
Wir werden also im folgenden drei Arten von Vorschlägen zu
unterscheiden haben:
1 . den veränderlichen, langen Vorschlag, der stets auf die Thesis fällt.
2. den unveränderlichen Vorschlag, der unbetont und kürzer als
die Hauptnote ist, und auf die Arsis kommt.
3. den unveränderlichen, betonten, kurzen Vorschlag.
Wir wollen nun zunächst die Regeln kennen lernen, welche die
Unterscheidung zwischen langem und kurzem Vorschlag bestimmen. Erst
später, wenn wir dieser Verzierung in der praktischen Musik nachgehen,
werden wir zu bestimmen haben, wo der kurze Vorschlag ausnahmsweise
trochäisch einzuführen ist.2)
B. Die Ausführung der Vorschläge.
Regeln für die Unterscheidung zwischen veränderlich - langen
und unveränderlich - kurzen Vorschlägen.
Die Vorschläge, lange wie kurze, lehrt Agricola und Bach,
kommen auf- und abwärts vor. Abwärts in allen Intervallen, aufwärts
nur als Wiederholung der vorigen Note, dem lyort de voix Louliös
zwischen Sekunden entsprechend. Diese Einschränkung entspricht indessen
nicht der Praxis, die keinen Anstand nimmt ihn auch aufwärts frei, also
nicht als Wiederholung der vorangegangenen Note eintreten zu lassen,
was, wie wir gesehen haben, bereits die französische Theorie anerkannte.
Bei K eiser fand ich eine Reihe solcher Vorschläge von unten, die nicht
die vorangegangene Note wiederholen. Traetta schreibt in der „Armidau :
fr— t=S^=±
F, — »i +-•*- — » 7 — p — Vf-
ri - - cu - si o non ri
7 i 7 h c
1) a. o. O. S. jy. Neuausgabe S. 28.
2) Ich kann nur einen Fall feststellen, in dem der troebäische Vorschlag vorgeschrieben
ist. In Glucks ,,Le Nozze d'Ercole e d'Ebe" (Manuscript der K. Bibl. Berlin) Arie der Ehe.
,,11 piacer d'un dolee amor" steht bei der Stelle ,,con il timore giä commincia" über den Vor-
schlägen ein f, über der Hauptnote ein p; jener also soll betont, diese leiser, unbetont
angeschlossen sein.
HO Zweiter Teil.
und Bach in der Johannespassion: „Ach mein Sinn":
Rath sind im Her
Zahlreiche Beispiele finden sich ferner in Glucks „Orfeo" und in seiner
„ [p/u (je nie en Aidideu. Agricola und Bach sind also auch hier ungenau.
Vokal erscheint der Yorschlag in der Kegel als obere oder untere Sekunde,
weitere Intervalle bilden die Ausnahme. Sie zu verbinden, griff man zu
reicheren Mitteln, wie zum Anschlag, Schleifer, kleineren Passaggien.
Nur bei Gluck finde ich Vorschläge vorzüglich in Terzenintervallen sehr
häufig, wie im obigen Beispiel. Ferner sind die Vorschläge abwärts
weitaus zahlreicher als aufwärts, und L.Mozart1) meint, „die aufsteigenden
Vorschläge sind überhaupt nicht so natürlich, als die absteigenden".
Zum ersten Male finden wir jetzt auch ästhetische Gründe für
unsere Verzierung ins Treffen geführt. Agricola erklärt als „die Ab-
sicht, weswegen von den Ausführern einigen Tönen der Melodie Vor-
schläge" vorgesetzt werden, entweder
1. „den Gesang desto besser mit einander zu verbinden", oder
2. „etwas scheinbar Leeres in der Bewegung des Gesanges aus-
zufüllen", oder
3. „die Harmonie noch reicher und mannigfacher zu machen",
endlich
4. „dem Gesang mehrere Lebhaftigkeit und Schimmer mitzuteilen".
Zuweilen sei nur eine oder die andere, zuweilen mehrere dieser an-
geführten Veranlassungen zu einem Vorschlage zugleich vorhanden. Auch
hier vermengt der Autor die Begriffe des veränderlichen und unveränder-
lichen Vorschlages. Es ist klar, daß für die Einstellung jenes in erster
Linie der sub 3 angeführte Grund spricht, auch wohl noch der Wunsch,
besser zu verbinden (sub 1), oder etwas Leeres auszufüllen (sub 2). Nie
aber kann hier die Erzielung größerer Lebhaftigkeit bestimmend sein
(sub 4). Hiller2) trennt auch schon richtig, indem er ausführt: „die ver-
änderlichen oder langen Vorschläge dienen überall, die Harmonie reicher
und mannigfacher zu machen; sowie die kurzen oder unveränderlichen
dem Gesänge durchgängig mehr Lebhaftigkeit und Schimmer zu erteilen."
Für den kurzen Vorschlag kommt in erster Linie dieser Beweggrund in
Betracht, der einer harmonischen Bereicherung aber scheidet ganz aus.
Diese ästhetischen Erwägungen werden uns besonders da von Nutzen sein,
1) a. o. O. S. 201.
2) Anweisungen zum musikalisch-zierlichen Gesänge S. 43.
Zweiter Teil. Hl
wo die später zu gebenden Regeln für die Unterscheidung der Vorschlags-
arten nicht ausreichen; denn „es bleybe", bemerkt Agricola, „immer
etwas willkührliches dabey".
Der wichtigste Anhalt ist rhythmischer, und erst in zweiter Linie
harmonischer Natur. Die veränderlich-langen Vorschläge können nur „vor
solchen Noten stehen, welche durch ihre Geltung oder durch ihre Takt-
bewegung etwas lang sind und die Anbringung einer Dissonanz erlauben.
Folglich stehen sie nur vor anschlagenden Noten, zu Anfang des sogenannten
guten Taktteiles, auch wohl bey langsamer Taktbewegung vor jedem
Taktgliede". „Diese und ähnliche Vorfälle, bey langsamer Taktbewegung
ausgenommen, sind die Vorschläge, welche vor den schlimmen oder durch-
gehenden Taktgliedern, und überhaupt vor allen kurzen Noten vorkommen,
alle kurz und unveränderlich." Indessen, heißt es dann, kommen „bey
einigen seltenen Fällen auch vor langen Noten auf guten Taktteilen aus-
nahmsweise auch kurze Vorschläge vor." „Dergleichen Vorschläge wie
diese aber werden nicht ganz so kurz, als wie die unveränderlichen, aber
doch auch nicht nach den Regeln der veränderlichen gemacht, sie sind
also gleich das Mittel zwischen jenen beyden". Man wird also hier, auch
nach unserer Auffassung, an die trochäische Ausführung zu denken haben.
Mit diesen Normen stimmen die des Quantz, Bach und L. Mozart überein,
nur zählt Bach noch einige Fälle mehr auf für den kurzen Vorschlag
vor langen Noten, den er besonders wünscht, wenn ein Ton mehr als
einmal angeschlagen wird, vor Einschnitten, sowie bei Rückungen und
Bindungen.1) Alle heben aber folgende Fälle hervor, in denen der Vor-
schlag stets kurz sei.
1. vor einem Achtel mit zwei anschließenden Sechzehnteilen.
(K 1 a.) Hier dürfe die Figur nicht zu vier gleichwertigen
Sechzehnteilen verkehrt werden.
2. „wenn zween Terzensprünge herab wärts auf einander folgen:
so sind die dazwischen liegenden Vorschläge gemeiniglich
unveränderlich; folgt noch ein dritter darauf, so ist er ver-
änderlich." (K 1 b.) Im langsamen Tempo und bei langen
Noten führen auch die Gegner seiner Anschauung, meint
Agricola, den Vorschlag hier nicht ganz kurz aus, sondern
als den dritten Teil der folgenden Note, oder als die erste
Note einer Triole.
*) Vergl. Neudruck S. 34, § 13. Hier steht übrigens eine Bemerkung, die behauptet,
dass man sie auch in der Notierung von den langen unterschied: „sie werden ein, zwey, dreymahl
und noch öfter geschwänzt". Indessen ist diese graphische Unterscheidung praktisch nirgends
durchgeführt.
1 ] 2 Zweiter Teil.
3. in geschwinder Taktbewegung, wenn „im Niederschlag des
Taktes die Hauptnote wiederholt wird, welche dem Anschlag
(— Niederschlag) vorherging und die folgende einen Ton tiefer
geht. (K 1 c.)
4. vor Triolen. (K 1 d.)
5. vor Duolen. (K 1 e.) Hier dürfen die rhythmischen Beziehungen
der Hauptnoten nicht verändert werden, was ein langer Vor-
schlag bewirkte.
Diese Fälle sind als die wichtigsten aufgeführt, wobei offenbar davon
ausgegangen wird, daß die kleine Note in der Regel den veränderlich-
langen Vorschlag bedeute. Für seine Ausführung dienen folgende Regeln:
1. sie dauern „ordentlicher Weise die Hälfte von der Zeit der
Hauptnote". (K 2 a.)
2. steht ein Punkt hinter der Hauptnote „so nehmen sie die
Zeit der ganzen Note ein und diese wird erst zur Zeit des
Punktes gegeben. (K 2 b )
3. „Ein Gleiches geschieht nicht selten vor denen Noten, auf
welche eine Pause folget, als wo gleichergestalt der Vorschlag
die Zeit der ganzen Hauptnote einnimmt, die Hauptnote aber
erst zur Zeit der Pause angeschlagen wird. Doch ist diese
Regel nicht ohne Ausnahme und kann größtenteils nur bei
einem schmeichelnden Gesänge angebracht werden." (K 2 c.)
Ich weise schon hier daraufhin, daß die Gesetze des melodischen
Aufbaues hier zuweilen entscheidend sind, wie das Verhältnis
von Vorder- und Nachsatz.1)
4. „wenn an die Hauptnote noch eine kürzere Note gebunden
ist, so nimmt der Vorschlag auch alle Zeit der Hauptnote weg
und diese tritt erst zur Zeit der daran gebundenen kurzen
Note ein.« (K 2 d.)
5. „Auch der Ausdruck des Affektes erfordert bisweilen, daß der
Vorschlag länger als die Hälfte gehalten wrerde (K 2 e). Man
achte darauf, daß in unserem Beispiel die längere Dauer des
Vorschlags durch einen Punkt hinter der kleinen Note an-
gedeutet ist. Der Triller gilt natürlich für die Hauptnote.
Soweit Agricola im wesentlichen in Übereinstimmung mit den
anderen Autoren. Bach fügt noch hinzu, daß die Vorschläge bei un-
gleichen Teilen zwei Dritteile bekommen2); dasselbe lehrt Mancini.3)
1) Vergl. z. B. Bachs Matthäus-Passion : „Können Thränen". Takt 1 6. Peters Klavier-
ans/.ug S. 117.
2) Neudruck S. 34.
3j Riflessione prattiche.
Zweiter Teil. 1 1 3
L. Mozart will bei halben Noten im 3/4 Takt, wenn, sie im Anfang stehen,
dem Vorschlag drei Teile, der Hauptnote einen Teil einräumen, und im
6/4 und 6/s Takt, in Übereinstimmung mit Quantz, wenn „zwo Noten
auf einen Ton aneinander gebunden, deren die vordere einen Punkt nach
sich hat", dem Vorschlag die ganze Zeit der Note mit dem Punkt ein-
räumen. Doch deckt sich diese letzte Bestimmung mit der auch von
Bach und Agricola gegebenen sub41). Alle diese Regeln gelten nur,
soweit es die Reinheit des Satzes gestattet. Bach meint: „Man muß also
ebenfalls bey Anbringung der Vorschläge, wTie überhaupt bey allen
Manieren, der Reinigkeit des Satzes keinen Toit thun".
Die langen, veränderlichen Vorschläge sind fast ausnahmslos Disso-
nanzen, Quarten, Septimen oder Nonen als absteigende, Nonen und
Sekunden wenn sie aufsteigen; nur ganz ausnahmsweise erscheinen Vor-
halte auch konsonantisch und dann in der Funktion „das Leere, welches
etwan in der Bewegung vorzufallen scheint" auszufüllen (Agricola). In
den von Bach angeführten Stellen sind es Quartsextakkorde, Dreiklänge
und Sextakkorde, die vor der Hauptharmonie, dem Dreiklange, dem
Septimenakkord und dem Dreiklange der siebenten Stufe eingeschaltet werden.
Über die leitereigenen kleinen Noten in springenden Intervallen, die
besonders häufig bei Gluck, aufwärts der Hauptnote vorgesetzt werden,
ohne die vorhergehende Note zu wiederholen, sprechen die Theoretiker
nicht. Nach ihren soeben entwickelten Anschauungen können sie als
veränderliche Vorschläge nicht gelten, weil sie nicht die Harmonie ver-
ändern, sondern nur eine Stimme und zwar melodisch. Sie sind also als
rein ausschmückende Zutaten zu betrachten, die in der Regel auch nur
kurze Zeit beanspruchen. Ob sie jambisch oder trochäisch auszuführen
sind, kann nur im einzelnen Falle der Geschmack entscheiden.
Über die Ausführung der Vorschläge ist oben bereits das Nötige
gesagt worden. Für den veränderlichen langen Vorschlag wird gelehrt,
daß er allezeit stärker angegeben werde, als die Hauptnote und daß jener
an diese „angeschleifet", also legato verbunden werde, so „daß nichts
Leeres dazwischen bleibt" (Agricola). Je nach der Stellung der Autoren
zur Rhythmisierung des kurzen Vorschlages verlangen sie seine Betonung
(Agricola-Bach) oder die der Hauptnote (Quantz-L. Mozart). Diese
unterscheiden dabei genau Vor- und Nachschlag, indem jener kurz ange-
stoßen wird. Der Regel des 18. Jahrhunderts, lange Töne überhaupt durch
An- und Abschwellen zu beleben, entspricht Agricola s Weisung: „Sind
die Vorschläge lang, so müssen sie, wie jede lange Note des Gesanges,
1) Noch weitere Details, die hier nicht interessieren, gibt Lorenzoni, Antonio „saggio
per ben sonare il flauto traverso", Vincenza 1779.
S
114 Zweiter Teil.
erst schwächer angefangen, hernach verstärket und wieder mit der Schwäche
an die Hauptnote gezogen werden." Unsere moderne Schule hat sich von
dieser generellen Vorschrift des An- und Abschwellens langer Töne längst
losgesagt. Sie widerspricht nicht nur für die moderne, sondern auch für
die klassische Musik völlig unseren ästhetischen Anforderungen. Wie
könnten wir mit ihr dem Ausdruck eines energischen Befehls, fester Ent-
schlossenheit oder Unbeugsamkeit gerecht werden? Die alte Schule sah
zwar in allen gesanglichen Verzierungen, zu denen sie auch die messa di
voce rechnete, Vortragsmittel, begreift aber unter Vortrag nicht nur die
Hervorhebung des geistigen Gehaltes, sondern auch die reine Schönheit
der musikalischen Linie und den Wohllaut des Tones. Wenn wir heute
aus dem Geiste der Gesamtstimmung heraus mit Unterstreichung der
Einzelheiten gestalten — in neuerer Zeit leider das große Ganze durch
Details zerpflückend — so hielt sich die alte Schule mehr an die sinnliche
Klangwirkung, an das stimmlich und ornamental gesteigerte Melos. Es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß wir an jene ältere Auffassung nicht
mehr gebunden sind, es vielmehr unser Recht und unsere Pflicht ist, die
Errungenschaften einer fortgeschrittneren Ästhetik auch dem älteren
Kunstwerke zuzuführen. Wir werden deshalb nicht anstehen, jene Regel
des An- und Abschwellens längerer Töne überhaupt und des veränder-
lichen Vorschlags insbesondere, in das Museum einer vergangenen Kunst-
betätigung zu verweisen. Im Verlaufe dieser Abhandlung werden wir
noch mehrfach auf Normen stoßen, die mit unserem Musikgefühl nicht
mehr zu vereinigen sind.
C. Die Anbringung der Vorschläge.
Die von Tosi getadelte, von Agricola gelobte Neuerung, die
Vorschläge durch kleine Noten anzudeuten, hatte zwar allgemeine Ver-
breitung gefunden, wie denn J. S. und Ph. E. Bach, die Italiener
Leonardo Leo und Caldara von ihr Gebrauch machen, aber nicht nur
beharren die älteren Meister, wie Scarlatti, Legrenzi bei ihrer alten
Notierungs weise, auch jüngere Meister, wie Händel, die Italiener
Astorga, Lotti und andere verschmähen sie regelmäßig, und lassen
dem Sänger und Spieler volle Freiheit. Aber selbst jene Gruppe ging
nicht zur völligen Festlegung der Vorschläge über, und so verblieb selbst
hier die frei schaltende Ausgestaltung des gesanglichen Partes als ein
Vorrecht der Ausführenden. Agricola, nachdem er die Neuen gegen
die Alten in Schutz genommen, führt nun aus: Vorschläge dürfen nicht
angebracht werden, wo sich nicht eine oder mehrere der oben angeführten
vier Hauptabsichten der Vorschläge finden, oder wo gar wider diese Ab-
sichten gehandelt würde. Es dürfen also keine Vorschläge angebracht werden:
Zweiter Teil. 115
1. Im Anfang eines Stückes, eines Hauptteiles, ja eines kleinen
Einschnittes der Melodie, weil es eben hier gilt, nicht zu
verbinden, sondern zu beginnen und zu trennen. (K 3 a.)
Daß diese Regel nicht überflüssig ist, ergeben die oben mit-
geteilten Gewohnheiten der älteren deutschen Schule des Ein-
satzes (cercare la notaj. Auch im 18. Jahrhundert kommen
indessen Ausnahmen von dieser in sich durchaus gerecht-
fertigten Regel vor. So beginnt J. S. Bach den zweiten
Teil der Arie „lauclamus te" in der hohen Messe in H-moll,
Takt 41 mit einem Vorschlag.
2. Wenn der Vorschlag eine anschlagende Dissonanz, „welche
besonders vorstechen soll, in eine Konsonanz verwandelte, und
so den Ausdruck matt machte und das auch, wenn die Sing-
stimme vor dem Basse einsetzte". So würde in dem
Beispiel K 3 b ein Vorschlag vor der halben Note gis die
Wirkung des frei eintretenden alterierten Terzquartakkordes
abschwächen.
3. „bey Noten, welche nach dem Sinn der Komposition ernsthaft,
und in gewissem Verstände steif vorgetragen werden, der-
gleichen absonderlich die abzustoßenden Noten sind", dürfen
Vorschläge nicht angebracht werden. Ein Gleiches gilt „bey den
abzustoßenden, oder sonst prächtig und ernsthaft vorzutragenden
punktierten Noten". „Wenn aber der Ausdruck der langsamen
punktierten Note schmeichelnd seyn soll", so vertrage sie auch
lange Vorschläge. „Beydes wird der Inhalt der Worte des
Gesanges einen Aufmerkenden leicht erkennen lassen."
Wir sehen, es ist herzlich wenig, eigentlich kaum mehr als Selbst-
verständliches, was Agricola vorzubringen weiß. Die anderen Autoren
hier heranzuziehen, verbietet sich, da der vokale Stil dem instrumentalen
gegenüber gerade hier besonders selbständig ist. Aus der Theorie wird
sich also für die Praxis wenig ableiten lassen, und wir werden hier darauf
angewiesen sein, aus der Praxis, insbesondere aus der Lektüre derjenigen
Musiker, die reichlich verzieren, die nötigen Anhaltspunkte zu gewinnen.
Von dem Vorschlage vor dem Vorschlag selbst wird gelehrt: Der Vor-
schlag kommt auch vor solchen Hauptnoten vor, welche die Funktion
eines langen Vorschlags erfüllen, niemals aber vor der kleinen Note selbst.
„Es geschieht dies gemeiniglich über einer Note aus dem Akkorde der
Sexte und Quarte, der sich in den reinen Akkord auflöset. (Agricola, K 3 c.)
Von den Vorschlägen in Verbindung mit anderen Manieren wird
bei diesen gehandelt werden.
116 Zweiter Teil.
IL Der Nachschlag
entspricht dem Begriff, den wir bisher kennen lernten. Agricola definiert
die Nachschläge als „gewisse kleine Noten, die einer Note nachgeschlagen
werden, aber noch in die Zeit derselben gehören". Es gäbe zwei Haupt-
arten, „die von einer Note und von zwo Noten". Diese nennt er doppelte,
jene einfache. Der doppelte Nachschlag besteht aus der Note über oder
unter der Hauptnote und der Hauptnote selbst, welche noch einmal ange-
schlagen wird. Yon unten seien sie häufiger als von oben (K 4 a). Sie
sind sehr kurz anzugeben und an die vorhergehende Note anzuschleifen.
Als Abschluß des Trillers werden wir sie wiederfinden. Auch als Anhang
an dissonierende lange Vorschläge in der Auflösung seien sie, lehrt Agricola,
zulässig, doch täte hier der Mordent — unter dem dann eine Halbtons-
bewegung zu verstehen ist — bei abwärts schreitenden, der (kurze) Triller
bei aufwärts schreitenden Vorhalten bessere Dienste, weil diese Figuren
nicht, wie die Nachschläge, die Auflösung bereits vor Eintritt der Hauptnote
herbeiführten (K 4 b). Der einfache Nachschlag ist entweder springend,
und gehört dann stets zur Harmonie der vorhergehenden Note (K 4 c),
oder er benutzt die obere oder untere Sekunde, in welcher Eigenschaft er
auch den Namen Überwurf oder Rückfall führt, und ist dann harmonie-
fremd (K 4 d). Agricola warnt vor der häufigen Anwendung der letzteren
Figur, die, besonders wenn sie etwas langsam ist, sehr abgeschmackt
klänge (K 4 e). Er rät, lieber den trochäischen Vorschlag, die lombardische
Note zu wählen (K 4 f und g). Leopold Mozart nennt diese Verzierungen
übersteigende und untersteigende Zwischenfälle.
III. Der Anschlag
„ist nichts anderes als ein Vorschlag von unten mit einem Nachschlag,
welcher die über der folgenden Hauptnote des Gesanges liegende Sekunde
angibt". Er kommt nur aufwärts vor und zwischen steigenden, oder
gleichen Noten. Ist das Intervall der Hauptnoten, die er verbindet, größer
als eine Sekunde, also eine Terz, Quart etc., so wiederholt er die erste
Hauptnote, im anderen Falle nimmt er die untere Sekunde der ersten
Hauptnote und ist stets ein Terzensprung (K 5 a). Dieser ist dem Gesang
genehmer, jener, wegen der größeren Intervalle, den Instrumenten. Man
unterscheidet Anschläge aus gleichlangen Noten gebildet und punktierte,
bei denen die erste Note möglichst lang gehalten, die zweite „in der
möglichsten Kürze" abgefertigt wurde (K 5 b). Die Anschläge gehören
in die Zeit der Hauptnote, mit der sie „zusamruengeschleifet werden" d. h.
legato verbunden werden und nur auf gute Taktteile. Bei den unpunktierten
sollen beide Noten „schwächer als die Hauptnote" angegeben werden,
Zweiter Teil. ] 1 7
„bey den punktierten aber wird die erste und lange Note stärker, die
zweite aber schwächer und in der möglichsten Kürze vorgetragen". Den
unpunktierten Anschlag betont, also mit dem Basse zusammen anzugeben,
und doch schwächer als die auf die Arsis fallende Hauptnote, scheint
unausführbar. Für seine trochäischen Vorschläge verlangt Agricola
konsequent auch die starke Betonung. Hier vindiziert er inkonsequenter-
weise der Hauptnote die Betonung. Man wird bei der Ausführung dieser
sehr häufigen Figur davon auszugehen haben, daß sie zu der Hauptnote
gehört und mit dem Basse zusammenfällt. Wo harmonische Gründe vor-
liegen, wird man aber ausnahmsweise auch diese Figur unbetont, vor
dem schweren Taktteil ausführen, insbesondere wo der Eintritt einer
scharfen Dissonanz abgeschwächt würde. L. Mozart rubriziert den
Anschlag unter die Mordente, Hill er spricht von Doppelvorschlag oder
Anschlag.
IV. Der Schleifer
bewegt sich — im Gegensatz zum Anschlag — stufenweise aufwärts,
fällt allezeit auf die Thesis, und wird mit der Hauptnote zusammen geschleift.
Er kann nur vor einer Note stehen, welcher eine gleichhohe oder tiefere
folgt und besteht aus zwei oder drei Noten.1)
Der zweinotige Schleifer erscheint unpunktiert, „egal", geschwind
(K 6 a) oder punktiert langsam, gewöhnlich zwischen aufsteigenden Inter-
vallen, den Sprung ausfüllend, aber auch zwischen Sekunden (K 6 b).
„Der unpunktierte, geschwinde Schleifer steht vor guten und schlimmen
Taktgliedern." Der vor den guten Taktgliedern, bemerkt Agricola, würde
von den Komponisten in ordentlichen Noten mit in den Takt eingeteilt,
und sei der lombardischen Figur verwandt, in welcher „zwo kurze Noten
vor einer längeren, welche hinter sich einen Punkt hat", stehen. Der
Schleifer, der auf den schlimmen Taktteil falle, sei etwas schwächer aus-
zuführen. Wieder ein Irrtum Agricolas. Nicht nur vor guten Taktteilen,
sondern auch vor schlechten begegnen wir dieser Figur in ausgeschriebenen
Werten, z. B. in J. S. Bachs Johannes -Passion „Zerfließe mein Herze",
bei Händel im Messias, „0 du, die Wonne verkündet" am Schluß.
Der lange, punktierte Schleifer gibt die erste Note stark, die kurze
und die Hauptnote aber schwach; die Währung der ersten Note variiert
„mehr als bey irgend einer anderen Manier", „sie muß größtenteils mit
Beobachtung des Basses und der Harmonie durch den Affekt bestimmt
werden. Die Hauptnote des Gesanges bekommt aber entweder die Hälfte
1) Die Italiener rechnen diese Figur zum Gruppetto oder Doppelschlag. Lorenzoni
a. o. O. S. 6o.
118 Zweiter Teil.
ihrer Geltung (K 6 c), oder sie wird nur mit der zweiten Note des Schleifers
am äußersten Ende angegeben (K 6 d). Bisweilen wird sie ganz in die
Zeit der auf sie folgenden Hauptnote gezogen (K 6 e). Wenn die Note,
vor welcher der Schleifer angebracht wird, einen Punkt hinter sich hat,
so kommt sie an die Stelle des Punktes (K 6 f), oder auch mit der zweiten
Note des Schleifers am äußersten Ende desselben (K 6 g), oder wenn an
den Punkt noch eine Note angebunden ist, noch später zu Gehör (K 6 h).
„Kömmt die Hauptnote auf die Zeit des Punktes, oder läßt die Tactbewegung
sonst auch noch Zeit genug dazu, so wird bei ungeradem Tacte allemal,
bei geradem aber nur, wenn die Note nach dem Punkte auf demselben
Tone bleibt, die Hauptnote kurz abgestoßen, so daß zwischen ihr und der
folgenden eine kurze Pause bemerket wird." (K 6i.) Quantz und Leopold
Mozart erwähnen diese Figur gar nicht, offenbar, weil sie zumeist aus-
geschrieben wurde. Bach stimmt im wesentlichen mit Agricola überein.
Hiller wiederholt die Lehre des Agricola und polemisiert nur gegen die
zuletzt vorgetragene Unterscheidung für die Kegel des Abstoßens. „Man
sähe nicht ein, was zum Abstoßen der Hauptnote nach dem punktierten
Schleifer der gerade oder ungerade Takt beitragen solle." Wir werden
dieses Absetzen und Unterbrechen des Melismas als geziert und unnatürlich
überhaupt verwerfen. Löhlein erwähnt ganz kurz den zweinotigen,
punktierten Schleifer als kurz und lang. Türk wiederholt Bach- Agricolas
Regeln. Aug. Eberh. Müller bemerkt, daß die Notierung des punktierten
langen Schleifers in kleinen Noten nicht mehr üblich sei.
Der Schleifer von drei Noten ist, sagt Agricola, nichts anderes
als ein durch die mittelste Note ausgefüllter Anschlag, der einen Terzen-
sprung macht. (K 6 k, 1, m.) Es gäbe langsame und geschwinde, ganz
geschwinde hätten mehr im Spielen als im Singen ihren Platz. Die Dauer
der Hilfsnoten hinge in erster Linie „von der Vorschrift des Taktes —
gemeint ist wohl des Tempos — und der Empfindung des Ausführenden
ab", doch dürfe die Hauptnote nie mehr als die Hälfte ihrer Geltung
verlieren. In der Kegel seien diese drei Noten gleichwertig, doch könne
man auch zuweilen die zweite Note etwas betonen, so daß die erste
Note auf die Arsis entfalle, als wenn sie noch in die Zeit der vorher-
gehenden Hauptnote gehöre. Die Ausführung der Verzierung sei allemal
sachte und matt. Bach wählt für diese Figur das Zeichen: <&>, da seine
Ausführung „einem Doppelschlag in der Gegenbewegung vollkommen
gleich ist".1) Die Figur kommt niemals in kleinen Notenwerten, als zur
Hauptnote aufsteigende Quartenpassaggie vor, sondern stets so, daß die
erste Note die untere Sekunde, die zweite die Hauptnote selbst gibt.
') Neudruck I.Teil S. 73/74-
Zweiter Teil. 119
Wir sprechen heute von einem frei eintretenden Doppelschlage. Auch
diese Norm ist nicht ohne Ausnahmen. Instrumental erscheint dieser
dreinotige Schleifer als Folge aufsteigender Sekunden gar nicht selten,
z. B. in Gluck „Iphigenie en Aulide", Akt 1, Szene 2, Moderato in den
Violinen.1) Auch bei den Italienern.2) Des Schleifers nach unten wird
nirgends Erwähnung getan, wohl, weil er regelmäßig ausgeschrieben
wurde.3)
Von all diesen Varietäten des Schleifers ist der zwei notige,
un punktierte die häufigste. Ja, man kann sagen: er bildet geradezu
eine Eigentümlichkeit der alten Rhythmik. Ungezählte Arien, und selbst
ariose Rezitative, beruhen thematisch auf dieser schon der Musik der
klassischen Periode Haydn-Mozart-Beethoven verloren gegangenen
Figur. Nun könnte modernes Empfinden anzunehmen geneigt sein, in
ihm den Ausdruck besonderer Entschlossenheit oder Festigkeit zu suchen.
Daß aber die alte Kunst ihn nicht in diesem Sinn, sondern schlechthin
als eine melodische Verzierung ansah, das ergibt schon der Hinweis auf
die praktische Literatur, wo er überall in dieser weiteren Bedeutung ver-
wendet wird. Man wird also von ihm bei der Aussetzung älterer Vokal-
musik reichen Gebrauch machen und ihn jedenfalls überall dort einführen
dürfen, wo der Komponist ihn thematisch verwendet hat.
V. Der Triller.
Im Gegensatz zu der Lehre vom Vorschlag, die auf deutschem
Boden in so unheilvolle Verwirrung geriet, ist die Lehre vom Triller eine
klare, und knüpft an die bisherige geschichtliche Entwicklung an. Sie
ist im wesentlichen auf die italienische Praxis, und Tosis Bericht vor-
züglich aufgebaut, und stimmt in den Grundzügen auch mit der französischen
Lehre überein.
Der Triller ist allen Theoretikern übereinstimmend eine Sekunden-
bewegung nach unten, die mit der oberen Hilfsnote auf der Thesis be-
ginnt und die Hauptnote unbetont anfügt. Der Unterscheidungen sind
ungemein viele. Der Vorliebe der Italiener für Spezialisierung und genaue
Sonderung der Begriffe begegnete die deutsche Gewissenhaftigkeit, die
sie zu der ihrigen machte.
Tosi- Agricola unterscheiden:
1. Der trillo maggiore, der größere Triller beginnt mit der um eine
ganze Sekunde höheren Hilfsnote (ausiliario) und fügt die Hauptnote un-
1) S. 31 der Pelletan- Ausgabe.
2) Vergl. Marx' Gluck- Biographie, II. Anhang, S. II, Arie aus Majos „Artaserse".
8) Die Arie „Zerfliesse mein Herze" in Bachs Johannes-Passion beruht thematisch
auf solchen lombardischen Figuren.
120 Zweiter Teil.
betont an. „Aus diesem Triller entspringen alle übrigen Gattungen
desselben" (K 7 a).
2. Der trillo minore, der kleinere Triller, umfaßt einen halben Ton1)
(K 7 b). Man bemühe sich, rät Agricola, „am Ende des Trillers noch
den gedoppelten Nachschlag von unten, welchen viele schlechtweg den
Nachschlag zu nennen pflegen, in gleicher Geschwindigkeit als die Klänge
des Trillers mit anzuhängen" (K 7 c). Das klavieristische Zeichen sei: *v
oder tr (stimmt mit Bach).
Diese Nachschläge von zwei Noten „finden bey den meisten etwas
langen Trillern statt, die darauf folgenden Noten mögen aufwärts oder
abwärts gehen oder springen" (K 7 d). Wir finden hier also den tour
de gosier der Franzosen wieder. Wenn Triller und Nachschlag auf einer
punktierten Note stehen, auf welche die kürzere im Hinaufgehen folgt,
„muß zwischen diesem und der folgenden kurzen Note ein kleiner, fast
unmerklicher Aufenthalt sein". Der Nachschlag ist aber ganz unstatt-
haft: a) bei zwei punktierten Noten, die eine Sekunde aufwärts gehen;
b) hinter einem Triller auf einer Note „welche eine sogenannte halbe
Kadenz machet und auf den eine Fermate folget, weil nämlich hier keine
lebhafte Verbindung der folgenden mit dem vorhergehenden, als wobey
der Nachschlag vorzüglich seine gute WirkuDg tut, stattfinden kann",
also bei dem Schluß in der Dominante vorzüglich (K 7 e). c) Wo kurze
ausgeschriebene Noten auf den Triller folgen, welche die Stelle des Nach-
schlages gewissermaßen vertreten (K 7 f). Dem Nachschlag kann noch
überdies ein Vorschlag, der den Eintritt der auflösenden Hauptnote ver-
zögert, angehängt werden, und zwar nur ein solcher von unten, wenn
der Triller, „er sey lang, ganz oder halb" keinen Vorschlag vor sich hat,
ein solcher von oben oder unten aber, wenn dem Triller „ein Vorschlag,
oder eine an der Stelle des Vorschlages stehende ausgeschriebene Haupt-
note vorhergegangen" (K 7f). Der Triller soll allemal den vollen Wert der
Note währen. Bei der Kadenz kann der Sänger die letzte Note des
Trillers etwas aushalten und die Schlußnote ganz kurz vorschlagen, natür-
lich ohne die Silbe der Schlußnote auszusprechen. Dem Triller voran-
gesetzt findet sich vielfach seine obere Hilfsnote als kleine Note notiert.
Diese gilt dann als veränderlicher, langer Vorschlag, beansprucht den
halben Wert der Hauptnote und wird nicht mehr wiederholt. Diese Form
gleicht dem Triller mit appuy der Franzosen (F II m).
x) Die umständlichen Anweisungen Tosis und Agricolas, wann dieser, wann der grössere
Triller einzutreten hat, gehören in die allgemeine Musiklehre. Sie beweisen in ihrer Aus-
führlichkeit, dass es mit den Elementarkenntnissen der Sänger nicht sonderlich bestellt war.
So wird beispielsweise auseinandergesetzt, dass die Modulation nach g : lis als Hilfsnote ver-
lange, nicht f.
Zweiter Teil. 121
3. Der t/nj::<> trillo, Halb- oder Pralltriller wird, meint Tosi, ein
wenig geschwinder gemacht als der lange Triller. Man „läßt ihn fahren,
sobald er anfanget gehört zu werden und fügt ein wenig Schimmer hinzu
fun po cli brillante)*. Agricola läßt ihn sofort im Werte der Haupt-
note mit der oberen Hilfsnote einsetzen, den Schlag wiederholen und
dann auf der Hauptnote ausruhen. (K 7 g.) Er bemerkt, daß er sich
außer durch seine Schärfe und Kürze auch darin von dem ordentlichen
Triller unterscheide, daß, wenn er auf einer etwas langen Note stehe,
nicht die ganze Geltung derselben ausdauere. Andere Theoretiker, wie
Wolf,1) beginnen ihn mit der Hauptnote und lassen die Sekunden-
bewegung gleichfalls mit der betonten Hilfsnote von oben folgen und
schließen mit einem kurzen Verweilen auf der Hauptnote. (K 7 g.)
Er finde seinen Platz nur vor einer fallenden Sekunde, — den
Grund werden wir bei Besprechung des Mordents kennen lernen — mag
sie durch ausgeschriebene Noten oder durch einen Vorschlag entstehen.
Wo für den Pralltriller in solchem Falle nicht Zeit genug sei, werde er
durch einen unveränderlichen Vorschlag ersetzt. Der Pralltriller finde
überdies seinen Platz noch nach einem langen Vorschlag von oben, be-
sonders vor Pausen, Fermaten, oder einem Schluß, als Ersatz des Nach-
schlages, wie oben erwähnt wurde. Wenn dem Pralltriller ein Vorschlag
vorausgeht, „so machet er die erste Note desselben, welche also nicht
von Neuem angegeben werden darf". Auch Hiller notiert die Kom-
bination eines unveränderlichen Vorschlages und Trillers. (K 7 h.) Die
Hauptnote, die „sonst einen Vorschlag abgeben könnte, behält ihre
Geltung". (K 7 i.) Ich bemerke gleich hier, daß das Zeichen des Prall-
trillers »v bezw. das Zeichen tr promiscue auch für den Mordent, selbst im
italienischen Sinn eines kurzen Vorschlags,2) gebraucht wird; deshalb ist
die oben genannte Beschränkung des Pralltrillers auf abwärts schreitende
Sekunden von besonderer Wichtigkeit.
4. trillo cresciuto, oder höher gezogener Triller. Die Stimme steigt
beim Schlag allmählich höher. Tosi erklärt ihn für veraltet, ebenso wie
5. den trillo calato, den tiefer werdenden Triller „welcher darin
besteht, daß man die Stimme unvermerkt, von Komma zu Komma, ab-
steigen läßt".
Mit diesen Formen nicht zu verwechseln ist die catena cli trilli, die
Kette von Trillern, „da der Triller von einem ganzen oder halben Ton
der Tonleiter zum andern auf- oder absteige". (K 7 k.) Diese Form
ist gebräuchlich „und tue, zumal wenn jeder aufsteigende Triller einen
J) „Unterricht in der Singekunst", Halle 1784.
2) So wenn vor einem ausgeschriebenen Schneller das Zeichen tr steht, wie oft bei
Keiser. Vergl. Supplemente, enthaltend Quellen zu Händeis Werken, S. 13 a. E.
122 Zweiter Teil.
Nachschlag bekömmt, keine üble Wirkung". Er wird größtenteils vor-
geschrieben. Schon der Vor-Bachischen Zeit war er geläufig. Zachau
schreibt ihn vor im Thema des Mittelsatzes der Arie „Welt ich mag
nicht deine Freude".1) Häufiger ist er indessen in der italienischen
Literatur. Vinci „Alessandro neue Tndieu stellt folgendes Thema auf:
•VA- -'W /"W /VV xW AV z'N.'V" --W /\A< -W
12--=-»— i-b— b — »- — p-\=*~»=== ^j^^^^-^-^-E1?--3111^^
e fa con suoi ni - tri - te le val - le ri - so - nar
Auch Händel verwendet die Manier zuweilen sehr wirksam, wie im Messias
in dem Mittelsatz der Arie: „Wer mag den Tag", wo die Nachschläge
ausgeschrieben sind.
6. Trillo lentöy der langsame Triller ist der lange ordentliche Triller
in langsamer Ausführung. Tosi verwirft ihn, Agricola spricht ihm gute
Wirkung in „langsamen und traurigen Stücken" zu.
7. Trillo raddoppiato, der verdoppelte Triller, setzt der Sekunden-
bewegung zwei Noten von unten vor (K 7 1), Zeichen: C^^) oder er-
weitert diese Vorbereitung zu vier Noten von oben und unten (K 7 m),
Zeichen: Cv\^. In der Gesangsmusik wird er vielfach durch kleine Noten
angedeutet (K 7 n). So Agricola und Bach. Wir würden diese Form
als eine Verbindung des frei eintretenden Doppelschlages mit dem Triller
charakterisieren. Nach Agricola und Hiller ist diese Verbindung
instrumental häufig2), gesanglich selten, diejenige von unten hauptsächlich
gebräuchlich am Ende der willkürlichen (also vom Sänger eingeschobenen)
Kadenz, wo seine ersten beiden Noten „vorher einige Mal immer ge-
schwinder wiederholt werden können" (K 7 0). Hiller erwähnt diese
Figur gleichfalls, und meint, daß hier eigentlich ein dem Triller voraus-
geschickter Mordent (?) vorliege. Eigentümlich, an den veralteten trülo
crexciuto gemahnend, ist die Steigerung des ersten Tones der Sekunden-
bewegung um einen halben Ton, den Hiller notiert (K 7 p), wobei „man
sich recht unvermerkj in den eigentlichen Triller hineinzustehlen hat".
8. Der Trillo mordente, der Mordent, Zeichen: ^ und: ***. Tosi
beschränkt sich zu bemerken: ei nasce con piü veJocitä degli altri, ma ?/</f<>
appena dem morir. Agricolas Definition ist ebenfalls unklar. Seinen
weiteren Ausführungen entnehme ich folgende Begriffsbestimmung: im
Gegensatz zum Pralltriller, der wie jeder Triller mit der oberen Hilfsnote
in der Betonung einsetzt, ist der Mordent eine Sekundenbewegung, die
1) Kantate „Meine Seele erhebet den Herrn", Denkm. d. Tonk. Bd. 21/22, S. 110.
2) Sie entstammt der französischen Klaviermusik. D'Anglebert notiert sie unter dem-
selben Zeichen. S. Dminreuther a. o. O. Bd. I S. 95.
Zweiter Teil. 123
mit dem Haupttone auf der Thesis beginnt and die tiefere Sekunde, meist
den Halbton, in der Arsis anfügt (K 7 q), oder im Anschluß an einen
vorangegangenen ausgeschriebenen oder angedeuteten Vorschlag mit der
Hauptnote auf der Arsis einsetzt und die Nebennote betont anschließt
(K 7 r). Eine dritte Form ist nach Agricola nichts als ein Triller,
welcher anstatt der oberen die untere Note zur Hilfsnote nimmt (K 7 r).
Bach hingegen anerkennt als Mordent lediglich die Sekundenbewegung
von der Hauptnote aus nach unten, als langen mit dem Zeichen %*v (K 7 s),
oder kurzen mit dem Zeichen +*> (K 7 t) und zwar überall mit der Haupt-
note auf der Thesis, auch in dem Falle, wo Agricola die Hauptnote auf
die Arsis verlegt, also nach einem vorangegangenen langen Vorschlag
(K 7 h)1). Die untere Hilfsnote ist regelmäßig die kleine Sekunde.
„Man pflegt den Mordenten", sagt Agricola, „um ihm etwas mehr
Schärfe zu geben, gemeiniglich mit dem halben Ton zu schlagen, wenn
auch gleich die Tonleiter zuweilen einen ganzen erforderte". Die An-
wendung des Mordent will Agricola gegenüber der Instrumentalmusik,
wo er gute Dienste tue bei denjenigen Instrumenten, welche den Ton
nicht nach und nach verstärken können, — denn „er hängt die Noten
zusammen und gibt ihnen Glanz", meint Bach — sehr eingeschränkt
wissen und zwar im wesentlichen auf den oben erwähnten Fall, nach
dem Vorschlag von unten. Auch erscheint er vornehmlich im Rezitativ
auf dem Vorschlag selbst, wenn er vor einem Sprunge in die Höhe steht
und Zeit genug vorhanden ist (K 7 v).
Die kürzeste und prägnanteste Unterscheidung, wo der Mordent, wo
der Pralltriller seinen Platz habe, gibt Bach2), wenn er sagt: beide seien
„zwey entgegengesetzte Manieren". „Der letzte (Pralltriller) kan nur auf
eine Art, nehmlich bey einer fallenden Secunde angebracht werden, wo
gar niehmals ein Mordent statthat. Das eintzige haben sie miteinander
gemein, daß sie beyderseits in die Secunde hineinschleifen, der Mordent
im hinaufsteigen, der Pralltriller im heruntergehen" (K 7 w), und an
anderer Stelle: „diese Manier (der Mordent) liebt hinaufgehende oder
springende Noten vorzüglich; bey herunterspringenden kommt sie nicht
oft, bey fallenden Secunden garnicht vor. Sie läßt sich im Anfange,
in der Mitte und am Ende eines Stückes finden."3) Das deckt sich völlig
!) Für die Begriffsbestimmung des Mordent lassen uns die Italiener im Stich. Mancini
und Manfredini unterscheiden nur den trillo und mordente in dem Sinne, dass jener bestehe
aus der Hauptnote und der höheren Hilfsnote, dieser aus der Hauptnote und der unteren
Hilfsnote. Auch Lorenzoni fasst den Mordent in diesem Sinne.
2) Neudruck I.Teil S 68 § 14.
9) Neudruck I. Teil S. 65 § 4.
124 Zweiter Teil.
mit dein, was Agricola an anderer Stelle, nämlich bei der Lehre vom
Pralltriller sagt1), daß diese Manier nur bei fallenden Sekunden vor-
komme. Der Grund ist klar: Im Hinaufsteigen verwischte der zuerst
eintretende höhere Nebenton des Pralltrillers den intendierten Intervallen-
schritt, die Sekunde wurde zur Terz, während der Mordent mit seinem
einsetzenden Hauptton das Intervall scharf angibt. Beim Hinabsteigen
dagegen erscheint der Pralltriller als eine natürliche Überleitung der höheren
zur tieferen Sekunde. Es bleibt sonach stets das wesentliche, daß die
Anbringung der Verzierung die vorgeschriebenen Intervallenschritte nicht
verwische. Steht vor dem Pralltriller ein Vorschlag von oben, oder vor
dem Mordent ein Vorschlag von unten, so wird er angegeben, ausgehalten
und nicht mehr wiederholt. (Ausführung K 7 r und u.)
Die Italiener, auch Tosi, verstehen unter Mordent auch den kurzen,
unveränderlichen Vorschlag.2)
9. Der Schneller. Tosi-Agricola beschränken ihre Trillerformen
auf die 1 — 8 beschriebenen. Die Instrumentalisten hingegen erwähnen
noch den Schneller als „den kurtzen Mordent in der Gegen-Bewegung,
dessen höchsten Ton man schnellt und die übrigen beyden mit dem steifen
Finger vortraget." (Bach.3) Die Figur ist offenbar italienischen Ursprunges.
Caccini nennt sie, wie noch manche Theoretiker des 18. Jahrhunderts,
ribatuta. Cavalieri führt sie als Triller, Crüger und Herbst als Tremolo
an, in langer und kurzer Form. In der Instrumental-Musik erscheint er
gleichfalls bei den Italienern und ihrem Anhange, fehlt indessen bis auf
wenige Ausnahmen bei den Franzosen.4) Für den Gesang verbietet sich
die lange Form, wenigstens in schneller Ausführung, aus gesangstechnischen
Gründen, aber die kurze Form ist durchaus leicht ausführbar. Die
Theoretiker des 18. Jahrhunderts, die ihn erwähnen, denken offenbar an
Instrumental-Musik, wie Mattheson5) unter dem Namen ribatMta,
Quantz als battement, Marpurg6) als pince renverse, Schneller auch
Pralltriller, J. S. Bach7) als accent und trillo, Ph. E. Bach als Schneller,
1) a. o. O. S. 99.
a) Agricola a. o. O. S. 130, Anmerkung.
3) Neudruck I.Teil S. 77.
4) Vergl. Dannreuther, a. o. O. Bd. I bei Diruta, S. 6 und 7, in langer und kurzer
Form, bei Merulo, S. 13, Gibbons, S. 22, Praetorius, S. 42, Frescobaldi, S. 45, Denis Gaultier
S. 60, Simpson als battiment, S. 67, Pachelbel, unter dem Zeichen : t, S. 90, vereinzelt bei
den französischen Klavieristen, die fast ausschliesslich die Bewegung nach unten als Cadence,
Pince, Pince continue (Mordent) kennen, endlich bei Geminiani S. 132.
B) Vollk. Kapellmeister.
6) Die Kunst, das Klavier zu spielen, 1750.
7) Klavierbüchlein von Friedemann Bach.
Zweiter Teil. 125
Pasquali, Nicolo unter dem Mordenizeichen mit der tieferen Sekunde
einsetzend1), J. Christ. Bach in derselben Form wie Pasquali,
Manfredini schlechthin als Triller mit dem Zeichen tr, Türk als
Schneller, pince renverse, von der Hauptnote aus in kurzer Form, als
battement mit dem tieferen Halbton einsetzend in langer Form. Die
Instrumentalmusik besitzt also noch vier Trillerformen mehr: 1. das
battement von der Hauptnote nach oben trillernd, also die Umkehrung des
Mordents; 2. das battement, mit der unteren Sekunde als Hilfsnote ein-
setzend, also die Umkehrung des wirklichen Trillers, beide in langer und
kurzer Form. Für die Gesangsmusik käme nur diese in Betracht, die
lange nur, soweit es sich um eine gemessene Bewegung handelt. Diese
erwähnt denn auch Hill er als Vorbereitung für den langen Triller, jene
aber nur Petri2): „der Schneller nimt den Ton selbst zuerst und darauf
den nächsten oberwärts des Tones vor dem Ton voran und wird auch mit
kleinen Nötchen ausgeschrieben." (K 7 x.) Unsere heutige Praxis bedient
sich dieser Figur mit Vorliebe für die Vokalmusik des 18. Jahrhunderts.
Kein Zweifel, daß sie hier im Widerspruch steht mit derjenigen der Alten,
denn Agricolas und Hillers, der vornehmsten Repräsentanten der alten
Gesangskunst, Schweigen ist ebenso bezeichnend für seine Ungebräuch-
lichkeit, wie die Tatsache, daß J.S.Bach dort, wo er seine Verzierungen
aussetzt, sich des Schnellers selten und dort, wo wir ihn erwarten, des
Mordents bedient. Trotzdem können wir ihn nicht völlig ausschalten,
denn Zeugnisse seines Gebrauches sind auch in der Praxis immerhin
vorhanden, insbesondere in der Vor-Bachschen Zeit taucht er allenthalben
auf. So notiert ihn Zachau in der Kantate „Meine Seele erhebet den
Herrn"3), Keiser in der Octavia4); auch bei Händel findet er sich, wie
in der Arie „So rasch ist dein Siegsflug" im „Judas Maccabäus" und in
der Arie „Wie sinkt, wenn Pflege nicht sie nährt" in der „Susanna".
Die Figur war also sicherlich in Übung, nur galt sie nicht als stereotype
Manier. Wir werden uns also darauf beschränken, sie dort einzuführen,
wo der Verlauf der Melodie auf sie hinweist, die Verzierung besonders
frisch wirken soll, oder wo sie mit instrumentalen Figuren korrespondiert,
wo sie ja durchaus gebräuchlich war.
Der Triller galt den Alten als eine Verzierung, die kaum irgendwo
nicht am Platze war. Nur daß für Stücke in langsameren Tempos auch
eine langsamere Entrollung gefordert, oder in der Kadenz ernster,
1) Vergl. Dannreuther a. o. O. Bd. 2, S. 71.
2) a. o. O. S. 153.
3) Denkmäler der Tonkunst, Bd. 21/22, S. 110.
4) Supplemente, enthaltend Quellen zu Händeis Werken. Nr. G, S. 33, 133, 152 a. E.
126 Zweiter Teil.
getragener Stücke sein Ersatz durch den Doppelschlag gestattet, nicht
anbefohlen ward. Uns Modernen erscheint der lange Triller mit gewissen
Affekten, wie denen des Schmerzes, der Resignation, der Trauer,
unvereinbar. Ja wir gehen so weit, ihn mit dem Ausdruck höchster
freudiger Erregung zu identifizieren. Richard Wagner macht, abge-
sehen von Affekten komischer Art, lediglich in diesem Sinne von ihm
Gebrauch. Im dritten Akt „Siegfried" und in den „Meistersingern" finden
sich einschlägige Beispiele. So weit dürfen wir nun freilich für die alte
Kunst nicht gehen. Ich glaube, daß ein gewisser Grad musikalisch-
historischer Bildung zum Erfassen jedes älteren Kunstwerkes erforderlich
ist. Wer sich nun überhaupt schon mit seiner Melismatik, mit seinen
Gängen und Passaggien befreundet, und ihre Bedeutung für den Ausdruck
verstanden hat, der wird auch einen gelegentlich eingelegten Triller, sei
es in der Arie, sei es in der Kadenz, unter dem Gesichtspunkt der alten
Kunstausübung überhaupt, die ja in höherem Grade als die moderne,
das Melisma im Dienste der Melodieabrundung und des Affektes benutzte,
zu empfinden und zu bewerten geneigt sein. Deshalb stehe ich nicht an,
ihn im Allegro überhaupt, ferner selbstverständlich in den an sich schon
reich kolorierten Gesängen, wie beispielsweise in der Arie der Delila in
Hand eis „Samson", sowie in den zierlichen Sätzen im Sechsachteltakt
oder der „Siciliana" für zulässig zu erklären. Dagegen möchte ich ihn
aus den langsamen Sätzen, aus Händeis berühmten „Larghi" insbesondere,
durchweg ausschalten und durch eine der Formen des Doppelschlages
ersetzen, was ja auch der alten Lehre nicht widerspricht. Auch im
Rezitativ werden wir ihn meiden. Über die ästhetische Bedeutung der
kurzen Trillerformen verlautet wenig. Aus ihrem Gebrauch in der Musik
Sebastian Bachs dürfen wir aber schließen, daß ihre Anwendung eine
durchaus verbreitete und nicht etwa, wie moderner Musiksinn schließen
könnte, auf das Zierliche, Leichte und Anmutige beschränkt war. Jeder
Bach-Kenner wird sofort eine Reihe von Fällen anführen können, in
denen diese Figuren in den ernstesten, ja schmerzlichbewegten Stimmungen
auftauchen. Ich erinnere nur an folgende Stellen in der Matthäuspassion:
„Trinket alle daraus" bei den Worten: „Ich sage Euch" und „Komm,
süßes Kreuz", Anfang des Mittelsatzes „wird mir mein Leben". Wir
dürfen füglich kein Bedenken tragen, in Händelschen Oratorien in
gleichem Sinne von ihm Gebrauch zu machen. Nur im Rezitativ, wie
später auszuführen ist, kontrastiert seine Einführung in so hohem Grade
zu der sprachlich gehaltenen Diktion, daß wir ihn hier ganz ausschalten
und uns gegen Agricola - Hiller für die Behandlung Telemanns
entscheiden werden, der sich mit Accenti, also Vorhalten und Vor-
schlägen begnügt.
Zweiter Teil. 1'27
VI. Der Doppelschlag.
Agricola behandelt diese Figur, die Tosi auffälligerweise ganz
übergeht, bei der Lehre vom Triller. Seine Systematik ist auch hier unklar.
Folgendes ist ihm zu entnehmen: „Der Doppelschlag besteht aus einem
unveränderlichen Vorschlag, der Hauptnote und einem Nachschlag, welche
mit einander verbunden werden. Man folgt bey der Ausführung desselben
den Regeln des Vortrages der Vorschläge und Nachschläge insoweit, daß
man nämlich den Vorschlag stärker anschlägt, die Hauptnote aber an ihn
und diese wieder an den Nachschlag anschleifet. Die erste und zweyte
Note müssen allemal geschwind auf einander folgen, die beyden letzten
Noten aber, die den Nachschlag machen, können in verschiedentlicher
Geschwindigkeit vorgetragen werden. Daher entstehen hauptsächlich
dreyerley Arten seines Vortrages" (K 8 a). Agricola betont ferner, daß
eine Haupteigenschaft der Doppelschläge sei, „daß sie ihre letzten beyden
Noten nicht mit der folgenden Hauptnote verbinden, sondern allezeit einen
kleinen Raum dazwischen übrig lassen". Die weiteren Ausführungen im
Verlaufe seiner Abhandlung bestätigen diese Bestimmungen. Nur die
in unserem Beispiel (K 8 a) zuerst gegebene Figur entspricht ihnen nicht,
dürfte also nur als Ausnahmefall für ganz schnelle Tempi zu betrachten
sein. Das Zeichen sei bei den Klavieristen: $ *), sonst aber behelfe man
sich mit dem Zeichen eines Trillers oder man schreibe ihn aus (K 8 b).
Es steht also für die Gesangsmusik fest, daß unter dem Zeichen t oder
fr auch der Doppelschlag, der als Spezies des Trillers gilt, verstanden
werden kann. Folgende Abarten des Doppelschlages lassen sich feststellen:
1. Der Doppelschlag, der mit der llilfsnote von oben einsetzt
(K 8 a).
k2. Der prallende Doppelschlag. Die ersten Noten werden „durch
ein scharfes Schnellen in der größten Geschwindigkeit wieder-
holt" (K 8 c), oder „welches einerley gesaget ist, über der
Hauptnote anstatt des unveränderlichen Vorschlages ein Prall-
triller angebracht". Allein da „die beyden letzten Noten nicht
allemal in einerley Geschwindigkeit geschlagen werden und
auch an die folgende Note nicht geschwind angeschleifet werden,
welches beydes doch eine Haupteigenschaft der Nachschläge
der Triller ist, so wird diese Manier von Bachen im Ver-
suche über das Klavier mit mehrerer Genauigkeit unter den
Doppelschlag gerechnet". Das Zeichen für diese Verzierung
ist: £
*) Nicht richtig. Das Zeichen ist vielmehr fast überall oz, und c/ö für den Doppel-
schlag von unten als dreiuotiger Schleifer.
128 Zweiter Teil.
3. Der Doppelschlag nach ausgehaltener llauptnote dient zur Ver-
bindung der Noten, beginnt gleichfalls mit der Hilfsnote (K 8 d).
Das Zeichen S steht nicht über der Hauptnote, sondern etwas
rechts, der folgenden Hauptnote genähert (K 8 e).
4. Der geschnellte Doppelschlag beginnt, nach Bach, mit der
Hauptnote in der möglichsten Geschwindigkeit und verbindet
mit ihr den Doppelschlag über der geschriebenen Hauptnote.
Er wird meist durch eine kleine Note in der Tonhöhe der
Hauptnote angedeutet (K 8 f). Die Formen sub 3 und 4
unterscheiden sich also wesentlich dadurch, daß in derjenigen
sub 3 die erste Note ihren Wert behält, und nur soviel als
nötig, an den Doppelschlag abgibt, während hier sub 4 die
Hauptnote nicht mehr Zeit beansprucht, als die anderen Noten
des Melismas.
5. Der prallende Doppelschlag in Verbindung mit einem Nach-
schlag. Yor dem Eintritt des prallenden Doppelschlages kann
die obere Hilfsnote als Vorschlag wiederholt werden (K 8 g).
Das wird in der Regel durch eine kleine Note angedeutet.
Wo findet nun der Doppelschlag seinen Platz? Die Note „worüber
man einen Doppelschlag machen will", belehrt man uns, „darf weder zu
lang, noch zu kurz seyn, damit weder zuviel Leeres übrig bleibe, noch
auch im Gegentheile Zeit mangeln möge, den Doppelschlag rund und
deutlich herauszubringen". Er kann also „überhaupt sowohl in langsamen
als in geschwinden Stücken, sowohl über geschleifete (legato) als ge-
stoßene Noten (marcato) angebracht werden. Er dient nicht nur zur
Ausfüllung, sondern auch sowohl zu feurigen und brillanten als zu
gelassenen und schmeichelnden Ausdrücken". Im einzelnen bemerkt noch
Agricola: der Doppelschlag habe seinen Sitz über der Hauptnote,
zunächst der Typus sub 1, 2, 4, 5, sowohl im Gehen als im Springen,
also zwischen Sekunden und anderen Intervallen, auf gute und schlimme
Taktteile (K 8 h), besonders bei aufsteigenden Noten auf der mittelsten
(K 8 i), am Anfang eines Taktteiles oder Gliedes, wenn die Note
des Taktteiles wiederholt wird und eine aufwärts gehende Note folgt
(K 8 k); ferner auf wiederholten Noten derselben Tonhöhe (K 8 1),
bei Noten, „welche durch Akkorde springen" (K 8 m). Bei aufsteigenden
gleichwertigen Noten kann sogar über jeder ein Doppelschlag angebracht
werden (K 8 n.) Er kann überhaupt den Triller überall ersetzen,
mit Ausnahme der Fälle, „wo er gar zu viel unausgeführt lassen würde,
also bei allzu langen Noten und dort, wo der Triller keinen Nachschlag
verträgt". Der Doppelschlag nach der Hauptnote (sub 3) kann angebracht
Zweiter Teil. 129
werden, „wenn diese entweder durch ihre Geltung oder durch ihre Takt-
bewegung etwas lang ist, oder wenn sie durch einen Punkt in gemäßigtem
Tempo und bey schmeichelndem Vortrag verlängert wird" (K 8 d u. e).
Der prallende Doppelschlag insbesondere (Form sub 2) steht, soweit es
das Tempo gestattet, über fallenden Sekunden, gleichviel ob es sich um
ausgeschriebene Noten (K 8 o) oder um einen Vorschlag handelt (K 8 p).
Auch über absteigenden Sekunden kommt er vor im langsamen Tempo,
gerne mit einem Vorschlag (K 8 q). Ferner empfiehlt Agricola den
einfachen, bezw. prallenden Doppelschlag in langsamen, affektreichen
Stücken, bei kurzen Einschnitten, auf welche eine Pause folgt, jenen nach
einem Vorschlag von unten (K 8 p), diesen nach einem Vorschlag von
oben (K 8 q), stets die letzten Noten ,,ganz matt und langsam". Ja,
selbst bei Hauptschlüssen in zärtlichen oder traurigen Stücken
kann der Doppelschlag den Pralltriller ersetzen und „einen schwer an-
sprechenden Triller verbergen". Endlich läßt sich der Doppelschlag mit
dem punktierten Schleifer so kombinieren, daß er sich zwischen die erste,
punktierte Note und die zweite kurze einschiebt.
Den Doppelschlag von unten behandeln Agricola und Bach, wie
bereits angedeutet, als Schleifer unter dem Zeichen c/d.1) Hiller stimmt
durchaus mit Agricola überein.
VII. Die Bebung
,,auf einem und demselben Tone, welche man auf Bogeninstrumenten
durch das Hin- und Herwanken eines Fingers, dessen Spitze aber doch
auf dem gegebenen Tone liegen bleibt und die den Ton weder höher
noch tiefer, sondern nur etwas schweben machet, ist auch eine Manier,
die im Singen, besonders auf der Haltung langer Töne zuweilen,
wenn man sie erst gegen das Ende dieser Noten anbringt, ihre gute
Wirkung tut*'. Hiller wiederholt diese Worte des Agricola und fügt
hinzu, einige Sänger erleichterten sich die Schwierigkeit mit der Bewegung
des unteren Kinnbackens, wie Carestini, mit sehr gutem Erfolge.
Mit Sicherheit läßt sich nicht bestimmen, ob hier unser modernes
Tremolieren, oder, wie ich anzunehmen geneigt bin, der alte, gehauchte
Triller des Caccini vorliegt. Für diese Annahme spricht die Tatsache,
daß die gehauchte Vokalisation im 18. Jahrhundert noch üblich, wenn-
gleich nur noch von einzelnen Künstlern, wie der Faustina Hasse,
angewendet war, und daß sie sich in zahlreichen Stellen der praktischen
J) Marpurg, Petri, Löhlein, Müller rechnen diese Figur zum Doppelschlag, L. Mozart
beide Formen zum Mordent, Hiller, Türk, Agricola und Bach zum Schleifer, Mancini nenut
beide Formen appoggiatura doppia oder gruppetto.
]30 Zweiter Teil.
Literatur vorgeschrieben findet.1) Bei den Franzosen hatten wir sie unter
dem Namen „balancetttent" gefunden.
B. Die Passaggien und ihre Verwendung in der Arie.
Ästhetische Ausführungen nehmen in diesem Kapitel, wie in dem
ihm nahestehenden „von der willkürlichen Veränderung der Arie" den
obersten Platz ein. Es wird die Frage abgehandelt: welche Berechtigung
hat die Passaggie, und die ihr verwandten Melismen in der Komposition,
und hat der Sänger das Recht, oder gar die Pflicht, seinerseits über das
vom Komponisten Niedergeschriebene hinaus selbsttätig hinzuzufügen, aus-
zuschmücken und zu verändern.
Die wichtigsten, uns zugänglichen Äußerungen über diesen Gegen-
stand umfassen den Zeitraum von 1723 — 1780. Tosi, Agricola, Hiller,
Manfred ini und Mancini kommen in erster Linie in Betracht. In diese
Zeit fällt die bereits von Tosi bekämpfte und verspottete Ausartung des
Koloraturstils, die den italienischen Sängern — bestrebt, ihre Bravour
zu zeigen und den Beifall der großen Menge zu gewinnen — in gleichem
Grade zur Last zu legen ist, wie den ihnen gefügigen, auf den Eintags-
erfolg der Karneval-Stagione angewiesenen Tonmeistern, und die Reaktion,
welche innerhalb der neapolitanischen Schule vorzüglich von Hasse,
Perez, Traetta, Jomelli und Majo vertreten, ihren bedeutungsvollsten
Ausdruck in Glucks Opernreform gefunden hat.2) Daß diese einen völlig
umwälzenden Einfluß auf die vokale und musikdramatische Technik ins-
besondere, nicht gewonnen hat, ist bekannt. Dagegen vermochten die
genannten Italiener, vorzüglich aber Sacchini, dessen Einfluß in diesem
Sinne von den Zeitgenossen gerühmt wird3), wenigstens den gröbsten
1) Burney „Tagebuch einer musik. Reise" 1772 S. 139 erzählt von Faustina Bordoni,
der Gattin Hasses: „Die Passagien mochten laufend oder springend gesetzt seyn, oder aus
vielen geschwinden Noten auf einem Ton Dach einander bestehen, so wusste sie
solche in der möglichsten Geschwindigkeit, so geschickt herauszustossen, als sie immer auf
einem Instrument vorgetragen werden können. Sie ist unstreitig die Erste, welche die ge-
dachten, aus vielen Noten auf einem Ton bestehenden Passaggien im Singen und zwar mit
dem besten Erfolge angebracht hat." Oifenbar hat die Faustina die alte, nie ganz ver-
schwundene Manier des Anhauchens gleichhoher Noten wieder eingelührt. Vergleiche auch
Chrysander „Händel" II, S. 146, und die Koloratur im „Alessandro", die ihr Händel schrieb,
mit ihren schnell wiederholten Noten, und des Verf. Ital. Gesangsmethode S. 95.
2) Vergl. Kretzschmar: Jahrb. d. Musikbibl. Peters, „Zum Verständniss Glucks" S. 66.
8) Minoja, Ambrosio „Über den Gesang, Sendschreiben an B. Asioli" führt aus, dass
die kompositorischen Foitschritte eines Pergolese und Vinci durch die Sänger paralysiert worden
seien, die Übertreibungen und ausschweifende Manieren an die Stelle des gefühlvollen Aus-
drucks setzten. Gluck trat ihnen in seinem Orpheus entgegen, dessen ungeachtet gelang es
ihm nicht, das grosse Publikum von dem Missbrauch der Gewandtheit und Fertigkeit der
Stimme zu überzeugen. Dem Sacchini war es mehr als irgend einem anderen vorbehalten,
dieser ausschweifenden Art zu singen, den tödlichen Stoss zu geben.
Zweiter Teil. 13]
Ausschreitungen abzuwehren. Glucks Theorie und noch viel mehr seine
Praxis war zu radikal, der Egoismus der Sänger zu groß, die ober-
flächliche Art des Kunstgenießens hatte bei dem Zuhörer zu tief Wurzel
geschlagen, als daß von hier aus eine sofortige und vollständige Abkehr
denkbar gewesen wäre. Auf dem Gebiete der italienischer Kunst zu-
getanen Bühne hatte Gluck nur einen halben Erfolg, aber er trug dazu
bei, daß die neuere Richtung der genannten italienischen Meister und ihrer
Anhänger zunächst wenigstens zum Sieg gelangte.1) Diese nun waren
weit davon entfernt die Passaggien und den melismatischen Ziergesang
überhaupt als mit dem pathetischen Stile unvereinbar zu erklären. Sie
nahmen zwischen Gluck einerseits und der italienisch- deutschen Hand-
werkspraxis andererseits eine vermittelnde Stellung ein. Manfredini2)
berichtet, wie 30 — 40 Jahre früher, also etwa 1748, die aria cantabile
schon vom Komponisten mit Passaggien, gorgheggi und Schwelltönen in
einer dem Affekt und Charakter des Stückes widersprechenden Art aus-
gesetzt und vom Sänger noch überdies im Interesse seiner Eitelkeit völlig
depraviert wurde, daß aber jetzt (also 1788) einmal die veränderte Form
der Arie, die dem da capo aus dem Wege gehe, zu einer edlen Verein-
fachung beigetragen habe, dann aber auch selbst die Ausschmückung der
aria dl bravura sich in höherem Grade als früher mit dem Ausdruck der
Worte und dem motivischen Gehalt des Stückes in Übereinstimmung zu
setzen suche. Soweit sich die Koloratur in diesen Grenzen halte, sei
sie zu rechtfertigen. Manfredinis Andeutung von der Änderung der
Arienform bedarf hier einer kurzen Erläuterung. Bis etwa 1760 ließ die
da capo -Form dem ersten Teil der Arie, der selbst wieder in zwei Teile
zerfiel und die Textworte wiederholte, nach dem kürzeren Mittelsatz die
Wiederholung des ersten Satzes so folgen, daß der Komponist nur sein
da capo notierte und der Sänger, der im wesentlichen bisher so vorge-
tragen hatte, wie es niedergeschrieben war, und nur einige melodie-
abrundende Verzierungen hinzugefügt hatte, nunmehr „bey schicklichen
Stellen und Gelegenheiten so viel von seiner eigenen Erfindung über den
vorgeschriebenen Noten" hören ließ, „daß man einerley Sache zweimal
zu hören nicht überdrüssig ward, sondern Bewunderung und Hochachtung
gegen den Sänger empfand, der die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht
*) Später mussten auch diese Führer der sogenannten zweiten neapolitanischen Schule
vor den Neuneapolitanern, wie Lampugnani, Latilla, Conforto und anderen zurückstehen,
deren Kunst wiederum auf eine „äusserlich drastische, um nicht zu sagen theatralische
Rhetorik" ausgeht und mit „grossen Intervallen, mit weitausholenden Läufen den Schein
innerer Erregung und Ekstase zu erwecken sucht*'. Kretzschmar a. o. O. 1905, „Mozart in
der Geschichte der Oper" S. 56 ff.
2) Difesa della musica moderna S. 196 ff.
9*
132 Zweiter Teil.
schlaff werden ließ, als vielmehr aufs neue anzuspannen wußte (Hiller1).
Die später übliche Form — die übrigens der älteren Zeit um 1680 noch
durchaus geläufig war, dann aber in Vergessenheit geriet — bringt den
Text im ersten Teil nur einmal, fügt den Mittelsatz an, und verarbeitet
nun im dritten Teil wieder die Themen des ersten, nur mit etwas ver-
änderter Modulation. Eine eigentliche Repetition findet also nicht statt. „Die
melismatischen Dehnungen, zu denen ehemals die Komponisten nur die An-
lage machten und ihre Umwertung dem Sänger überließen, werden nun
meistenteils so ausführlich, und in mancherley Gestalt niedergeschrieben, daß
ihm selten mehr zu tun übrig bleibt, als zu singen was dasteht" (Hiller2).
Auch die Rondo-Form, die um diese Zeit in Aufnahme kam — Glucks
„che färb senza Euridice" im „Orfeo" ist ein berühmtes Beispiel — ver-
langt nach Hiller, da sie zur Gattung der zärtlichen Arie gehöre, deren
Bewegung immer mehr langsam als geschwind ist, mehr Feinheit des
Geschmackes, als einen an Veränderungen reichen Geist. Wir haben
übrigens gesehen, daß längst vor dem von Hill er gegebenen Termin von
1760 die Durcharbeitung der Arie und die damit gegebene Einschränkung
der virtuosen Verzierungskunst von J. S. Bach geübt wurde; aber dieses
größten Meisters Werke waren damals bereits nur noch einem kleinen
Kreise geläufig. Hiller erwähnt ihrer ganz selten, ohne ihnen irgendwo
eine Bedeutung für den Einzelgesang beizumessen.
Aber auch in der älteren Zeit hat es an einsichtigen Musikern nie
gefehlt, die sich gegen die Überlastung des Tonstückes durch Zierraten,
und Passaggien insbesondere, ausgesprochen haben. Für die Periode
Bach- Händel ist Tosis Urteil von besonderem Wert. „Ob die
Passaggie gleich" — heißt es bei ihm in Agricolas Übersetzung —
„in sich selbst nicht die Kraft hat, diejenige Anmut hervorzubringen,
welche das Herz rühret, indem sie vornehmlich nur dazu dient, daß sie
an einem Sänger das Glück einer biegsamen Stimme bewundern macht,
so ist es doch hoch nötig, daß der Meister seinen Schüler wohl darin
unterrichte, damit sie dieser mit Leichtigkeit, Geschwindigkeit und richtiger
Intonation ausführen lerne. Denn wenn sie am gehörigen Orte vor-
getragen werden, so verdienen sie allerdings Beyfall, und machen, daß
der Sänger allgemein und in allen Setzarten zu singen fähig ist". Was
versteht nun Tosi unter „am gehörigen Orte vorgetragen?" Der erste
Teil der Arie, wird ausgeführt, verlangt „überall eine ganz einfache Aus-
zierung", wofür, wie Agricola anmerkt, die „Manieren als Vorschlag,
Triller etc. ausreichen, damit die Arbeit des Verfassers in ihrer natürlichen
*) Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesang S. q6.
2) a. o. O. S. 97.
Zweiter Teil. 133
Schönheit zu Gehör komme". „Im anderen Teil", — gemeint ist der zweite
Abschnitt des ersten Satzes — »will man bey aller Einfalt etwas mehr
Ausschmückungskunst hören". Den Mittelsatz wünscht er, da er ihn
unerwähnt läßt, notengetreu vorgetragen. Bei der Wiederholung dagegen
„muß alles, was vorher gesungen wurde, „noch schöner und besser als
vorgeschrieben gemacht werden". Er mißbilligt aber die neue „Mode",
ohne Rücksicht auf Charakter und Anlage des Stückes zu variieren, und
will Arien pathetischer Art von dieser Behandlung ausschließen. „Das
beständige Allegro, das die Neueren singen, gehe nicht weiter als bis an
das Äußerliche eines zarten Gehörs". Pathetische Arien zu studieren
war „die liebste Beschäftigung der vorigen, die Übung der schwersten
Passaggien aber ist der Endzweck der itzigen Sänger". Im wesentlichen
läuft also Tosis Lehre darauf hinaus, daß die Auszierung überall der
textlichen Grundstimmung und musikalischen Anlage zu entsprechen habe,
daß sie nicht zur Entfaltung virtuoser Gesangskunst, sondern dazu
bestimmt sei, die melodische Linienführung abzurunden, und eine
Ermüdung des Ohres in der Repetition zu verhindern. Nur in bravourös
angelegten Stücken, deren Ausdrucksgehalt von vornherein sich mehr an
das Ohr, als an das Herz wendet, soll dem Sänger die Gelegenheit, seine
Phantasie und seine technische Fertigkeit spielen zu lassen, nicht unter-
bunden werden. In allen Gesängen ernsten Stiles aber, gleichviel
welcher Affekt ihm zugrunde liegt, ist die melodische Auszierung nur
soweit zulässig, als sie mit ihm im Einklänge zu bleiben vermag.
Daß Agricola dem Tosi folgt, erhellt daraus, daß er sich hier auf die
Übersetzung der Yorlage beschränkt, wo er doch an andern Stellen nicht
selten gegen sie polemisiert. Auch Hiller trägt im wesentlichen die Lehre
seiner Vorgänger vor. Er berichtet, daß die Sänger, die mit ihren
Passaggien Aufsehen gemacht, stets Bewunderer, aber auch Verächter und
Widersacher gefunden. Es sei hier nicht der Ort „den Proceß zu formieren
und den Ausspruch darüber zu thun", aber das lasse sich „ohne Parthey-
lichkeit sagen, daß auf beiden Seiten die Grenze überschritten werde,
wenn man auf der einen keinen Gesang schön findet, als den, der immer
im Galopp bergauf und -ab rennt; dagegen auf der anderen nur immer
Ton für Ton, mit Sylben beladen, schwerfällig einhergehend, verlangt.
Die Passaggien sind freylich nicht die wesentliche Schönheit des Gesanges.
Es kann ein Gesang schön seyn ohne alle Passaggien, dagegen dürfte ein
aus lauter krausen Figuren bestehender Gesang wohl schwerlich Jemandem
gefallen. Zur Rührung des Herzens tragen die Passaggien gleichfalls
wenig bey; sie sind meistenteils weiter nichts, als das Mittel, wodurch
ein Sänger die besondere Geschicklichkeit und Fertigkeit seiner Kehle
zeigt. Der Missbrauch, der heutzutage damit getrieben wird, ist allerdings
]34 Zweiter Teil.
sehr groß, Dicht allein auf dem italienischen, sondern auch bereits schon
auf dem deutschen Theater; am unleidlichsten ist dieser Missbrauch in der
Kirche" „Ob nun gleich gegen diese Missbräuche nicht genug
geeifert werden kann, so würde es doch unrecht und übertrieben seyn,
wenn man den Gebrauch der Passaggien ganz aus der Singemusik ver-
bannen wollte. Die Musik fodert Mannigfaltigkeit und Abwechslung;
die Passaggien sind zur Erreichung derselben immer ein gutes Mittel,
wenn sie mit andern simplem, und bloß deklamirenden Stellen vereinigt
sind. Den größten Teil eines Stückes dürfen sie nicht ausmachen; aber
ihnen gar keinen Anteil gönnen wollen, wäre, wo es nicht Ausdruck und
Leidenschaft glatterdings verbieten, ein wenig zu streng. Die Geschick-
lichkeit des Sängers kömmt bey Aufführung eines Singestückes allemal
mit in Rechnung; und man muß ihm die Gelegenheit nicht nehmen wollen
zu zeigen, wie weit es mit der menschlichen Stimme durch Fleiß und
Übung auch in diesem ^Stücke zu bringen sey.1) Nur suche er nicht auf
Unkosten der Leidenschaft zu glänzen, und das durch Passaggien zu er-
setzen, was er im empfindsamen Vortrag vernachlässigt." An anderer
Stelle wird noch betont, daß Kirche, Theater und Kammer, ja auch „die
Weitläufigkeit" und „Ehrwürdigkeit des Ortes" den Sänger „zu eigner
Observanz verbinden, oder ihm Dinge verbieten, die an einem audern
Ort nicht allein zugelassen, sondern sogar notwendig seien. „Die Kirche
fodert in allem eine edle Ernsthaftigkeit, die der Heiligkeit des Ortes an-
gemessen ist. Ein Sänger muß nicht mit einer eitlen Fertigkeit der Kehle,
mit üppigen und bunten Verzierungen und witzelnden und affektierten
Einfällen prahlen wollen." Und endlich heißt es noch an anderer Stelle,
ganz allgemein: „Die aus wenigen, aneinander liegenden Noten bestehen-
den Veränderungen sind denen vorzuziehen, die sich in viele weither-
geholte und ausschweifende Noten verwickeln."
Sehen wir uns nun auf diese theoretischen Darlegungen hin ihre
praktischen Nutzanwendungen in den sechs mit Veränderungen versehenen
Arien Hillers an, von denen ich im Anhang L einige Proben gebe, so
läßt auch eine flüchtige Durchsicht sofort erkennen, daß diese mit jenen
in Widerspruch stehen, wenigstens für unser musikalisches Empfinden.
Zwar ist es zweifellos, daß die Wahl der Stücke auf eine ungehinderte
') Algarotti, ein feiner Kenner der Oper seiner Zeit, geht sogar soweit, die Freiheit
des Ausschmückens durch den Sänger ganz verbieten zu wollen und die Praxis der Franzosen
zu empfehlen, die sie wesentlich beschränkte. Es heisst in seinem »Saggio sopra l'opera in
musica« von 1756: a considerare il bene e il male, che ne resulta dal lasciare al musico la
liberta nel cantare, sembra finalmente assai piü ragionevole la pratica dei Francesi, che non
permottono a loro musici quegli arbitrii, di quali troppo sovento sogliono abusare i nostri.
Selbst die Kadenz will er dem Sänger nicht freigeben: per le stesse ragioni non si vorebbe
abbandonare al musico la cadenza, che d'ordinario riesce di tutt' altro colore, che non e l'aria.
Zweiter Teil. 135
Entfaltung der Variationstechnik gerichtet war. Dennoch erscheint uns
nicht nur die für die Wiederholung des ersten Teiles bestimmte reichere
Aussetzung (System I), sondern schon die einfachere des ersten Vortrages
(System II) abgeschmackt, süßlich, verwirrt, ja nicht einmal gesangs-
technisch akzeptabel. Daß ein Meister wie Hiller, mit seinem so maß-
vollen Prinzip, das Richtige für seine Zeit getroffen hat, ist ebenso sicher,
als daß uns Praxis und Theorie im Widerspruch erscheinen, daß wir
fade, ja geradezu melodiefälschende Tonformeln finden, wo er dem Geschmack
seiner Zeit gerecht wurde; hier etwa einen Anhalt für die wirklich wert-
volle Musik der Zeit und ihre Behandlung in der Ausführung zu suchen,
scheint völlig ausgeschlossen. Selbst rein bravourösen Arien, wie sie
Händel, Traetta, J omelli, Hasse und alle Komponisten des achtzehnten
Jahrhunderts liefern, stünde eine solche Auszierung heut nicht mehr an.
Unser bereits durch Händel an stets ausdrucksvolle Melismen gewöhntes
Ohr, unser im Ausdruck wurzelndes Musikempfinden sträubt sich in solchem
Grade gegen diese spielerische Art der Veränderungen, daß ihre Ver-
pflanzung in die heutige Musikausübung nichts anderes bedeutete, als die
Ausschaltung der alten Kunst überhaupt. In dieser Fassung ist sie uner-
träglich, folglich haben wir das Recht, das was uns schön dünkt zu er-
halten, und über Bord zu werfen, was diesen Genuß zu vereiteln oder
auch nur zu trüben droht.
Überzeugen uns schon diese ästhetischen Erwägungen von der Un-
möglichkeit, in philologisch puristischem Verfahren zu uns herüber zu
nehmen, was damals „die Mode", so lassen auch die musikalisch -
technischen Ausführungen der Alten keinen Zweifel, daß eine solche
Wiederbelebung an der völlig veränderten Gesangstechnik und ihrer
Behandlung des Melismas scheitern müßte.
Für die Verbindung der Töne auf einem Vokal kennen wir vier
Arten, das Legato, Portamento, Staccato und Martellato, und gehen stets
vom Binden, dem Legato, als der normalen Aneinanderreihung aus, dem
die innigere Verbindung, das Portamento einerseits, das Absetzen,
Staccato und Martellieren andererseits als Ausnahmen gegenüberstehen.
Das Portamentieren erfassen wir als ein enges Zusammenbinden zweier
Töne, sodaß die Stimmbänder ganz allmählich an- bezw. abspannen,
während beim Legato dieser Vorgang sehr schnell erfolgt. In diesem
soll der Atem ruhig ausströmen, im Martellato hingegen führt die Lunge,
durch den Zwerchfellmuskel in Bewegung gesetzt, jedem Ton ein neues
Maß von Luft zu, ohne daß die Tätigkeit der Stimmbänder und damit
die Tonsäule unterbrochen wird.1) „Die Töne stoßen (Staccatieren) heißt
l) Stockhausen Methode, S. 48.
136 Zweiter Teil.
jeden einzelnen Ton durch einen kleinen Glottisschlag einsetzen und gleich
wieder verlassen; der Zeitwert der Noten wird daher um einen kleinen
Teil gekürzt".1) Wir fuhren unsere Passaggien, auch die der alten Meister,
wie Händel, Bach, Mozart, Rossini, und der Mordernen in der
Regel legato aus. Nur wo der Komponist durch besondere Zeichen eine
andere Art der Ausführung andeutet, oder tonmalerische Wirkungen
angestrebt werden, entschließen wir uns zu einer Ausnahme, wie wir etwa
die Gänge in der Arie „Ist nicht des Herrn Wort wie ein Hammer" in
Mendelssohns „Elias", oder diejenige des Harapha in der Arie „Nein
solch ein Kampf", in Hand eis „Samson" martellieren. Das 18. Jahr-
hundert hingegen geht von andern Grundsätzen aus. Agricola und
Hiller unterscheiden: „gestoßene" und „geschleifete" Passaggien, Tosi
spricht von Battuto und ßc'wolato, Hill er von stoßen, picquieren. Hierzu
trat das „Ziehen der Stimme", lo strascino bei Tosi, portamodo dt voce
bei Mancini, pot*tare la voce bei Agricola, in dem Sinne des heutigen
Begriffes der engsten Verbindung. Was nun verstehen sie unter „Stoßen"?
Tosi führt aus, der Meister solle den Scholaren die sehr leichte Bewegung der
Stimme beibringen, „vermittelst welcher die Noten, so die Passaggien aus-
machen, alle mit gleicher Geschwindigkeit articulieret und deutlich gemachet
und möglichst von einander abgesondert und abgesetzet werden, damit die
Passaggie weder allzusehr aneinander klebe noch übermäßig abgestoßen
werden möge". Das scheint auf unser Staccato hinauszulaufen. Agricolas
Ausführungen aber lassen erkennen, daß Tosi an unser Martellato denkt.
Er tadelt nämlich diejenigen, welche die Luft „oben am Gaumen an-
stoßen"; hierdurch könnten sie die Passaggien etwas leichter und
geschwinder herausbringen. Allein diese Art, die Passaggien auszuführen,
habe „erstlich diese große Unbequemlichkeit für die Zuhörer, daß sie
einmal an einem großen Ort und von Weitem .... mehr ein Meckern
und fast den Hühnern eigenes Gackern (welches die Welschen sgagateata
nennen) als einen rechten Gesang zu hören bekommen, die Töne zweitens
keine Dauer haben, sondern augenblicklich verschwinden". Die
hier verworfene Art der Yokalisation ist also sicher das Staccato. So
muß angenommen werden, daß Tosi und Agricola unter „battuto",
„stoßen" unser Martellieren verstehen. Auch Hillers Aus-
führungen lassen sich nur in diesem Sinne deuten, wenn er sagt, das
Abstoßen der Passaggien auf der Violine geschähe mit Wiederholung des
Bogenstrichs, wenn jede Note einen kurzen Strich bekommt, und es beim
Sänger darauf ankommt, daß der Vokal, auf welchen die Passaggie ent-
fällt, bei jeder Note gelinde wiederholt werde, sodaß eine von der andern
*) Stockhausen ebenda, S. 136.
Zweiter Teil.
137
abgesondert zu Gehör kommt.1) Auch die Bemerkung, diese Art erfordere
eine gute Brust, weist auf die beim Martellato notwendige, jedem Ton
ein neues Maß von Luft zuführende, und durch das Zwerchfell unter-
stützte Expiration hiD. Wichtig ist auch Mancini, der diese Art der
Tonverbindungen Martellato nennt. Johann Fr. Schubert2) endlich
weist darauf bin, daß bei gestoßenen Passaggien der Yokal bei jeder
Note gelinde wiederholt wird, sodaß eine Note von der andern gleichsam
abgesondert zum Gehör kommt, also nicht wirklich abgesondert, wie in
unserm Staccato. Wir erkennen also unter der gestoßenen Vokali-
sation der Alten unser Martellato. Nur wandte dasjenige der Alten
offenbar eine weit geringere Energie der Luftzuführung an, denn stets
wird betont, daß „jede Note sanft wiederholt werden muß".
Das „Scivolato«, „Schleifen« hingegen, die an zweiter Stelle ge-
nannte Verbindung entspricht ohne Zweifel unserm Legato, alle Manieren
unterliegen ihm. Es wird so ausgeführt, daß „die erste Note davon alle
übrigen, welche auf sie folgen, in gleicher Bewegung stufenweise nach
sich zieht" (Tosi), wozu Agricola noch bemerkt, die rechte Art der Aus-
führung bestehe darin, daß man „den Selbstlaut nur bey der ersten Note
ausspricht und ihn ohne Wiederholung bey den folgenden Noten, so viel
nämlich ihrer geschleifet werden sollen, in einem Atem fortdauern läßt.«
Das Staccato wurde, wie wir einer Bemerkung Agricolas entnehmen
können, gleichfalls geübt, doch scheint seine Anwendung eine beschränkte
gewesen zu sein und diente offenbar nur den höheren Noten der Kopf-
stimme. Aber durchaus nicht nur als ziergesanglicher Effekt, sondern
auch im pathetischen und hochdramatischen Stil, wie wir oben bereits
bei Scarlatti nachweisen konnten.
Schon die Aufführung des Stoßens an erster Stelle vor dem Legato
muß auffallen. Daß es aber wirklich der Gesangeskunst jener Zeit als
prinzipale Tonverbindung galt, erhellt aus allen ihren Lehrbüchern.3)
Tosi fährt, nachdem er die Begriffsbestimmung gegeben, in Agricolas
Übersetzung fort: „Weil die gestoßenen Passaggien öfter vorkommen als
alle andern, so erfordern sie auch die meiste Übung das Gebiet
des Schleifens ist beym Singen sehr eingeschränkt. Es erstreckt sich nur
über so wenig stufenweis ab- und aufsteigende Töne, daß es, wenn es
nicht mißfallen soll, nicht über vier derselben in seinem Bezirk haben
») a. o. O. II, S. 54.
2) Neue Singschule 1804.
3) Ich habe mich an anderer Stelle (Italienische Gesangsmethode des 17. Jahrhunderts
insbesondere S 55 ff-) dahin geäussert, dass die Diminution der ältesten Zeit regelmässig legato
ausgeführt wurde. Heute bin ich geneigt auch für diese Zeit anzunehmen, dass man sie
markierte. Es handelt sich um Interpretation des Wortes spiccare, das immer wiederkehrt,
also trennen, loslösen.
J38 Zweiter Teil.
darf. Dem Gehör nach scheint es mir im Absteigen gefälliger zu seyn
als im Aufsteigen." Im Adagio könne es zuweilen auch eine ganze
Oktave und darüber in aufsteigenden Passaggien erfassen. Triolen-
Passaggien sollen stets gestoßen werden. „Nur diejenigen, deren mittelste
einen Ton höher steht, die letzte aber in den vorigen Ton fällt, müssen,
wenn die Taktbewegung sehr geschwind geht, wo nicht gar geschleifet,
doch auch ja nicht hart gestoßen werden." Hiller geht sogar noch weiter
als Tosi und Agricola. Er verweist das Schleifen, das Legato, über-
haupt auf das Gebiet langsamer, zärtlicher und trauriger Sätze. Das
Martellieren aber verlangt er in „geschwinden und feurigen Stücken"
schlechthin, in denen das Schleifen „nur auf wenigen Noten, die noch
dazu lieber ab- als aufsteigend seyn müssen, wie auf vier Sechzehnteilen
im Absteigen oder in der Doppelschlagsbewegung und aufsteigenden
Triolen angebracht erscheine, wohingegen Triolen, deren zweite Note um
eine Stufe tiefer lägen, als die erste und dritte, immer mehr gestoßen als
geschleift würden. Nur chromatische Gänge wünscht er stets geschleift
oder portamentiert behandelt. „Läuft eine Passaggie durch mehr als vier
Töne fort, es sey im Auf- oder Absteigen, so muß jede Note gestoßen
werden", also auch im Adagio, was nicht einmal Agricola anerkennt.
Und sogar dieses kleine Gebiet des Bindens beschränkt er noch dadurch,
daß er empfiehlt innerhalb der geschleiften Passaggien einige Noten abzu-
setzen, sodaß selbst Notengruppen von nur vier Tönen je zwei geschleifte
und gestoßene Noten erhalten, also:
Daß aber diese Schulregeln, die uns weder ästhetisch noch gesangs-
technisch begründet erscheinen, auch schon eine starke Minorität der alten
Sänger mißbilligte, zeigt Agricolas Bericht,1) daß „der Fehler des
Schleifens der Passaggien, wo man sie stoßen sollte, absonderlich in
Wälschland zu itzigen Zeiten bey vielen Sängern aus den neuesten
Schulen sehr eingerissen" sei. „Sie wollen fast alle, auch die lebhaftesten
Passaggien schleifen". Also auch hier, wie in der Lehre vom Yorschlag,
war die Praxis geteilt; wie dort hat der Verlauf der Entwicklung, der
von der Theorie abweichenden Praxis der Minorität recht gegeben. Schon
das auslaufende 18. Jahrhundert scheint das Legato bevorzugt zu haben;
denn wenigstens ist keine Rede mehr davon, es nur ausnahmsweise anzu-
wenden. J. Fr. Schubert2) bemerkt nur, die gestoßene Passaggie tue
*) S. 132, Anmerkung 1.
v) a. o. O. S. 69.
2weiter Teil. i qq
in feurigen Allegri-, die geschleifte bei zärtlichen Adagiosätzen mehr
Wirkung. Wir werden im zweiten Bande dieses Werkes erfahren, wie
vorzüglich durch Rossinis Technik die gebundene Vokalisation in solchem
Grade zur Herrschaft gelangte, daß von den andern Arten nur noch zur
Verstärkung eines bestimmten Affektes oder zu tonmalenden Zwecken
Gebrauch gemacht wurde. So hat die Praxis des 19. Jahrhunderts uns
daran gewöhnt, die Bindung als die wesentliche Art der Vokalisation zu
betrachten, das Martellato aber nur in charakterisierender Bestimmung,
und dann mit energischerer Luftzuführung zu verwenden.
Sollen wir nun für die Musik des 18. Jahrhunderts ihre vorherr-
schende Praxis wieder einführen? Ich gebe zu, daß das nicht ohne
weiteres von der Hand zu weisen ist.1) Ich kann, und mit mir empfindet
wohl die größte Mehrzahl unserer Künstler und musikalischen Hörer,
solchen gestoßenen Passaggien keinen Geschmack abgewinnen, und ganz
unmöglich erscheint mir die den Alten gewohnte Mischung gestoßener
und gebundener Gänge. Unser Ohr ist an das Legato in so hohem
Grade gewöhnt, daß das Stoßen nur als mangelhafte Technik, der ein
vollendetes Legato versagt ist, empfunden wird. Überdies verlieren wir
so den wertvollen Kontrast zu dem wirklichen Martellato und berauben
uns eines vortrefflichen tonmalenden Ausdrucksmittels, ferner, und das
entscheidet, läßt sich aus den Aufzeichnungen der alten Theoretiker doch
nur annähernd feststellen, wie sie die gestoßene Vokalisation handhabten.
Es bleibt also immer fraglich, ob wir auch wirklich die ihnen geläufige
Vokalisation des Stoßens anwenden. Halten wir uns also auch hier, wie
in der Lehre vom Vorschlag, an die von einer offenbar starken Minorität
bevorzugte Art des Vokalisierens, behalten wir das uns geläufige Legato
als regelmäßige Tonverbindung bei, und schreiten wir zum Martellieren
nur dort, wo aus der Charakteristik resultierende Umstände es empfehlen.
Also auch die veränderten Grundlagen unserer Gesangstechnik
sprechen gegen die Rekonstruktion des alten Passaggienwesens, ebenso
wie die ganzliche Umwandlung unseres musikästhetischen Empfindens
Wir haben uns damit zu bescheiden, ganz wie bei der Anbringung der
Manieren, Passaggien dort zu verwenden, wo sie zur Abrundung der
meiosischen Linie beizutragen geeignet erscheinen. In dem ersten Teil
der dacapo-Arie werden wir uns im wesentlichen an die Niederschrift
des Komponisten halten, und nur zur Einschaltung kleinerer Verzierungen
im angedeuteten Sinne greifen, den Mittelsatz regelmäßig unverändert, in
>) Ich weiss, dass eine Minorität unserer Gesangsmeister sich auch heute für das
Marcato also ein schwaches Martellieren, als prinzipale Tonverbindung ausspricht, wie Iffert
Gesangschule Bd. I, S. 38, der Mannsteins folgt. Stellt man sich auf diesen Standpunkt, so
hat man die Lehre der Alten auch wirklich bis in ihre Details durchzuführen
140 Zweiter Teil.
der Wiederholung aber uns nicht etwa davon leiten lassen, daß hier dem
Sänger ein Tummelplatz seiner Kehlfertigkeit zu eröffnen, und jede Wieder-
holung der ersten Yortragsform zu vermeiden sei, sondern gleichfalls an
den Grundzügen der Niederschrift festhalten, und nur möglichst in anderer
Ausgestaltung als beim ersten Vortrag, Veränderung durch Manieren und
kurze Gänge vornehmen. Wo kein da capo vorliegt, vorzüglich in lang-
samen Sätzen „ist es billig", wie Hill er1) wünscht, „daß eine solche Arie
so vorgetragen werde, wie sie der Komponist zu Papier gebracht hat".
Wir haben dann nur herauszufühlen, was er etwa als Ergänzung der
meiosischen Linie voraussetzte.
Die Unterscheidungen der Alten hinsichtlich des Stils bleiben auch
uns verbindlich. Einmal verlangt nach wie vor die kirchliche Musik eine
ernste, überall ausdrucksvolle Behandlung, der Kammer- und theatralischen
Musik wird eine lebhaftere Kolorierung — immer in den gesteckten Grenzen
— zugute kommen, wobei wiederum in erster Linie der Empfindungs-
gehalt des Stückes ausschlaggebend ist. In bravourös gehaltenen Arien
dürfen wir weiter gehen, und durchaus reicher ausschmücken, als in
einem pathetischen, oder überhaupt von einem ernsthaften Affekt getragenen
Stücke, und im Allegro endlich mehr wagen, als in jenen breiten mit
Largo bezeichneten Sätzen, die gerade durch die edle Einfachheit der
Melodie auch heut noch so ergreifend wirken.
Die musikalischen Gesetze, welche die Alten für die Behandlung der
Passaggien und Manieren geben, sind noch heut, soweit sie nicht rein
gesangstechnischer Art sind, wie etwa das Verbot Gänge auf die Vokale i, u,
geschlossenes e und o zu legen, von Bedeutung:
1. Synkopierte Melismen sind nicht durch Triller und Passaggien
zu alterieren.
2. Jedes Melisma hat sich der Taktbewegung einzufügen.
Tosi polemisiert lebhaft gegen den Unfug der Neueren, welche
glauben, es heiße: „nach der Mode singen", wenn sie unauf-
hörlich verlangen, „daß ein ganzes Orchester in dem schönsten
Laufe der regelmäßig bestimmten Bewegung der Arie auf-
halten solle, um ihnen Zeit zu lassen ihre übel gegründeten Ein-
fälle auszupacken". Und Hiller2) bemerkt: „die strengste
Beobachtung des Zeitmaßes ist wie beym Vortrag aller
Musik überhaupt, so auch bey den willkürlichen Veränderungen
ein unverbrüchliches Gesetz".
3. „Die Veränderungen dürfen nicht bey den Hauptgedanken der
Arie, vielmehr bey den Nebengedanken angebracht werden
i) II. S. 130, § 5.
2) a. o. O. II, 131.
Zweiter Teil. 141
(Hill er1). Es bleibt also stets das motivische Element im
wesentlichen unverändert.
4. „Alle Veränderungen müssen dem harmonischen Verlauf ent-
sprechen und mit der Begleitung der Instrumente im Einklang
stehen." (Hiller.)
5. „Sie müssen überhaupt so angelegt sein, daß sie den Sinn
der Komposition nicht entstellen, sondern verschönern, nicht
undeutlicher, sondern deutlicher machen." (Hiller.)
6. „Die beste Gelegenheit für die Passaggien sind immer die
melismatischen Dehnungen über hervorstechende Silben"
(Hiller), worunter die betonte Silbe des Wortes verstanden ist.
C. Die Veränderungen im Rezitativ.
Während Mancini2) von einer abweichenden Stilbehandlung des
Kirchen-, theatralischen und Kammerrezitativs nichts wissen will,3) vielmehr
nur in der Anbringung der langen Vorschläge (Appoggiature) und des
Accentes, und zwar des längeren, Trattenuto, und des kürzeren, Sciolto,
die einzige Freiheit des Sängers anerkennt, unterschieden die andern
Gesangstheoretiker übereinstimmend dahin, daß das Kirchenrezitativ
„mit einer edlen Ernsthaftigkeit" „der Heiligkeit des Ortes gemäß"
(Hiller) wiederzugeben sei, und so weit es diesem Gebot nicht zuwider,
die Anbringung kleiner Verzierungen, neben dem Vorschlag, auch des
Pralltrillers und Mordenten, sowie überhaupt vermittelnder, kurzer Kadenzen
gestatte, während das theatralische Rezitativ „keine dergleichen Aus-
zierungen leide", um der natürlichen Erzählungskunst nichts in den Weg
zu legen und ihm die Gestalt der Rede nicht zu nehmen. (Tosi.) Das
Kammer-Rezitativ endlich — übrigens zu Hillers Zeit aus der Mode —
hat, nach Tosi, nicht „all die Ernsthaftigkeit des ersteren" es begnügt
sich, mehr mit dem zweiten gemein zu haben. Den Grund für die freiere
Behandlung des Kirchenrezitativs gibt Scheibe4) dahin an, daß man es
nach dem damals herrschenden Prinzip in höherem Grade melodisch, als
deklamatorisch behandele, während die Oper mehr deklamatorischen, der
Aktion gemäßen Vortrag erheische.
Agricola führt nun die üblichen Veränderungen, zu denen auch
die Manieren gehören, mit dem Bemerken an, daß letztere im Kirchen-
!) a. o. O. II, S. 130.
2) Riflessioni pratiche S. 227 ff.
3) »J° penso, che i recitativi, siano di Chiesa, di Camera, siano di Teatro, devono
essere sempre detti nel medesimo modo, intendo dire con voce naturale, e chiara, che dia la
dovuta intera forza ad ogni parola, che distingua le virgole, ed i punti.
4) Kritischer Musikus, S. 163.
142 Zweiter Teil.
rezitativ häufiger seien als im theatralischen. Er hält sich also hier nicht
streng an Tosi. Ich ziehe zur Ergänzung hier noch Telemann1) hinzu.
1. Die rezitativische Kadenz wird „gemeiniglich so abgeändert,
daß an Stelle der vorletzten Note die höhere Quart genommen,
also die vorhergehende Note wiederholt wird" (M 1). Endige
eine solche Kadenz in einer einzigen langen Silbe, so macht
man vor der letzten Note nur einen (langen) Vorschlag., aus
der Quart von oben (M 2). Der Quartensprung wird häufig
verziert, wenigstens im Kirchenrezitativ. Hill er will dabei
den Mordent verwendet wissen, und zwar bei zweisilbigen
Kadenzen, wenn sie vermittelst eines Quartensprunges gemacht
werden (M 3). Agricola bemerkt zu Tosis Ausführung, das
Rezitativ befreie den Sänger von einer genauen Beobachtung
des Taktes, zumal in den Kadenzen am Ende; das sei so zu
verstehen, daß er „bey affektreichen Stellen zuweilen eine mit
willkürlichen Auszierungen etwas ausgefüllte Aufhaltung vor-
trage", die nur nicht so weitläufig sei, wie in der Arie,
also eine dem Doppelpralltriller verwandte Figur (M 4), oder
ein mit einem lang angehaltenen, verstärkten ( " -=dZ^=* — )
Vorschlag versehenen, matt ausgeführten, prallenden Doppel-
schlag (M 5). Daß übrigens solche kleinen Kadenzen im
Rezitativ auch an andern Stellen zur Verknüpfung weiterer
Intervalle gebräuchlich waren, lehrt Hiller.2) Er berichtet,
Hasse deute das durch eine Fermate über dem ersten Tone
an (M 6). Auch Agricola gibt eine sehr hübsche Kadenz
zur Überbrückung einer verminderten Septime (M 7).
2. „Vor einer Note, die einen anschlagenden Terzensprung herab
machet, absonderlich wenn ein kurzer Einschnitt, den ein
Komma oder ein anderes Unterscheidungszeichen ausdrücket,
darauf folgt, pflegt man zuweilen entweder einen Vorschlag
aus der Sekunde von oben anzubringen, denselben auch wohl
in zärtlichen Stellen mit einem leisen Pralltriller zu begleiten
(M 8), oder man setzt, zumal wenn eine Note nachkommet,
die auf demselben Ton bleibt, an Stellen, die nicht zu affektuös
sind, statt der ersten Note nur den Vorschlag (M 9). Ein
Gleiches kann man in ähnlichen Stellen auch anbringen, wenn
die zwo Noten anstatt der Terz nur eine Sekunda fallen" (M 10).
*) Harmonischer Gottesdienst 1725, den Spitta J. S. Bach, II, S. 142 ff. für die Ver-
änderung des ßachschen Rezitativs benutzt hat.
2) Tl., S. 104.
Zweiter Teil. 143
Wir begegnen hier zum ersten Mal der Vorschlagsnote in dem Sinne,
daß sie die Hauptnote schlechthin ersetzt. In späterer Zeit wird der
Gebrauch der Yorschlagsnote in diesem Sinne über diesen vereinzelten
Fall hinaus, auch auf die geschlossene Form ausgedehnt.
3. „Folgen sich zwei Noten gleicher Tonhöhe, so kann man
zwischen der betonten und durchgehenden Note einen Mordent
anbringen (M 11). "
4. „Über springende Vorschläge von unten kann man vorzüglich
im Kirchen- und Kammerrezitativ gleichfalls den Mordent
anbringen (M 12)."
Telemann berichtet von der Anbringung der Manieren in diesem
Sinne gar nicht, sondern nur von Accenten, im Sinne des veränderlichen
Vorschlags. Seine Kadenz vollzieht sich allemal ohne die Auszierungen
des Agricola und Hiller. Ferner bestimmt er dort, wo Agricola die
Wahl läßt, zwischen der Einschiebung eines Vorhaltes mit oder ohne
Pralltriller und dem Ersatz der ersten Note durch die höhere Vorhaltnote,
überall diese Art. (M 13.) Er macht überdies von ihr einen weitgehen-
den Gebrauch. Nicht nur wo sich Noten gleicher Tonhöhe folgen, sondern
stets an den Einschnitten der Deklamation tritt der Accent ein von oben
und von unten.
Mancini1) spricht nur von Anbringung der Appoggiaturen im Sinne
des veränderlichen, langen Vorschlages und der Accente als Ersatz der
geschriebenen Note durch die tonal nächst-höhere, will also gleichfalls
von den eigentlichen Manieren hier nichts wissen. Hiller reduziert die
Benutzung des Pralltrillers und Mordents auf ganz bestimmte einzelne
Fälle. Dieser könne, wie erwähnt, auf der Kadenz der Quart eintreten,
jener dort, wo der Komponist einen Vorschlag vorgeschrieben, wenn mit
der Note ein Wort endigt. Dann zieht er, gegen Mancini und auch
gegen Telemann, den Vorhalt dem Accent vor, wenn sich gleiche
Noten folgen.
Wir finden also auch hier die alten Autoren nicht einig. Tosi-
Agricola verzieren, wenigstens das kirchliche Rezitativ, reicher als
Telemann, Mancini und Hiller. Jedenfalls ersehen wir aus ihren
Ausführungen, daß die Gewohnheiten der französischen Sänger, von denen
ich oben ein Beispiel gab (F 10), in Deutschland ungebräuchlich waren.
In welchem Sinne aber haben wir uns für das deutsche und italienische Rezitativ
zu entscheiden? Zunächst verkehrt sich für uns ihre Differenzierung
des kirchlichen und theatralischen Stils in ihr gerades Gegenteil.
Für uns ist das Rezitativ der Kirche, also auch des Oratoriums, nicht in
1) a. o. O. S. 227 ff. und S. 239.
144 Zweiter Teil.
höherem Grade melodisch zu behandeln, als das der Operngesänge. Schon
deshalb erscheinen uns jene Floskeln des Agricola der Ernsthaftigkeit
des kirchlichen Stils geradezu konträr, und wir werden uns deshalb für
die einfachere Behandlung Telemanns entscheiden, von der Quarten-
kadenz, regelmäßig wenigstens, und vom Mordenten ganz absehen. In
seltenen Fällen kann eine kurze Kadenz, wie sie Hiller und Agricola
geben, schön wirken. Seitdem die Opernmusik jener Tage, mit Ausnahme
derjenigen Glucks, von der Bühne verschwunden, und so weit sie über-
haupt noch erklingt, in den Konzertsaal verwiesen ist, brauchen wir jene
durch die Rücksicht auf die Aktion und die Natürlichkeit der Rede ge-
botenen Vorschriften größerer Enthaltsamkeit ihrer Ausschmückung nicht
mehr gelten zu lassen. Wir können, wo die Alten dramatisch bleiben
mußten, konzertgemäß verfahren, und ihnen etwa den vermittelnden
Charakter der alten Kammermusik beilegen, also von den Verzierungen,
mit Ausnahme des Mordents bei wiederholten Noten gleicher Tonhöhe,
der uns auch hier geschmacklos dünkt, und von kurzen Kadenzen maß-
vollen Gebrauch machen, was übrigens auch die Alten nicht ganz ver-
schmähten. Also: für die kirchliche Musik größte Einfachheit, für die
der Oper reichere, mehr konzertante Behandlung.
Aber daß wir Telemanns Accentuation sans phrase akzeptierten,
scheint mir gleichfalls ausgeschlossen. Er geht soweit, den Accent selbst
dort zu fordern, „wo die Modulation wider den Baß zu laufen scheint".
Wir werden auch hier, wie bei der Lehre vom Vorschlag, daran fest-
halten, daß die Accente falsche Fortschreitungen, Querstände, oder gar
Quinten- und Oktavenfolgen nicht einführen dürfen. Auch dort, wo der
Accent eine Dissonanz in eine Konsonanz verwandelte, haben wir,
wiederum nach den Lehren von der Anbringung der Vorschläge, von ihm
abzusehen. So würden wir die erste Note (c) des siebenten Taktes unseres
Beispiels (M 13) beibehalten und nicht mit dem Accent versehen, der aus
der dissonierenden Septime die konsonierende Oktave machte. Auch dort,
wo die Auflösung der Dissonanz in der Singstimme vorweggenommen ist,
ist es angezeigt, die Konsonanz sofort anzuschließen, und nicht erst eine
dissonierende Note einzuschieben (vgl. unser Beispiel M 13 Takt 3 und 4
„wie vormals dräut").
D. Die Kadenz der Arie.
Wir haben im Verlaufe unserer Darstellung zwei Typen von Kadenzen
unterschieden. Einmal jene dem Schluß angehängte und ihn befestigende
Phrase, die zwischen dem ersten und dem Finalschluß eine melismatische
Wendung einschiebt, dann aber seine Auszierung selbst. Beide Formen
halten an der Taktbewegung und dem fortspielenden Generalbaß fest.
Zweiter Teil. -. .-
145
Quantz1) und Agricola2) berichten nun, dal.! bis etwa 1710 die
Hauptschlüsse so ausgeführt wurden, „wie sie dem Takte gemäß ge-
schoben werden." Auf der Mittelnote des Finalschlusses wurde ein
Inller gemacht. Erst nach diesem Termin fing man an auf der Note vor
dem Triller „eine kleine willkürliche Auszierung" anzubringen, aber immer
unter Wahrung des Zeitmaßes, also nur dann, „wenn Zeit dazu war"
Darauf fing man an den „letzten Takt langsamer zu singen und sich
etwas aufzuhalten". Endlich suchte man „diese Aufhaltung durch aller-
hand w.llkürhche Passaggien, Läufe, Ziehungen, Sprünge, kurz was nur
für Figuren der Stimme auszuführen mögl.ch sind, auszuschmücken."
Diese Arten der Kadenzen seien nun noch heutzutage, also in den 50 er
Jahren des Jahrhunderts üblich und „sollen zwischen 1710 und 1716
ihren Ursprung genommen haben". Quantz fügt noch hinzu: es sei zu
glauben, daß diese „Kadenzen erst nach der Zeit, da Corelli seine in
Kupfer gestochenen 12 Solo vor die Violine herausgegeben hat, in den
tsrauch gekommen sind."
Man unterschied drei Arten, die von oben, die Tenorkadenz, in
Odur, e, d, c, die Sopran-Kadenz von unten: e, h, c, oder von oben
"' l C Zt ile, baSsierende Schlußformel: g-c. „Man hüte sich diese
- die Baß -Kadenz - durch die des Soprans oder des Tenors zu er-
setzen: es wäre lächerlich, wenn man ihnen ihre eigene Kadenz, der
Fracht des Unisons zuwider, geben wollte. Überhaupt können trotzige
und andere dergleichen Schlüsse durch diese Kadenz in allen Stimmen
(also nicht bloß in der Baßstimme) gut ausgedrücket werden.« Die
bassierende Kadenz scheidet also von vorne herein für die Ausschmückung
aus Q u a n tz ») berichtet, daß italienische Komponisten, um einer allzu häufigen
Anbringung der Kadenz vorzubeugen, gern diese Schlußformel anwendeten
Der Eintritt der Kadenz in den Hauptschlüssen erfolgte stets auf
der ersten der drei melodischen Noten (Hiller) zu dem Quartsext-
akkord der Quinte, und der Triller setzt mit der Dominante ein. Die
Kadenz selbst kann entweder in der Harmonie des Haupttones, der
Tonic, bleiben, oder aber in die „Harmonie der Quinte", also in die
Dominante übergehen, und so den Eintritt des Dominantakkordes früher
herbeiführen. Sie kann endlich in weiter abweichende Tonarten über-
gehen, ohne sich aber allzuweit zu entfernen und die richtige Auflösung
der Dissonanz zu verfehlen (Hiller).
So der harmonische Verlauf der Schlußkadenz. Wie geartet aber
ist ihr thematischer Inhalt? Auch hier hat sich im Verlauf des
') a. o. O. XV, S. 151.
2) a. o. O. S. 195, Anmerkung c.
3) S. 152 § 3.
10
146 Zweiter Teil.
18. Jahrhunderts eine Wendung vollzogen. Agricola1) lehrt, die Kadenz
„müsse sich allemal auf den in der Arie liegenden Hauptaffekt beziehen".
Erstrecke sich diese Ähnlichkeit sogar auf einige der schönsten einzelnen
Stellen und Klauseln derselben, so sei es desto besser, und Quantz
äußert: „Die Kadenzen müssen aus dem Haupteffekt des Stückes fließen
und eine kurze Wiederholung oder Nachahmung der gefälligsten Klauseln,
die in dem Stücke enthalten sind, in sich fassen." Auch Algarotti2)
erfaßt die Kadenz als: Ja perorazione delV <iria medesima, als Redeschluß
der Arie selbst. Der Übung der älteren Zeit also entsprach es, die
Kadenz thematisch der Arie anzupassen. Daran hat man später nicht
mehr festgehalten. Mancini3) berichtet: Die Ansichten der Sänger in
dieser Hinsicht seien geteilt. Die einen wollten mit einer messet di voce,
nämlich auf dem drittletzten Ton, beginnen, und was folge, müsse ein
Epilog der Arie sein, und aus einer geschickten Zusammensetzung ihrer
Themen (passi) und Gänge (passaggi) so bestehen, daß sie in einem Atem
genommen noch den Triller der letzten Note mit umfasse. Die andern
hingegen entschieden sich für eine frei erfundene, ohne thematischen
Zusammenhang mit der Arie gesetzte Kadenz, die dem Sänger dazu
verhelfe, mit seinen Passaggien und Wendungen Staat zu machen (pompa
di varii passaggi e gwi-giri) und die Hurtigkeit seiner Stimme und ihre
Geschicklichkeit entfalten zu können. Es sei kein Zweifel, daß die
Meinung jener die richtige und vernunftgemäße sei: denn die Kadenz sei
nur der Epilog der Arie. Bei Hiller hat die gegenteilige Meinung und
die Partei gesiegt, die in der Kadenz nicht mehr einen integrierenden
Teil der Arie selbst, sondern eine äußerliche der Kehlfertigkeit des Sängers
bestimmte Coda des Stückes sah. Hiller geht gar nicht mehr von der
thematischen Anpassung der Kadenz an die Arie als Regel aus, sondern
erwähnt nur wie nebenher: „Um eine Kadenz der Arie recht anzupassen,
bediene man sich auch wohl einzelner schönen Stellen aus der Arie
selbst, und sucht sie geschickt in dieselbe einzuflechten", so daß klar
wird, daß jetzt Ausnahme geworden, was früher die Regel gewesen. Mit
der Entfremdung der Kadenz von der Thematik der Arie und ihrer nur
noch gesangstechnisch bravourösen Beziehung zum Stück wächst die
Begierde der Sänger. Sie wird länger und lagert immer weitere und
ausgedehntere Fiorituren ab, so daß schließlich von der Beschränkung
auf die Zeit einer Atemexspiration abgesehen wird. Mancini4) verlangt
noch die Ausführung ohne Unterbrechung durch Atemzüge (per non esser
') a. o. O., S. 204.
2) Saggi° sopra l'opera in musica, 1755.
9) a. o. O., S. 179.
4) a. o. ü. S. 181.
Zweiter Teil. 147
mal costretto inte r romperl a)^ Hiller sieht bereits davon ab und meint nur,
„eigentlich sollte darinne gar kein Atem genommen werden; sie dürfe
also von Rechts wegen nicht länger dauern, als der Atem des Sängers es
gestatte". „Da aber doch ein Gedanke, der für sich ein Ganzes ausmacht
und einige Bedeutung haben soll, einige Ausdehnung fodert, so ist dies
Gesetz so unverbrüchlich nicht zu halten". Sieht man seine Beispiele
an (N 1 — 8), so ersieht man sofort die Unmöglichkeit, sie in einem Atem
auszuführen. Sie haben auch keine oder nur ganz flüchtige Beziehungen
zum thematischen Inhalt des Stückes.
Die Kadenz unter Aufhebung des Zeitmaßes, also selbst die
thematische, hat zu allen Zeiten ihre Gegner gehabt, den radikalsten wohl
in Tosi. Er eifert gegen die neue Mode in den erbittertsten Ausfällen
gegen Sänger und Komponisten, er will nur „bescheidenen Zierrat" und
stets unter Wahrung der Taktbewegung zulassen, allenfalls am Ende der
Arie etwas an „willkürlichen Verzierungen" gestatten, „damit man hören
könne, daß das Ende derselben da ist". — Der allgemeinen Praxis hat
diese Behandlung der Kadenz sicher nicht entsprochen. Agricola gibt
zwar dem Tosi in der Hauptsache recht, kann sich aber doch nicht ent-
schließen, so streng wie er vorzugehen. Mancher Sänger verderbe zwar,
führt er aus, durch ein ungereimtes Ende bisweilen, was er in der Arie
etwa noch Gutes vorgebracht hat; „manchem, dessen Erfindung nicht
reich ist, gereicht es wirklich zur Last, wenn er oft Kadenzen machen,
und doch nicht eben immer dasselbe wiedergeben will. Es ist dagegen
auch wieder wahr, daß ein feuriger Kopf dadurch seine Zuhörer unver-
mutet überraschen und der Leidenschaft, deren Erregung die Absicht der
Arie gewesen, gleichsam noch einen neuen Grad der Stärke zusetzen kann.
Er kann gewisse Töne, deren Anbringung ihm in der Arie nicht allemal
erlaubt gewesen, in eine geschickte Kadenz eingekleidet dem Zuhörer zu
Ohr bringen, und diesen also mit dem ganzen Umfang seiner Stimme
bekannt machen Nur müsse er folgende „Vorsichtigkeiten dabey
wohl in Acht nehmen": die Kadenz dürfe nur an wenigen Stellen vor-
kommen, nicht zu lang sein, dem Charakter der Arie so entsprechen, daß
lebhaften, feurigen Arien „weitläufige Sprünge, Triller und Triolen,
Läufe u. s. f., traurigen und pathetischen mehr gezogene (gebundene) und
geschleifte (portamentierte) Gänge mit dissonierenden Intervallen vermischt
entfallen und in einem Atemzug vorgetragen werden können." Dabei sei
zu beobachten, daß die Dissonanzen stets die richtige Auflösung fänden,
möglichst unerwartete Wendungen vorkämen, und die Figuren sich nicht
— in der Sequenz — wiederholten, sondern „eine geschickte Zusammen-
setzung einiger nicht ausgeführten, abgebrochenen Sätze seien". An
den strengen Takt sei man nirgends gebunden. Hiermit stimmen Quantz'
10*
148 Zweiter Teil.
Ausführungen zu diesem Gegenstand überein. Nur will er es an einer
Kadenz in jedem Stück genug sein lassen, weil das der Absicht der
Kadenz, die „Zuhörer noch einmal bey dem Ende unvermutet zu über-
raschen, und noch einen besonderen Eindruck in ihrem Gemüte zurück-
zulassen" am besten entspreche.
Ich habe Agricolas Ausführungen ausführlicher wiedergegeben,
weil sie offenbar der Praxis der vornehmen Gesangskünstler entsprechen,
und von derjenigen banausischer Kehlvirtuosen ebenso fern sind, wie die
allzu puristische und veraltete des Tosi. Sie dürften als Maximen für die
Behandlung der Kadenz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ver-
bindlich sein. Wir werden deshalb Agricolas und Mancinis Kaden-
zierung annehmen in jedem Fall für die Bach-Händelsche Periode
und nicht so weit gehen wie Hiller. Rücksichten auf die Sänger könnten
uns nur bestimmen die Kadenz leichter und schlichter zu schreiben, da
die heutige Generation, und ich glaube sicherlich auch die nächstfolgende,
im Ziergesang sich mit den Alten nicht messen kann, und an Kadenzen
mittlerer Schwierigkeit gerade genug zu tun findet. Wir werden die
Kadenz, ganz wie diejenige der klassischen Instrumentalkonzerte, insofern
als integrierenden Bestandteil der Arie betrachten, als wir sie thematisch
aus ihr entwickeln. Das entspricht der alten Praxis, und gleichzeitig dem
Geschmack unserer Zeit. Wir werden trachten, sie so zu gestalten, daß
in ihr die Wesenheiten des melodischen Verlaufes in kurzer Zusammen-
fassung, aber in ihrer vollen Bedeutung, zu gesteigertem Ausdruck ge-
langen, überall unter Beobachtung der von Agricola oben angeführten
Regeln. Gemäß der Anlage der Arie, ihrer Ausdehnung und thematischen
Bedeutung wird die Kadenz bald umfangreicher, bald kürzer, ja aus
wenigen Noten zu bilden sein. In langsamen Arien, deren Gestaltung
der Kadenz keinen Anhalt bietet, wird man ausnahmsweise zu einer
lediglich abschließenden Formel greifen.
Für die Nach-Händelsche Zeit, auch für die Mozarts und seiner
Zeitgenossen möchte ich indessen einen so scharfen Bruch mit der von
Hiller überlieferten Tradition, wie sie die Einführung einer thematischen
Kadenz bedeutete, nicht wagen. Hier dürfte eine frei erfundene, ich
möchte sagen Sängerkadenz am Platze sein. Sie aber etwa derjenigen
Hillers (N 9) getreu nachzubilden, widerspricht unserm Geschmack
in hohem Grade. Auch sie darf nicht in leeres, ausdrucksbares Getändel
ausarten, auch sie soll sich dem thematischen Inhalt der Arie insoweit
anlehnen, daß sie rhythmisch mit ihr korrespondiert, möglichst auch
melodisch, jedenfalls aber nie ganz Neues und Fremdes bringt, sondern
eine gewisse Ähnlichkeit mit dem bereits angeführten melismatischen
Zweiter Teil. J 49
Bestandteil aufweist. Immerhin sind Hillers Lehren für die Bildung
der Sängerkadenz wichtig genug, sie hier zu wiederholen.
Die Kadenz kann sich 1. tonal in der Haupttonart oder 2. in der
Dominante bewegen, oder 3. kurze Wendungen und Ausweichungen in
entferntere Tonarten zu Hilfe nehmen, unter Wahrung der richtigen Auf-
lösung der Dissonanzen. Yon Passaggien kommen — natürlich immer
neben den Manieren — Tonleitern in allen Formen, und Akkord-
arpeggien in Betracht. Er gibt nun eine Reihe von Tonleitervariationen,
die ich im Anhang andeute (N 1). Es folgt eine Kadenz, die ein
Arpeggio der Dominante einstreut (N 2), dann eine solche, die ganz
der Dominante angehört (N 3), endlich eine solche mit Veränderungen
des harmonischen Dreiklangs (N 4). Man dürfte gut tun, sich für die
Kadenzen jener Zeit auf diese Typen zu beschränken und sich zu hüten
etwa ein Feuerwerk Rossinischer Art loszulassen. In Adagiosätzen, lehrt
Hiller, und das gilt auch für die Händeische Kunst, wird man weniger
Gebrauch — für uns gar keinen — von geschwinden Läufen machen,
sondern sich mit wenigen „gut getragenen Tönen begnügen und einige
Dissonanzen einstreuen, unter denen die übermäßige Quart und Quinte
über der ersten Kadenznote zu bevorzugen sind". Die Auflösung* kann
zuweilen verzögert werden (N 5). Zu empfehlen sei, auch geschwinden
Läufen langsame Noten, auch in Dissonanzen einzufügen, oder auch
wohl langsame Kadenzen einmal durch geschwindere Läufe zu unter-
brechen (N 6). Für eine Ausweichung in entferntere Tonarten gebe ich
ein Beispiel in N 7. Weite Sprünge, über die Oktave hinaus, sollen nicht
gleich im Anfang, sondern „mehr in der Mitte statthaben"; sie erfordern,
um sie „faßlicher darzustellen, etwas langgehaltene Töne". Die Duodezime
und Terzdezime sind bevorzugt (N 8). Ich gebe noch im Anhang (N 9
a— c) einige Hillersche Kadenzen aus seinen „Sechs italiänische Arien",
die den Typus der reinen Sängerkadenz darstellen.
Dem Melisma der letzten Note folgt nun, zugleich mit dem Eintritt
der Dominante, insofern sie nicht schon früher eingetreten ist, der Triller
der zweiten Note der Kadenz, natürlich mit der oberen Hilfsnote ein-
setzend. Den Franzosen folgend, berichten Tosi-Agricola, könne man
den Triller in „langsamen und zärtlichen Arien" weglassen oder ihn, wie
Agricola1) wünscht, durch den einfachen oder prallenden Doppelschlag
ersetzen, dessen beide letzte Noten „ganz matt und langsam anzubringen"
seien (0 1 u. 2). Derjenige Sänger, der über einen guten Triller nicht
verfügt, wird von dieser Lizenz wohl auch in Allegrosätzen Gebrauch
macheu müssen. Daß die bassierende Kadenz diesen Triller nicht mit
sich führt, ist bereits oben erwähnt worden.
') a. o. O. S. 120.
150 Zweiter Teil.
Die doppelte Kadenz für zwei Singstimmen, oder eine Sing-
stimme und ein konzertierendes Instrument, wurde gleichfalls in der Regel
erst von den Ausführenden erdacht und unterliegt naturgemäß den Ge-
setzen des zweistimmigen Satzes. Agricola warnt vor zu vielen Terz-
sextengängen, empfiehlt dagegen „gebundene und ausgelöste Gänge, ins-
besondere Nachahmungen und die Einhaltung des Taktes insoweit, als
sie die Nachahmung verlangt. Sie dürfen länger sein als die einfache Kadenz,
gestatten also das Atmen.1)
Als Unterart dieser freien Kadenz erscheinen diejenigen, die man
bei Fermaten oder sonstigen Einschnitten anbrachte. Sie sollen, will
Agricola, „der Hauptleidenschaft des Stückes gemäß sein" und treten
sowohl bei der Dissonanz, welche dem Dominantakkord vorangeht, als
auch auf der Dominante selbst ein. Sie müssen sich allemal auf die
anschlagende Baßnote gründen, über welcher sie angebracht sind, und
dürfen keinen andern Akkord berühren, da sie sonst zu einer wirklichen
Kadenz auswüchsen. Im Beispiel P 1 wird „der Akkord der Septime
willkürlich ausgefüllt, und durch zugesetzte Noten verändert". Wie sehr
sich die Ornamentierungskunst jener Zeit in Kasuistik verliert, zeigen
Agricolas Regeln über den Abschluß dieser Fermaten. Schließt sie
mit einem halben oder ganzen Ton nach unten (P 2), so tritt der
übliche Schluß mit dem Triller und Nachschlag, oder dem prallenden
Doppelschlag mit Nachschlag ein. Bei andern Intervallen, wie Quinten-
Oktaven und Terzensprüngen (P 3, 4, 5) tritt an die Stelle des gewöhn-
lichen Nachschlages „eine gewisse andere Art eines matten Nachschlages
ein, der aber nur bey dieser einzigen Gelegenheit gebräuchlich ist".
Gerade solche Kadenzen eröffnen aber auch zuweilen den Eintritt der
Gesangstimme in der Arie, wie wir das schon bei Scarlatti und andern
Italienern nachwiesen. Agricolas Beispiel (P 5) stammt aus Hasses
damals berühmtem „Giro riconosciuto" ', wie Hiller2) bemerkt. Man hielt
sich übrigens nicht streng an das Verbot der Ausweichung in andere
Tonarten bei diesen kleinen Kadenzen, denn unser Beispiel (P 5) weicht
von der Tonica Es durch die Note Des nach As aus. Hiller empfiehlt
für die Fermaten neben „kleinen willkürlichen Verzierungen" vorzüglich
den bloßen Triller ohne Nachschlag, oder den Schwellton mit oder ohne
angehängten langsamen Mordent, letzteren besonders bei Oktavensprüngen.
Seine willkürlichen Verzierungen an dieser Stelle (P 6 — 8) halten sich in
den Grenzen der älteren Praxis; man legte sich also hier, anders als in
den Schlußkadenzen, einige Reserve auf, ja unterließ sogar den Triller
auf der vorletzten Note, ihn durch die messa di voce ersetzend.
1) Ausführliches über die Behandlung der Doppelkadenz bei Quantz. a.o.O. S. 157, § 19 ff.
2) a. o. O. II, S. 123.
Zweiter Teil. 151
Endlich muß hier noch derjenigen Kadenzen Erwähnung geschehen,
die dazu bestimmt sind, einen „Übergang zu den darauf folgenden
Gesängen zu geben." Sie bestehen nach Hillers Beispiel (P 9 und 10)
— Agricola erwähnt ihrer nicht — nur aus wenigen Noten, die von
der Dominante zur Tonica führen und in der Stimmenfortschreitung meist
einen Sexten- oder Quartensprung füllen. Dabei befestigte man zunächst
den Abschluß auf der Dominante, wenn die Stimme nach der Fermate
absetzte, und zu einem entlegneren Intervall übersprang, z. B. der oberen
None (P 9), von dem aus erst jetzt der Übergang zur Einsatznote ge-
wonnen wurde. In dem zu Hillers Zeiten aufgekommenen Rondo, das
das Thema mehrfach wiederholt, ist zu diesen Yerbindungskadenzen be-
sonders häufig Gelegenheit.
Daß neben diesen freien, vom Takte emanzipierten Kadenzen auch
die ältere Art, die an den Generalbaß gebundene, in Übung blieb,
bezeugen Tosi und Agricola. Sie müssen aber zu Tosis Zeiten ver-
nachlässigt worden sein; denn er ermahnt die Studierenden, von diesen
„Cadenze particolari senza ojfem clel tempo" fleißig Gebrauch zu machen.
Agricola fügt hinzu: „Die Schlüsse der Arie, ohne Zurückhaltung der
Bewegung des Basses, und der andern begleitenden Instrumente, mit
einigen willkürlichen Auszierungen zu versehen, wird heutzutage bisweilen
bei dem Ende des ersten Teiles einer Arie, absonderlich wenn sie ein
Adagio ist, auch wohl wenn sonst noch etwa ein Schluß in derselben
vorkömmt, der zur Endigungskadenz vorbereitet, von einigen Sängern,
welche Fertigkeit genug dazu besitzen, nicht ohne gute Wirkung ange-
bracht." Wir dürfen demnach auch für die Händeische Kunst auf sie
rechnen. Ich habe es bisher vermieden, auf eine Kritik der Chrysander-
schen Bearbeitungen einzugehen, muß aber an dieser Stelle zu seiner
Kadenzbehandlung Stellung nehmen. Es ist nun ganz auffällig, daß er
sich an diese von der Theorie beobachteten Regeln nicht kehrt. Er setzt
mit der freien Auszierung häufig bereits vor dem Eintritt des Quart-
Sextakkordes ein, hält sich aber nicht, wie das die Alten verlangen, an
den fortspielenden Generalbaß, sondern erweitert die Werte der Baßnoten,
ja interpoliert sogar nicht selten ganze Takte, wobei er sogar vor Ver-
änderungen des Zeitmaßes, wie der Umwertung eines im Original geraden
Taktes in einen 3/2-Takt nicht zurückscheut.1)
J; Vergl. den Klavierauszug zum Messias, herausgegeben von Max Seiffert S. 9. Diese
Stelle ist besonders instruktiv, denn die Originalkadenz Händeis Nr. 1 hält sich bis zum Eintritt
des Quart-Sext- Akkordes streng an das Zeitmass, ebenso die von 1790. Diejenige Chrysanders
erweitert diesen Teil, und eliminiert dafür die Auszierung auf dem Quart-Sext- Akkord vollständig.
Vergl. ferner S. 21 I. System, S. 51, S. 100 II. System, und S. 130. Ferner Klavierauszug
zum „Saul", herausgegeben von Volbach, Verlag der Kaiserin Friedrich -Stiftung in Mainz,
S. 25 und 26, wo ein ganzer Takt interpoliert ist.
152 Zweiter Teil.
Das ist nun sicherlich den Anschauungen der alten Theorie zuwider.
Freie, vom Takt emanzipierte, gewissermaßen improvisierte
Kadenzen sind nur auf dem Ruhepunkt des Quart-Sext-
akkordes freigestellt, alle andern Auszierungen insbesondere
diejenigen, die diesen Schluß vorbereiten, sind durchaus an
das Zeitmaß gebunden. Nicht einmal „der galante Stil", der doch
in dieser Hinsicht weiter gehen durfte, als der pathetische, wagt es von
der Niederschrift in solchem Maße abzuweichen. Es ist hier nicht der
Ort zu untersuchen, ob die Chrysanderschen Kadenzen inhaltlich dem
Stil der Zeit und gleichzeitig unserm Geschmack gerecht werden. Jeden-
falls ist aber ein Hinausgehen über diejenigen Freiheiten, welche die
damalige Theorie gestattete, an sich unzulässig und nur geeignet den
Ausgleich zwischen den Vorschriften jener und den modernen Geschmacks-
postulaten zu erschweren. Unsere Aufgabe, innerhalb dieser Grenzen
stilgerecht zu verfahren, ohne modernes Musikempfinden zu verletzen, ist
gerade schwierig genug, als daß wir es wagen dürften, sie noch weiter
abzustecken, als selbst die Alten es getan.
Wir haben noch zu untersuchen, ob auch die von den Komponisten,
wie wir sahen, vielfach ausgeschriebenen Schlüsse noch überdies von
den Sängern verziert wurden. In den Quellen findet sich keine Andeutung.
Wir müssen deshalb annehmen, daß die freie Kadenz auf dem Quart-
Sext-Akkord auch hier zur Anwendung kam, hingegen diejenige über
dem fortspielenden Generalbaß fortblieb, weil eben die Niederschrift selbst
bereits in so ergiebiger Weise zum Ende führte, daß für die kein Platz mehr
vorhanden wrar. Es ist aber anzunehmen, daß auch jene in solchem Falle
sich auf Ausführung eines kurzen Gedankens beschränkte, um das Ver-
hältnis der Ariensubstanz und des schlußbildenden Anhanges nicht un-
natürlich zu dieses Gunsten zu verschieben. Das gilt auch für die
Händeische Kunst vorzüglich. Denn auch er gestaltet seine Schlüsse
nicht selten in der Form, wie wir sie bei den Italienern geschildert, in
der Oper reicher und ausladender1) als im Oratorium2). Wo solche
1) Vergl. z. B. Schluss der Arie: „Tu, la mia Stella" im Giulio Cesare S. 39 der
Händelausgabe.
2) Vergl. z. B. Susanna: „Welket hin und sinkt in Schmach", wo die Schlussformel
in einer Anführung früherer thematischen Phrasen besteht. „Sanft lächle Friede", wo mit
einem bereits auf anderer Tonstufe angeführten Melisma geschlossen wird: „Wenn die Schlacht-
trompete klingt". Acis und Galatea: „Schäfer lass dein Liebeswerben", eine Arie, die den
breiten typischen Schluss der italienischen Form aufweist. Messias: „Alle Thale'(, Schluss
des ersten Teils in H dur. „Das Volk das im Dunkeln wandelt", Schlussbildung durch
Wiederholung einer früheren Phrase in die höhere Quart gelegt. „Ich weiss, dass mein Er-
löser lebt", Melisma nach dem Trugschluss H — Cis, wo offenbar die Kadenz völlig aus-
geschrieben ist.
Zweiter Teil.
153
Schlußformeln vorliegen, werden wir von der vorbereitenden Kadenz ganz
abzusehen haben, da wir annehmen müssen, daß sie Händel so nieder-
schrieb, wie er sie gesungen wissen wollte. Nicht ausgeschlossen ist
natürlich auch hier der Zusatz von Manieren und kleinen Passaggien. Die
freie Kadenz wird auch hier nicht fehlen dürfen, aber inhaltlich und in
ihrer Ausdehnung auf die vorgefundene Schluß wen düng Kücksicht zu
nehmen haben. Für Bach liegt die Sache anders. Er führt die Stimme
in den meisten Fällen in so ausdrucksvollen Wendungen zu Ende, daß
für die Kadenzbildung kein Raum bleibt. Zuweilen schreibt er sie in
seinem überall hervortretenden Bestreben, der Willkür der Sänger vor-
zubeugen, selbst vor.1) Dort wo bei den Schlüssen die Instrumente aus-
setzen und der Generalbaß allein fortspielt ist man anzunehmen berechtigt,
daß er auf den Zusatz von Manieren gerechnet hat.2)
Kapitel IL
G. F. Händel.
Es ist im Verlaufe dieser Abhandlung überall auf die Stellung hin-
gewiesen worden, die Hand eis Oratorienstil zur Melismatik und zum
Verzierungswesen seiner Zeit einnahm. Auch dieser deutsche Meister ist
durch die italienische Schule gegangen, war von dem älteren Scarlatti,
noch mehr von Steffani, vorzüglich aber von R. Keiser beeinflußt
worden, und hatte sich den Besitz aller ihr geläufigen vokalen
Ausdrucksmittel, aller ihr tesorl cid canto zu erwerben gewußt.
Schon seine Frühwerke, wie die Almira, noch mehr die Opern der
Londoner Periode erweisen aber das Bestreben, die melismatischen
Tonfiguren dem geistigen Gehalte des Vorwurfs inniger anzupassen, ja
ihn durch sie zu steigern, und sie der Bestimmung zuzuführen, den
innersten W^esensgehalt selbst zu treffen. Will sich hier ein völliges Ge-
lingen noch nicht überall einstellen, so entfällt das Verschulden jener
Theaterpraxis, die es erheischte, daß der Komponist nicht nur der
Individualität des Sängers überhaupt, sondern auch derjenigen seiner
technisch-gesanglichen Begabung Rechnung tragen mußte. Daß Händel
seine Würde und die der Kunst zu wahren wußte, beweist der bekannte
Vorgang mit der Cuzzoni.3) Indessen konnte auch er nicht soweit
gehen, jener Sitte sich ganz zu entziehen. Die Arien für diese Künstlerin,
für die Faustina, Strada, für Senesino, Montagnana, Bernacchi u. a.
sind geschickte Kompromisse zwischen der Aufgabe, die Handlung und
1) Z. B. Kantate „Freue dich, erlöste Schar", Bass-Arie, Bach-Ausgabe V. i, S. 347
und „Süsser Trost, mein Jesus kommt", gleichnamige Arie, Bd. XVI, S. 9.
2) Vergl. Spitta a. o. Ü. Bd. II, S. 152.
3j Chrysander -Händel Bd. 1J, S. 91.
154 Zweiter Teil.
Charakter stellte, und dem Wunsche, dem Vertreter der Rolle auch zu
einem gesanglichen Erfolge zu verhelfen. Erst im Oratorium, und dem
geistlichen vorzüglich, wurde er dieses Zwanges ledig. Hier erst durfte
er ganz aus der Stimmung heraus schaffen, und so Schönes auch die
Einzelgesänge seiner Opern mit sich führen, die volle Höhe erreichte er
doch erst auf diesem Gebiete. Nun durfte er auch die Melismatik völlig
in den Dienst des Ausdrucks stellen. Selbst dort, wo sich eine reiche
Koloratur entfaltet, ist sie nirgends Selbstzweck, erweist sich vielmehr als
ein wohlerwogenes, fein durchdachtes Hilfsmittel der Charakteristik.
Unter diesem, als des Meisters Gesichtspunkt, hat denn auch die
nachschaffende Hand des Interpreten dort einzusetzen, wo er ihm — in
der Sitte der Zeit — durch eine skizzierte, nicht ausgeführte Nieder-
schrift die Gelegenheit eröffnet, selbsttätig nachzuhelfen. Er wird
überall die Vervollkommnung der melodischen Linie anzustreben
haben, insbesondere wo er Vorschläge, lange oder kurze, oder andere
Manieren einfügt, und wo er reichere Wendungen einstreut, wie das die
lebhafter kolorierten Gesänge nicht selten verlangen, stets ihrer
musikalischen Gesamtanlage gemäß, und möglichst in Anlehnung
an die gegebene Thematik zu gestalten gehalten sein. Und das gilt auch
für die Kadenz. Nicht nur, daß noch zu Hand eis Zeit die thematische
Kadenz durchaus die vorherrschende war, auch unser lebendiges Musik-
empfinden wird nur dieser Gattung, als einer wirklichen Steigerung des
musikalischen Aufbaus, eine Berechtigung zusprechen, die Sängerkadenz,
also die ohne Bezug auf die thematische Substanz des Stückes angefügte
Klausel, hingegen nur ausnahmsweise dort einfügen, wo das Stück selbst
sich des Ziergesanges als Selbstzweck bedient und durch ihn wirken will.
Selbst wenn sich einmal Kadenzen dieser Art auch in anderer Bestimmung
wiederfänden, und so der Beweis erbracht wäre, daß sie wirklich in
Übung waren, so könnte uns das — schon gegenüber den klaren Be-
richten von der Bevorzugung der thematischen Kadenz — nicht bestimmen,
sie wieder einzuführen. Und wenn sie selbst von Händeis eigner Hand
notiert wären, so dürften wir in ihnen nur eine liebenswürdige Verbeugung
des Meisters vor seinem Interpreten sehen, die uns zu nichts verpflichtet.
— Erst vor kurzem ist bekannt geworden,1) daß uns für „fast alle
Opern und Oratorien Hand eis die Gesangsverzierungen seiner Sänger
und Sängerinnen durch gleichzeitige Niederschriften überliefert" sind,
allerdings nicht so? daß „alle Arien und Rezitative sorgsam bis ins
kleinste Detail des Ausdrucks hinein bezeichnet sind". Von diesen uns
überkommenen Verzierungen liegen bisher nur diejenigen des „Messias"
l) Max Seiffert: „Die Verzierung der Sologesänge in Händeis „Messias", holländ.
Cecilia 1907, und Sammelbände der J. M.-G. VIII 4.
Zweiter Teil. 155
vor.1) Chrysanders Verfahren in seinem Klavierauszug des Werkes ist
durchaus zu billigen. Er hat sie nicht als Ganzes akzeptiert, sondern
nach ästhetischen Gesichtspunkten seine Auswahl getroffen, zahl-
reiche Formeln verworfen, wie die Durchsetzung des Rezitativs mit Prall-
trillern und andern kleinen Verzierungen, andere verändert, oder nur an
einigen Stellen belassen, an andern eliminiert. Ob seine Behandlung im
einzelnen zu billigen, will ich hier nicht untersuchen; sein Standpunkt
aber, daß diese Dokumente Händelscher Praxis kein unverbrüchliches
Gesetz für die heutige Zeit bilden, ist durchaus der meine. Ästhetische
Erwägungen haben uns zu leiten, historische Treue kommt
immer erst sekundär in Betracht. Der philologisch-historischen An-
schauung muß man folgende Bedenken entgegenhalten. Die Verzierungen
sind nicht essentielle Bestandteile der Komposition. In keinem
der Händeischen Handexemplare, die er bei der Aufführung benutzte,
steht auch nur eine Verzierungsnote.2) Wie diese Aussetzungen zustande
kamen, ist leicht zu begreifen. Die Sänger Hand eis entwarfen sie für
jeden Fall, der Sitte der Zeit gemäß, von ihrem Recht der freien Inter-
pretation Gebrauch machend. Sicherlich setzten sie sich mit Händel in
Verbindung. Die überlieferten Verzierungen sind mithin als Kompromiß
zwischen den Reproduzierenden und dem Komponisten anzusehn. Daß sie in
all und jeder Hinsicht Händeis Beifall hatten, ist nicht nachweisbar. Überdies
verkennt man das Verhältnis der ergänzenden Kunst jener zum Kunstwerk
selbst, wenn man, wie Seiffert geneigt scheint, ihr irgendwie bindende
Kraft auch für die Ausführungen jener Zeit zuerkennt. Sie war und
ist noch heut improvisatorischen Charakters. Auch die Aussetzungen,
die ich im folgenden gebe, sind nur Vorschläge für die Sänger. Alle,
hoffentlich bald, publizierten Dokumente des Händeischen Sängerkreises
können also nur lehrreiche Beispiele liefern, wie damals gesungen wurde,
und Anregungen für die heutige Gestaltung. Aber zwingend für die
Art, wie wir heut singen sollen, sind sie nicht. Auch ihnen
gegenüber bleibt die Forderung, modern, also unserm Musikempfinden
gemäß zu gestalten, zu Recht bestehen. Bilden sie doch überdies nur
die Überlieferung einer Sonderpraxis, eben des Kreises um Händel, die
zu bewerten erst von der Warte aus möglich erscheint, die uns die ge-
samte Literatur und Praxis des 18. Jahrhunderts errichtet hat.3) Aber
*) Ebenda.
2) Wenigstens nicht in den von Chrysander der Hamburger Stadtbibliothek über-
wiesenen 124 Bänden, ebensowenig in denjenigen der Händel -Sammlung des Fitzwilliam-
Museum zu Cambridge, wie mir der Bibliothekar Mr. Mann gütigst mitteilt.
8) Vergl. des Verfassers Kritik des Klavierauszuges zum Messias von Chrysander -
Seiffert in der Zeitschrift der Int. Musik-Ges. September 1907.
156 Zweiter Teil.
auch Erwägungen psychologischer Natur bestimmen uns, eine Wieder-
einführung selbst authentischer Aussetzungen von der Hand zu
weisen, sofern sie sich nicht mit unserm musikalischen Empfinden völlig
decken.
Die Wesenheit der Reproduktion, nachzuempfinden und neu ent-
stehen zu lassen, was ihr der Schöpfer zuführt, schließt innerhalb der
natürlichen Grenzen die zeugerische Kraft nicht aus. Die neuere von
Lipps begründete subjektive Ästhetik geht mit Recht davon aus, daß
der wiedergebende Künstler das Kunstwerk gewissermaßen neu erlebt.
Mit der Einfühlung in das Kunstwerk schafft er neue Werte, für die
Kunst von größter Bedeutung, weil ohne sie die Schöpfungen der großen
Meister auf dem Papiere, also dem Genießenden verschlossen blieben. Nun
aber ist die Tätigkeit der Nachbildenden kein einfaches Ausführen, etwa
vergleichbar dem des Baumeisters der den Entwurf des Architekten in
die Materie umsetzt. Ihm gilt es vielmehr das Kunstwerk in seiner Tiefe
zu erfassen, es mit dem eigenen Ich und mit den Anschauungen seiner
Zeit zu verbinden, und ihm so Leben und Wirksamkeit zuzuführen. Auch
der Sänger und Instrumentalist ist ein Kind seiner Zeit. Seine
Kunst ist ein Erzeugnis ihrer Geisteskultur. Sie entwickelt und verändert
sich mit den Evolutionen der künstlerischen Bedürfnisse. Er kann nur
gestalten und fühlen aus dem Geiste derjenigen Epoche heraus,
der er angehört. Darum werden wir auch immer nur von unserem
Gefühls- und Denkungsvermögen aus an hinter uns liegende Kunst-
erscheinungen herantreten. Daraus ergibt sich, daß das Gebiet, das diese
künstlerische Nachbildung uns zu erschließen vermag, zwar sehr groß ist
und so weit reicht, als überhaupt noch Berührungsflächen mit dem modernen
Empfinden vorliegen, daß aber auch jedes Zeitalter zu den Schätzen
abgelaufener Perioden in einem eigenen immer andern Ver-
hältnis steht. Die echten großen Meisterwerke der Vergangenheit be-
halten ihre Bedeutung, sie sind ewig, aber unsere Beziehungen zu ihnen
sind nicht konstant, sondern wechseln mit dem Empfindungsinhalt der Zeit.
Wir hören die Werke jener Großmeister der Yergangenheit, eines
Palestrina, Gabrieli, eines Händel und Bach, ja selbst noch Mozarts
und Beethovens mit andern Ohren als unsere Vorderen, ja selbst als
unsere Großväter. Was wir seit ihrer Zeit erlebt, was wir errungen haben,
zu ewigem Gewinn, das klingt uns aus jenen herüber. So manches, was
früher entzücken konnte, läßt uns heute kalt, so manches haftet an der
Zeit, der es angehört, und fällt dahin, wenn sie vorüber. Nur was über
Zeit und Ort erhaben, bleibt ewiger Gewinn, und wiederum hebt eine
andere Generation dort neue Schätze, wo eine frühere achtlos vorüber-
ging. Das ist das untrügliche Merkmal wirklicher Größe, daß ihre
Zweiter Teil. 157
Schöpfungen immer neue, immer andere Werte erzeugen, daß sie jeder
kommenden Generation immer neue Offenbarungen zuführen. Betrachten
wir die Geschichte der Händelsschen Kunst. Das 18. Jahrhundert in
seiner zweiten Hälfte liebte ihn in der Form zeitgenössischer Bearbeitungen
eines Mozart und Hiller. Die neuere Musikausübung hat — durch
Chrysanders Initiative — auf die historisch beglaubigte Form zurück-
gegriffen, und uns den wahren Händel in seiner vollen Größe er-
schlossen. Aber sie verdankt ihren Erfolg nicht dem Erkennen, daß es
so sein müsse, weil Händel es so gewollt, sondern weil sie sich unserm
Hören und Empfinden in höherem Grade nähert, als jene Bearbeitungen
des 18. und 19. Jahrhunderts. Wie frei in dieser Beziehung selbst
Chrysander dachte, erhärtet ein Vorgang, den mir Fritz Volbach in
Mainz berichtet. Dieser schlug ihm vor, in einer Arie von Hand eis
„Deborah" eine Harfe mitgehen zu lassen, von der die Partitur nichts
weiß. Anfangs weigerte sich Chrysander, fand aber die Klangwirkung
so reizvoll, daß er die kritisch -historischen Bedenken unterdrückte und
zustimmte.
Die folgenden Bearbeitungen der Oratorien „Samson" und „Josua"
werden erweisen, daß die „pathetischen Arien", welche ja auch Tosi-
Agricola von jeder virtuosen Behandlung ausschließen, lediglich an
einzelnen Stellen melodie- abrundender Zusätze bedürfen. Diejenigen im
langsamen Tempo dürfen sich sogar regelmäßig mit einigen Vor-
schlägen und Manieren begnügen, diejenigen im Allegro, wo kein
da capo vorliegt, gleichfalls im wesentlichen die Niederschrift reprodu-
zieren. Vielfach hat sie Händel bis ins kleinste Detail ausgesetzt,
zuweilen rechnet er indessen doch auf kleine Zusätze, sei es von
Manieren, sei es kleiner Passaggien. Die Behandlung des da capo darf
bai Händel nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen, die der „galante
Stil" einnahm, daß hier möglichst jede Ermüdung durch gleichlautende
Wiederholung zu vermeiden sei. Hand eis Melismen sind keine Zierate,
die man fortwerfen, und mit anderen, prächtigeren und gleißenderen ver-
tauschen kann. Sie erwachsen aus Inhalt und Stimmung, und sind mit
der Gesamtanlage aufs innigste, und so eng verwachsen, daß sie heraus-
zunehmen und mit anders gestalteten zu vertauschen soviel bedeutete,
als ein völlig Neues an die Stelle des Beabsichtigten setzen. Deshalb
kann die Wiederholung nur auf eine Steigerung des Ausdrucks ausgehn,
nicht aber auf eine Umwertung der Tonphrasen, wie der „galante Stil«. So
wird denn die Wiederholung hier wirklich im wesentlichen eine
Wiederholung sein, und Zusätze, vorzüglich Manieren, wie Vorschläge,
Schleifer und Doppelschläge, nur in dem Sinne einer intensiveren Betonung
der gegebenen Gedanken statthaben. Ausgiebiger darf die Verzierungskunst
158 Zweiter Teil.
des Sängers dort eingreifen, wo sie vor Gebilden steht, die schon in ihrer
Anlage auf einer leichten, behenden Koloratur beruhen, und sie als
Charakterisierungsmittel oder tonmalend benutzen, wie etwa „Ihr Männer
Gazas" und „Verlassen weilt" im Samson, „Horch 's ist der Yögel
Morgenschlag" im Josua. Ich muß aber noch einmal betonen, daß auch
hier ein Ziergesang, wie ihn etwa Hiller ausübt, ausgeschlossen bleiben
muß. Denn auch die Arien dieser Gattung gehen mit ihrer reicheren
Melismatik völlig im Ausdruck auf.
Was schließlich die Manieren betrifft, auf deren Ergänzung
Händel vielfach rechnet, so ist bereits im ersten Kapitel dieses Teiles
das Nötige gesagt worden. Yorschläge, lange wie kurze, deutet er
nur vereinzelt durch die kleine Note an. Nun kann man auch hier des
Guten zu viel tun, wenn man sie zu häufig einführt. Sie sollen stets eine
melodische oder harmonische Funktion, in der von Agricola oben
geschilderten Weise, erfüllen. Vorschläge von unten sind höchst selten
am Platz, und dann nur als dissonierende Vorhalte; der kurze Vorschlag
von unten war wenig gebräuchlich und dann nur als Wiederholung der
vorhergehenden Note. Andere, frei eintretende, sind seltene Ausnahmen.
In der folgenden Bearbeitung ist der kurze Vorschlag in moderner
Notierung: K gegeben, und unbetont, zeitlich vorausgenommen, also
jambisch auszuführen. Wo er betont, auf die Thesis fallend, also trochäisch
gemeint ist, wird in jedem Fall angemerkt. Der Triller ist überall als
Sekundenbewegung, von der oberen Hilfsnote aus, nach unten gemeint,
Pralltriller und Mordent in den im ersten Kapitel dieses Teils
gegebenen Formen. In langsamen Sätzen habe ich, statt des Trillers,
wo er nicht ausdrücklich vorgeschrieben, überall eine der Doppelschlags-
figuren gewählt, wie sie die Theoretiker zulassen. Den Schneller, als
eine der Händeischen Zeit wenig geläufige Manier, glaubte ich nur
dort einführen zu dürfen, wo die Singstimme mit ausgeschriebenen
Instrumentalstimmen, die ihn aufweisen, in Beziehung tritt, oder wo eine
besondere Frische und Lebhaftigkeit angestrebt wird. Dann erinnere
ich daran, daß unter der Abkürzung: tr oder t auch der Doppelschlag,
meist der verbindende, verstanden wurde, so daß ich mich berechtigt
glaubte, einmal auch ihn unter diesem Zeichen zu verstehen (Josua „Wie
Sonnenlicht"). Schleifer und Anschlag sind als die gebräuchlichsten
Ornamente überall verwendet, wo die Melodik auf sie hinweist. In der
Kadenz mache ich vom Schleifer nur dort Gebrauch, wo ihn die Arie
selbst bereits anführte. Der Doppelschlag ist wohl die einzige Ton-
zerlegung, die uns kaum minder geläufig ist, wie den Alten. Schon aus diesem
Grunde wird man sich in zweifelhaften Fällen gern für ihn entscheiden.
Von der Einführung der Bebung habe ich abgesehen. Einmal ist sie
Zweiter Teil.
159
uns fremd geworden, dann aber scheint sie auch im 18. Jahrhundert
bereits nur noch als Spezialität einzelner Virtuosen ihren Platz behauptet
zu haben. Dagegen sollen alle vom Komponisten ausgeschriebenen
Noten gleicher Tonhöhe auf demselben Yokal, wo nicht Zeichen, wie
Punkte, oder Punkte mit Bogen, auf ein staccato oder martellato deuten,
leicht angehaucht wiedergegeben werden, wie es Stockhausen,1) selbst
noch für den Mozartschen Einzelgesang, verlangt:
Samson. Nur diejenigen Gesänge sind vermerkt, die einer Ver-
vollständigung bedürfen. Die regelmäßig in den Aufführungen ausge-
lassenen blieben gleichfalls unberücksichtigt.
Arie „Ihr Männer Gazas", P. (= Partitur) S. 19. Von den drei
Arien, bestimmt den Jubel des Dagonfestes zu schildern, sollte wenigstens
eine gesungen werden, wie das Händel verlangte. (Vergl. Einleitung zur
Ausg. d. H. Ges. IV.) Man wird sich sicherlich für diese entscheiden, weil
sie musikalisch die bedeutendste und in ihrer festlichen Stimmung am
besten geeignet ist, den Eindruck des fröhlichen Wesens der Philister zu
illustrieren. Es wird geboten sein, die Melodie durch Verzierungen zu
beleben. Einzelne Stellen sind offenbar überhaupt nur skizziert. Takt 4,
6, 7, 8, 9. Das Zeichen tr bedeutet natürlich einen kurzen Triller, der
mit der Hauptnote beginnen muß, damit die Intervalle deutlich hervor-
treten. Man hat die Wahl zwischen dem Mordent oder Schneller.
Takt 13 ff. Das Thema kann unverändert bleiben, höchstens füge man
in Takt 16 den Triller auf dem ersten Taktteil eis hinzu, entsprechend
demjenigen im Ritornell. Takt 35. Auf dem ersten Taktteil kann ein
Pralltriller eingefügt werden, wie er in der Wiederholung durch die
Violinen, Takt 39, vorgeschrieben ist; kein Mordent, da vier fallende
Sekunden vorliegen. Ebenso kann Takt 37 und Takt 41 entsprechend
verändert werden. Takt 74 ff. wird das hier wiederholte Thema auszu-
schmücken sein.
&*&'
iü
e
£
s
£
ihr
Veränderung.
Man - ner
. Ga - za's
oder Mordent.
bringt her - bei,
^ JTjJ J
l
&
¥
Ihr
Man - ner
Ga - za's
ÜÜI
">
bringt her - bei,
£
l) Methode.
160
J
Zweiter Teil.
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fe^r-ri-iH
die
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die
atil
hel-le, hei - le
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■0
hel-le, hei - le
m
Pfeif'und Feld - schall -
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Pfeif'und Feld - schall -
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die hel-le, hel-le
m
Pfeif
Anschlag.
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Pfeif'
m&
m
und Feld - schall
^S
IÖ
und Feld - schall
m
- mei.
SE
- mei.
i
Takt 94 ff. Lange Triller, mit der oberen Hilfsnote einsetzend.
Yor den zwei Sechzehnteilen mit Achtel überall glänzende kurze Vor-
schläge. Die Wiederholung in den Violinen überall entsprechend verändert.
Takt 101 ff. Hier hat Händel offenbar auf eine Ausgestaltung ge-
rechnet; in der Niederschrift klingt die Stelle eckig.
Ja
Takt 110. Triller mit Nachschlag auf h. Takt 112 und 114.
Schneller, bezw. Mordent auf dem ersten, Triller ohne Nachschlag auf
dem zweiten Taktteil. Die Koda, Takt 118 ff., kann ein wenig brillanter
gestaltet werden durch Einschreibung kleiner Verzierungen, etwa:
Zweiter Teil,
161
*-«_>. , Tr"""^ — i
£* i_rrj?n^m^ggi^p^gg^
#g rrr^>rrnr1j^fi£gfg#Eg
Triller.
Der Schluß erfordert eine vorbereitende, also an das Zeitmaß ge-
bundene Kadenz, und eine freie, auf dem Quartsextakkord eintretende.
Der glänzenden Anlage des Stuckes gemäß werden sie reich und virtuos
zu gestalten sein. Die hier verzeichnete freie Kadenz nimmt einen Ge-
danken des Stückes auf.
i
t£
Original.
£
M
schall Da - gons
Veränderung.
Preis .
mit
lau-
f
m
m
^m
^
schall Da - gons
Preis
mit
lau-
a :
f
S
j
&
£
£
ZZ2
tem
m
*£
rr
f&
KJang.
ÖS
a=T
ggg ^httIp ^rT
»^T?7 *
tem
Klang.
m
t
!3
^
„0 Abbild", P. S. 41, gehört zu jenen pathetischen Gesängen, die
auch die Alten nicht antasteten. Den Schluß hat der Komponist selbst
mit einer so ausdrucksvollen Wendung ausgestattet, daß auch hier alles
unverändert bleibe. Vielleicht kann man auf dem Quartsextakkord noch
einmal die aufseufzende Figur des Stückes, Takt 47/48, einschalten.
4
Efc
sehr breit
J
vo
«
jffj I J 1 ÜH
on Weh
und Leid.
11
162
Zweiter Teil.
Der Triller des vorhergehenden Taktes sollte die Vorhaltsnote, g,
ein wenig halten, und dann eine ganz kurze Sekundenbewegung an-
schließen; also ein Triller avec appuy:
UJjJi I
Tief dunkle Nacht, P. S. 46. Den Pralltriller des ersten Taktes
würde ich Takt 6 der Gesangsstimme nicht beifügen. Diesem edelsten
aller Klagelieder frommt die schlichteste Ausführung. Auch der Ver-
suchung Takt 14 und 15 vor c (Licht) bezw. h (Schein) Vorhalte anzu-
bringen, gehe man deshalb aus dem Wege. Will man Takt 32 eine
Kadenz anbringen, so darf sie nur aus wenigen Noten bestehen, und muß
dann einen motivischen Gedanken wiederholen. Etwa
$mm
sehr langsam
mm.
Stern tilgt mir
lUgH fThfc^
dMn Fluch.
„Dein Hei den arm", P. S. 63. Auch hier hüte man sich die,
Triller und Schleifer des Bitornells auf die Gesangsstimme zu übertragen.
Dem Ausdruck väterlichen Stolzes würden sie nicht entsprechen. Das
Tempo ist kein modernes Allegro! Nach der oben verteidigten Ansicht
sind die reichen Koloraturen legato zu singen. Eine Kadenz ist hier
angebracht. Auch sie muß auf die Thematik des Stückes Bezug nehmen,
kann also lauten:
r\
^^^->rf-ffrfff^^^^^f jjajj )
die Luft
durchdrang.
Im zweiten Teil (Largo) kann man einige lange Vorschläge einfügen,
Takt 5 g vor fis als halbe Note, Takt 11 c vor h als Viertel. Eine
Kadenz könnte nur die Stimmung der Trauer abschwächen. Höchstens
ist eine kurze Formel gutzuheißen, wie
Adagio.
m
mm.
uiei
fS»-5-
weh- klagt ui6in Sang.
von f nach b ein Portamento!
„Warum liegt Judas Gott im Schlaf", P. S. 72. Dieses Gemälde,
„visionärer Phantasie" (Kretzschmars Führer II 2, S. 75), ist so weitläufig
ausgeführt, daß wir eher eine Vereinfachung als Zusätze wünschen. Doch
Zweiter Teil.
163
widerspräche es der ganzen großen Anlage der Arie, wollten wir sie ohne
Kadenzen vortragen. Ich schlage für den Schluß des ersten Teiles (S. 79)
eine Anlehnung an die Begleitungsfiguren in folgender Form vor:
ag^g^^&^lgfigtef;
in Don
ner traf.'
Und für den Schluß eine kurze Phrase, angelehnt an ein Melisma der Arie.
Adagio.
¥
t=w
die
FHn -
r r f r
de schlug!
„Und bange Ewigkeit", P. S. 91. Man sollte wenigstens den
ersten Teil (13 Takte) dieses Gesanges, der der Todessehnsucht Samsons
so ergreifenden Ausdruck verleiht, nicht eliminieren, schon um der
eigenartigen, der heutigen Zeit fremden und doch so wundervollen Manier
der wiederholten gehauchten Note (Takt 1 — 3) wegen. Takt 3 und 6.
Doppelpralltriller von oben. Takt 8, 9 großer Schwellton.
„0 komm, Du Gott des Heils", P. S. 109. An den reinen
Konturen dieses unvergleichlichen Gebetes hat wohl auch keiner der alten
Sänger zu rühren gewagt! Eine kurze, dem 18. Takt thematisch ent-
nommene Kadenz kann die Steigerung der letzten Takte des Schlusses
aufhalten, bevor sie verläuft:
i
s
sehr breit.
3E
ij^ppggii^^ &jm
dei - nes
Die-
ners Preis.
„Verlassen weilt", P. S. 121. Der Gesang der eitlen und leicht-
fertigen Delila benutzt ein tonmalendes Motiv, das Girren der Taube, die
„sanft ihr Leid klagt". Die Sängerin wird durch koketten Vortrag und
reiche Ornamentik nachzuhelfen haben. Es erscheint vor allem nötig, die
in der Violinstimme angedeuteten, tonmalenden Verzierungen auf die
Gesangsstimme zu übernehmen. Das Thema, Takt 2, trägt die Bezeich-
nung: fr. Chrysander gibt ihm in der Händel- Ausgabe die Deutung
eines doppelten Mordenten, dessen letzte Note ausgeschrieben ist. Er
trifft das Richtige. Diese Figur entspricht am besten dem „Girren der
Taube". Man darf nicht einwenden, daß es unerfindlich sei, warum die
letzte Note der Verzierung mensuriert notiert sei. Diese Art der Notierung
ist durchaus gebräuchlich. Caldara vermerkt in einer Arie des Giuseppe
seines Oratoriums „Gesü presentato nel Tempio" die gleiche Figur in der-
11*
164
Zweiter Teil.
selben Weise. Daß sie so und nicht anders auszuführen, ergibt sich aus
den Violinstimmen, wo sie ausgeschrieben ist. Die Stelle lautet:
Ji
fHpsm^i
s^m
W*T$' lg £===E
W^g^^m-
ir
BBS
I
ir
^
ris
l'a-mormio ris-pon - de
^m
üi
i
f
e
Unsere Stelle lautet also:
In der Praxis hört man meist einen Schneller, der sicher falsch ist. —
Takt 3. Ein Triller auf a mit der oberen Hilfsnote einsetzend, ohne Nach-
schlag. Takt 5. Der Vorschlag eis nach der Regel lang, als Achtel.
Takt 9. Wieder Mordente wie in Takt 2. Takt 11. Der Vorschlag der
Regel gemäß, kurz, jambisch. Takt 12. Die Mordente sind hinzuzufügen.
Takt 13. Ein kurzer, jambischer Vorschlag c, vor dem ersten Taktteil.
Takt 14. Mordente auf Taktteil 1 und 2, ein kurzer jambischer Vorschlag e,
vor dem dritten Taktteil. Takt 19. Ein langer Vorschlag e vor d
gtpi
&
in Ein - samkeit
Takt 20. Ein springender Vorschlag vor dem ersten Taktteil, etwa
als Achtel.
JTtTfJ nj3
ver - las - sen weilt
Takt 22 und 23. Hier ahmen die Violinen der Singstimme nach.
Da jene das Zeichen des Mordents tragen, kommt er auch dieser zu;
aus dieser Stelle ergibt sich, daß Händel überhaupt für dieses Stück auf
die Ergänzung des Mordents durch die Sängerin überall gerechnet hatte.
Zweiter Teil.
165
Takt 23. Kurze Vorschläge 1(, vor dem ersten und zweiten Taktteil.
Takt 24. Ein Doppelschlag.
* Jfli j> ;>
die Tau - be sanft
Takt 26 bis 29. Echoeffekt! Die Wiederholung in der Singstimme
durch Yorschläge beleben, und den Schluß des Teiles höher legen, wenn
die Tiefe der Sängerin Schwierigkeiten macht. Auch eine kurze vor-
bereitende Kadenz ist am Platz:
Takt 29 ff.
I
t
I
J*
H»»^
poco rit.
arflrr i i r Bf r^
*"^ die Tau - be sanft ihi
ohue Nachschlag.
ir
weh - klagt
be sanft ihr Leid
Takt 40. Vor dem dritten Taktteil ein langer Vorschlag, g, als
Achtel, Mordent in der Violinstimme. Takt 41. Mordente in der Sing-
stimme. Echo. Takt 42. Kurze Vorschläge, entsprechend Takt 43.
E
±j
weh - klagt
Takt 44 und 45. Echo; kein Zusatz. Takt 47 — 50. Große dynamische
Steigerung. Auf die Viertelnoten kann man einen Triller legen, so daß
eine catena di trilli entsteht. Doch müssen die Hauptnoten am Schluß
des Trillers ausgehalten werden, damit die Melodie, c, eis, e, g deutlich
hervortrete. Pralltriller auf dem g des dritten Taktteiles in Takt 50.
Takt 53. Triller auf fis (sanft). Takt 56. Die Vorschläge in den Violinen
gelten ein punktiertes Sechzehnteil, analog Takt 25.
Den nun folgenden Teil bis zum Schluß in C Takt 70, rate ich nicht
zu verzieren, weil die Stimme sich der Begleitung, welcher die tonmalende
Aufgabe zufällt, unterzuordnen hat. Takt 77. Wieder Mordente. Takt 84.
Hier würde ich an dem Mordent nicht festhalten, sondern einen raschen
energischen Pralltriller ausführen, der das „jauchzend" besser kennzeichnet.
Die Figur des Mordent ist schon zu oft dagewesen, um dem kräftigen
Aufschwung dieser Stelle den nötigen Glanz zu geben. Also Pralltriller
mit Nachschlag:
U g i i ff r r i rrr'r rr11
ent flammt sie jauch-
flammt sie jauch-
und so überall, wo sie wiederkehrt. Takt 87. Langer Triller. Takt 88.
166
Zweiter Teil.
Doppelter Pralltriller. Takt 89 und 90 bedürfen durchaus frisch wirken der
Zusätze, etwa:
m
5
Anschlag.
Ö^g
5
b \flr "^
*^y *• s
ent flammt sie jauchzend ent fhiiuuit ^ sie jauch -
Takt 92.
poco Vit.
Tauen- w zend
Takt 94. Die Kadenz, die in einer solch virtuos angelegten Arie
nicht fehlen darf, wird am besten das Motiv, durch welches das Wort
„jauchzen" charakterisiert war, noch einmal anbringen.
o
^ ohne Nachschlag
«-* fr -mm7. -+Mff ??•** ^c
in Glück.
„Vertrau o Samson", P.S. 134. Dieser zweiten Arie der Dalila,
einem Tanzlied, ist bis auf wenige Yorschläge nichts beizufügen. Der
da capo-Teil ist bereits vom Komponisten durch die Hinzuziehung einer
zweiten Stimme ausgesetzt. Man beachte die Echostellen.
„Die flücht'gen Freuden", P. S. 142, wird man auslassen
können. Diese Arie trägt nichts Neues zur Charakteristik der Dalila bei.
Duett: Treuloser du! P. S. 147 muß notengetreu gesungen werden.
„Nein solch ein Kampf", P. S. 165. Die Melismatik dieser
Arie des Harapha ist ein Meisterstück der Charakteristik. Wenn er sieht,
in welchem Zustande der Held der Israeliten sich befindet, schlägt er
einen durch seine Lustigkeit beleidigenden Ton an. Er hält Samson
nicht mehr für einen ebenbürtigen Gegner. Das ist in den Koloraturen
zum Ausdruck gebracht. Das Bewußtsein seiner Kraft, die herablassende,
verächtliche Behandlung des Gegners treten am deutlichsten hervor, wenn
der Sänger sie martelliert, hier also von der regelmäßigen Bindung der
Noten absieht, und, in der Art der Alten, stößt. Wesentliche Ver-
änderungen vorzunehmen, empfiehlt sich nicht. Offenbar hat Händel hier,
wo er die Koloraturen in den Mittelpunkt der ganzen Behandlung gestellt
hat, auch das ausgeschrieben, was er vorgetragen wissen wollte. Wenn
man aber zusetzt, oder umlegt, muß es überall im Geiste und im Dienste
der Charakteristik geschehen. Deshalb kann hier auch die Wiederholung
nicht wesentlich verändert werden. Die Kadenzen sind bassierende, bleiben
Zweiter Teil.
167
also unverändert. Für das da capo notiere ich folgende Veränderungen,
die eine sehr bewegliche Baßstimme und kein Allegro im modernen Sinne
voraussetzen :
Takt 21.
gjl iffr £
denn dn
Takt 30.
ß
lägst dein
Takt 57 und 58.
poco 7*it.
Schlag.
prahl-
te dass
fällt.
Duett: „Geh, Feigling unverweilt". P.S. 175. Hier dürfte eine
thematische Kadenz am Schluß der kraftvollen Verteidigung Samsons zugute
kommen. Etwa:
m
r\
£
#^
■ ■
rm/Ei^iO;^1 u&
m
vor niei -
nerWut,vor mei
ner Wut.
„So wenn die Sonn'", P. S. 219. Diesen wundervollen Gesang,
der die Tonmalerei der älteren Schule zur höchsten Vollendung heran-
führt, sollte man nicht auslassen. Etwaige Veränderungen müssen überall
der tonmalenden Absicht gerecht werden. Man hüte sich, die Intervallen-
schritte der Takte 25 — 28 und 42 — 43 durch verbindende Töne zu ver-
wischen; denn sie charakterisieren die Textworte: „entfliehen die nächt'gen
Geister bleich". Der lange Ton g, Takt 31 — 32, ist nicht etwa anzu-
schwellen; das widerspräche dem Sinne des Textes und der Komposition
völlig! Folgende Veränderungen sind am Platz: Takt 12. Vorhalt es
vor d:
ent - taucht
Takt 13. Kurze Vorschläge, es und </, vor dem ersten und dritten
Taktteil. Takt 14. Langer Vorschlag und Anschlag.
haucht
168
Zweiter Teil.
Takt 16 bis 18. Echoeffekt. Takt 20. Doppel-Mordent auf b.
$
wiegt
Takt 22. Kleine Kadenz im Zeitmaß:
Wel-
Takt 34. Ein Doppelschlag.
le wiegt
feg
Grab
Takt 46. Langer Vorschlag es, als Viertel vor d, das auf die
Pause fällt.
Takt 48. Die Fermate kann durch einen kleinen Gang ausgefüllt
werden, etwa:
m
f
*s
leis
Takt 50. Der Schluß kann entweder durch einen langen Vorschlag b,
vor a, oder durch eine kleine Figur, etwa einen Doppelschlag eingeleitet
werden.
Grab geschmieg*
Die Vorschläge in den Violinen Takt 54 und 55 sind nach der
Regel lang, die Hauptnoten auf die Pausen. Die Triller entsprechend lang.
„Gott Dagon hat den Feind gefällt", P. S. 232. Wieder eines
jener anmutigen, heiteren Tanzlieder, mit denen Händel die Götzendiener
zeichnet. Der erste Teil wird notengetreu wiedergegeben, wie ihn der
Chor später aufnimmt. Im Mittelsatz und in der Wiederholung frommt
ihm eine der ausgelassenen Fröhlichkeit der Philister angemessene Aus-
zierung.
Takt 48. Triller auf a. Ebenso Takt 84. Takt 89 bis 92 je einen
kurzen Vorschlag vor der ersten Note, von oben, also fts, e9 fist «.
Takt 94 und 95.
und jauchzend bringt
Zweiter Teil.
169
Takt 96. Mordent auf dis. Takt 102. Mordente und Nachschläge.
laut singt ihm
Takt 104. Triller auf a, ohne Nachschlag.
Takt 106:
is
a
laut jauch-zend bringt ihm
Takt 114. Die Kadenz kann hier nur im Zeitmaß erfolgen,
kann etwa folgendermaßen variieren:
tr
Man
t
I*
1
£M^
£
£2~
S
I
und jauch - zend bringt ihm
Frucht und
Wein.
II.
und jauch-zend bringt ihm
Für eine tiefere Stimme.
Frucht und
Wein.
III.
i
1=t
und jauch-zend bringt
ihm Frucht und
-&■
Wein.
„Wie willig trägt mein Vaterherz", P. S. 244. An diesem
rührend herzlichen, und doch so männlich grundierten Gesänge, zu dessen
Charakteristik ich auf Kretzschmar, Führer II 2, S. 81 verweise, hat
wohl noch kein Sänger zu ändern gewagt! Nur am Schluß ist bei der
Fermate auf diu ein langer Vorschlag, dem ein Nachschlag angefügt
werden kann, und im Schlußtakt selbst eine kleine Ausschmückung, etwa
ein langsamer Doppelschlag von unten vorausgesetzt.
^¥^Ff
kein Licht.
noch
braucht
er
„Kommt, all ihr Seraphim", P. S. 269. In den Schlußgesängen
wendet sich Händel von der Trauer um den Helden ab und der Zukunft
des Volkes zu. Der Preis des Herrn, der alles zum besten gefügt, kommt
zunächst in dieser Arie zum Ausdruck. Sie fußt in ihrer Anlage, und
durch die Mitwirkung einer konzertierenden Trompete, in dem Stil der
Venetianer, des Scarlatti, der dieses Instrument wiederholt in derselben
170
Zweiter Teil.
Funktion verwendet, und des italienischen Oratoriums (vgl. E 60). Wenn
aber dort äußerliche, auf klangliche Wirkung berechnete Tonmalerei
vorwiegt, so ist hier alles Ausdruck: Jubel, Zuversicht in Gottes Führung.
Die Auszierungen mögen sich von aller Kehlvirtuosität fernhalten, und
nur hier und dort hellere Lichter durch kleine Verzierungen aufsetzen.
Takt 9 und 10. Kurze Vorschläge von oben vor dem eis des dritten
Viertels, und dem e des ersten Achtels im Takt 10.
Takt 19. Kurzer Vorschlag, g, vor fis, dem ersten Taktteil, ein
Anschlag auf dem letzten Taktteil.
" in Flam - men - rei]
men - reihn in
Takt 20 u. 21. Kurze Vorschläge von oben vor jedem Achtel mit
folgenden Sechzehnteilen.
Takt 32. Kurzer Vorschlag vor dem zweiten Taktteil, Triller auf
dem e des dritten Taktteils.
Takt 33 entsprechend.
Takt 35. Eine Kadenz mit Benutzung einiger Motive.
Engelchö -
re ein.
Takt 39. Kurzer Vorschlag vor eis, dem dritten Viertel. Takt 40.
Pralltriller auf dem ersten Viertel.
Takt 61.
•■*
^^
Freu - den-sang
Takt 63. Langer Vorschlag, et als ein Viertel, vor dis.
Takt 65.
r£4
Takt 69.
mit Freu
den - sang und
4 »ii ü ; rpffrF1
Har - fe su , ssen
Zweiter Teil.
171
*
i
Takt 73. Kleine Ausschmückung im Zeitmaß.
poco ritard.
Har
*
i
m
mm
"22
fe
su -
ssen
Klang
Jo'sua. „0 Held der Weisheit", P. S. 17. Die Baßstimme ist
hier auf weite Strecken in sehr alter, dem 17. Jahrhundert geläufiger
Art, an den Continuo gebunden. Schon aus diesem Grunde verbieten
sich Yeränderungen. Aber auch dort, wo sie selbständig geführt ist,
drücken die großen Intervallenschritte und aufsteigenden Triolengänge
Calebs Freude über Israels Macht so charakteristisch aus, daß sich jede
Abweichung verbietet. Die Kadenzen, als baßierende, tragen gleichfalls
zu der kräftigen Haltung des Ganzen bei, und bleiben unverändert. Nur
am Schluß des Mittelsatzes, Fdur, dürfte eine ganz kurze Kadenz, die
auf das Stück Bezug nimmt, angebracht sein, etwa:
gg^ft
"¥=+■
dein
Volk
§ C LT LLf U ' m
E3
^r- freut.
„0, wer erzählt", P. S. 21. Dieser bedeutendere Gesang gedenkt
im ersten Teil in schlichten Tönen der Trauer der egyptischen Knechtschaft,
und preist im zweiten die frohe Gegenwart, von dem lieblichen Anblick
des Jordan ausgehend. Dort gebietet die Stimmung größte Einfachheit
des Vortrages, hier ist tonmalerisch den Streichern eine so reich aus-
gesetzte Aufgabe gestellt, daß sich die Singstimme ganz in ihren Dienst
zu stellen, und auf eigene Zutaten zu verzichten hat. Es genügen des-
halb folgende Ergänzungen: Takt 6. Ein Vorschlag h, ein Viertel.
Takt 12. Ein Vorschlag a, ein Viertel, die Hauptnote g auf die Pause.
Takt 22. Vor die Hauptnote ais ein Vorschlag h als Viertel. Takt 23
bis 26. Hier hat Händel offenbar auf eine gesangliche Ausschmückung
gerechnet. Die Stelle klingt, wie sie steht, ein wenig kahl. Wenigstens
müßte das dritte fis eine ausdrucksvolle Figur, am besten einen Doppel-
schlag erhalten; also etwa:
Gram,
Kadenzieren würde ich nur den Schluß, Takt 118, mit einer kurzen,
thematischen Phrase:
Adagio. r\
mm
* m, ■
£
tefc
l iL/p r
*-^_*
i
«=y
und aht.met nicht in Frei
heit
auf.
172
Zweiter Teil.
„Weil Kidrons Bach", P. S. 37. Diese erste Arie Josuas benutzt
tonmalerische Motive. Inder Art des Sc arlatti, anderer Italiener und K eis er s
wird der Yordersatz: „Weil Kidrons Bach nach Jordans Tal die Silberwelle
rollt, so lang der Sonne Flammenstrahl auf Kanaan streut sein Gold", zu
einem weit ausladenden ersten Teil mit dem Schluß in der Parallele Cdur
benutzt, der tonmalerisch angelegt ist. Und doch bedarf es nicht erst
des sprachlichen Nachsatzes im Mittelsatz, um herauszufühlen, daß Josua
die ernste, energische Mahnung aussprechen will, Gott zu danken, der
Israel dieses Land anwies. Wenn bei den Italienern vielfach solche ton-
malenden Sätze äußerlich wirken, weil sie keinen Zusammenhang mit dem
Hauptgedanken suchen, so ist hier alles aus einem Gusse, und der ton-
malende Teil steht mit dem im Nachsatz, dem Mittelsatz der Arie, aus-
gesprochenen Grundgedanken in schönster Harmonie. Der erste Teil ist
in allen Stimmen so fest gefügt, daß ihre Beziehungen nicht durch
Ornamente gelockert werden dürfen. Eine Kadenz ist zu unterlassen, da
alles auf den Einsatz des Mittelteiles, mit dem sprachlichen Nachsatz,
hindrängt! Hier wird dieser nun durch die auf einen Ton festgelegte
Singstimme mit besonderer Feierlichkeit ausgesprochen. Die Stelle muß
natürlich völlig unverändert bleiben! Der nun folgende Teil ist, wie
überhaupt die Mehrzahl der Gesänge dieses Oratoriums, so reich koloriert,
daß man eher zu vereinfachen als zuzusetzen wünschte. Nach dem toni-
schen Schluß in Amoll folgt sogar, in der uns bekannten italienischen
Manier, eine Koda, die einen wichtigen Gedanken nochmals anführt.
Deshalb empfiehlt es sich, hier die freie Kadenz ganz fortzulassen, oder
doch auf einige Noten zu beschränken, etwa zu singen:
I
uns
hier
ge - sandt
„Hehres, holdes Wesen sprich", P. S. 44. Larghi pathetischen
Stils stehen außerhalb des Veränderungsrechtes des Sängers. Eine präzise
Einhaltung der Notenwerte ist anzuraten. Die Triller der Violinen sind
als scharfe, energische Pralltriller gedacht. Keine Kadenz, höchstens eine
abschließende Formel, die ein Motiv der Arie anführt, etwa:
^TU ÜÜÜ
Feind
uns seist.
„Auf, Israel, auf", P. S. 49. In diesem mächtigen Kriegsgesang
zeigt Händel, wie die Koloraturen einer kräftigen Stimme auch mit der
schlichtesten Begleitung — sogar die sonst für diesen Zweck benutzten
Zweiter Teil.
173
Trompeten fehlen — begeisternd und anfeuernd wirken! Der Gesangspart
ist so ausgiebig koloriert, der da capo-Teil so vollständig gesetzt, daß an
eine nennenswerte Umdeutung nicht zu denken ist. Den ersten Teil, der
den Schluß in der Dominante f bildet, kann man wirkungsvoll mit einem
raschen, energischen Doppelschlag von unten verzieren.
•^ Bli - tz es Strahl.
Den Endschluß hat Händel durch die Bezeichnung adagio vor einer
weit ausladenden, brillanten Kadenz behütet, die hier, wo ein langes Melisma
unmittelbar vorausgeht, übel angebracht wäre. Er kann also unverändert
vorgetragen werden. Will man verändern, so genügt eine kurze Phrase,
die dem Sänger Gelegenheit bietet, seine Höhe zu zeigen, etwa:
$
V
Adagio.
4
S
Cs
g M r
s4y-
h recht
ein wie
Bli
f
6
4
tzes Strahl.
„Horch, s'ist der Vögel Morgenschlag", P. S. 64. Einer
jener wundersamen Gesänge, auf tonmalender Grundlage, wie sie
A. Scarlatti, Keiser, G. Bononcini, u. a. vorgebildet hatten, und die
ihre höchste Vollendung in Hand eis Oratorien fanden. Sie gaben
Sängern und den konzertierenden Instrumenten freien Spielraum für ihre
Kunst des Veränderns, vorzüglich im da capo. Der erste Vortrag wird
sich im wesentlichen an die Niederschrift halten, und nur hier und da
einen Vorschlag anbringen. Auch im Mittelsatz scheinen nur einige
Stellen, die notengetreu etwas steif klingen, [auf eine Vervollständigung
zu rechnen:
Takt 80/81.
i
i
i
^m ra-H^ J jjjj J»
P
F
und füllt den Hain mit
Takt 83 ff.
Pralltriller
SU
ssem Klang
nach der Höhe, gelegt.
p-MEQ-ig^HTJ j > j
r Hone. |
er - tönt
Takt 86 wie 83.
ME^
ihr Sang von
früh
bis spät.
174 Zweiter Teil.
Takt 88. Takt 93/94.
**
fcEffl r LCJ^J Cfjgt
£
Vorhalt.
ItEXCM
a .. i
füllt den und füllt den Hain
A d H
6 6
mit s.ü - ssen Klang.
eis fis eis
7 I
Da capo Teil. Bis Takt 24 unverändert. Takt 25, 27 kurze jambische
Vorschläge von oben vor den Sechzehnteilen mit anschließendem Achtel.
Takt 28.
*%— fr
P=i
auf je- dem Busch
Takt 29, 30 ff. Wieder kurze Vorschläge, wie Takt 25/27. Auf
dem langen Ton e ein Triller.
Takt 33 ff.
j'i urn W^
^
^S^IPPip
und weckt
i
fei
^ P
Kadenz Echo
T^M.
weckt auf
dem Busch
* Mm ^a^. Dunnk ^ürt TofT
dem Busch
I
den Tag
auf je-
Takt 53 auf J ein langer Triller.
Takt 57 ff. Mordent, entsprechend der Instrumentalfigur Takt 58.
Pr^rfTtrfi^ j I j lUii'H i iml 11^
tf ~Z7ZI ZI rr und weckt den Tag auf
weckt den Tag
je - den Busch und weckt
FfflflJ
und weckt
fc^
cac E»
i
PpM ir r'^p"* i- 1 «Nr rj>J vp
auf je-den Busch deü Tag In fro - her Lust schwillt
fr odei Morde Dt
"v ifl , re Brust _ und werkt
fc=*
^jmrwri^ ^^m
m
m
und weckt den Tag und wecKi auf Je - deD
Zweiter Teil.
175
Kadenz
h gjgifei .-^
Busch auf jedem Busch,auf je
d enj Busch deD Tag
Duett: „Es rauscht der Strom«, P. S. 70. Bedarf nur einer an
ein Hauptthema anknüpfenden Kadenz am Schluß, etwa:
P
wie
Ach-sas Lie- be
3
ä
treu und
"22
^^
gleich,
^^
z^*
^
-/
$i
wie Oth-niels Lie- be treu und gleich^
-r j ; f ' r i r
_ j j. i
£
wie Ach-sas Lie- be treu und
S«
3
-Ä
Zt
£
^
gleich.
wie Oth-niels Lie- be treu und gleich.
„Seht, die Flamme, wie sie rast«, P. S. 97. An den ton-
malerisch überaus eindringlichen Melismen ist eine Veränderung aus-
geschlossen. Für eine hohe, bewegliche Baßstimme können folgende Um-
legungen wirksam sein.
Takt 19. Takt 42/43. Takt 69.
a^^
Flain -
^^^^^f^T^M^
menGlut! "Je-ri-cho es sank da
hin es sank da-hia.
„All irdischer Stolz«, P. S. 102. In Achsas kindlich frommer
Weise spricht sich festes Gottvertrauen aus. Ihr wird größte Schlicht-
heit der Melodie und des Vortrages am vorteilhaftesten anstehn. Deshalb
unterbleibt hier am besten jeder Zusatz. Die Kadenz vermeide gleich-
falls jede bravouröse Wendung. Am besten, wenn sie den schönen
musikalischen Gedanken „der stärkste Fels ist festes Gottvertrauen« noch
einmal anführt:
pmmz
Ov
ist fe-stes Gott
*SP
I
vcrtraun,ist fe-stes Gott-ver- traun.
„Auf, in neuem Kampfesmut«, P. S. 118. Diese Arie, mit der
Josua den Mut Jsraels aufzurichten sucht, dünkt mir, wenig gelungen.
Ich finde die Melodik schwächlich, ja das Thema nichtssagend, fast trivial.
176
Zweiter Teil.
Vor allem vermisse ich den Ausdruck der Energie, an der sich die Ent-
mutigten aufrichten sollen. Ich schlage eine Kürzung durch einen Sprung
von Takt 34 auf Takt 72 vor, der sich an jenen gut anfügt. Eine Kadenz
unterbleibt, da der Chor die unmittelbare Fortsetzung bildet.
Takt 31 und 33 wird ein energischer Schleifer vor dem fis des dritten
Viertels die Melodie heben. Ebenso Takt 87 vor dem ersten Taktteil.
„Kämpft der Held", P. S. 127. Diese Gavottenweise ist ein
Kriegs- und Liebeslied, das durch seine frische, kernige Melodie wirken
soll. Yerzierungen verbieten sich so von selbst. Bei der Wiederholung
des Themas Takt 28 kann man den Nachschlag, den die Instrumente,
Takt 4, aufweisen, Takt 40 und 41 die Pralltriller einfügen, die die
Instrumente, Takt 39 und 40, vormachen. Takt 58, ein kurzer Vor-
schlag von oben vor dem a des dritten Taktteils. Takt 66 vor der Fermate
auf dem letzten Taktteil ein Doppelschlag.
fl /TN
5
£
dann nicht
mehr.
„Wie Sonnenlicht", P. S. 132. Diese Arie gehört nicht zu den
wertvollen Nummern der Partitur, und kann fortbleiben. Führt man sie
aus, so erinnere man sich an Tosis Ermahnung, Sizilianen unverändert
zu lassen! Takt 2 scheint mir weder ein Mordent, noch ein Pralltriller
zu passen, weshalb an einen verbindenden Doppelschlag zu denken ist,
den ich auch auf das^Gesangsthema, Takt 3, übernehmen würde.
wie Son-nen- licht.
Takt 9. Ein Vorschlag d, vor der ersten Note. Takt 10 ein Nach-
schlag g, nach dem f des vierten Achtels.
Takt 13. Ein kurzer, aber betonter Vorschlag c, vor dem b des
siebenten Achtels. Ebenso Takt 14.
Takt 19 wieder ein Doppelschlag, wie Takt 3. Takt 21 ein Schleifer
d, es zu dem f des siebenten Achtels. Kadenz in Anlehnung an die wieder-
holt in den Violinen verwendeten Skalen:
Adagio
fl I i »f g
it
ü
und je - der Gram
m
^m
ent-weicht
„Völker, die den Kuhm erstreben", P. S. 138. Der kraftvolle
Gesang Othniels führt einen ausdrucksvollen Schleifer mit sich. Er ist im
Zweiter Teil.
177
Ritornell Takt 2 und Takt 36 als punktierter, später überall unpunktiert
notiert. Es darf hier angenommen werden, daß Händel eine gleich-
mäßige Ausführung des Themas gewünscht hat, da es sich nicht um
Abweichungen handelt, die, wie bei andern Verzierungen, in der besonderen
Eigenart der Menschenstimme einerseits, des Instrumentes andrerseits
beruhen. Deshalb sollte der Schleifer überall so gesungen werden, wie
ihn die Violinen im Ritornell vorspielen, nämlich mit Betonung der ersten
Note, die eine zeitliche Kürzung der zweiten bedingt. Ich erinnere an
die Ausführungen Agricolas, die zeigen, daß in der Gestaltung des
punktierten Schleifers dem Geschmack und der ästhetischen Würdigung
ein großer Spielraum gelassen ward. Also:
Takt 7.
| mm
?■
Ruhm er - stre - ben
Sicherlich gewinnt so der Ausdruck an Energie.
Takt 18. Ein Pralltriller von oben. Takt 24 ff. Die sechsmalige
Wiederholung derselben Phrase ist auffallend. Vielleicht soll sie das
Wort „ Treue" als Charaktereigenschaft der Beständigkeit schildern.
Trotzdem würde ich vorschlagen vor der zweiten Wiederholung in der
Singstimme, also auf dem letzten Achtel des Taktes 24, einen kurzen
Vorschlag / vor der Hauptnote es einzuschieben, und ihn in der Nach-
ahmung in der Violine, Takt 25, zweites Achtel, wiederum anzubringen.
In der Kadenz, Takt 35, würde ich eine Wiederaufnahme der bereits
allzuoft gehörten Themen vermeiden und nur, im Anschluß an die (Takt 33)
vorangegangene Violinfigur eine Zerlegung des Quartsextakkordes in ein
Arpeggio empfehlen. So wird die Sentenz am nachdrücklichsten ver-
anschaulicht.
rrrn'^T] i js
Treu-e ist die Bahn
zur Macht.
„Selig, dreifach selig", P. S. 165. Auch diese Arie, dramatisch
ohne weiteres zu entbehren, darf auch vom musikalischen Standpunkt aus
geopfert werden. Im da capo kann man der freudig gehobenen Stimmung
Rechnung tragen, und einige Ornamente zusetzen, auch die Kadenz reich
gestalten.
Takt 14.
¥
se-lig dreifach, se-lig wir
12
178
Zweiter Teil.
Die Koloraturen, Takt 15 und 16, sind thematische Hauptgedanken,
dürfen also nicht verändert werden. Nur am Ende eine Verbindung zum
folgenden:
Takt 16. Takt 17.
r- *-w 1 i /* aar««« l^** ■ v ■-» f> fi *-*Y* »>»i I /.l '4 /litv* I?a*iki
se - lig wir
nun
uns schmückt der Frei-
Kadenz (dominantisch)
f
f
\r k r_r r rr tf r ^
e>
-# — p
heit
schmückt der oFrei-
oder mit Benutzung eines anderen Gedankens
Zier
G
41" i pa ^^^^^^^^^a
Frei- T heit Zier
Der Mittelsatz bleibt unverändert. In der Kadenz kann man zusetzen
:k
und so rein.
„Soll ich in Mamres Segensaun", P. S. 171. An diesem ein-
fachen, und doch in jeder Wendung eindringlichen Tonstück darf keine
Note verändert werden. Takt 11/12 empfiehlt sich der Händelausgabe
gegenüber eine Textänderung in: „soll ich mit Abram" statt „mit
Abraham". Am Schluß eine yicssa dl voce, die bassierende Kadenz bleibt
unverändert.
„Gefahren, umringt mich", P. S. 177. Dieser kraftvolle Gesang
muß von einer konsonantisch exakten Deklamation getragen werden.
Veränderungen sind nirgends am Platz. In der Repetition mag man den
Schluß durch Höherlegung und Einführung einer vier Takte vorher
stehenden kurzen Passaggie wirkungsvoller gestalten.
dem Sturm
D
6
4
biet ich Hohn.
D
„0, hätt ich Jubais Harf", P. S. 188. Wie die voraufgegangene
Weise „Seht den Sieger ruhmgekrönt", beruht auch dieser glänzende
Zweiter Teil.
179
Gesang auf durchaus volkstümlicher Melodik. Vielleicht hat Händel
deshalb auch die zweiteilige Form gewählt, und die Repetition vermieden,
die zu seiner Zeit sicher zu einer bravourösen Ausgestaltung durch die
Sängerin eingeladen hätte, welcher der Charakter des Stückes nicht ent-
sprach. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, mit Zutaten sparsam zu
verfahren, wenngleich sie die freudige Stimmung sowohl, als der Hinweis
auf „Jubais Harf" nahelegen. Man kann allenfalls folgende Veränderungen
wagen:
Takt 16 kann auf den punktierten Rhythmus der Parallelstelle des
Ritornells, Takt 6, hinweisen, Takt 17 ein Triller.
JjLVlLLf
■ ■
i ii m vu/f^
mein Spiel stimmt ich gleich ihm zur Lust mein Spiel stimmt ich
Takt 20/21. Kurze Vorschläge von oben vor den Sechzehnteilen mit
anschließendem Achtel.
Takt 29. Der Schluß kann durch eine Passaggie im Zeitmaß
frischer gestaltet werden.
zum
9#^
Freu-
densang.
£
Takt 38 ff.
ö
m
ohDe NacüschJag .
sggJiijj >J'iiJ- fl ^jiircürJ
mein Spiel stimmt ich gleich ihm zur Lust,mein Lied gleich ihr,mein Lied gl eich ihr,
Takt 49. Textlich und musikalisch rechtfertigt sich die Verlegung
der Hauptkadenz an diese Stelle. Die hier gegebene Passaggie betont,
unter leichter Anlehnung an den motivischen Inhalt, die überströmende
Freude der Achsa, die sich über das Wort hinaus, nur in jubelnden
Tönen auszusprechen vermag. Wenn irgendwo, so ist hier eine Sänger-
kadenz am Platz:
den- sang
12*
180
Zweiter Teil.
Dagegen wird die Endkadenz der ruhigeren Haltung des letzten Teiles
entsprechend (Doch schwach nur singt den Dank mein Lied!) kürzer
und weniger glänzend zu halten sein. Die folgende benutzt den hier
stärker hervortretenden Rhythmus: | J VA I
J 0 0 0*0 0'
P^zrtgmv^
mich für Gott, für
Gott
e
<;
4
und Dich durchglüht.
5 A
Kapitel III.
Joh. Seb. Bach.
J. S. Bach lehnt sich entschiedener als die Mehrzahl seiner Zeit-
genossen an die Vergangenheit der deutschen Kirchenmusik an. Auch
der Einzelgesang bleibt selbst dort, wo er italienische Formen annimmt,
in seiner Wesenheit deutsch. Bei der Besprechung der älteren kirch-
lichen Vokalmusik in Deutschland war darauf hingewiesen, daß sie, im
Gegensatz zu den Italienern, nicht so sehr im Gesänge, als in der Orgel
den maßgebenden Tonkörper sah, so daß jener durch diese geformt und
gefärbt erschien. Darf man bei der italienischen Oper an eine in strahlendes
Sonnenlicht gebadete südliche Landschaft denken, so gleicht diese Musik,
die in Bach ihren unüberschrittenen Höhepunkt erreichte, dem Innern
eines hohen, gotischen Domes, dessen Konturen ein durch farbige Fenster
eintretendes mildes Licht mehr ahnen, als deutlich erkennen läßt. So
resultiert die Stileigentümlichkeit des kirchlichen Sologesanges Bachs
nicht aus jener unmittelbar dem hellen Sonnnenlicht des italienischen
Gesanges entflossenen, sondern aus einer durch die Ausdruckseigenart der
Orgel hindurchgegangenen Belichtung. Wenn Spitta1) ausführt, es habe
außerhalb Bachs Absicht gelegen, „jenen leidenschaftlichen Zug im Gesänge
stark hervortreten zu lassen", weil er bei der Besetzung der Solopartien
durch Knabenstimmen auf denjenigen Grad künstlerischer Reife nicht
rechnen konnte, um den Empfindungsgehalt seiner Arien zum Ausdruck
zu bringen, so ist die Tatsache sicherlich richtig, der Grund aber unzu-
länglich. Er ist vielmehr im Wesen der Bach sehen Vokalmusik gelegen.
Ein wundersamer Schleier ist über sie ausgebreitet, der nichts ganz ver-
birgt, und doch alles in Halbdunkel taucht, den Übergang von Licht zu
Schatten sanft abtönt, jede Schärfe ausgleicht. Es ist die Milde des
Glaubens, die stille Frömmigkeit einer kindlich reinen Seele, die Weisheit
i) J. S. Bach II, S. 140.
Zweiter Teil. 181
des glaubensstarken Christen, die das Hervortreten stark persönlichen
Empfindens zurückweist.
Daß sich ein so geartetes Kunstgebilde einer Behandlung völlig
entzog, die selbst in dem grellen Theaterlicht der italienischen und
deutschen Oper nur geteilten Beifall fand, bedarf demnach kaum einer
weiteren Begründung. Aber auch die technisch-musikalische Arbeits-
weise Bachs stand zu ihr in größtem Gegensatz. Sein Gesangspart ist
überall ein integrierender Bestandteil eines häufig recht komplizierten,
immer aber festgefügten Ganzen. Selbst wo er es bei dem zeitgebräuch-
lichen da capo beläßt, verbieten sich wesentliche Yeränderungen so
von selbst. Aber er baut seine Arien in der größeren Überzahl aus und
arbeitet auch die Wiederholung völlig durch, wie es noch die älteren
italienischen Meister, ich denke an Monteverdi, Cesti und Provenzale,
taten, so daß auch hier jeder Sängerwillkür vorgebeugt ist.
Was nun zunächst das Rezitativ betrifft, so stimme ich mit
Spitta1) dahin überein, daß es sich hier nur um die Einfügung von
Accenten im Sinne der Telemannschen Lehre handeln kann; andere
Verzierungen hat er überall ausgeschrieben, so daß an eine Umdeutung,
wie sie Agricola- Hiller wünschen, nicht zu denken ist. Meine Be-
arbeitung der Rezitative der Matthäus-Passion beruhen auf dieser An-
schauung. Wir werden aber auch in der Anbringung der Accente nicht
überall Tele mann folgen. Zahlreich sind die Stellen, an denen der
Accent abschwächend und matt wirkte, vorzüglich, wo die Erzählung
lebhaft erregt wird, oder wo ein dramatischer Yorgang markigen Yortrag
verlangt, wie etwa in dem Bericht des Evangelisten „Und der Yorhang
des Tempels zerriß" in der Matthäus-Passion. Auch von der Telemann-
schen Regel, den Accent selbst dort anzubringen, wo er gegen die Gesetze
der Harmonie verstößt, werden wir absehen, vor allem aber ihn dort
meiden, wo er die Überraschung einer frei eintretenden Dissonanz vereitelte.
Für die Arien Bachs könnte man an eine von der Notierung ab-
weichende Ausführung nur in den da capo-Sätzen denken. Auch hier
aber läßt, um Spitta anzuführen, „der polyphone Satz, die Bedeutsamkeit
jeder einzelnen Melodienote, der harmonische Reichtum in den meisten
Fällen keine nennenswerte Veränderung zu". In einigen, nicht allzu-
häufigen Fällen, wird der Zusatz einiger Manieren, in der Absicht den
Grundgedanken zu variieren, ohne ihn zu alterieren, am Platze sein.
Auf Kadenzen in der Form der damaligen Operngesänge, oder
selbst auch nur des Oratoriums hat Bach kaum irgendwo gerechnet. Er
steht offenbar auf dem Standpunkt des Tosi, daß eine kleine Auszierung
*) a. o. O., II, S. 141 ff.
182
Zweiter Teil.
im Zeitmaß genüge, den Schluß zu befestigen. Denn seine Arien gehen
in so ausdrucksvollen Wendungen zu Ende, daß für eine Kadenz kein
Raum bleibt. Überdies benutzt er den Schluß mit dem Ruhepunkt des
Quartsextakkordes, der allein und ausschließlich als Sitz der freien Kadenz
anerkannt ist, garnicht allzu häufig. Wo er aber vorliegt, dürfen wir
nicht an eine breitausladende Formel denken, wie sie eine Hände Ische
Arie zuläßt. Auch hier werden wenige Noten, möglichst als Wieder-
holung oder Sequenz eines bereits angeführten Themas, genügen den
Schluß herbeizuführen. Dagegen dürfen kurze Melismen im Zeitmaß
dort eintreten, wo Instrumente, die bisher durchgespielt hatten, kurz vor
dem Finalschluß aussetzen. Es ist das ein sicheres Anzeichen, daß er
der Singstimme eine freiere Bewegung gönnte. Hier also dürfen wir an
eine vorbereitende Kadenz im Zeitmaß denken.
Es wird sich also gegenüber den geschlossenen Gesängen Bachs,
Arien, und den ariosen Rezitativen, hauptsächlich um die Auslegung der
gegebenen Zeichen handeln,' mag nun zu entscheiden sein, ob ein mit
kleiner Note bemerkter Yorschlag lang oder kurz, welchen Wert der
lange zu beanspruchen, ob der kurze jambisch - unbetont oder
trochäisch - betont gemeint sei, mag die Form eines Trillers als langer,
Pralltriller, Mordent oder Schneller zu bestimmen, mag endlich zu
untersuchen sein, welche Bedeutung eines derjenigen Zeichen habe, die
er nicht nur für die Instrumente, sondern auch für die Singstimme benutzt.
In sehr zahlreichen Fällen gewinnt die Entscheidung eine ganz ein-
schneidende Bedeutung für die gesamte Melodik des Stückes, wie beispiels-
weise in der Arie „Erbarme Dich" der Matthäus- und „Ach, mein
Sinn" der Johannespassion. Unsere bisherigen Darlegungen haben uns
die Grundlage gesichert, auf der wir aufbauen können. In zweifelhaften
Fällen aber sind wir auf ästhetische Erwägungen angewiesen, die der
Text und seine musikalische Wiedergabe nahelegen.
Passionsmusik nach dem Evangelisten Matthäus
(P. = Partitur der Ausgabe der Bachgesellschaft, Pt. = Peters Klavierauszug).
Rezitativ: „Da Jesus", P. S. 22, Pt. S. 16. Rezitativ „Da ver-
sammelten sich", P. S. 23, Pt. S. 16.
*
pfr-> P dh g j .mf p ; Jip p ^m
sei- neu Jün-gern
Ael-tes-ten Ho-hen-prie-sters Ca-i-piias
pr$-x
I b j \ 1 1 [7 i \ j m
£
grlf - fen
und tö - te - ten
sie spra-ehen a - ber
Zweiter Teil.
183
Rezitativ: „Da nun Jesus war", P. S. 26, Pt. S. 18. Rezitativ
„Da das Jesus merkete«, P. S. 28, Pt. S. 20.
^tiü-if^^F^m
Jün-ger sa-hen und sprachen al-le-zeit ge-gossen Ge-dächtniss
Rezitativ (arioses): „Du lieber Heiland", P.S. 29. Takt 6. Pt.S.21.
#
f»
1
will be-rei-ten
in- zwischen zu
Arie: „Büß und Reu", P. S. 30. Takt 4. Die Vorschläge in den
Flöten sind nach der Regel lang und beanspruchen den Wert der Haupt-
note. Takt 19. Der Vorschlag kann nur kurz, aber betont gemeint sein.
Der wehmütige weiche Grundton der Arie könnte bestimmen, an einen
unbetonten, jambischen Vorschlag zu denken. Aber dem Sinn der Text-
worte (Herz entzwei) entspricht jene Figur vorzüglich. Ein langer Vor-
schlag ist, als vor einem unbetonten Taktteil und wegen der unschönen
Fortschreitungen mit dem Baß ausgeschlossen:
Takt 36. Der lange Vorschlag a der Flötenstimme in der Gesangs-
stimme zu ergänzen, als Wert der Hauptnote. ]
Takt 104/105. Angehauchter Pralltriiler, ein wenig zurückhalten,
die ee-bäh - ren .
die ge-bäh -
Für das da capo kleine Veränderungen durch Verzierungen und eine
an das Zeitmaß gebundene Kadenz:
Takt 18. Vor dem ersten Taktteil ein kurzer, jambischer Vor-
schlag, It. Takt 34. Ebenso ein Vorschlag a.
Takt 37 ff.
knirscht das Sün- den- herz
£
den - herz ent-
zwei
184
Zweiter Teil.
Takt 45 ff.
ft=ra
*^^
knirscht
den- herz ent-
zwei
Takt 55/56.
#¥1
ritard.
1
^£
^^
Sün-den-herz ent-
zwei
Rezitativ: „Da ging hin", P. S. 33, Pt. S. 24.
Zwöl-fen Ei - ner I-scha-ri- oth
Arie: „Blute nur«. P. S. 34, Pt. S. 25. Takt 21. Der Vor-
schlag dar Flötenstimme kurz, jambisch, damit die Hauptnote des Thema-
anfangs, wie im Ritornell, auf die Thesis fällt. Der Vorschlag der
Gesangsstimme währe eine halbe Note, sodaß die Hauptnote auf die
Pause falle, nach Agricolas Regel für affektreiche Stellen. Takt 29.
Der Vorschlag kann hier nur ein Achtel gelten, damit die Auflösung noch
auf dem E-dur Dreiklang erfolge. Takt 31. Diese Phrase ist die Sequenz
des Taktes 29, daher darf der Vorschlag auch hier, gegen die Regel,
nur ein Achtel währen. Takt 35. Triller auf dis, von oben. Takt 43.
Der Vorschlag ist nach der Regel Agricolas als vor einem Achtel mit
zwei anschließenden Sechzehnteilen kurz, für uns jambisch, auszuführen.
Die Flötenstimme geht zwar auch hier in ausgeschriebenen Sechzehnteilen,
sodaß die Annahme naheläge, daß die Singstimme, wie überall, mit ihr
unison zu halten sei. Aber einmal ist unerfindlich, warum für diesen Fall
nicht auch diese in Sechzehnteilen notiert worden ist. Dann aber ver-
langt die textliche Unterlage (zur Schlange worden) die tonmalende Wirkung
der herben Dissonanz, welche in unserer Ausführung durch das Auf-
einanderprallen der Halbtöne fis und g entsteht. Eine ähnliche Figur
kennt ja auch die Klaviermusik unter der Bezeichnung Mordent, wenn
zwei Halbtöne zusammen so angeschlagen werden, daß die untere, tiefere
Taste sofort wieder aufgehoben wird. Vgl. Ph. E. Bach, V. Haupt-
stück, 5. Abteiig. § 3. Neudruck S. 65. Takt 45. Angehauchter Triller.
Im da capo keine Veränderung, nur im Takt 19 ein Vorschlag d, wie
oben, zu e, als Sechzehnteil.
Zweiter Teil. ]85
Rezitativ: „Gehet hin in die Stadt", P. S. 40, Pt. S. 28.
H P p ff =
f P * p P- o p p »
zu ei - nein
hal - ten
mit mei - nen 'im - gern
p i > ^mg^^m \'v t i^r? \
$
i
und am A - bend zu Ti - sehe sag - ten zu ihm
Rezitativ: „Er antwortete und sprach", P. S. 43, Pt. S. 29
(7\
s
i
I
5
ro^
p
Dan - ke - te und braehs und dan - ke - te gab
tr = Mordent, da die Bewegung auf-
wärts schreitet.
ff j p g L} t B r r r p-p p~f .» p
ib - nen den und sprach leb sa - gc Eucb
Rezitativ (arioses): „Wiewohl mein Herz", P. S. 46, Pt. S. 32.
Takt 6. Vorschlag mit Benutzung der Pause.
Takt 2. Takt 4.
S
*
Ö^
i
s
j a l !
^
g — *■
schwimmt Ab - schied nimmt sein
Takt 7. Takt 8.
Fleisch und Blut
1 i i | r I i J' I 1 in
Kost - bar-keit
in mei - ne Hän-dc
Takt 9. Die Vorschläge sind als Terzenverbindungen kurz, aber
mit Rücksicht auf das langsame Tempo nicht ganz kurz. Agricola
statuiert die erste Note einer Triole:
V E 7 P
i
der
Welt.
wie er es auf
Es ist das jene Art des Vorschlages, die, wie oben erwähnt wurde, eine
Mittelstellung zwischen langen, veränderlichen und kurzen, unveränder-
lichen einnimmt.
Arie: „Ich will dir mein Herze schenken", P. S. 47, Pt. S. 33.
Für das da capo folgende Veränderungen.
Takt 8. Pralltriller auf dem e des vierten Taktteils. Takt 12. Prall-
triller auf dem g und e des zweiten und dritten Taktteiles.
186
Zweiter Teil.
Takt 13, 14, 15 je ein kurzer Vorschlag von oben vor den zwei
Sechzehnteilen mit anschließendem Achtel. Takt 17. Ein Schleifer h, c
vor dem d des ersten Taktteiles, kurzer Vorschlag h vor dem a des
vierten Taktteiles. Takt 18. Kurzer Vorschlag, h, vor dem a des vierten
Taktteiles.
Takt 21. Ein Doppelschlag.
sen- ke
Takt 24. Kurze Kadenz, eine Figur der Arie benutzend.
l \ lf\n^l i r^?
&
mein Heil
hin
ein
»» | r^
3
Rezitativ: „Und da sie den Lobgesang", P. S. 50, Pt. S. 35.
al - le är - gern an mir
Rezitativ: „Petrus aber antwortete", P. S. 52, Pt. S. 3f>.
^F#^fe^^fei^ i p ^Hhbp g i g ;
an dir är-ger-teu so ver-läug-nen "* ster-ben müss-te
Rezitativ: „Da kam Jesus mit ihnen", P. S. 54, Pt. S. 37.
p j JM I .h |P p P-M^ g lr r> J^i
ei- nen Ho-fe sei-nen Jün-gern und be- te
ei- nen Ho-fe sei-nen Jün-gern
Rezitativ (arioses): „0 Schmerz!" P. S. 55, Pt. S. 38. Takt 2.
Der Vorschlag /' der Gesangsstimme ist kurz gemeint. Er konsoniert zum
Orgelpunkt des Basses, würde also, lang gehalten, den Eintritt der
Dissonanz verzögern; kurz, jambisch unter scharfer Betonung der
Dissonanz entspricht er der Bedeutung der Textworte. Takt 3. Ein
Vorhalt.
i v p \ g g pupp
m
hier zit-tert das ge-quäl-te
Herz
Zweiter Teil.
187
Takt 5. Vorhalt in Sexten mit der ersten Flöte.
Takt 26.
■fc- -^ . - L . — L JüA
Takt 28.
pTTfl
i
An-ge - nehm
dein Zit-tern und dein Za- cen wie irer-ne
Zit-tern und dein Za- gen wie ger- ne
p
Rezitativ: „Und ging hin ein wenig", P. S. 77, Pt. S. 47.
I
5
^^
fiel nie - der Mein Va - ter
Rezitativ: „Der Heiland fällt vor seinem Vater nieder",
P. S. 78, Pt. S. 47.
''■i g P |,i j In ^ « M iMm
f
f
Va-ter nie - der zu trin-ken häss-lich stin-ken
Arie: „Gerne will ich mich bequemen", P. S. 79, Pt. S. 48.
Takt 23. Triller mit Nachschlag auf e und Verweilen auf der Schluß-
note. Takt 44. Das h des letzten Taktteiles muß sofort scharf angegeben
werden, um die Modulation nach C deutlich zu machen. Das Zeichen tr
kann also nicht einen Pralltriller, sondern nur einen Mordent, h a, bedeuten.
Takt 64. Der Vorschlag ist als ein Achtel auszuführen, damit die
Auflösung auf dem zweiten, nicht erst auf dem Sekundakkord des letzten
Taktteils erfolge, der schon zum Folgenden überleitet. Takt 78. Die
Vorschläge als zwischen Terzen kurz, betont wiederum als Dritteil einer
Triole; der dritte Vorschlag, Takt 79, ist mensuriert lang notiert. Ebenso
Takt 94/95. Im da capo eine Kadenz im Zeitmaß poco ritard.
dem Hei- land nach
Rezitativ: „Und er kam zu seinen Jüngern", P. S. 82, Pt. S. 50.
fn> i j> ^ i m g imp \\j p ; m i
und fand sie schia-fend
und be - tet An-fech-tunp fai-let
^M f i*fr «V i g v Pf Mg i i'n i
das Fleisch ist schwach. Mein Va-ter ist's nicht möglich dein Wil-le
Rezitativ: „Und er kam, und fand sie aber schlafend".
P. S. 84, Pt. S. 52.
B P 1 M g
/TS
rü t i
ü - ber- ant -wor-tet wird
vcr - räfh
188
Zweiter Teil.
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^ff a ii v= Cj
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I
^
P
I
ö
des Volks
und küs-se - te ihn.
Mein Freund
an
Je-sum
Duett und Chor: „So ist mein Jesus nun gefangen", P. S. 88,
Pt. S. 54.
Das Thema, von Flöten und Oboen intoniert, und von den Streichern
getragen, ist mit Vorschlägen aufgezeichnet, Takte 1 — 4 und 9 — 11, wo
es dominantisch in der Gegenbewegung erscheint. Die Gesangsstimme,
die es Takt 17 aufnimmt, weist die Verzierung nicht auf. Es sind also
die Fragen zu beantworten, wie sind die Vorschläge in den Instrumental-
stimmen auszuführen, und sind sie auf die Gesangsstimme zu übernehmen?
Der Regel nach beanspruchen sie, als vor punktierten Noten betonter
Taktteile, den Wert der Hauptnote. Ich kann mich aus zweierlei Gründen
nicht für diese regelmäßige Art der Ausführung entscheiden. Einmal
stünden sie, wären sie harmoniealterierend und melodieverändernd, auch
in der Gesangsstimme. Dann aber aus ästhetischen Erwägungen. Die
Klage der Tochter Zion ist keine ruhige, gefaßte, sondern eine heftig
erregte, und klingt, wie Kretzschmar (Führer II, S. 88) treffend
bemerkt, in das leere, drohende Dunkel des Instrumentalsatzes schneidend,
und in weinenden Gängen hinein. Lange Vorschläge entsprechen dieser
Anlage des Tonstückes durchaus nicht, wohl aber kurze, und zwar betonte.
Deshalb entscheide ich mich für Agricolas Ausführung kurzer Vor-
schläge vor betonten Noten, die „nicht so kurz, als die unveränderlichen,
doch auch nicht nach der Regel der veränderlichen gemacht werden".
Aus denselben ästhetischen Gründen bin ich für eine Übertragung der
Vorschläge auf die Gesangsstimme. Diese kurzen Trochäen charakterisieren
die Unruhe, die Erregung so trefflich, daß man sie auch hier nicht ent-
behren kann; Takt 17, und entsprechend Takt 1 — 4, bezw. überall wo
das Thema erscheint:
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m a a n i
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So ist mein
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Eezitativ: „Und siehe«, P. S. 104, Pt. S. 62.
3
Hhr£-£
f£^Hrf=&m
g^r^f-F-p
Bn-gel bei Euch ge - we - sen Tem - pel ge - sehe - hen
Zweiter Teil.
189
Arie mit Chor: „Ach, nun ist mein Jesus hin", P. S. 135,
Pt. S. 74. Takt 12 ff. Großer Schwellton. Takt 68. Die Regel verlangt
ein Achtel für den Vorschlag a. Diese Ausführung scheint mir zu weich
für die textliche Unterlage (Tigerklauen). Ein betontes Sechzehnteil ent-
spräche ihr besser, und ließe gleichzeitig die harmoniefrenide Note a zu
dem alterierten Quintsextakkord deutlich hervortreten.
P
%-JL-£
^^4
Ti - ger
Takt 77. Die Altstimme ersetzt den Baß, der Continuo setzt erst
nachher mit a ein, und bildet eine Fortführung jener. Folglich muß sie
die Hauptnote h auf den zweiten Taktteil bringen, so daß der Baßgang
sich zwanglos anschließt. Dem Vorschlag gebührt also nur ornamentale
Bedeutung. Das entspricht auch der Regel, daß Vorschläge vor unbe-
tonten Taktteilen kurz sind. Auch würde ein langer, dann dissonierender
Vorschlag die unbetonte Silbe (en) sprachwidrig hervorheben.
Rezitativ: „Die aber Jesum gegriffen", P. S. 150, Pt. S. 78.
*f
i a ji i j m ; t g * » ^^
#
und Ael - te - sten sich ver-sam-melt hat - ten
von
fer - ne
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und f an > den kei-nes
Rezitativ: „Und wiewohl viel falscheZeugen", P.S.152,Pt.S.79.
fal-sche Zeu-gen sie doch keins
Rezitativ (arioses): „Mein Jesus schweigt", P. S. 154, Pt. S. 81.
f.
fes
i M ?• W- 1
in der glei-eüen Pein
Lü - gen stil - 13
Arie: „Geduld", P. S. 155, Pt. S. 81. Takt 5. Der Vorschlag ist
nach der Regel als Achtel zu behandeln. Die Pause muß hier gewahrt
werden, da die Auflösung des Vorschlags auf dem Amoll-Dreiklang, vor
Eintritt des Sextakkordes auf Ä, stattfinden muß. Takt 11. Das Zeichen
tr kann hier, über dem ausgeschriebenen Mordent, nur seine Verdopplung
anzeigen, will man nicht annehmen, daß ursprünglich nur die Hauptnote k
notiert war, und bei der Aussetzung das tr irrtümlich stehen blieb. Auch
an einen kurzen Vorschlag könnte man denken.
190
Zweiter Teil.
Takt 24. Der Vorschlag du ist lang, also ein Achtel. So entspricht
die Figur rhythmisch der vorangegangenen, und es entsteht eine wunder-
volle Dissonanz, die wieder mit derjenigen des dritten Viertels korrespondiert.
Takt 43. Der Vorschlag wieder als Achtel, entsprechend Takt 42,
wo er ausgeschrieben.
Rezitativ: „Und der Hohepriester antwortete", P. S. 157,
Pt. S. 85.
de3 Men - sehen Sohn des Him - uiels *re - hö - rel
Rezitativ: „Da speiten sie aus", P. S. 160, Pt. S. 87.
mit
£
Fäu - sten
Rezitativ: „Petras aber saß draußen", P. S. 164, Pt. S. 90.
fp^- 1 m m m \ i p « g g^p?
Magd, du sa-gest die da wa-ren klei-ne
Rezitativ: „Da hub er an", P. S. 167, Pt. S/91.
Wei- le
Men-schen nicht
der Hahn
Arie: „Erbarme Dich", P. S. 168, Pt. S. 92. Die Bestimmung
der Vorschläge ist für die Melodik dieses so kunstvollen und ergreifenden
Zwiegesprächs der Altstimme mit der Violine (Solo) von einschneidender
Bedeutung. Eine falsche Ausführung kann es um einen erheblichen Teil
seiner melodischen und harmonischen Schönheit bringen! Zunächst fällt
die Divergenz zwischen dem Ritornell -Thema und demjenigen der Gesangs-
stimme auf. Jenes weist einen Schleifer, in der Original-Partitur durch
das übliche Zeichen angedeutet, zur Verbindung des Sextenintervalles auf,
der hier fehlt. Dann erscheint in der Violine, Takt 2, vor dem vierten
Taktteil ein Vorschlag; in der Gesangsstimme, Takt 10, entfällt er und
wird durch eine synkopische Bildung ersetzt. Ferner fehlt der Schleifer
der Violinstimme Takt 11 bei der Parallelstelle Takt 3. Es wäre nun
durchaus voreilig, hier auszugleichen und die Themen in vollständige
Übereinstimmung zu bringen. Das Stück ist mit solcher Genauigkeit
notiert — die jambischen Vorschläge und Verzierungen in mensurierten
Werten — daß man nicht berechtigt ist anzunehmen, Bach habe sich
gerade hier auf die Ausgleichung durch die Ausführenden verlassen. Zu-
Zweiter Teil.
191
nächst dürfen wir die Synkope im Einsatz der Gesangsstimme, Takt 10,
umsoweniger alterieren, als sie auf demselben Textwort mehrfach, Takt 14,
£ ö, 16, 41, wiederkehrt. Weniger bedenklich ist es, den Schleifer der
Geigenstimme des Taktes 11 im Ritornell Takt 3 hinzuzufügen. Die
Schleifer sind nach Agricolas Vorschrift überall auf die Baßnote zu
legen, und dem Wert der Hauptnote abzuziehn, dabei aber möglichst be-
haglich vorzutragen, im Gegensatz zu derselben Figur, wo sie ausge-
schrieben ist, die sehr stark betont wird (z. ß. Takt 8). Was nun die
Währung der Vorschläge betrifft, so ist derjenige des Taktes 2, und wo
dieselbe Wendung wiederkehrt, sicherlich kurz, ausschmückend. Behandelte
man ihn lang, also als Achtel, so wäre die Ähnlichkeit mit der Parallel-
stelle im Einsatz der Gesangsstimme, Takt 10, aufgehoben. Wäre er in
diesem Sinne, also melodieverändernd gemeint, so müßte er unbedingt
auch hier stehen. Die trochäische, betonte Ausführung ziehe ich der
schönen harmonischen Wirkung wegen der jambischen vor, so daß das
eis des Vorschlages zu dem Sekundakkord auf a dissoniert, also:
wHmüIx±
Der Vorschlag fis Takt 3 ist nach der Regel ein veränderlicher,
langer, und kommt an die Stelle der punktierten Hauptnote, so daß diese
selbst erst mit dem zehnten Achtel erklingt. So entsteht eine im Ver-
laufe des Stückes immer wiederkehrende herbe Dissonanz, zwischen diesem
Vorhalt fis, und seiner Auflösung e, das in den ersten Violinen gehalten
wird. Die Vorschläge vor den rhythmisch korrespondierenden Phrasen
des Taktes 4 sind gleichfalls, als vor betonten Taktteilen lang, und treten
an die Stelle der Hauptnote, so daß sie, wie in Takt 3 mit der ersten
Violine, mit der Viola scharf dissonieren. Sie kurz zu behandeln ent-
spräche überdies nicht dem weichen Grundton des Gesanges, und dem
edlen Mitleid der Tochter Zions um Petri Abfall. Sie weint mit ihm,
und vergibt ihm um seiner Zähren willen. Selbst die Tatsache, daß nach
meiner Auffassung Takt 29 eine Quintenfolge zwischen der Violine solo
und der zweiten Violine ergibt, kann mich an ihr um so weniger irre
machen, als sie vermöge des liegenden e und g der ersten Violine und
Altstimme kaum störend hervortritt. Die Ausführung ist also hier, und
an allen anderen Parallelstellen:
ö
^B l
BS
Ö»
Takt 5. Ein Pralltriller auf d, der Vorschlag wie Takt 3 lang.
Takt 14. Der Vorschlag der Gesangsstimme kann hier, gegen die Regel,
192
Zweiter Teil.
nur als Achtel in Sexten mit der ersten Violine gehn, damit das klagende
Motiv der Solovioline auf den Emoll-Dreiklang falle, und nicht durch
eine Dissonanz gestört werde, wie sie ein langer Vorschlag (a) ergäbe.
Der Vorschlag in der Solovioline natürlich auch hier lang, ein Achtel.
Takt 15. Eine Dissonanz zwischen dem Vorhalt h der Solovioline und
dem Auflösungston a der Gesangsstimme; ebenso Takt 18. Takt 19.
Der Vorschlag fis in der Solovioline entspricht dem Triller Takt 5, kann
also nur ausschmückend, kurz, gemeint sein. Man kann ihn der Gesangs-
stimme hinzufügen. Auf dem siebenten Taktteil wiederum die charakter-
istische Dissonanz zwischen dem Verhalt fis der Solovioline und der Auf-
lösung a in der Gesangsstimme. Dieser Vorschlag währt nach der
Regel 3/s> die Hauptnote tritt an die Stelle der angebundenen Note.
Takt 20. Der Vorschlag fis in der Solovioline wieder 3/8> ebenso Takt 21.
Takt 23. Der Vorschlag eis der Gesangsstimme kurz jambisch, da er
konsonantisch zum Baß ist. Takt 26. Der Vorschlag eis der Solovioline
des zehnten Achtels ist aus demselben Grunde kurz. Takt 32. Der
Vorschlag gis der Gesangsstimme wie in der Parallelstelle Takt 14 als
Achtel. Takt 41. Der Vorschlag fis der Gesangsstimme löst sich der
Regel nach auf dem zehnten Achtel auf. Takt 45. Der Vorschlag e in
der Solovioline ein Achtel. Takt 47. Die Kadenz ist als eine im Zeit-
maß bleibende ausgeschrieben, der allenfalls, dem Ritornell, Takt 11,
konform, ein Triller mit Nachschlag auf eis, und nach ihm ein Vorhalt eis
statt der Hauptnote h eingefügt werden könnte.
Rezitativ „Des Morgens aber", P. S. 174, Pt. S. 97.
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^3
3 — II
ü -her Je - sum ihn töd - te - teil ge - reu - e -te es Ihn
mm
ver- ra - ten na - be
Sil-ber-lin- ge
und Ael - te-sten
Arie: „Gebt mir meinen Jesum wieder, P. S. 177, Pt. S. 100.
Takt 2. Ein Pralltriller. Ebenso Takt 4. Takt 14. Die Gesangsstimme
braucht die Verzierung nicht mitzumachen. Sie erschiene hier nicht
würdig. Ebenso Takt 16. Takt 24. Der Vorschlag g nach der Regel so, daß
die Hauptnote auf die Pause und das fis des Basses fällt. Takt 26. Da
die Instrumente schweigen, so kann der Schluß leicht verziert werden, etwa:
not gjtacgj?
3BE&
tarf
Fü
ssen nie
üpp
der
Zweiter Teil.
193
Indessen ist die Synkope des Originals der Thematik des Stückes ent-
nommen und ihm charakteristisch; deshalb ist es vorzuziehen, sie beizu-
behalten und nur den Doppelschlag und Nachschlag hinzuzufügen. Takt 52.
Der Schluß ist ausgeschrieben. Man kann auf dem fis des vierten Viertels
einen Pralltriller hinzufügen, wie ihn Peters notiert.
wie - - der
Rezitativ: „Sie hielten aber einen Rat", P. S. 182, Pt. S. 103,
m
m
m
*
der Pil-ger Tag spricht be-foh-len hat und Ael - te-sten
Rezitativ: „Auf das Fest aber", P. S. 186, Pt. S. 106.
Ge-fan-ge-nen vor an-dern Ba-ra-bas überantwortet hat-ten
^V'p g r,jiiiP g p f i \ p m mp m
viel er-lit -ten ü - ber- re - de- ten das Volk die-sen Zwei-eD
Rezitativ (arioses): „Er hat uns allen", P. S. 193, Pt S. 109.
wohl - ee - than ge - hend wert nichts ge « than.
ge - hend
nichts ge - than
Arie: „Aus Liebe will mein Heiland sterben", P. S. 194,
Pt. S. 110.
Der Vorschlag in der Flötenstimme, Takt 2, ist mehrdeutig. Da
ein langsames Tempo vorliegt, kann er auch vor dem dritten Taktteil
lang sein, umsomehr als er zu den Oboen dissoniert. Daß er aber kurz
gemeint ist, dafür spricht, daß er in der Parallelstelle, Takt 46, nicht
notiert ist. Wäre er melodieverändernd, so hätte ihn Bach dort auch
vermerkt. Für eine trochäische Ausführung spricht die vorangehende
Häufung der Zweiunddreißigteile; der Vorschlag Takt 3 lang nach
der Regel:
Take 5. Der Vorschlag entspreche als Abschluß des Nachsatzes
demjenigen des Vordersatzes, Takt 3, also ein Viertel, die Hauptnote auf
die Pause. Takt 19. Der Vorschlag in der Flötenstimme wie Takt 5
13
194
Zweiter Teil.
als Viertel. Takt 20. Der Vorschlag dis ist Dur ausschmückend gemeint.
Harmonisch läge kein Grund vor, ihn nicht als veränderlichen, hier als
Achtel anzusehen. Aber die unerwünschte Hervorhebung der unbetonten
Silbe (ben), die er bewirkte, läßt mich für die kurze Form eintreten.
Takt 24/25. Hier gilt Agricolas Regel, daß, wenn an die Hauptnote
eine Note gleicher Tonhöhe gebunden ist, der Vorschlag ihren ganzen
Wert einnimmt, sie selbst aber erst zur Zeit der angebundenen Note
eintritt. Jener antizipiert so die Auflösung des verminderten Septimen-
akkordes dis fis c wirkungsvoll in der Gesangsstimme, und die Haupt-
note a bildet zu dem Sekundakkord des nächsten Taktes einen Vorhalt,
der auf dem zweiten Achtel seine Auflösung findet. Takt 30. Der Vor-
schlag der Flötenstimme nach der Kegel ein Viertel, als Vorhalt zum
Sekundakkord auf c. Takt 31. Der springende Vorschlag f ist konso-
nantisch und kurz. Takt 32. Der Vorschlag f kann hier nur eine halbe
Note währen, die Auflösung muß auf dem dritten Taktteil mit den Oboen
erfolgen. Takt 34. Langer Vorschlag. Takt 35. Der Vorschlag c wieder
kurz, nur ausschmückend, wie Takt 31. Pralltriller in den Oboen.
Takt 57/58 wie 24/25. Takt 61 kann man ein wenig verändern, und
die Sprünge der Singstimme überbrücken, so daß der Schluß ge-
schmeidiger wird:
von
ei - ner Sün - de weiss er
nichts.
Rezitativ (arioses): „Erbarm es Gott", P. S. 206, Pt. S. 116.
ii j^ i
M P P
£
p
an - ge - bun - den o Wun - den See « len - schmerz
Arie: „Können Tränen«, P. S. 208, Pt. S. 117.
Takt 10 und 11. Die Vorschläge als Dissonanzen zu betonen, also
als Achtel. Der Peterssche Klavierauszug hat eine verfehlte Aussetzung
des Continuo. Takt 16 und 18. Der erste Teil des Gesanges bis zum
Abschluß in B-dur, Takt 24, besteht aus Vorder- und Nachsatz, jener
wieder aus drei zweitaktigen Phrasen. Gibt man den Vorschlägen den
Wert der Hauptnoten, und legt diese auf die Pausen, so korrespondieren
sie auch in der Ausdehnung mit der ersten Phrase, Takt 13 und 14.
Harmonisch ist gegen diese Auffassung nichts einzuwenden, deshalb kann
und muß hier die bekannte Regel Agricolas in Kraft treten. Takt 19.
Zweiter Teil.
195
Der Schleifer ist möglichst zart und leicht anbindend auszuführen. Takt 20.
Auch hier kann die Regel Agricolas Anwendung finden; die Hauptnote
tritt erst mit dem ersten Achtel des nächsten Taktes ein, so daß das g
der Singstimme durch den ganzen Takt als Dissonanz liegen bleibt. Takt 75.
Der Vorschlag d als Viertel, die Hauptnote auf die Pause. Ebenso
Takt 76. Das da capo kann auch hier nur an den Schlüssen verändert
werden. Etwa folgendermaßen :
Takt; 23/24. Takt 50/51.
#üi
nehmt mein Hera
t W »MrJEJ
ä
poco rit. breit
hi-neinl o so nehmt mein
Herz
hi - nein
Rezitativ: „Da nahmen die Kriegsknechte", P.S.211, Pt.S. 120
P t j I g P II is' p I I 11 *=T$=4
in das Rieht- haus
Pur- pur- man- tel
und spra. chen
Rezitativ: „Und da sie ihn verspottet hatten", P. S. 214,
Pt. S. 64.
i t i i p ^n
ver-spot - tet hat - ten
Rezitativ (arioses): „Ja freilich will in uns", P.S. 215, Pt.S. 123.
m
'$=4=4
ge-zwun - gen sein ,
geht es ein
Arie: „Komm, süßes Kreuz", P. S. 216, Pt. S. 123.
Takt 3. Der Vorschlag g in der Viola da gamba Stimme bildet
einen Vorhalt zum Baß, an den der Triller anschließt:
Takt 5 Der Vorschlag b lang, aber so daß die Hauptnote noch
auf das dritte Sechzehnteil fällt, damit die Baßfigur deutlich hervortritt
3=5
Der Vorschlag f desselben Taktes als vor einem unbetonten Takt-
teil kurz, aber betont, als Dissonanz zum Sekundakkord auf b.
13*
196
Zweiter Teil.
Takt 11 wie Takt 3. Takt 12. Der Vorschlag d der Gesangs-
stimme nach der Regel lang, als Achtel, so daß die Hauptnote eis mit
dem eis der Viola da gamba eintritt. Takt 14. Der Mordent des vierten
Sechzehnteiles ist bezeichnend. Wäre er nicht ausgeschrieben, so wählte
jeder moderne Sänger einen Pralltriller oder Schneller. Er zeigt, daß
Bach von dieser Figur einen weit ausgiebigeren Gebrauch macht, als
jenem geläufig. Takt 17. Der Vorschlag e als Achtel. Takt 18 ent-
sprechend. Takt 19. Der Vorschlag a nach der Regel kurz, und zwar
jambisch, damit die unbetonte Silbe nicht sprachwidrig hervortrete.
Takt 24. Nach Ph. E. Bachs Regel würde ich einen Mordenten
annehmen, also:
i^fflS^S^
3=g=jggjP
wird mir mein Lei-den
Takt 26. Den Schleifer weich an die Hauptnote binden. Der
Vorschlag als Achtel. Die Pause ist ausdrucksvoll, und muß eingehalten
werden. Takt 29 entsprechend. Takt 30. Die Stelle „so hilf du mir«
entspricht dem Solo der Viola, Takt 5. Der Vorschlag muß folgerichtig
auch hier kurz und betont sein. Takt 32. Der Vorschlag in der Viola-
stimme muß kurz, jambisch sein, da er sonst die Dissonanz d g a in die
Konsonanz d g b verkehrte. Takt 42 wie Takt 3. Die Gesangsstimme
muß sich der verzierten Violastimme anlehnen, also:
^m
Kreuz
Takt 43 wie Takt 12. Takt 48. Der Vorschlag b nach der Regel
als Achtel. Den Schleifer wiederum weich an die Hauptnote anbinden.
Rezitativ: „Und da sie an die Stätte kamen", P. S. 222,
Pt. S. 128.
ft+^H-E-M- II i i|ii 1 * J» ^-Wh^-ff-^
m
ver _ mi-schet nicht trin-ken sei - ne Klei- der und hü-te-ten sein
^pf^^i^^api^^g
geschrieben ei-ner zur Lin-ken gin-gen, lästerten ihn und sprachen undsprachen
Rezitativ (arioses): „Ach Golgatha«, P. S. 233, Pt. S. 136.
jp J> Zf-^f^
5
*
i
¥
un - seel - ges Gol - ga - tha
Heil
der
Welt
^U^IfTl' 1 V "p -ijf p J^ p
und auf Er - den ent - zo _ gen wer - den schul - dig ster-ben
Zweiter Teil.
197
Arie mit Chor: „Sehet, Jesus hat die Hand", P. S. 234,
Pt. S. 137. Kretzschmar bemerkt zutreffend, diese Arie wirke auf
den naturalistischen Ausbruch des herben Schmerzes, mit dem das Arioso
(Ach Golgatha) zu Ende ging, wie ein weicher Balsam. So sind hier,
im Einklänge auch mit den sanften Bewegungen der Oboen da caccia,
scharf anschlagende und trochäische Vorschläge zu vermeiden. Takt 2
und überall, wo die Figur wiederkehrt, ein Pralltriller, von oben. Takt 5.
Die Vorschläge als Achtel. Takt 9. Die Vorschläge in den Oboen als
Viertel. Takt 10 und 11. Der Vorschlag zu Beginn des Taktes 11
kann, als vor der Sechzehnteilduole, nur kurz und ausschmückend, also
jambisch sein. Folglich muß die Figur des vorangehenden Taktes, deren
Wiederholung diese vorstellt, den Vorschlag in derselben Weise mit sich
führen. Beide Vorschläge sind also kurz und jambisch. Takt 16. Der
Vorschlag nach der Regel als Sechzehnteil. Takt 42 wie Takt 11. Der
Vorschlag b auf dem dritten Taktteil hinzuzusetzen. Takt 43. Den
Schluß ein wenig ritardieren, und einen Pralltriller ausführen, wie es
Peters anmerkt.
i
rfc-
# — *
^=*
Ar
lllL'Il
Rezitativ: „Und von der sechsten Stunde an", P. S. 246,
. 140.
i
neun - ten Stun - de
Rezitativ: „Und siehe da", P. S. 249, Pt. S. 143. Der Sänger
hüte sich hier Vorhalte, Accente, anzubringen, die der dramatischen Er-
regtheit dieser Erzählung des Evangelisten Abbruch täten. Nur:
J-43M (I P-:MHL I J^ * tj 1 j |
Stadt und er-schie- nen vie - le
be - wah - re - ten
Je - sum
Rezitativ: „Und es waren viele Weiber", P. S. 260, Pt. S. 144.
und Ma.ri -a und Je-sus wel-cner auch einJün-gei
Ga-li-lä-a, und Ma.ri -a und Je-sus wel-cher auch ein Jün-ger
Rezitativ (arioses): „Am Abend da es kühle ward", P. S. 251,
Pt. S. 145.
^tH-h^-H^ I m p n
P
s
am A. - bend wie - der
in dem Mun - de Zeit
198
Zweiter Teil.
Takt 9. Kein Vorhalt, weil die Stimme den Baß gibt.
fc^i
w
mm
*
.le-suni sehen - kcn o heil - sa- nies
Arie: „Mache dich, mein Herze, rein", P. S. 253, Pt. S. 147.
Takt 4. Pralltriller in den Oboen da caccia, bezw. Violinen.
Takt 8. Langer Triller mit Nachschlag. Takt 15 wie Takt 4.
Takt 16. Der Schleifer ist recht leicht an die Hauptnote anzubinden.
Takt 25. Hier kein langer Triller, weil kein Schluß erfolgt, sondern die
Koda anschließt. Ein Pralltriller genügt.
Takt 51. Die Schlüsse gehen hier überall mit einer Lange und an-
schließender Kürze (J Jj aus. Der Vorschlag ist deshalb auch hier so
zu deuten. Die Hauptnote c, die natürlich nicht als baßführend zu denken
ist, würde also auf das neunte Achtel, dissonierend zu dem Septimen-
akkord auf es eintreten, und so das c der Viola des nächsten Taktteiles
vorwegnehmen. Ich gebe aber zu, daß die Deutung des Vorschlages als
Achtel harmonisch natürlicher ist.
Rezitativ: „Und Joseph nahm den Kelch«, P. S. 259, Pt. S. 150.
$ m \ im § in1 m ! ! i \ i "|[| '., ui
rein Lein-wand nen Grab und die an-de-re Ma-ri.a demRüst-ta-ge
Rezitativ: „Pilatus sprach zu ihnen", P. S. 267, Pt. S. 155.
und ver -» wah - re - ten das Grab mit Hü - ter
Rezitativ: „Nun ist der Herr«, P. S. 268,'Pt. S.J156.
j^p? ncr?p p M ^pü^ ■Mifv ga
DieMühist aus die uns-re Sün-den ihm ge -macht Ge-bei-ne tau-sendDan-
Der Vorschlag f in der Altstimme des Taktes 5 nur kurz, als Terzen-
verbindung, das es liegt, hier sowie in der Oboe II und Violine II.
J. S. Bach. Passionsmusik nach dem Evangelisten Johan,nes.
(Gesänge geschlossener Form.)
„Von den Stricken meiner Sünden", P. S. 19.
Takt 11. Ein Vorschlag.
-iSM^tg:
mei - ner
Zweiter Teil.
199
Takt 16. Nach Agrieola soll bei einem Triller mit Nachschlag auf
einer punktierten Note, auf welche eine kürzere folgt, zwischen dieser und
der folgenden kürzeren ein „kleiner, fast unmerklicher Aufenthalt" sein.
ge - bun -------- den "
Takt 20. Ebenso. Takt 37. Die Vorschläge zwischen den ersten
beiden Terzenschritten kurz, der dritte lang, nach Agricolas Regel:
Takt 75 kann man die Terz
durch einen Vorschlag verbinden.
MtViJ
l n a j a
W
ent-bin den wird
Takt 80 wie Takt 16.
mein Heil
Stri - cken inei - nen
Takt 85. Takt 88.
f
ffi.i —
von
den
von den
Takt 95. Eine kleine Auszierung, die vielen gleichgestalteten Schlüsse
zu variieren « i
WS
g«
bun
^
den
„Ich folge dir gleichfalls«, P. S. 25, Pt. S. 27. Diese Arie ist
im Gegensatz zu der vorangegangenen des Altes auf einen kindlich-
tändelnden Ton gestimmt. Es wird deshalb angebracht sein, hier einige
schmückende Figuren hinzuzusetzen.
Takt 37. Ein Anschlag. Takt 40. Ein Pralltriller.
^m nn
~^^.
Le - ben
Liebt
mein
Licht
Takt 50. Der Vorschlag nach der Regel als Sechzehnteil. Takt 53.
Der Vorschlag ein Achtel. Takt 56 wie 50. Takt 64/65. Die Ton-
malerei auf „schieben" ist durch Binden und Anhauchen der Noten
gleicher Tonhöhe zu unterstützen.
Takt 80 ff.
jr1' M Q § pü r i
be - för - dre den Lauf un
W.
m
*
hö - re nicht
m
auf
200
Zweiter Teil.
Takt 84 und 85 wie Takt 50 und 53. Takt 103. Ein Pralltrillei .
Der da capo-Teil ist ausgeschrieben und bedarf keiner Zusätze. Auch
der Schluß ist bereits mit einer melismatischen Wendung versehen, so daß
eine Kadenz nicht beabsichtigt erscheint.
„Ach, mein Sinn", P. S. 34, Pt. S. 41. Diesem herzlichen, edlen
Gesänge mögen nur wenige Yerzierungen beigesetzt werden. Es kommt
alles auf die Ausführung der Vorschläge an. Die ersten Violinen zeigen,
Takt 1, das instrumentale Zeichen des Accentes. Das Klavier- Büchlein
Wilh. Friedemann Bachs gibt die Lösung als Achtel (vergl. Dann-
reuther a. o. O. I, S. 162). Das stimmt mit der allgemeinen Praxis
überein, und ich sehe keinen Grund hier von ihr abzuweichen. Man
könüte auch, wie Dannreuther, a. o. 0., S. 176, an einen trochäischen,
kurzen Vorschlag denken, der mir aber für diese Stimmung auch an den
anderen Stellen zu herb erscheint. Takt 3 und 6. Pralltriller. Takt 9
und 11. Vorschläge und Triller, Auflösung bei Dannreuther a. o. O.,
S. 180. Takt 17. Es ist nun die Frage, ob die Gesangsstimme den
Accent hinzuzufügen habe. Ich möchte sie bejahen. Der Ausgabe der
Bachgesellschaft liegt, bis auf die ersten dreißig Seiten, kein Autograph,
sondern nur eine von Bach revidierte Abschrift zu Grunde. Es ist also
leicht möglich, daß er die Hinzufügung übersehen hat. Aber auch wenn
das nicht der Fall, durfte er sich für die Ergänzung auf den Sänger ver-
lassen. Und sie scheint mir durchaus geboten. Der Vorschlag erhöht
hier sehr wesentlich den Ausdruck der Klage:
J{
Viol.I.
Viol.II.u.
Viola.
Tenor
Bass
*£
S
*£
V f if-
**
Ach,
mein
-^ 1 1 > —
*\
o
W-
f
f-
Sinn
f^
Takt 19. Die Gesangsstimme möge den Pralltriller der ersten
Violine nicht mitmachen, die schlichte Ausführung steht ihr besser an.
Takt 29. Das Accentzeichen deutet wohl einen Achtelvorschlag an.
Takt 39. Hier kann die Singstimme den Schleifer der ersten Violine
Zweiter Teil
201
unbedenklich einschalten. Takt 40. Der Vorschlag der ersten Violine
als Viertel. Takt 42 ebenso. Takt 49. Der Vorschlag in der Violine
ein Viertel, die Hauptnote auf die Pause. Takt 51 ebenso. Takt 52
der Vorschlag wie im Hauptthema ein Achtel. Takt 60. Der Vorschlag
an die Stelle der Hauptnote. Ebenso Takt 62. Takt 63. Auch hier
rate ich nicht, die Stimme den Triller der Violine mitmachen zu lassen.
Größte Einfachheit steht diesem Gesänge am besten an. Takt 66. Vor-
schläge von unten, die nicht die vorhergehende Note wiederholen, kämen
nach Agricola - Bach überhaupt nicht vor. Das ist nun freilich ein
Irrtum, aber zu Seb". Bachs Zeit sind sie jedenfalls höchst selten, bei
Gluck werden wir ihnen öfter begegnen. Jedenfalls können sie hier nur
rein ornamental, also kurz gemeint sein. Takt 68. Der Vorschlag ist
hier wohl ausschmückend, kurz gemeint. Takt 70. Das Zeichen bedeutet
einen Schleifer, vgl. Dannreuther a. o. 0., S. 162 ff.
Takt 71. Der Vorschlag der ersten Violine nach der Regel an die
Stelle der Hauptnote. In der Singstimme würde ich vor dem Leiteton,
dis, einen Vorhalt, e} als Viertel einschieben. Der so entstehende doppelte
Vorhalt eignet sich in seiner Herbheit vorzüglich zu der Stimmung:
j^rii J— ^4J
Takt 82 entsprechend:
ms
355
rf
I
JJ3Z
t
n:
ü
fefe
M Hjt t r
^^
Knecht
»Jag
S
den Herrn ver- leu£
^^
202
Zweiter Teil.
Takt 84. Auch hier gilt der Vorschlag ein Viertel. Die Einführung
eines Vorhaltes in der Singstimme ergibt wieder eine schöne Dissonanz:
Arioso: „Betrachte meine Seel", P. S. 55, Pt. S. 57.
Takt 1. Die Violen schreiten unausgesetzt in Achteln. Diese Be-
wegung zu unterbrechen ist sicherlich nicht der Zweck des Vorschlags d.
Er werde also kurz, jambisch ausgeführt. Takt 4. Auch ohne das
Accentzeichen würde der Sänger hier das erste a durch b ersetzen.
Takt 7. Wieder ein Accent, g statt des ersten fis, Takt 8. Die Noten
eis eis sind beizubehalten, weil sie die Harmonie des Sextakkordes e-g-cis
ergeben, in den die Violen ihr f ja des vorangegangenen Akkordes nach-
halten. Auch ergäbe ein Vorhalt d in der Gesangsstimme eine Quinten-
folge mit den Violen. Takt 9. Accent c, ein Achtel. Takt 11. Accent
b statt as auf dem dritten Viertel, die Auflösung also mit den Violen.
Takt 14. Der Accent natürlich hier als Sechzehnteil. Takt 16. Der
Accent als Achtel.
„Erwäge", P. S. 57, Pt. S. 59. Takt 1. Der Vorschlag c als Achtel
auf den Septimenakkord. Takt 6. Ebenso. Takt 8. Der Vorschlag nach
der Regel ein Achtel. Takt 38. Dieses Zeichen der Instrumentalmusik ist
nach W. Friedemann Bachs Klavierbüchlein ein Vorschlag mit Triller,
bezw. Pince\ und wäre auszuführen:
I
«5=»
Gna
den
Will man nicht annehmen, daß diese klavieristische Verzierung ge-
meint sei, so bleibt nur die Deutung eines Trillers mit Vorschlag in
vokalem Sinne, also:
fe
i
Gna -
Zweiter Teil.
203
Jedenfalls darf sie nur den Wert der Hauptnote einnehmen, das
dritte Achtel aber muss der Hauptnote c selbst verbleiben, damit der Halbton-
schritt deutlich hervortritt. Die erste Lösung entspricht dem harmonischen
Verlauf besser; sie löst den Septimenakkord, konform den Begleitungs-
figuren, auf dem zweiten Achtel auf. — Die polyphone Anlage des
Stückes verbietet im da capo jede Veränderung, die überdies im 12/8-Takt
überhaupt wenig gebräuchlich war.
„Es ist vollbracht«, P. S. 104, Pt. S. 108. Dem trauernden,
schwermütigen Grundton dieses herrlichen „Molto Adagio" gerecht zu
werden, müßten die Vorschläge seines Hauptmotivs lang ausgeführt
werden, wie man sie zumeist auch in der Praxis hört. Ich möchte ihnen
zwei Dritteile bezw. drei Vierteile der Hauptnote zuweisen, in Berück-
sichtigung der Bemerkung Agricolas, daß der Affekt bisweilen erfordere,
sie länger als die Hälfte zu halten:
Takt 1 und 2.
Viola da gamba
J
i Sol° /*T^ Fnr^ r - ,1 ^r-s
g^pi
Ü
iE
^s?
^
l
Und so überall, wo die Figur wieder erscheint. Der Vorschlag, Takt 2,
kurz betont. Takt 4. Der Vorschlag darf vor g nur kurz sein, wie der-
jenige am Anfang des Taktes 2, damit auch hier die punktierte Bewegung
nicht alteriert werde. Takt 5. Der zweite Vorschlag fehlt in der Ge-
sangsstimme. Er kann nur durch Flüchtigkeit des Kopisten weggeblieben
sein. Jedenfalls müssen wir ihn ergänzen. Ohne ihn verliert die Phrase
alles an Eindringlichkeit. Auch die Beantwortung durch die Viola, die
ihn aufweist, und die Wiederholung Takt 12, wo er notiert ist, berechtigt
uns hierzu. Takt 6. Das oben bereits (Matth.- Passion „Erbarme dich"
S. 190) erwähnte Zeichen des Schleifers, also: a li c. Takt 7. Der Vorschlag
nach der Regel als Achtel. Takt 9. Ein Pralltriller. Takt 10. Hier ist
der Vorschlag mit einem Triller, natürlich einem Pralltriller kombiniert,
also Triller mit appuy. Takt 12. Der Vorschlag vor du muß hier gleich-
falls möglichst lange gehalten werden, also mindestens ein Achtel.
Takt 15. Pralltriller auf gü. Takt 16. Das Motiv der Violastimme bleibt
natürlich in der geschilderten Ausführung. Es fragt sich nur, wie der
204
Zweiter Teil.
Vorschlag der Gesangsstimme mit ihm in Einklang zu bringen ist. Die
natürlichste Lösung ist, ihn als terzenverbindend kurz zu nehmen, so
daß das eis als übermäßige Sext zu dem gls des Basses eintritt, und
der Vorschlag der Viola eis zu diesem Sextakkord einen Vorhalt bildet,
der sich sogleich in die Terz h auflöst. Gestaltete man den Vorschlag
der Gesangsstimme gleichfalls lang, also als punktiertes Sechzehnteil, oder
als Zweidritteil einer Triole, so entständen einmal Quartengänge, die nicht
gut klängen, und das eis, das als Vorhalt zu fis zu dem Septimenakkord
auf h dissoniert, entfiele auf die Arsis, statt die Thesis einzunehmen. Ich
stelle zur Übersicht beide Lösungen nebeneinander:
Falsch .
Richtig
S
die Trau - er - nacht
I
die Trau
er - nacht
I
»
4
2
8 * * 1
5
Ar
\
Der Vorschlag vor dem vierten Viertel der Violastimme ist wiederum
nur ornamental, kurz gemeint, wie Takt 2 und 4. In dem Händeischen
Charakter tragenden Mittelsatz keine Veränderungen. Die Vorschläge des
gekürzten da capo wieder lang, ausdrucksvoll betont. Takt 40. Als Achtel.
Takt 44. Sehr lang, als Fermate.
„Mein teurer Heiland*, P. S. 108, Pt. S. 112. Das immer
wiederkehrende Motiv des Stückes trägt auf dem achten Achtel das
Zeichen tr. Den Sextensprung zu wahren, wird man von einem mit der
oberen Hilfsnote einsetzenden Pralltriller — ein Volltriller kommt nicht
in Betracht — absehen. Aber auch ein Mordent erfüllt den Zweck nicht.
Denn offenbar bezweckt die Figur eine Verbindung dieser hier ab-
schließenden Phrase mit der anschließenden, und eine Zerlegung des
Leitetones. Der weichen, hingebenden, ich möchte fast sagen wiegenden
Bildung der Melodie entspräche nun ein Doppelschlag vorzüglich. Wir
erinnern uns, daß unter dem Zeichen tr auch diese Verzierung zuweilen
verstanden wurde. Will man sich indessen zu dieser Annahme nicht
entschließen, so bleibt nur ein der Hauptnote angehängter Pralltriller, der
Zweiter Teil.
205
ganz kurz so auszuführen ist, daß der Leiieton sofort wieder erreicht
wird. Also:
oder
Mein teu - rer Hei - land
lass
dich
n i i r r r r r r fr g 4
s
Mein teu - rer Hei - land
lass
dien
Takt 15. Der Vorschlag nach der Regel als Achtel. Ebenso Takt 19.
„Zerfließe, mein Herze", P. S. 114, Pt. S. 118. Fein bezeichnet
Kretzschmar (Führer II 1. S. 81) diese Arie als eine wundervolle
Mischung barocker Formen und bewegtester Romantik in dem Ausdruck
der Trauer. Barock ist auch die Melismatik, die Schleifer, auf- und ab-
wärts, auf denen der motivische Gehalt vorzüglich beruht. Ganz eigen
ist seine Verlegung auf einen unbetonten Taktteil und unbetonte Silbe
im Thema selbst. Im Aufsteigen und auf der Thesis wird er allemal
rhythmisch sehr präzis auszuführen sein, aber doch unter Vermeidung
jeder schroffen Härte, die dem Grundton nicht entspräche. Takt 20. Die
Duole überall mit leichter Betonung der ersten Note. Takt 29. Die
wiederholten Noten leicht anhauchen! Ebenso Takt 32. Takt 34. Den
gehaltenen Ton der Singstimme leicht an- und abschwellen, mitgehend
mit der Bewegung der Instrumente. Takt 35/36. Der Bogen in der
Flötenstimme ist ein Irrtum, da er den Schleifer des Taktes 36 zerstört.
Wiederum ein Schwellton. Takt 50. Triller ohne Nachschlag, den das
ausgeschriebene Sechzehnteil, e, ersetzt. Takt 63. Der Vorschlag als
Achtel. Takt 67. Der springende Vorschlag soll hier deklamatorisch
wirken, und* das Wort „Not" hervorheben, also kurz, trochäisch, als
Zweiunddreißigteil. Takt 68. Die Quartole muß rhythmisch gewahrt
werden. Der Vorschlag tritt also vor dem ersten Taktteil, jambisch,
ein. Takt 70. Der Vorschlag der Oboe ein Achtel. Takt 74. Diese
ergreifende Stelle ende mit einem langen Vorschlag, ein Achtel, poco
ritardando. Takt 89. Der Vorschlag ein Achtel, die Hauptnote auf das
as des Basses. In der vollständig ausgesetzten Repetition kann bei der
komplizierten Stimmführung von Varianten keine Rede sein. Takt 99/100
können in den Singstimmen vor as und / die kurzen verbindenden Vor-
schläge h und (j eingefügt werden. Der Bogen in der Flötenstimme
scheint mir hier, und Takt 105/106, irrig. Takt 107/108. Die wieder-
holten Noten leicht anhauchen. Takt 124. Das Pausieren der Instrumente
206
Zweiter Teil.
deutet auf die Erlaubnis einer ausschmückenden, abschließenden Formel
im Zeitmaß, ritardando, etwa:
P 0 U^d^
Hoch - sten zu
Eh - ren
Kapitel IY.
Ch. W. Gluck.
Die Ausschreitungen der italienischen Opernpraxis hatten bereits
im Kreise der neapolitanischen Schule durch Hasse, Traetta, Perez,
Jomelli, Majo u. A. zu einer Abkehr geführt.1) Aber erst der deutsche
Meister sollte mit ihr endgültig brechen. War schon im „Telemacco" das
Bestreben zu Tagegetreten, den Stil nach der Seite des musikdramatischen
Ausdrucks hin zu vertiefen, so vermochte doch erst die gemeinsame Arbeit
mit einem Dichter, der, wie Calsabigi, die Mängel der italienischen
Oper durchschaute, und an die Stelle schönrednerischer Yergleiche und
Sentenzen Handlung und Leidenschaft setzte, seine Begabung zu völliger
Entfaltung zu bringen.
Ich habe mich hier darauf zu beschränken, die Stellung zu
präzisieren, die der Reformator Gluck gegenüber dem Fioriturenwesen
einnahm. Daß er auf eine strikte Einhaltung seiner Niederschrift hielt,
und sich Zusätze ausschmückender Art verbat, wissen wir, wenn es uns
nicht schon der Geist seiner Musikdramen lehrte, aus der Yorrede zur
Alceste. Wir haben uns also in der Regel damit zu begnügen, seine
Zeichen, insbesondere die der Yorschläge und anderer Yerzierungen, zu
interpretieren, und zwar den Normen gemäß, unter deren Geltung er, wie
alle seine Zeitgenossen, von ihnen Gebrauch machte. Indessen ist seine
Ablehnung reproduktiver Ergänzung doch nicht auf alle Teile seiner
musikdramatischen Kompositionen zu beziehen. Wie ich bereits in der
Einführung erwähnte, finden sich hier nämlich häufig Gesänge, die in
Anlage und Eigenart nicht dem in der Regel herrschenden pathetisch-
deklamatorischen Stil angehören, sondern entweder, in anmutigem Rokoko
gehalten, zu jenen in bewußtem und wirksamem Gegensatz stehen, wie die
Arie des Amor „gli sguardi trattieni" im „Orfeo", und diejenige der
Klytämnestra nQue faime ä voir" in der „Iphüjenie en Aulide", oder sich
doch, wie Orfeos nG7ie färb senz' Euridice" an die zeitübliche Thematik
und Form in hohem Grade anlehnen. Ihnen die gleiche Ausnahme-
l) Die Besprechung dieser Periode der italienischen Operngeschichte, etwa die Jahre
1740 — 80 umfassend, muss dem zweiten Bande dieses Werkes vorbehalten werden, und wird
als Einführung in die Mozartsche Kunst bebandelt werden.
Zweiter Teil. 207
Stellung, wie den anderen Partien, einzuräumen, sehe ich keinen Grund.
Sicher hat Gluck, wo er eine dem „galanten Stil" genäherte Schreib-
weise wählte, auch auf die ihm gebührende Behandlung gerechnet.1)
Wir werden deshalb in solchen Fällen zu dem Gebrauch ornamentaler
Akzidenzen in dem Sinne berechtigt sein, daß sie dort ihren Platz finden,
wo sie die melodische Linie in einer unserem Ohre reizvollen Weise zu
verbessern sich eignen. In jenen zierlichen, auf den Liebreiz des Melos
gestellten Arien werden wir mehr wagen dürfen, als dort, wo zwar die
melodische und formale Behandlung der italienischen Oper vorliegt, doch
aber eine ernste Stimmung anklingt. — Ich gebe im folgenden die
Bearbeitungen des „Orfeo" und der „Ipläyenie en Atriale". Mehr als
bei jedem andern Meister muß bei Gluck der Stimmungsgehalt, sei es
des Gesamtverlaufes, sei es der einzelnen Stelle für die Auslegung maß-
gebend sein. Ebenso beansprucht seine auf deklamatorische Wirkungen
basierte Musik überall eine gewissenhafte Berücksichtigung des Verhältnisses
des W7ortes, oder Satzes zur musikalischen Phrase.
Orfeo ed Euridice. •
Diese Oper ist uns bekanntlich in zwei Fassungen überkommen.
Calzabigi lieferte den Text. Sie kam am 5. Oktober 1762 in Wien
zur Erstaufführung. Das Manuskript bewahrt die K. K. Hofbibliothek
in Wien. Nach Glucks Übersiedlung nach Paris (1763) erschien sie
unter gleichem Namen mit dem Zusatz: Azione tlteatrale, und in drei
Akte eingeteilt, im Druck. In dieser Partitur ist die Partie des Orfeo
für Oontraalto geschrieben, wie sie in Wien gesungen worden war.
Zwölf Jahre später unternahm der Komponist eine Umarbeitung, die in
erster Linie durch die Übersetzung des Meline ins Französische, dann
aber durch die Übertragung der Partie des Orfeo an einen Tenoristen
(Le Gros) bedingt war. Sie erschien kurz darauf im Druck (1774).
Wir dürfen also die Ausgabe von 1764 als die endgültige Fassung der
italienischen, diejenige von 1774 als die authentische der französischen
Bearbeitung betrachten. Im Jahre 1859 bearbeitete Berlioz die
französische Ausgabe für die Altstimme der Pauline Yiardot-Garcia.
Er wollte die Bereicherung der französischen Bearbeitung durch Chor-
sätze, Ballets, und einige Arien, nicht missen, und so entstand eine Ver-
quickung beider Fassungen, die als durchaus gelungen bezeichnet werden
muß. Auf Berlioz' Arbeit beruht die Partitur- Ausgabe Dörffels.
l) Das will Kretzschmar andeuten, wenn er meint, diese Vorrede zur Alceste »scheine
der Ausfluss augenblicklicher Verstimmung und Gereiztheit«. (Aus Deutschlands italienischer
Zeit, Jahrbuch Peters 1901, S. 54.)
208
Zweiter Teil.
Ich halte mich hier an die von Gluck selbst redigierte endgültige
Fassung der italienischen Ausgabe von 1764, die auch den meisten Aus-
fuhrungen unserer Zeit zu Grunde liegt (A). Als Auslegungsmateriai
benutze ich die große französische Ausgabe des- Pelletan, der die Aus-
gabe von 1774 zu Grunde liegt (HJ, die Dörffelsche Partitur (C)
und eine alte Handschrift im Besitze der Mainzer Liedertafel, die mir
Herr Prof. F. Volbach gütigst zur Verfügung stellte (DJ. Peters' Klavier-
auszug benutzt die Partitur A.
§
A.S.15. peters S.9
j § ff ES J1' i Eggj J^
£3?=g
1 1 g I J
m
$
w
Ba-sta, ba-sta 8 a- gra-va il
iaio
fio-ri
il mar-mo
M
om-bre
3
t
TT-
N
1F
A. S. 20, Pt. S. 12 Nr. 5. Takt 3. Der Vorschlag lang, unison
mit den Violinen. Takt 4. Ein Vorschlag, Vorhalt von unten, e, einzu-
schalten, der in A fehlt:
A.S. 20. P. S. 2.N95
W p Jll^J-J
^
±=L,
Chia - mo il mio ben co - si
Takt 6 und 7 bestimmen ebenfalls die Flöten und Violinen die
Geltung der Vorschläge. Bei den Wiederholungen Sechzehnteile statt
der Zweiunddreißigteile
j1, Cr g '^§
mo - stra il di
Takt 12. Vor der ersten Note e fehlt in A der Vorschlag /, den
die anderen Partituren richtig ergänzen.
I
5
quan - do
Takt 17 und 18. Der Vorschlag auf dem dritten, also unbetonten
Taktteil nach der Regel kurz, der vor dem ersten Taktteil des Taktes 18
als vor einem betonten Taktteil lang, auch mit Rücksicht auf die Rhythmik
Zweiter Teil.
209
des Nachsatzes (Takt 21). Den kurzen Vorschlag würde ich nach der
Regel Agricolas betont, etwa als Dritteil einer Triole ausfuhren:
3
$
p
Ma,oh van - no uiio
Takt 20. Der Vorschlag, der in B und C fehlt, kann nur kurz
jambisch sein, trochäisch gäbe er der unbetonten Silbe „da" sprach-
widrige Betonung.
A. S. 22, Pt. Nr. 6. Takt 1 bis 3. Lang gehaltene Vorschläge,
b zu öw, und c zu />, ebenso im Echo. Takt 6. Wieder ein Vorhalt.
Takt 7. Ein leichter, aber auf den Baß fallender Schleifer. Der
Vorschlag g als vor einem unbetonten Taktteil kurz. Takt 8. Hier ist
einmal der Vorschlag in der Singstimme ausgeschrieben; die kleine Note
in den Instrumenten richtet sich nach ihm. Takt 11. Der übliche
Vorhalt.
A. S. 25, Pt. S. 15 Nr. 8. Takt 7. Der Vorschlag als Achtel, ebenso
im Echo. Takt 10. In der Singstimme ist der Accent, also h statt des
ersten a, anzuwenden, wie ihn das Echo vermerkt. Hier liegt bereits eine
Übertragung der späteren Rezitativnotation auf andere Gebiete vor. Takt 13.
Der Vorschlag lang, ausdrucksvoll, also ein Viertel. Takt 14. Accent,
ebenso im Echo. Takt 18. Der erste Vorschlag ist, als vor einer un-
betonten Note, kurz. Das Echo, Takt 19, weist vor (j einen Vorschlag,
als Viertel notiert auf, der in der Singstimme fehlt, also ergänzt werden
muß. Wie aber ist er auszuführen? Überall sonst sind hier die Vor-
schläge als Achtel, nur hier ist er als Viertel gedruckt. Das ist kein
Zufall. Offenbar soll er als langer dissonierender Vorhalt gelten, der
auch vortrefflich zur Stimmung harmoniert. Er träte dann an die Stelle
der Hauptnote. Im letzten Takt würde ich den Accent anwenden, und
im Echo hinzufügen:
i
£
*
f
^m
Ca - ra Eu
n -
^S
±^r+&H
di - ce
>r
Will man indessen der Notierung des Vorschlages als Viertel kein
Gewicht beilegen, und sich an die Regel halten, daß Vorschläge zwischen
Terzen unveränderlich sind, so muß jedenfalls der Vorschlag a, Takt 18,
der Singstimme interpoliert und kurz-jambisch ausgeführt werden.
14
210
Zweiter Teil.
A. S. 29, Pt. S. 17. Für dieses Rezitativ, sowie für dasjenige der
Szene II, sei besondere Sorgfalt in der Anwendung des Accentes
empfohlen. Entschieden von ihm absehen würde ich in Takt 19 „nel
vostro cuore", wo er die Wirkung des verminderten Septimenakkordes ab-
schwächte.
A. S. 31, Pt. S. 19 Nr. 10. Bei der Stelle „in abbondonou kein Vorhalt!
A. S. 35, Pt. S. 20 Nr. 11. Bei Gluck stoßen nicht selten starke
Gegensätze aufeinander. Wie in der „Iphig^nie en Aulide" auf die ge-
waltigen, hochdramatischen vier Szenen des ersten Aktes, in denen der
Reformator mit wuchtigen, ergreifenden Tönen zu uns spricht, die graziöse,
im lieblichsten Rokoko gehaltene Arie der Klytämnestra folgt, in der sie
des freudigen Empfangs des Volkes sich freut, der ihr und der Tochter
bereitet wurde, so unterbricht hier die Tragik der Vorgänge eine ganz im
Genre des französischen Singspiels erfundene Arie des Amor, der Orpheus
die seligsten Tage verspricht, wenn er sich dem Willen der Götter füge.
Die textliche Unterlage gab keine Veranlassung, diesen Ton anzuschlagen.
Wohl dachte Gluck daran, den Liebesgott in seinem unwiderstehlichen
Zauber zu charakterisieren. Gleichviel, wir stehen hier vor einem Gebilde,
das der traditionellen Ausdrucksweise der Oper entsprach und als solches
behandelt, also nicht genau nach der Niederschrift, sondern verziert vor-
getragen werden will. Schon die Form regt dazu an, die sich dem Rondo
nähert, indem der dreimaligen Wiederholung des Hauptthemas zwei lang-
samere, thematisch gleich gesetzte Sätze, einmal in der Dominante, dann
tonisch eingeschoben sind. Diese Mittelsätze sind in den Instrumenten reich
verziert, und es läge nahe, wenigstens bei der Wiederholung in der Tonika,
diese Ausschmückungen einfach in die Gesangsstimme zu übernehmen. Das
gäbe indessen gesanglich ein allzu maniriertes Bild. Deshalb möchte ich
empfehlen, die Gesangsstimme im ersten Mittelsatz unverändert zu lassen und
in der tonischen Wiederholung nur einige diskrete kleine Verzierungen hin-
zuzufügen. Was die Hauptsätze betrifft, so möchte ich die ersten beiden
unverändert lassen und nur dem dritten durch einige Zusätze einen leb-
hafteren Aufschwung sichern. Ich bemerke, daß alle Verzierungen der
Instrumentalstimmen mit dem Baß zusammenfallen! Wiederholung des
Mittelsatzes in der Tonika. Andante.
i'j- y Mi) p i|J- pi' \f-j^^^m
Sai pur-cne ta - lo - ra con - fu - si»tre- man-ti, coa Chi glin-mi
tre - man-ti, coa Chi gl in-na-
iy . MH|i t, i r !>,-!, w{ { r \vttt\tjfgmm
mo-rason cie-«hi glia - man-ti, non san-nopar-larj con - fu-si tre-
Zweiter Teil.
211
ja
f) li i1 H M IF 11 D IT F J lnF^p
inan-ti, son eie- chi glia - man- ti, con chi glm-na - mo - ra non
prallender Doppelschlag
Ä5
^^iJ^Lh^n riTPMV^^rrtrl
san-no par-lar, con chi gl'in-na - mo-ranon san-no par - lar, non
Dritte Wiederholung des Hauptsatzes- Sostenuto.
san - noüar-lar. mi seuar - ri trat - tie.ni
mi sguar - di trat - tie-ni
geschnellter Doppelschlag
af
if'rriniiri i' >pMv\%n3mfc
fro - naeliac- cen-ti,che DO-chi momen-tihai niiidane-nar
nagliac- cen-ti,che po-chi momen-tihai piiidape-nar
Ich bemerke, daß alle kurzen Vorschläge jambisch gedacht sind,
also vor dem Baß und den Verzierungen der Instrumente zu Gehör
kommen.
A. S. 42, Pt. S. 13 Nr. 12. Hier sind nur einige Vorhalte anzu-
merken
Accent vorgeschrieben
*
iiJL|ttf p pTs^
i=5
g*ip
P
zz
SP
cor
Spo - sa
in- fe-li - ce
tre-
mar-mi il
Ar-uie Ge - lieb
te.
te
l'in-sof- fri-bil de marli
3E
Bei Peters fehlt der Vorschlag, also:
TU
^r
i
&
iö
jp (f p I j II
ß~AJ> Ji Jy^i
s
dell
ist al -
lein nicht zu cr-tra-gen
u- ni-co dell al-ma a-
s
I
^9
F7'
*
4,#
A. S. 54, Pt. S. 29 Nr. 17. Takt 5. Man hört den Vorschlag meist
als Achtel, so daß eine Synkope entsteht. Die Regel verlangt ein Viertel,
wobei die Hauptnote dem dritten Viertel entfällt. Jene Auffassung hat
keinen musikalischen, oder musiktheoretischen Anhalt. Die Synkope wirkt
unruhig, und widerspricht dem Sinn des Wortes, das um Milde und Er-
14*
212
Zweiter Teil.
barmen fleht. Aber diese, der Regel entsprechende Ausführung erscheint
mir reizlos. Hier kann lediglich der Geschmack entscheiden, dem ein
kurz-trochäischer Rhythmus am besten entspricht: also
W
g
m
*
fi&j s
Deh pla- ea - tc - vi > con me.
Ach er -barmt, er - barmt euch mein.
Takt 9. Portament von b zu as\ Die lombardische Note sehr kurz,
kürzer als notiert, wie die Theoretiker es fordern.
Takt 10. Vorschlag als Achtel.
Takt 11. Vorschlag c als Achtel, nach der Regel. Takt 12. Der
Vorschlag f ist kurz, jambisch gemeint, er tritt anscheinend frei ein, ist
aber eine Anknüpfung an das zweite Viertel. Takt 13. A hat nicht den
Vorschlag c sondern ;/, B und C haben c, man dürfte also annehmen, daß
Gluck erst bei der Umarbeitung für Paris die Änderung vorgenommen,
wenn nicht schon 7J, die alte Mainzer Handschrift das g durch c ersetzt
hätte. Kein Zweifel, daß der Dezimensprung charakteristischer wirkt,
und dem „barbaro dolor" besser entspricht. Deshalb ist die Änderung
zu acceptieren. Der Vorschlag gehört zu den leitereigenen, die allemal
kurz sind, aber deckt sich doch nicht ganz mit der kurzen lombardischen
Note, wie sie Takt 9 aufweist; also:
il mio bar - ba - ro
Genau wie notiert, nicht kürzer! Die Note d auf dem dritten Viertel
fehlt in A und D, ist dagegen als Vorschlag in B und C angemerkt.
Wir dürfen sie unbedenklich als eine von Gluck gewünschte Verbesserung
belassen; die Ausführung ist jambisch; betont verstärkte sie den Iktus
der unbetonten Silbe sprachwidrig. Takt 14. Bei Peters irrtümlich
zwei Viertel b a, sonst überall die kleine Note by und a als halbe Note.
Ich würde hier nach der Regel verfahren, und die Hauptnote auf die
Pause bringen, sodaß die Leere des dritten Viertels entfällt, also:
£
8=3
do - lor,
vi -
Takt 15. Sämtliche Ausgaben haben auf dem vierten Viertel e /',
(bezw. h c für Tenor), nur Dörffel mit Peters e e\ wir müssen also hier
die eigentliche Intention Glucks wiederherstellen. Die Vorschläge sind,
Zweiter Teil.
213
als zwischen Terzen kurz; ich würde die trochäische Form hier vor-
ziehen, weil die Dissonanzen so anmutiger hervortreten, also nach Agricolas
Anweisung:
Je
I
EE
f l|J"^' J"J- J~^ I
vi - ren - da al - men pic -
er - barmt euch mei - ner
Takt 17. Der erste Vorschlag gehört zu den kurzen, er ist leiter-
eigen und trochäisch, bewirkt keinerlei harmonische Veränderung; der
zweite nur als Verbindung, jambisch kurz. Takt 23. Die Vorschläge
nach der Regel so zu gestalten, daß die ersten beiden kurz, und zwar
betont, der dritte lang (ein Viertel) wird. Dorf fei (6) hat, wohl aus
Unkenntnis der alten Usancen, aus dem zweiten Vorschlag ein Achtel
gemacht.
^fitfijL,LJ>^g
pla - ca - te - vi con me.
er- barmt, er- barmt euch mein,
Takt 28. Der Vorschlag vor der Duole kurz. Takt 31. Wie
Takt 13. Takt 35. Hier liegen zwei Lesarten vor. A and B, also die
von Gluck selbst redigierten haben:
i
S
Pf
i m m i
om
bre 9de- gno-9i
6, Dörffel (und mit ihm Peters) dagegen:
om
breR ter- ri-bles
m
m
om -
bre sde - gno-se .
Daß in der Mainzer Handschrift (DJ die ursprüngliche Glucksche
Notierung mit Rotstift in die letzt aufgezeichnete verändert ist, beweist
nicht viel. Möglich aber, daß die Änderung schon vor Berlioz
Bearbeitung üblich war. Sie hat ihre Berechtigung. Der Vorschlag in
jener Version müßte lang ausgeführt werden, um die schöne Dissonanz
des d der Singstimme zum As-dur nicht zu verlieren; denn kurz aus-
geführt klänge die Stelle matt. Aber durch den langen Vorschlag erhielte
die unbetonte Silbe (om) bre eine sprachwidrig starke Betonung, was
Gluck immer vermied. Deshalb ist die zweite Version, wenngleich sie
nicht von Gluck stammt, vorzuziehen. Solche Freiheiten kleiner Ver-
änderungen waren ja auch durchaus üblich.
214
Zweiter Teil.
Takt 39. Wie Takt 5, Vorschlag kurz trochäisch. Takt 40. Die
Hauptnote auf die Pause.
A. S. 62. Peters S. 33, Nr. 19. Takt 4. Nimmt man an, daß
der Vorschlag es, wie es die Regel verlangt, lang sei, so hätten wir
eine unvorbereitete Dissonanz vor uns, wie sie die Alten nicht aner-
kannten. Deshalb erscheint es richtiger, den Vorschlag nur als Ver-
bindung der letzten Note /' zu des aufzufassen, und kurz auszuführen,
aber stark betont, in Agricolas Manier, so daß die Dissonanz, wenn
auch nur flüchtig, hervortritt. Diese Ausführung entspricht der Stimmung
„male pene" „tausend Qualen" am besten.
Takt 6 — 10. Die Vorschläge, die Peters als Viertel ausschreibt,
gehören zu den leitereigenen, die nur melodisch, aber nicht harmonisch
verändern, also nicht zu den veränderlichen, langen. Sie sind also kurz
auszuführen, aber mit dem Baß zusammenfallend.
Ä
m
SB
i
3E
P
£
3*3*
m
CO
ine voi sop-por - toanch-io, sop-por - toanch-io
Peters ist demnach zu verbessern. — Alle anderen Vorschläge
nach den Regeln.
A. S. 65. Peters S. 35, Nr. 21. Takt 10. Auf diese Stelle
habe ich bereits im allgemeinen Teil hingewiesen. Sie bildet einen
Beweisgrund, daß kurze Vorschläge auch unbetont, anticipando üblich
waren, gegen Agricola-Bachs Behauptung, sie seien stets betont. Die
Violine imitiert hier die Singstimme, in der unteren Quint, im jambischen
Rhythmus, der also auch für diese maßgebend ist, also:
I
m
5
¥
gWH^
iHü i
SE=E
£
mp
se pro - vas- te
un sol mo -
Auf die Furienszenen folgt in der italienischen Partitur sofort
Szene II, im Elysium (Peters Nr. 25). Gluck hat bekanntlich diese in
der französischen Partitur viel breiter behandelt, und außer einem Ballett
in D-moll eine Arie der Euridice nCet asile aimable" hinzugefügt. Die
modernen Aufführungen haben mit Recht diese wundervollen Stücke
Zweiter Teil. 215
aufgenommen. Ich lasse also hier die Arie der Euridice folgen, wie sie
die französische Partitur (B) S. 114 wiedergibt. (Peters S. 38, Nr. 24.)
Die Ausführung der Vorschläge ist hier von besonderer Bedeutung
für den Verlauf der reizenden Melodie!
Takt 18. Daß die Vorschläge als lange, also Achtel, gemeint
sind, ergibt sich aus den Violin- bezw. Klarinettenstimmen des Taktes 23, wo
dieselbe Melodie erscheint, in Achteln ausgeschrieben, und noch mit einem
Vorschlag (d) bereichert. Gluck hat hier, Takt 18, die Form des Vor-
schlags gewählt, um zu vermeiden, daß Sänger und Spieler schon hier
einen Vorschlag (d) hinzusetzen, den er sich lür die Wiederholung auf-
sparte. Man denkt an Leopold Mozarts Erklärung, warum die
Komponisten oft dort, wo sie ausschreiben konnten, doch die kleine Note
wählten. Der Echoeffekt (flamme, VdineJ wiederholt sich im Ver-
laufe des Stückes (z. B. schon Takt 20 ivresse — laisse).
Takt 20 ebenso. Die Vorschläge in den Klarinetten Takt 21 ff
natürlich kurz, damit die Dreiteiligkeit der Figur erhalten bleibe.
Takt 24. Dieser Vorschlag nimmt nach der Regel, wie sie Leopold
Mozart ausdrücklich gibt, die ganze Zeit der Hauptnote und des
Punktes, so daß sie selbst erst zur Zeit der angegebenen Note erklingt, also:
HgÜJ j J^Rj
sens et la
les
Takt 26 wie Takt 18. Takt 36 wie Takt 24. Takt 42. Man kann
den kurzen jambischen Vorschlag, e, der Klarinetten auf die Singstimme
übertragen. Takt 43 wie Takt 18. Echo! vgl. auch hier 4 Takte weiter
die Klarinetten und Violinen. Takt 48. Der Vorschlag, g, in den
Klarinetten kann auf die Singstimme übernommen werden. Takt 49 wie
24 und 36. Takt 51. Wieder lange Vorschläge, das c der Singstimme
dissoniert wundervoll mit dem da der zweiten Violinen. Takt 61 wie Takt 24.
A. S. 70. Peters S. 42, Nr. 25. Die Bezeichnung „Quasi Rezitativ"
stammt nicht von Gluck. Die Accente sind hier mit besonderer Vor-
sicht anzuwenden, immer mit Beobachtung des harmonischen Verlaufes.
Die Charakteristik, und alle tonmalenden Bewegungen sind ins Orchester
verlegt. Der Sänger soll sich ihm unterordnen.
A. S. 88. Peters S. 51, Nr. 28. Takt 10 kann man eine jener
weite Intervalle verbindenden Kadenzen anbringen, wie sie Hiller er-
wähnt, die hier der Illustration der Worte „placido albergo* gut eignete:
f b p r JJJJJJ?TOTpi
al - ber - - - go
216
Zweiter Teil.
A. S. 93, Pt. Nr. 30. Von den Accenten ist der übliche Gebrauch
zu machen, einige Vorschläge sind angedeutet, andere hinzuzufügen.
p v^^iiJjl^J^ ^hJ^iHr p j JJbj^
Or-fcosonio e vi-vo an-cor mase - gula-moi) ca-min i pas-si tuoi
Keine Accente bei der Stelle: la costanza, la fede.
A. S. 104, Pt. No. 31, Duett. Takt 3 und 8. Die Vorschläge als
leitereigene und harmonisch indifferente sind kurz, und zwar jambisch;
der aufsteigende Gang der Violinen darf nicht rhythmisch alteriert werden.
Takt 10. Ebenso. Takt 24 und 26. Die Schleifer sind hier des Affektes
wegen (t'wanno) sehr scharf und energisch auszuführen. Takt 27. Der
Vorschlag e ist nach der Regel lang, ein Viertel, so daß die Singstimme
die Hauptnote f auf das zweite Viertel bringt, wo die Violine ihr /' auf-
gibt. Takt 42. Die Vorschläge nach der Regel als Viertel. Takt 43
und 44. Die lombardischen Noten sehr kurz und bestimmt. Takt 52.
Der Vorschlag h gilt ein Viertel, und löst sich auf, noch bevor die Viola
ihr h aufgibt. Takt 89. Vor dem dritten Viertel in beiden Stimmen
kurze, jambische Vorschläge, c und e.
A. S. 116, Pt. Nr. 33. Takt 30 stößt das d der Singstimme mit dem
Vorschlag es der Violinen, der nach der Regel als Achtel zu behandeln
ist, zusammen, und es entsteht eine der „acciacatura" entsprechende
Dissonanz, wie die Organisten das Zusammenanschlagen der Sekunden
nennen, von denen die eine sofort losgelassen wird, während die andere
liegen bleibt. Ebenso Takt 33. Peters hat hier der Singstimme den
Vorschlag der Violinen hinzugefügt, so daß die schöne Härte ffiero und
barbaro) entfällt. Takt 31. Der Vorschlag c kurz, antizipiert, so daß er
as
die Dissonanz h nicht zur Konsonanz des Fmoll-Dreiklangs abschwäche.
Ebenso Takt 34. Takt 52. Der Vorschlag gilt gegen die Regel ein
Achtel. Die Stelle ist eine Wiederholung des Taktes 50, wo Achtel notiert
sind; auch tritt so die synkopierte Bewegung der zweiten Geige klarer
hervor. Takt 61. Der Vorschlag nach der Regel kurz, jambisch. Takt 65
wie 52.
A. S. 123, Pt. No. 34. Übliche Einfügung der Accente:
^1 ^ f § j JaJ ii h B ^s
n\
dun-que mo - rir degg* io
si
la - ce - ra il cor
A. S. 129, Pt. Nr. 35. Die vielbewunderte und vielgetadelte Arie
des Orfeo „Che furo" in Rondoform. Die Vorschläge Takt 4 bezw. 10
bestimmen die Melodie wesentlich. Übereinstimmend steht in allen
Zweiter Teil.
217
Partituren eine kleine Note, l\ </, vor der Hauptnote a. Daß es sich
um einen langen Vorschlag handelt, ist von vornherein klar. Aber die
Regel, daß er an die Stelle der Hauptnote trete, ist hier nicht anwendbar.
Die Phrasen A und B
i
f^W^
-P3 Ji J . — aA
ZH-H-
£
7
[Ch
e fa - ro sen-zaEu-ri - di - ce
ido-ve an - dro sen-zailmio ben
bilden Vorder- und Nachsatz, die sich rhythmisch genau entsprechen.
Gibt man dem Vorschlag den Wert der Hauptnote und läßt sie selbst
auf dem zweiten Viertel eintreten, so ist die rhythmische Korrespondenz
zum Vordersatz gestört. Dem entgeht die Bewertung des Vorschlages
als Achtel, also:
P
g
jrT-Jrn
do - ve an - dro
sen -
Der Vorschlag auf „ben" ist nach der Regel ein Viertel. Peters
schreibt bei den Wiederholungen zwei Viertel aus, interpretiert also richtig.
Takt 25. Nach dem Schwellton eine kleine Verbindung, wie sie an
solchen Einschnitten stets gebraucht wurde:
W
** j J Cr O^
ris - pon
di,
Jo
son
Takt 28. Der Vorschlag k auf dem dritten Viertel im Unison mit
den Geigen als Achtel, wie ihn Peters ausschreibt. Takt 30. Den Vor-
schlag fin lange halten, die Auflösung g ganz am Ende piano andeuten
und als Überleitung nach Cdur ein f pianissimo anfügen.
/?\
w
j Jjj * j\ t|J> Ü
fe
del
che fa
Oder eine kurze Verbindung:
I
*
it
Ü^Tl* J\ iii^
fe - 'del ehe fa
Takt 41/42. Ein Vorschlag und eine verbindende Note:
i
m
&
Rn - ri - di - ee.
Eu - ri - di - ce
218 Zweiter Teil.
Takt 48/49 kann eine ausschmückende Figar einschalten und einige
Noten zur Verbindung mit dem Themaeinsatz einfügen:
l" ' ' * ' J j * j> i,JM
dal ciel f-he fa
A. S. 133, Pt No. 36. Die Vorschläge, Takt 10, kurz. Achtel er-
gäben unruhige, dissonierende und der Stimmung widrige Beziehungen
zu den Geigenfiguren. — Am Schluß „oh fausto giomo, oh Amov pietoso"
keine Vorhalte, die den Ausdruck der Freude abschwächten.
A. S. 151, Pt. Nr. 38. Die Vorschläge überall nach den Regeln.
Takt 11 — 13. In dem Solo des Amor nach seinem Einsatz „ma pol la
pena" im Unison mit der Bratsche als Achtel.
Iphigönie en Aulide.
Ausgabe Pelletan.
(Ich hebe nur diejenigen Stellen hervor, deren Interpretation
Schwierigkeiten bereitet.)
Akt I. Szene 1. „Brillant auteur" S. 18. Takt 9. Vorschläge von
unten, welche nicht die vorhergehende Note wiederholen, kommen nach
Agricola gar nicht, tatsächlich aber doch, wenn auch selten, bei Gluck
sogar häufig vor. Über ihre Bestimmung als kurze oder lange verlautet
nichts. Wir sind also auf Entscheidung von Fall zu Fall angewiesen.
Über den Gesang Agamemnons ist eine wundervolle Ruhe ausgebreitet,
aus der sein volles Vertrauen zur Güte und Gnade Dianens spricht,
während in den Synkopen der ersten Violinstimme noch die Erregung
des Vorangegangenen nachzittert. Deshalb entsprechen der Singstimme
ruhig schreitende Bewegungen. Ein kurzer, selbst nur jambischer, Vor-
schlag unterbräche sie. Der Vorschlag sei also lang. Unter demselben
Gesichtspunkt ist der Vorschlag des Taktes 11 als Viertel auszuführen.
Er tritt übrigens nur scheinbar frei ein, in Wirklichkeit stellt er eine
Fortführung der Fagottstimme vor. Takt 14. Auch hier bleibt der oben
gegebene Gesichtspunkt maßgebend: beide Vorschläge lang, als Viertel:
ex au - ce ma pri e - re et rem - plis
Akt 1. Szene 5. „Que faime ä voiru S. 67. Auch hier müssen
ästhetische Erwägungen den Ausschlag geben. Klytämnestra — ahnungs-
los der Vorgänge — freut sich des liebevollen Empfanges. Ihre Arie
ist graziös, heiter gestaltet. So sollen auch die Vorschläge überall kurz,
Zweiter Teil. 219
regelmäßig jambisch sein. So schon diejenigen der Klarinetten und Yiolen
Takt 1 — 3. Takt 5. Das Zeichen bedeutet den Pralltriller hier angehaucht.
i
ren dre
Takt 13. Der Regel nach währte der Vorschlag ein Viertel, was
eine hübsche Dissonanz ergäbe. Trotzdem bin ich für die kurze trochäische
Form, im Einklang mit den Instrumenten, weil der pikante Rhythmus so
besser hervortritt. Ebenso Takt 15 und 17.
Szene 5. Nr. 2. S. 85. »Les voeux, dont ce penple". Takt 12. Der
Vorschlag d kurz, jambisch, als Terzenverbindung. Takt 19. Wieder ein
Vorschlag von unten, der hier die Bedeutung der Auflösung des Leitetones,
d?'s, der Violinen hat. Er muß deshalb betont, auf die Thesis kommen,
und zwar kurz als Sechzehnteil. Achtel hätte der Komponist ausge-
schrieben. Überdies korrespondiert nur so der Rhythmus dieses und
des folgenden Taktes mit dem in dem ganzen Stücke herrschenden: J Jjl.
Szene 7. „L'ai je bien entendu?" S. 96. Takt 10 und 11. Die aus-
drucksvollen Pausen wahren! Vorschläge als Achtel. Takt 12. Wieder
ein Achtel, als Antwort auf die vorangegangene Phrase. Die anderen
Vorschläge kurz jambisch, nur ausschmückend, da sie in der Parallel-
stelle, Takt 15, fehlen. Takt 21. Der Regel nach müßte der Vor-
schlag c als vor einem Achtel mit folgenden Sechzehnteilen, wie ihn die
Violinstimme notiert, kurz -jambisch sein. Ich möchte hier aber von der
Singstimme aus bestimmen, als der führenden, und mich für einen langen
Vorschlag entscheiden, weil das ganze Andante in seinem zarten, weichen
Schmerz auf fallenden Rhythmen — u beruht. Ebenso Takt 24 und 25.
Szene 8. „Iphigenie, helas!" S. 105.
Takt 5. Der Vorschlag h nur als port de voix verbindend. Takt 15.
Hier ersetzt der Vorschlag, wie im Rezitativ, die erste Hauptnote.
Ebenso Takt 17. Takt 20. Der Vorschlag hier, gegen die Regel, als
Achtel, damit die Dissonanz des zweiten Viertels (a, e, d) das dissonierende
d schon vorbereitet finde.
Dieselbe Szene nC?iieUe, non jamais", S. 107, Takt 14. Der Vor-
schlag der Violine fehlt in der Singstimme. Da diese beiden Stimmen
sonst durchweg unison gehen, ist er in dieser unbedenklich zu ergänzen.
Er gilt nach der Regel ein Viertel. Ebenso ist der Vorschlag, dis, des
dritten Viertels normgemäß als halbe Note zu behandeln. Takt 21.
Führte man die Vorschläge nach der Regel so aus, daß dem d der ersten
Violine eine halbe Note, dem gis der zweiten Violine ein Achtel entfiele,
220 Zweiter Teil.
so entstünde eine häßliche Leere in den Quarten des zweiten Taktteils,
die vermieden wird, wenn jener nur ein Viertel gehalten und die Haupt-
note auf dem zweiten Taktteil angeführt wird. Etwas Steifes behält die
Stelle auch so. Takt 32 der kurze Vorschlag, g, der Violine, der Sing-
stimme zuzusetzen. Takt 33. Der Vorschlag, dis, ist die natürliche
Fortführung der Tenorstimme, technisch eine Erleichterung zum Ansatz
des h. Er ist deshalb auf die Thesis zu legen, aber ziemlich kurz abzu-
fertigen.
Dieselbe Szene, Duo „Ne doutez jamais", S. 112, Takt 2. Der Vor-
schlag, d, in den Oboen und Violinen als Achtel, so daß die Hauptnote,
eis, die Auflösung auf dem ersten Viertel bringt, und liegt, wenn die
durchgehenden Noten ßsy a des zweiten Viertels eintreten. Takt 3 aus-
schmückende kurze Vorschläge zwischen Terzen. Takt 9 und 10. Die
Vorschläge müssen hier als Achtel genommen werden, und die Auflösung
mit den Violinen erfolgen. Takt 20. Der Accent an die Stelle der
Hauptnote. Takt 23 und 24 wie Takt 9 und 10. Takt 26. Der Vor-
schlag eis kurz, trochäisch, gewissermaßen als »cercare la nota". Takt 42.
Die Vorschläge der Singstimme müssen sich auch hier nach denjenigen
der Instrumente richten. Diese aber können nur kurz, jambisch sein,
betrachtet man die Violinstimmen, wo sie vor der Achtelbewegung stehen
die nicht alteriert werden darf. Folglich sind auch die der Flöten und
Oboen, und der Singstimmen in derselben Weise zu behandeln.
Akt II. Szene 1. »Par la crainte." S. 130. Hier dürften alle Vor-
schläge den Regeln nach auszuführen sein. Takt 9 ist die Pause einzu-
halten, Takt 42 der Vorschlag als halbe Note zu behandeln, also die
Pause zu eliminieren, weil die musikalische Phrase fortläuft, und der
Nachsatz sich besser anschließt; auch der Text verlangt eine ununter-
brochene Anknüpfung.
Szene 3. „Achille est couronne." S. 156. Takt 3. Der Pralltriller
setzt nach dem ausgeschriebenen Vorschlag ein, und bildet seine erste
Note, darf also nicht wiederholt werden:
couronne
Takt 8. Ein Pralltriller:
m
i r rrr.
i 1 — — i — i
.ß-ß.
ssaat:
:=V-
le pa - - - - rent
Zweiter Teil.
221
Szene 4. nPar im pr're cruel.u S. 215. Areas hat sich dem Hoch-
zeitszuge entgegengestellt, und gemeldet, daß Agamemnon am Altar harre,
die Tochter der Diana zu opfern. Auf die zornigen Chöre folgt dieser
Gesang der Klytämnestra, in dem sie Iphigenie in den Schutz des
Achilleus stellt. Ich halte ihn für einen der wenigst gelungenen der Partitur
(a. M. Neitzel, Führer durch die Oper I S. 58). Die Haltung der Mutter ist
allzu gefaßt. Das Stück gewinnt, wenn es nach Wagners Anweisung
langsamer, 4/4 s*a^ Öo ausgeführt wird. Die Verzierungen müssen so ge-
staltet werden, daß die Erregung der Mutter und ihr Vertrauen in Achill
zugleich zum Ausdruck gelangen. Lebhafte, steigende Rhythmen sind
also zu bevorzugen. Die kurzen springenden Vorschläge werden somit
trochäisch, scharf betont sein. Takt 2. Schon diesen Schleifer würde
ich stark markieren, der Vorschlag ist nur verbindend. Entsprechend
die folgenden Takte. Takt 7. Der erste Vorschlag lang, der andere ver-
bindend. Takt 10. Der Vorschlag, korrespondierend mit dem Schleifer
des Ritornells, trochäisch, kurz, stark betont. Ebenso Takt 12 und 15.
Takt 20. Ein langer Vorschlag. Takt 28. Hier ein kurzer jambischer
Vorschlag; das sforzato der zweiten Violine deutet an, daß das eis her-
vortrete.
Szene 7. „0 toi, Vobjet le plus aimable." S. 260. Die Deutung der
Verzierungen bedingt den Verlauf der wundervollen Melodie wesentlich.
Eine Entscheidung, die alle Zweifel beseitigt, ist kaum zu treffen. Ich
glaube, daß die Vorschläge a des zweiten Taktes in den Flöten, und
derjenige des dritten Taktes a veränderliche, lange sind. Ph. Em. Bach
vindiziert ihnen im 3/4"Takt ^[e Hälfte der Hauptnote, Leopold Mozart
drei Teile. Die Entscheidung gibt Takt 3, wo die Bässe auf dem letzten
Viertel mit der Nachahmung des Themas einsetzen. Hier aber steht der
Vorschlag vor einem punktierten Viertel, kann also nur ein Viertel be-
anspruchen. Daraus ergibt sich die Währung der Vorschläge. Die Stelle
gestaltet sich also:
Flöten
Violinen
Bratschen
Fagotte
Bässe
4 I— I
^•^
5SEi-£EE
:^tz3
4
^ü^g^^i
Gegen diese Auffassung könnte man einwenden, daß die Oktaven
zu der von den Bratschen und Fagotten gehaltenen Quint e hohl klingen,
222 Zweiter Teil.
was vermieden oder doch gemildert würde, wenn die beiden Vorschläge
kurz ausgeführt würden. Ich bin aber sicher, daß Gluck so die Hilf-
losigkeit, die Angst Agamemnons hat schildern wollen. Schon in dem voran-
gegangenen Rezitativ „A moi, soldats" (S. 251 der Pell. Ausgabe letzter
Takt und S. 252 erster Takt) erklingen Oboen und Flöten in leeren
Sexten, die Wagner vervollständigt hat, gegen die offenbare Absicht des
Komponisten, jene Affekte zu schildern. Auch in unserer Stelle ist die
scheinbare Leere charakterisierend. Takt 4. Den Schleifer weich an-
schließen. Takt 8 bis 11 und 33/34 der oben gegebenen Ausführung
entsprechend; entscheidet man, gegen meine Auffassung, für den kurzen
Vorschlag, so kann er nur trochäisch-betont sein, einmal aus harmonischen
Gründen, da nur so Dissonanzen entstehen, während Jamben die lang-
weiligsten Konsonanzen brächten, dann aber aus solchen der metrisch-
sprachlichen Betonung.
Nachtrag.
Erst nachdem die Drucklegung dieses Werkes ihrer Vollendung ent-
gegenging, gelangte ich in den Besitz photographischer Reproduktionen
derjenigen Aussetzungen Händelscher Einzelgesänge, welche
die Lennard- Sammlung des Fitzwilliam -Museum zu Cambridge auf-
weist. An dieser Stelle möchte ich zunächst den Messrs. Edward
Dent und Chaßman, erstem Bibliotheksassistenten, daselbst, meinen
besten Dank aussprechen für ihre werktätige und erfolgreiche Unter-
stützung. Die Sammlung enthält eine Reihe von Kopien Händelscher
Werke, die sein Freund und Amanuensis, Christoph Schmidt, vom
Autograph übertragen hat. Sie gehörte Mr. Francis Barret Lennard,
der sie von seinem Yater erbte, und vor einigen Jahren dem Fitzwilliam-
Museum zum Geschenk machte. Hier finden sich die Zusätze, mit Blei-
stift in dem System der Gesangsstimme oder über ihm, die Kadenzen
an einer freien Stelle einer Instrumentalstimme über jener notiert.1) Die-
selbe Quelle hatte Max Seiffert für diejenigen Verzierungen benutzt,
die den ersten Teil des Messias betreffen,2) während die der anderen
Teile einer Schmidtschen Kopie entnommen waren, die der kürzlich
verstorbene Tonkünstler Otto Goldschmidt in London besaß. Seiffert
glaubte nun diesen Verzierungen eine authentische Bedeutung in
dem Sinne zusprechen zu müssen, daß sie von Händel gebilligt in die
für den Cembalisten bestimmte Partitur eingetragen worden seien und
daß der „Konzertgebrauch ihre Eintragung in die Partituren durch
Schmidts Hand veranlaßte." Auch ich hatte Seifferts Ausführungen
anfangs für beweiskräftig gehalten,3) muß aber nunmehr, nach näherer
Prüfung der Sachlage, sie für hinfällig erklären, jedenfalls soweit sie
x) Die Zusätze erstrecken sich auf die Oratorien: Alexander Balus 4 Arien, L'Allegro
e Pensieroso 3 Arien, Judas Maccabäus 2 Arien, Israel in Egypten 1 Arie, Hercules 2 Arien,
Jephta 1 Arie, Samson 3 Arien, Theodora 2 Arien, Messias 2 Arien, und die Opern. Alcina
4 Arien, Floridante 4 Arien, Giulio Cesare 2 Arien, Rodelinda 1 Arie, Kadamisto 1 Arie,
Siroe 1 Arie, sowie 7 Anthenes und 4 Duette.
2) Sammelbuch der I. M. G. VIII, S. 581 ff.
3) Zeitschrift der I. M.-G. Jahrgang 1907.
224 Nachtrag.
die Lennardsche Sammlung betreffen. Die Verzierungen sind nämlich
hier garnicht von Schmidts Hand hinzugefügt, sondern von einer
anderen. Das hatte mir bereits Mr. Mann, Leiter der musikalischen Ab-
teilung des Fitzwilliam -Museums, ein ausgezeichneter Kenner Händel-
scher Kunst, mitgeteilt. Eine Prüfung der photographischen Reproduk-
tionen bestätigt das auf den ersten Blick. Nicht nur tragen die Noten
und Notenzeichen einen anderen Schriftcharakter, auch die den Kadenzen
untergelegten Wortbuchstaben sind von anderem, von der Schmidtschen
Handschrift wesentlich unterschiedenem Aussehen. Sie deuten eher auf
die späteren Dezennien des achtzehnten Jahrhunderts. So ist der
Seiffertschen Beweisführung der wesentlichste Stützpunkt entzogen und
sie fällt in sich zusammen. Hätte er die Originale eingesehen, und sich
nicht auf die von Chrysander gefertigte Abschrift verlassen, so wäre
ihm dieser Irrtum erspart geblieben. Woher nun diese Aussetzungen
stammen, wird sich kaum noch ermitteln lassen. Da die Kollektion
Lennard früher, wie Mr. Mann festgestellt, im Besitze des Tenoristen
Samuel Harrisson (1760 — 1813) war, so liegt die Folgerung nahe, daß
er ihr Autor sei, und sie vielleicht für seine Schüler aufgezeichnet habe.
Jedenfalls, und das gibt ihnen Wert, verraten sie eine mit einer festen
Tradition verwachsene, wenn auch, wie wir sehen werden, nicht muster-
gültige Technik. Auch wenn wir davon abzusehen haben, Händeis
Autorität für diese Aufzeichnungen in Anspruch zu nehmen, so verlohnt
es sich doch, auf sie näher einzugehen, um festzustellen, wie in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts gesungen wurde, und zu prüfen, ob sie
der heutigen Musikausübung eine brauchbare Vorlage liefern.
Unsere Aussetzungen (Anhang Q, a-e) lassen in erster Linie einen
wesentlichen Unterschied in der Behandlung der Gesänge des Oratoriums
und der Oper erkennen. Dort bescheiden sie sich — und das gilt nach
Mr. E. Dents Prüfung auch für die nicht im Anhang mitgeteilten — mit
der Einfügung von Manieren, vorzüglich des Vorschlags, des Pralltrillers,
dessen erste Note meist durch eine Vorschlagsnote markiert ist, und des
Doppelschlags, sei es der Diminution der Hauptnote in diese Figur, sei
es des verbindenden, vielfach mit einem, durch eine kleine Note ange-
deuteten, angehängten Nachschlags. In den Operngesängen ist die
ornamentale Ausschmückung eine weit reichere. Einmal ist von denselben
Manieren in weit ausgiebigerer Weise Gebrauch gemacht; dann aber führen
sie, auch außerhalb der Kadenzen, zahlreiche kleine Passaggien und
Notenzerlegungen mit sich. Kadenzen weisen nur die Operngesänge aus
Siroe und Alcina {Verdi prati) auf.
Schon aus der Lektüre des Gesanges aus Judas Maccabäus (Q, a 1)
ergibt sich die große Ähnlichkeit mit der Bearbeitung, die uns Seif f er t
Nachtrag. 225
für die Gesänge des Messias zugänglich gemacht hat. Überall sind es
jene oben erwähnten Manieren, dazu bestimmt eine melodische Bereicherung
anzustreben. Zu beachten ist, daß in unserem Fall kein Da capo vor-
liegt, der Vortrag also nur in dieser Form erfolgte. Was die Ausführung
im einzelnen betrifft — und dasselbe gilt auch für die andern Beispiele
— so ist einmal das Zeichen des Doppelschlags überall so angebracht,
daß es rechts über die Hauptnote gesetzt die nach ihr eintretende, die
Verbindung zur nächsten Note bewerkstelligende Figur, über sie gesetzt
aber ihre Diminution selbst anzeigt, wie z. B. Takt 9. Wo die Vorschlags-
note und das Zeichen des Pralltrillers vermerkt sind, bedeutet jene
natürlich nur die erste Note dieses, vor dem langen Triller hingegen
einen veränderlichen, langen Vorschlag, dem sich der Triller auf der
Hauptnote anschließt (cadence avec appiä). Das Zeichen t oder tr steht
— neben der Hauptbedeutung des langen Trillers — sowohl für den
Pralltriller als für den Mordent, nicht aber hier für den Doppelschlag,
der überall ein eigenes Zeichen, ein Kreuz, hat. Wo der Pralltriller, wo
der Mordent einzusetzen hat, ergibt sich aus den uns bekannten Normen ;
so wird in Takt 22 der Mordent gemeint sein, kein Pralltriller, der die
aufsteigende Skala verwischte. Die Wahl zwischen veränderlich-langem
und unveränderlich -kurzem Vorschlag brauchte der Bearbeiter eben-
falls nicht anzudeuten, da die Regeln für ihre Unterscheidung als
bekannt vorauszusetzen waren. Die Vorschläge Takt 7, 14, 16, 18
sind kurze; lange dagegen sind anzunehmen im Takt 8. In Takt 17 ist
der erste Vorschlag h, als vor einem unbetonten Taktteil kurz; der andere
hingegen ein ausdrucksvoller Vorhalt, dem mehr als die Hälfte des Wertes
der Hauptnote gebührt, gleich wie dem Vorschlage c des Taktes 20 und
h des Taktes 21. Auch der Gesang „Come euer smüing" (Q, a, 2) und
die Arie „Tkus when the sunu werden einer entsprechenden Behandlung
unterworfen. Wiederum sind es ausschließlich die kleinen Manieren, die
das Variationssubstrat abgeben. Es ist nun auffallend, daß diese Aus-
setzungen die Wesenheit des musikalischen und dichterischen Ausdrucks
gänzlich außer acht lassen. Das milde, andachtstiefe Gebet aus dem
ersten Teil des Judas Maccabäus, das die verzagten Israeliten wieder
aufrichtet, der Gesang an die Freiheit, in welchem die gewaltige Wucht
der vorangegangenen Kriegsgesänge nachhallt, der weiche Abschieds-
gesang Sämsons sind derselben, offenbar durch eine sichere Tradition
und Gewohnheit bestimmten Variationstechnik unterzogen. Schon aus
dieser ununterschiedenen Behandlung so wesensungleicher Stoffe ergibt sich,
daß es dem Bearbeiter durchaus nicht auf eine Steigerung der ihnen zu
Grunde liegenden Affekte ankommen konnte, daß es ihm vielmehr darum
zu tun war, die melodische Linie zu vervollkommnen und zu verbessern.
15
226 Nachtrag.
Ob ihm dies im Sinne jener Zeit gelungen, soll hier ununtersucht bleiben,
und mag zunächst nicht bestritten werden. Sie, an die weit reicheren
Zerlegungen der Operngesänge gewöhnt, dürfte die hier beliebte Aus-
gestaltung als bescheidene, ja als geflissentlich zurückhaltende, als stil-
gerechte und oratorienwürdige anerkannt haben. Anders aber steht es,
wenn wir den Maßstab unseres Musikhörens anlegen. Da erscheinen
uns alle diese Brechungen und Floskeln im besten Falle als überflüssig,
häufiger noch als störend, in zahlreichen Fällen aber als entstellend. Eine
Ausnahme mache ich nur für die Vorschläge, vorzüglich die veränderlich-
langen, die sogar affektiv zu steigern geeignet erscheinen. Ganz unmög-
lich, und unvereinbar nicht nur mit der Würde des Oratorienstils, sondern
mit dem Charakter des pathetischen Stils überhaupt, dünken uns die immer
wiederkehrenden Pralltriller und Mordente, vorzüglich dorten wo sie auf
Töne entfallen, die schon als Hauptnoten einen kürzeren Wert innehaben.
Auch den verbindenden Doppelschlag werden wir nur selten akzeptieren,
vorzüglich an denjenigen Stellen, wo es wirklich gilt zu verbinden. Für
unsere moderne Musikausübung bilden mithin diese hier gegebenen
Beispiele sängerischer Interpretation ebensowenig ein passendes Vorbild
als diejenigen, die Max Seiffert für den Messias mitgeteilt hat.1) Eine
diesen Vorbildern genäherte Wiedergabe müßte dem heutigen Hörer das
Verständnis für Hand eis Sologesang völlig verlegen, und einen wirk-
lichen Genuß vollends ausschließen.
Die Operngesänge (Q, c-e) bieten uns kein erschöpfendes Bild
der reproduzierenden Variationsmethode, weil sie in ihrem Empfindungs-
gehalt und der musikalischen Behandlung einander zu nahe stehen und
deshalb keinen Schluß zulassen auf affektuos anders geartete Stücke.
Es sind durchweg langsame Sätze, in denen ein schmerzerregtes Herz
bereits gefaßt und ruhig seine Klage vorträgt. Nur in der Arie aus
Alcina: „Ah, mio cor," vorzüglich im Mittelsatz durchbrechen das Leid
der Verlassenen auch heftige Erregungen der Rache. Leider enthalten,
wie mir Mr. E. Dent mitteilt, die anderen Arien nur ganz vereinzelte
Zusätze von Manieren, sodaß sie gleichfalls zu unserer Kenntnis jener
Ausschmückungstechnik wenig beitragen. Die Behandlung unserer
Opernarien unterscheidet sich von derjenigen des Oratoriums einmal durch
die Einführung einiger Manieren, die dort garnicht vorgeschrieben sind,
wie des doppelten Nachschlags, und des Anschlags, dann aber durch die
kleiner Passagien und Notenzerlegungen. Nur die Arie aus Siroe und
das weltbekannte Verdi prati aus Alcina führen Kadenzen mit sich. Auch
l) Ich verweise auch hier auf meine Besprechung des Klavierauszuges zum Messias
von Chrysander-Seiffert, Zeitschr. d. I. M.-G., Jahrg. 1907.
Nachtrag. 227
hier ist auch nur von dem Versuch einer Unterstreichung oder Hervor-
hebung des affektiven Inhalts nichts zu verspüren, vielleicht ausgenommen
den kurzen absteigenden Gang im Takt 34 der Arie aus Radamisto
„ombra cara", der das Wort „Vendetta" nicht übel auslegt. Auch diese
Veränderungen resultieren in erster Linie aus dem Wunsche einer Be-
reicherung der Melodie, einer innigeren Anschmiegung und Verknüpfung
der Noten untereinander, und der Zerlegung gehaltener Töne in Melismen.
Es tritt hier aber — anders als in den öratorischen Gesängen — unver-
kennbar die bravouröse Zweckbestimmung klar zu Tage. Die freie
Auszierung machte also in der Praxis selbst vor diesen breiten und ge-
tragenen Gesängen nicht halt. Diese Art der Behandlung pathetischer Stücke
verfällt unbedingt dem verdammenden Urteil jener Theoretiker, die wenigstens
sie intakt und vor der Veränderungssucht der Sänger geschützt wissen
wollten. Statt eines nachahmungswerten Vorwurfes liefern diese unsere
Varianten vielmehr ein lehrreiches Beispiel reproduzierender Willkür
sängerischer Eitelkeit. Auch die einsichtigen Musiker jener Zeit hätten
sich gegen solche Umgestaltungen des Originals energisch verwahrt.
Nicht anders hätten sie die Kadenzen beurteilt. Sie sind nicht thematisch,
sondern als Sängerkadenzen gebaut, weil keine dieser Arien, wie ja die
meisten im langsamen Tempo, Stoff bietet, der sich zur Wiederanführung
in einer melismatischen Formel eignete. Das ist also nicht auffällig. Hin-
gegen lassen sie — mit Ausnahme der Variante III der Kadenz zu Siroe —
die von den Theoretikern einmütig geforderte Beschränkung der freien
Kadenz auf den Ruhepunkt des Quartsextakkordes ausser acht, da sie be-
reits vor seinem Eintritt einsetzen, die Varianten I und II der Arie aus Siroe
sogar ganz auf dem ihm vorangehenden Hauptdreiklang sich festsetzen,
und den anschließenden Quartsextakkord ungenutzt lassen. Wenn
Chrysander, wie oben S. 151 erwähnt wurde, seine Kadenzen mehr-
fach in gleicher Form konstruiert, so kann er sich zwar auf diese Praxis
berufen. Es unterliegt aber keinem Zweifel, dazu sind die Aussagen
der italienischen und deutschen Autoren jener Zeit zu bestimmt, und
zu eindeutig, daß diese Arten des Kadenzierens als Ausschreitungen galten,
die Tosi, und mit ihm Agricola, ausdrücklich zurückweist, wenn
er ausführt, es sei eine unerträgliche Schwäche der Sänger, wenn sie
beanspruchen, das Orchester solle in seinem schönsten und geregelten
Laufe aufhören, um ihre schlecht erfundenen Einfälle abzuwarten. Daß
es sich in unseren Beispielen überhaupt nur um Floskeln handelt, der
Virtuosität eines beifallbeflissenen Sängers bestimmt, das ergibt sich einmal
aus ihrer mit dem Inhalt des Stückes inkongruenten Struktur nichts-
agender, ja banaler Wendungen, dann aber aus der uns bereits bekannten
Überlieferung, daß solche pathetischen Gesänge überhaupt kadenzlos,
15*
228
Nachtrag.
oder doch nur mit einer ganz kurzen Formel abgeschlossen zu werden
pflegten, und das noch zu Hillers Zeiten. Sie bringen aber den strikten
Beweis, daß sich eben nicht alle Sänger an die Vorschriften der Meister
hielten. Daß wir uns für die heutige Praxis an jene zu halten, nicht
aber die Auswüchse unbescheidener und unvernünftiger Sängergepflogen-
heiten wiederaufzunehmen haben, bedarf keiner besonderen Begründung.
Anhang.
A.
1. Zacconi, Prattiea di musica.
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Bovicelli, „Regole, passaggi di musica" Passeggirter Falsobordone des Giovanelli.
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6. Christophoro Malvezzi. Intermedii e Concerti. Venetia 1591. „Dalle piu alte sfere."
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8. Malvezzi, a.o 0.
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Pjralltriller, richtiger: Mordent nach Tosi Agricola
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B. Ornamente der Italiener und Deutschen von 1600-1640.
1. Accenti nach C rüger und Herbst. ,
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Cascata Caceinis.
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2. Vorschläge auf die Thesis fallend.
a. Caecini, Der Anfang des Madrigal Cor mio, Nnove Musiche von 1601, von ihm selbst aus-
schmückt, (auch Aviadi Roman esc a ebenda.)
etc.
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b. Derselbe. Amor io parto f. Tenor nach der Ausgabe v. 1607.
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(Präge?- Clementinum)
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f. Marinoni. II primo libro di Motetti a una
voce sola, Venetia 1614.
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4. Caccilli, Nuove Musiche, Madrigal „Cor mio" Nachschläge.
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Caccini, ebenda, Aria di Romanesca. Doppelnachschlag.
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5. Caccini, Ribattuta di gola.
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C. Cavaliere. Angelico Patta, dieselbe Figur als Vorbereitung zum
(Rappresentatione) Zimbelo. Secundentriller.
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6. Der lange gehauchte Triller.
a. Caccini. b. Herbst.
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c. Dan. Bolius.
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f. Monte verdi. „Orfeo."
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7. Der gehauchte kurze Triller.
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Der Triller ist hier
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d. Ottavio Durante, Arie devote.
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8. Der lange Tremolo der florentiner Schule. Trillo der Eömer.
a.Herbst und Crüger. descendens b.Cavaliere.(7W//ö.)
ascendens
9. Der kurze TremoIo,(Tremo]etto)der Schneller des Petri-Türk.
a.HerbstSchneller der Klassiker. b.Cavaliere. (niona China) « . .
* — ..„ a Mordent der Klassiker, v. vaccini.
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10. Der doppelte Tremolo, unser Doppelpralltriller.
Aa.Caccmi. etc. b. Praetorius.
c. Herbst.
c/c.
fc d. Caccini, «/« Nachschlag. e. Praetorius.
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11. Der Groppo oder groppolo.
a. Cavaliere. deutet den groppo durch eing* an. \yt Caccini.
c. Cadentia nach Crüger.
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d. Gruppo mit einem Accent.
a. Final Cadenz in Caccinis Madrigal „Cor mio."
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C Die römische Oper bis 1645 und Monteverdi's Spätopern.
1. Tonmalende Wendungen.
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2. Trochäische und jambische Vorschläge.
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3. Nachschläge.
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4. Der Schleifer.
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b. Monteverdi. „Incoronazione"
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5. Gehauchte Vocalisation.
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b.Carissimi.Aus der Kantate „Diluvium universale." Hamb.Stadtbiht.
fer- ra-rum ar- du- or tre-mis-cunt to - ni-tu
fer- ra-rura ar - du- or tre-mis-cunt to
Derselbe. Kantate „Dies malus." (ebenda)
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6. Triller.
a a. D. Mazzochi.^.
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j b. Triller, durch eine Secundenbewegung vorbereitet St.Landi.„Arie a voce sola"l620.
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4.3.
7. Doppelschlag.
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b. Derselbe. „Ritorno tfVlissei'Jreieinfre-
tender Dojypelschlag, der Anschlag Ag7'icola s.
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8.
a. Kadenz aus der zweiten Kantate,der von Gevaert angelegten Sammlung von Kan
Ja taten und Duetten des Carissini;Ms. der Bibl. Royal de Bruxelles.
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C. Kantate 9. derselben Sammlung. Duett. Schluss.
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d. Kantate „Tronchi si pensieri." ebenda
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4 3
j e. Luig'i Rossi. Kantate „Quanto eredulo." Der Sat 'z lautet beim erstenVbrtrag;
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D. Die venetianische Schule. Cavalli und Cesti.
1. Cavalli. „Egisto"
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6. Cavalli. „Erisniena."
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7. Jambische und trochäische Vorschläge.
Ja a. Cavalli. „Giasone."
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C. Cesti.„Da Dori."
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d. Cesti.„Pomo d'Oro."
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e. Derselbe ebenda. „ _ _..
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8. Nachschläge.
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C. Cavalli.„Didone."
Doppelter Nachschlag.
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9. Doppelschlag.
a a. Cesti. „Ponio d'Oro.".
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Jm b. Cavalli.„Ciro" Recitativ.
C. Cesti.„Pomo d'Oro."
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d. Cesti. „La Dori" Doppelschlagsbewegung in der Passaggie.
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a. Cavalli.„Giasone.rt
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b. Cesti. „Porno d'Oro."
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11. Kadenzbildungen.
a.Cesti.„Pouio tfOro." Schleifer und ,
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Jf. C. Aeolischer Halbschluss. ebenda. &.Caxal\i.,$.g\*Xo"AusgeschriebeneKad.
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12.
a. Franc.Provenzale. „Stellidaura vendicata"
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ran-no,ch'a tuodanno ve-glia ar- ma-
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6. Jamb. Vorschlag aus der Harmonie der
vorhergehenden Nöte, ebenda.
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f. Troch. halblanger Vorschlag.
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i. Lombardische Figur. „Stellidaura"
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Quest' os - cu - ro,
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i 1. Sospiri, Schleif er und Doppelschlag. „Schiavo "
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n. Ebenda. Duolenthema .
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O. Ausgeschriebener
Mordent. ebenda.
Ben-che a-man-te of-fe-so si-a, nac-qui al nion-do Ca-va
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E. Alessandro Scarlatti und die ältere neapolitanische Schule.
1. L'Amazone Guerriera,lfi89.
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2. Griselda.„Amanti,ehe piangete."
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3. „Prigionero fortunato."
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4. Griselda.„Quando tiranno Aniore."
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5.„Prigionero fortunato." „Ondeggiate.1
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Die andern Stimmen schweigen.
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6. Theodora AugUSta. Anfang des Ritornells.
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Einsatz des Gesangsthemas.
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9. Tigrane. „Susurando." Andante.
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13. Theodora Augusta.
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14. Tigrarie.
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15. Onestä negli Amori. „Per dar lampo."
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16^ Cambise. „Tutto appoggW
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17. Tigrane. „Care pupille."
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18. CambiseVTutto a^poggiot1 Sekluss des Mittelsatzes.
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19. Mitridate.
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20. Griselda.
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21. Mitridate.
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22. Tigrane. .,I)el Amanteconfido."
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23. Prigionero fortunato.
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24. Mitridate.
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25. Tigr^ne. Jambischer Vorschlag; 2ß. L'onesta negli Amori.
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29. Cambise.
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31.Prigionero fortunato. 32. Mitridate.
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34. AgOStillO Steffaili. «».21204 der Kgl. Bibl. Berlin. N<?tO.
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35. Ag. Steffani. „II trionfo del fato."
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36. Tassilone.
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38. Kadenz.tonisch. „n trionfo dei fato."
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39. Dominantische Kadenz, ebenda
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40. Songs in the New Opera caird of Camilla.
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4.2. Ebenda. Schluss des Mittelsatzes der Arie.
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Kadenzierter Schluss des Mittelsatzes.
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44. G. Bononcini„Griselda" ,Ncl caro sposo"
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45. Antonio Lotti.„Giove in Argo."
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46. A. Lotti. Kantaten. Kgl. Bibl. Berlin. Ms. 13210. Ritornell.
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47. A. Lotti. „Allesandro Severo."
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48. Legrenzi.„Echidiri
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9. A.Lbtti. Kantaten. Ms. 13211 Kgl. Bibl. Berlin.(vil)
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50. Caldara. „ I dne Dittatori."
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51. Caldara. Ebenda.
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53. Caldara. Ebenda.
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54. Leonardo Vinci. „ Alessandro nellelndie."(n29)
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57. Giulio Alessandri. „ Santa Francesca Romana<<
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58. Ebenda. Arie des Battista.
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61. Caldara. „Gesü presentato nel Tempio" (1735)
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Violine II.
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Eva.
62. Caldara. „La Morte d'Abel."1733
Andante.
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K Die französische Theorie im 17, und in den ersten Decennien
des 18. Jahrhundert.
I.Port de voix.
1. Mersenne^ Harmonie universelle 1636.
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2. Bacilly. a) Port de voix plein.
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b) P. d. v. glisse on Coule. c) poft dc ^ d) Zwisclien Terzen.
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3. Jean Rousseau. 1678.
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a) Mersenne.
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b) Bacilly. reconstruirt.
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2. Kurze Trillerform,
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b) Martellement (Mordent)
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e) Pince (Mordent) mit vor-
wohl auszuführen, appui ausgeschicktem Port de voix.
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f) Gr. Muffat. Semitremulus, pincemect, g) Tremulus, trillo, tremhlement, fredon.
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tremblement coupe.
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III. a) Loulie. Balancement
a (gehauchte Vocalisation)
b) Brossard.
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e) Monteclair.
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IV. a) Loulie. Tour de gosier.
b) Triller und Tour du gosier.
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C)Affillard. Double cadence coupee.
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d) Muffat.
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f) Monteclair.
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V. a) Berard-Blanchet. Port de voix.
(reconstruiert.)
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b) J. J. Rousseau. Fiatte
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e) Cadence pleine.
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G. Die französische Praxis dieser Periode.
1. Mersenne „Harmonie universelle" Livre cinquieme, Proposition XXVIII
Ja Air de Boesset. Chant simple.
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lieu. Dans
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Port de
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par sa r ri- gueur.
*)Die kleinen Noten bezeichnen den Chant simple des Moulinie, der nur hier von dem-
jenigen des Boesset abweieht.
46
2. Autre fa9on de chanter de Monsieur Moulinie.
J Chant simple.
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N'e-spe
Port de voix.
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re. Le ciel jaloux
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47
3. XXII Livre de Chansons pour danser et pour boire, par Robert
Ballard 1663 (Bacflly.)
Ausgeschriebene Verzierungen, port de voix, martellement, coule.
jm J J1' I p J j 1 Im H p p r llt 1 i er :|1
C'est ine trai-ter tout,coninie un au-tre, Puis-que vous n'a-vez pointd'Amant,
Port de
▼oix.
i Port de iambischer
De ne vou-loir pas seu- le-ment,Que je nie de- cla - re le vo-stre.
P.d.v. ^
plp Hl i pj picjcir itjj/^; «^ I
Si je nesuis, que vo-stre a-iny vous ne me te - nez, qu'a de-my
|^<rJ: 1 1 M
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Une A-mour nou - vel - le metienten- ga - ge. En-fin j'ay chan-ge
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ce cceur in- fi - de _ le, Qui mal a pro-pos trou-bloit mon re-pos,
4. Lully. „Armide" Melodische Koloratur.
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5. Lully. „Isis" Air. Melismatische Themenbildung: Chefs d'oeuvre de l'opera francais,
^ £.+ „Isi^ S. 289.
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6. Lully. „Armide"
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7. Lully. These'e a. o. 0. S. 25.
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9. Lully. „Roland."
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10. Lully. Recitativ aus „Atis," von Berard verziert.
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Ciel! quel-le va- peürm'en- vi
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Ciell quel - le va -peur m'en - vi
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1
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t) Der Accent Berards entspricht offenbar nicht einem Nach- sondern einem Vorschlag!
2) Der Platte ist hier nach J. J. Rousseau Dlctionnaire notlrt. Berards Definition lässt sich mit dieser
Pigur vereinigen. 3) Der Port de volx besteht bei Berard in der Vorschlagsnote mit abschliessendem
Platte*, entspricht also der Pigur., die Rousseau a. oO notiert. Der Accent des Taktes bezieht sich wohl
auf die aweite Note.
49
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Je trem-ble ettout a
Cad.precip.
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Je trem-ble ettout a
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Port de voix
entier.
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bruit,quel e- clat de ton
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1) Die Cadence precipitee ist jedenfalls eine kurze Trillerform, genauer lässt sie sich nicht bestim-
men.
2) Diese Kombination läuft wohl darauf hinaus, dass die Vorhaltsnote (f) geschwellt wird.
50
11. Campra.„Tancrede." Tragedie lyrique 1702. (Ausgabe v. Lajarte.S. 226)
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V In der Cad. appuyee beansprucht nach Berard das appui die Hälfte des Wertes der Hauptnote. Sie
mufis stets entweder die folgende Note vorher bringen, oder mit einem Nachschlag enden wie hier.
2) Hier scheint der Accent als Nachschlag gemeint.
;3) Die Cad.molle hat keinen appui, und die Trillersehläge sind langsam und weich. (mollement)
*) Die Demi Cadence macht einen Schwellton auf der fiilfsfeote (Cis , H ist als Hauptnote notiert) und
fügt dann eine kleine Trillerbewegung an.
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Je ne re-ver-ray
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Accent u.Son demi f ile
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6
*)Port de voix feint entspricht dem Port de voix entier, nur wird die Vorhaltsnote angeschwellt.
52
12.Mondonville.„Titon et l'Aurore" Pastorale heroique. Act III. Pag. 196. Ariette.
Andantino. Doux. .
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seula - vec des fleurs En-
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V> Hier hat Berard die Verzeichnung des Originals, für das seine Tabelle keine Erklärung gibt. Es han-
delt sich um den Triller mit appui, den die Vorschlagsnote andeutet.
53
H. Die deutschen Theoretiker.
1. PrintZjWolfg. Caspar. Compendium musicae 1689.
a a. Accentus.(//z«V geschwärzter Note-s. oL notiert.)
rJ»^J" ijiJ^jijiJi.jiji^J^
*
u. Tremolo
ftr 77 r r
Ascendens.
Descendens.
r irartitfr '
C. Gruppo. 4sce«rf. j)escen(i. Ir!tendens.Be?nitiens?' '
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f. Salto semplice.
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g". Salti composti.
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A - mor uie-us cru- ci - fi - xus est.
Figura corta. auch. etc Messanza.
f\ m——m P"^B r—j 1 VOV. «"'^ «*««<«<.
h. Figura susplr ans. i. Zusammengesetzte Figuren.
*FPP r y MMEJXTJJJir7
SS
Ö^P
k. Tirata defectiva.
Crf.Ä. nicht Oktave füllend.) !• Perfecta_.
m. Aucta.
d.h.die Octave überschreitend.
^etc.
jjtfgtij^ffl] JTJ^ r iJJff^
2. JailOWSka. Clavis ad thesaurum.
a.iVccentUS. % , Descendens minor nempe O C ad \,
* Ascend. minor nempe « 0S fl« C. Ascend. major nempe Ä C Ä# fl£. zr
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Descendens major nempe
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Blftae percUSSioniS Signa (ohne Auflösung.)
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e. Mordent.
Ja Adagio.
/a Aaagto. tr
te n u- r r i
■ i y
Ö
54
3. Johann Caspar Fischer. Musikalisches Blumenbüschlein. 1695.
Signum tremuli,vulgo trilla. (sie.)
Semitremulus.vulgo mordant.
4V
4. Fuhrmann. Musikalischer Trichter. 1706.
a. Accent.
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\jnvnt^ww*f\
r—d
b. Auticipatione della Syllaba.
F ß P ff J
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nur Je - su will ich ster- ben
0-
Dir nur Je - su will
C. Auticipatione della Nota.
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d. Trillo.
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■&— fn "jHPFFrFP'FrFrprFrF?
So werd ich den Him-mel er- ben
6. Trilletto.
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p^p
f. Tremolo oder Mordant.
-f-
g.Tremoletto.
5. MyliUS, Wolf g. Mich. Rudimenta Musicesl686.
J* a. Aeeento. (Übertragung um die Hälfte gekürzt u. mit Taktstrichen versehen
>£_ — um -.— . i — — — — jq ■ cifc ,..-, , t n ^m '"" ''..-■ .-i — %— _l -— — ■ i — — — — — - . -i i ■ — — i. . i- .
Ig *j g E
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Do - mi-no
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Ser -• vi te Do- mi-no in ti
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auf sein Wort, und ich hof - fe auf sein Wort.
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C. Anticipatione della syllaba
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Pa- ra-tum cor
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1 Pa-ra-tum coj
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Psal- lam,psal-lam De - o me - o.
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Pa-ra-tum cor ine -um De - us. Psal-lam, psal-lam De-o me-o.
) ± d. Anticipatione della Nota.
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6. Cercar della Nota.
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Lau - da-bo no-men tu - um.
I. Die deutsche Praxis.
Reinhard Keiser.
Ja1.} &. Adonis.
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b. CrÖSUS. Dreiteilige Arie, I.Teil l|, II. Teil | nur auf die Worte: „Soll ich
Schmertzen oder Freude haben."
Vivace.
Violine u. Viola.
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Soll ich Schmertzen,Schmertzen o - der Freu- de
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C. Adonis.
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Ausgesetztes Streichquartett.
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dies, und rächst
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a. Ausgeschriebene Kadenzen der Arie „Lontan da tuoi bei rai. eines unbekann-
. ten Komponisten zu Keisers Oper: „Diana oder der rächende Cupido."
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b. Kadenz am Schluss des IL Teiles in E-moll.
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a. Triller mit Nachschlag. » Janus."
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b. Gehauchte Vocalisation,tonmalend. „Ulisse."
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Violinen u. Viola.
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63
K. Die deutschen Theoretiker nach Tosi.
1. Die Fälle, in denen der Vorschlag kurz auszuführen ist.
a. Agricola.
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nicht.
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h. Agricola.
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-Ufl.i r |(Lf J JIJ ^
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ne - men cer - car fra se
2. Ausführung des langen, veränderlichen Vorschlags.
a. b.
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^liyg |V ;r^
Der letzte Takt ist
auszuführen.
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3.
Ca - ro mio ben si vi la-scio, per- do-na, se ou-bi-tai
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1
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4.
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a. Doppelter Nachschlag.
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auszuführen
oder mit Mordent.
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c. Springender Nachschlag.
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oder
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d. Überwurf, Nachschlag von oben.
Rückfall, von unten.
f. besser.
a e- r nlcht ansgqfflhren. . f. besser. ^
6-
besser mit springender Note, lembardisch.
besser mit springender Note, lembardis
f
e quell' af
fet to
e quell' al
fet to
65
h~rjii'Mr.Mi;ip,M/ir'
r
b. Punktiert.
oder
wm
b .J5U ^
f
zBr
6. a. Schleifer von zwei Noten
unpunktiert.
b. Punktierter Schleifer.
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m
c.
Lento.
auszuführen. d. oder.
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SP
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ah, per chi mai vi -
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mm
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auszuführen, g. oder.
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auszuführen.
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pres-sa
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son op-
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io non deg-gio
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auszuführen
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oder.
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k. Anschlag.
S
Schleifer.
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l) Nach Hiller ergänzt.
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1.
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ge - ni
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Le - ben zwischen Angst
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7. a. Grosser Triller.
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L.Mozart.
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Ph.E.Bach.
auszuführen.
auch, auszuführen. Zeichen auch.
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b.
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g. Pralltriller, Mezzotrillo.
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h. Hiller.
m
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m
1.
auszuführen.
k. Kettentriller.
J ir &• ir ir
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Agricola.
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Hiller.
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auszuführen
Q .Mordent. Agricola. P. Agricola
q . Mordent.Agrtcc
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Bach.
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SIC.
V. W. Bach. X. Petri.S(
X. Petri. Schneller.
rrrTf
8.
a.
g geschwind, gemässigt, langsam.
b. Ausgeschriebener Doppelschlag
C. Der prallende u. Der Doppelschlag zur Verbindung,
g Doppelschlag.
„ << DogjelgeMag. . ^--^ ^-=» ZCT^. .
| j jJPpj» i r nrr r ir % r iiim^ffi^
f. Geschnellter Doppel schlag
8 « .
g. Prallender Doppelschlag mit einen Vorschlag.
f^pjyilrrr^^ll^
auszuführen.
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Uli _*• 8 88 mfr V«i_L
i rTj-ipriHLr^i^rirfri^H^rM 1 1 BT1
Sen-za Pa - ma - bi - le
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Lento. iL
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a-rrj i j^jbi^ isgjj 7
g gab*ga
£
q-
oh Di-o oh Di - o
oh Di-o
oh Di
L. Hiller, Joh. Adam: Sechs italienische Arien verschiedener Componisten
mit der Art sie zu singen und zu verändern. Leipzig. 1778.
a. Aria nell'opera Lucio Vero di Sacchini.
J + h u Andante. .-^ ^ ^"^v. n \
zo - se, vez - zo - so e a
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re-ne o-mai spien - de - te,
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re-ne o-mai spien -
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14 -) w (! =)
t)Die Stelle stammt aus Hasses rAfilod1Amore,und gibt nicht das Zeichen S,sondern ir. Hiller interpretirt sie als
Doppelschläge.- 2) D\e Rhythmisirung im Original ist offenbar irrig, und hier nach K 8 c. berichtigt.
69
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de - te, o
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u. Aria nell' opera „Solimano" di Hasse. Zweiter Teil des Hauptsatzes.
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71
C. Aria nelP opera Leucippo di Hasse.
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M. Veränderungen im Becitativ.
LAgriCOla. auszuführen. »»
enona-mo-re e non a-mo-re auf dasswir Friö-den hätten
auszuführen.
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£
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Telemann.
auf dasswir Frie-den hät-ten
auszuführen.
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2. Agricola.
auszuführen. Telemann.
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Cam-
bi-a-toan-cor sa-ra
sa-ra
auszuführen.
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3.Hiller.
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4. Agricola. l)
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des-schre-cken
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do
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1) Aue Hasse's „La Conversione di Sant Agostino" vgl. Denkmäler der Tonkunst Bd. XX. S. 12
72
5.
S
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tar - do e
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s
F=^
£
e tar
tar
do
6. Hasse, von Hiller ergänzt.
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T~? g
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£
com - pi
Ausführung.
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gran - de
A Ausiimrung. ^ ,
f^"^ p ifj7r~rlrr^rjf
com- pi l'o -
1
£
^
EM
pra
piu
gran - de
m
^
7. Hasse „La Conversione di Sant' Agostinoj' von Agrieola ergänzt.
f-*- ? i S| p 1 1 (hp^S
*ii' aju i
per me si fa dol - cez-za o -
5E?I
gni tor -men-to
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8. Agrieola.
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9.Agricola.
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aun pun-to
b* ff
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sol
trop-poa il cor av - vol-to
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*
10. Agrieola.
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ogn' al - ma in-a-mo
ra - ta
mo
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11. Agrieola.
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Que - sta, che mi-ri,o Ni-ce,
cam-p a-gnea-fflene
5S
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Ni
-©-
ce
me - ne
•>
73
12. Agricola.
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mio ben,
11110
ben.
13.
Telemann.
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narf wie vor - ma
f.
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Mo
I
Be-glück-te
Veränderungen:
Stunden, da Mo-sis
uns nicht mehr so scharf wie vor - mals
Ö
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dräut, ^a se- gens-vol - le
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Heil siel
Zeit, da un-ser Heil sich ein - ge -
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fun-den, zu die-sem hal-te dich mit
wah-rer Zu-ver- sieht und lass dir
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sol - che nicht bis
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cht bis an dein En - de
rau - ben.
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74
ALI. Hiller. Tonleiter Variationen für die freie Sänger Kadenz.
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efo. 4.
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ClcJPLCJÜB
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Absteigend
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1.
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£ . <? efc. 3.
efo
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2. Kadenz mit einem Arpeggio in der Dominante.
frr ^^tfB^r^^^jjjr^i J'J i J i
3. Kadenz in der Harmonie der Quint. (dominantisch)
g ^[ttTdfflEffCttfr rTr 1 jg-FEf
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SB M.
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A 4 3
4. Kadenzen mit dem „harmonischen Dreyklang."
6.
75
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r 1 fflr JH JHI j J J r r J»r f ' gjpg "cggpa
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7. Ausweichung in eine fernere Tonart.
| tf jjSyp^ggiigilf fii [g^afe^
8.
Kadenzen mit weiten Sprüngen, a. abwärts
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f^ r-cxrrnrr
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efc.
b. aufwärts
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9. Kadenzen aus Hillers „Sechs italiänische Arieni*
a. Kadenz am Schluss des Hauptsatzes der Arie aus „Lucio Vero" des Sacchini.
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b. Kadenzen der Arie aus „Fetonte" des Graun.
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C. Kadenz zu einer eigenen Arie. Lento.
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man _ _
XL.
O. Verzierungen, den Triller der Kadenz ersetzend, Agricola.
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L Fermaten.
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Adagio.
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6. Hiller, Fermaten.
9, Hiller. Uebergangskadenz.
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W. Haler.
Ausschmückung
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Uebergangskadenz
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C
Ter- giil
78
Original.
Verzierte
Stimme.
a. Judas Maccabäus.
1. Pious orgies.C Fromme Andacht.)
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Pi - ous or - gies,
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p^PfT^"^
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move his pi - ty, his pi - ty
and re-gain his love.
Pi - ous
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or-giespi-ous airs, de-cent
sorrow, de - eent
sor-row, de - cent pray'rs
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g J* j > cF[piiTfrgffi
£
de - eent
NnM^*^
yfnrjr^g^
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PPf
will to the
Lord aseend,and move his pi-ty,
his pi - ty, and re - gain his
SE
PP?
J^ J^JrW?
B p^JT^g
i
*
^-^=3^
20
love. Pi - ous or - gies,
ipi^iFg^^ö
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pi - ous airs, de - cent
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^zf^-f^f
79
^
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sor - row, de - Cent pray'rs,
will to thf Lord as-cend, and
^^^^g^H^-^^^^^r^l
7ät^f=^r^
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25
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move his pi - ty, bis
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^
pi - ty and re - gain his
love.
^— r— --f-y ggr-faj
§^^^^^^^^
^^
V
re - gain
2. Come, ever smiling. (Komm, süsse Freiheit.)
^ ^ JLJt Andante.
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Come, ev - er
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3:
3e:
i)Die Vorlage wiederholt die letzten vier Takte
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and with thee bring thy
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C/ P ^ £T j>
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1
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^ come, ev - er
l) Dieter und der nkchtte Takt fehlen In der Handschrift
ev
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and with thee bring thy
Mdagio K
jo
cund
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and with thee bring thy
jo
cund train.
2. Für den vorletzten Takt ist noch eine zweite Variante notiert:
Adagio.
m— * *■
S
CO
^=E
I
^
and
with
thee
bring
thy
b Samson. Thus when the sun. (So, wenn dieSonn/.)
Ja , Takt II.
^
in-fer - nal jail each
fet - ter'd ghost slips
nal jail
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to his sev' - ral
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Oinbra cara, Arie des Radamisto. ( P. S.43 ff.).
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d Siroe. Akt II. Arie des Emira.
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\) Hier sind in der Handschrift sechs Takte , eine Wiederholung- der vorangegangenen Phrase, interpoliert.
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gnel-la, che l'ai'-fet-to d'un pa -
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vre-i, che la cu - ra d'un a - gnel - la, che l'af-fet-to d'un pa-
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d'un pa-stor.
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Non vi piac-que in-giu-sti
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la, al-tra pe-na or
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al-tra pe-na or
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gnel-la, chel'af-fet-to d'im pa
Kg -Vjamh
fet -to dun pa
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stör, al-tra pe-na non a
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vre-i, che la cu-ra d*un a
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gnel - la e l'af- fet-to dhin pa-
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pa-stor.
gnel-la, che d'affet - to dHin
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gnel-la, che d'affet - to
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gnel-la, ehe da ff et
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1> Das Zeichen ist hier nicht mit Sicherheit zu bestimmen
88 e Alcina.
1. Ah, mio cor!
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